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Weihnachtsgottesdienst im Park 2023

Auch dieses Jahr haben wir es wieder geschafft, am 2. Weihnachtstag im Mittleren Schlossgarten einen kleinen Gottesdienst anzubieten.

Hier der Link zur Video-Aufnahme:
https://www.youtube.com/watch?v=aV1HPoYd1J0

Wer die Ansprache von Pfarrer i.R. Martin Poguntke (noch einmal) nachlesen möchte: Hier ist sie als pdf-Datei.

Weihnachtsgottesdienst im Park

Herzliche Einladung…

…auf den 2. Weihnachtsfeiertag, 26.12.2023 um 11 Uhr in den Schlossgarten!
Auch dieses Jahr findet der Weihnachtsgottesdienst im Mittleren Schlossgarten, östlich der 21-Baustelle, in der Nähe von Lusthausruine und Biergarten statt. 

Das bewährte Parkgebets-Team um Jutta Radicke hat den Gottesdienst auch dieses Jahr vorbereitet. Wie gewohnt können wir uns auch wieder auf die musikalische Begleitung durch das „Parkblech“ freuen. Die Ansprache hält dieses Jahr Pfarrer i.R. Martin Poguntke.

Die Probleme und Betrügereien rund um Stuttgart 21 werden zurzeit immer deutlicher. Um darauf mit gewohnt engagiertem Widerstand zu reagieren, braucht es weiterhin wache und einsatzfreudige S21-Gegner*innen.

Herzliche Einladung deshalb, neue Kraft zu schöpfen für den Widerstand gegen das zerstörerische Projekt S21 – auch im neuen Jahr und noch viele, viele Jahre… 

Parkgebetsansprache am 17.3.2022 von Pfr.i.R. Martin Poguntke

(hier als pdf-Datei)

(Leider konnte diese Ansprache aus Krankheitsgründen nicht „live“ im Schlossgarten gehalten werden, sondern kann nur hiermit schriftlich zur Verfügung gestellt werden.)

Liebe Parkgebetsgemeinde,

„Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt.“

Dieser Ausspruch von Bert Brecht liegt einem in diesen Tagen und Wochen des Ukraine-Kriegs wieder einmal schrecklich nahe. Wie könnte ich heute, im Parkgebet über Bäume und Züge und Gleise reden – und schweigen über den Krieg und das namenlose Elend, das die Menschen in der Ukraine seit dem 24. Februar erleiden müssen! Ich schalte manchmal die Nachrichten aus, weil ich es nicht mehr ertragen kann, zu hören und zu sehen, was die russischen Soldaten da in den Städten und Dörfern der Ukraine an Verbrecherischem anrichten.

„Gib Frieden, Herr, gib Frieden!“ möchte man mit dem Liedtext schreien. Aber so einfach ist es nicht, denn Gottes einzige Hände sind unsere Hände. Was nicht durch uns oder andere geschieht, geschieht gar nicht.

Und da frage ich mich: Aber was soll denn, was kann denn, was muss denn geschehen, damit dieses Elend so schnell wie möglich aufhört? Und es fällt mir so wenig ein, was jetzt noch hilft, nachdem die Dinge seit Jahrzehnten schon in die falsche Richtung gelaufen sind und jetzt erst im Grunde die angehäuften Fehler explodieren.

In Kriegszeiten sehnen sich die Menschen verstärkt nach klaren Wahrheiten, habe ich dieser Tage gelesen. Kriegszeiten scheinen nicht die richtigen Zeiten zu sein für Differenzierungen, für kritisches Beleuchten von allen Seiten – auch nicht für kritisches In-den-Spiegel-Schauen.

Wenn ein Mörder den Abzug der Pistole betätigt oder ein Präsident einen Krieg befiehlt, ist sofort klar, wer der Täter ist. Und es reicht scheinbar, zu wissen, wer letzten Endes das Böse getan hat. Aber Wahrheit ist mehr; Wahrheit ist das ganze Bild; zur Wahrheit gehört die ganze Geschichte, die zu dem heutigen Punkt geführt hat.

Ein Bekannter von mir sagte neulich, als ich eine unerfreuliche Geschichte über einen gemeinsamen Bekannten erzählte: „Zu jeder Geschichte gibt es mindestens eine zweite.“ Und er wollte damit deutlich machen: Glaube nicht, du wärst einem Ereignis oder gar einem Menschen bereits gerecht geworden, wenn du eine Geschichte von ihm erlebt hast. Diese eine Geschichte wird nicht unwahr, wenn es eine zweite gibt oder eine dritte, vierte, die ein ganz anderes Bild zeichnen. Keine einzelne Geschichte ist die Wahrheit, sondern nur alle gemeinsam. Und diese Wahrheit ist voller Spannungen und Widersprüche – das gilt es auszuhalten und nicht zu glätten, zu harmonisieren, zu banalisieren.

Ich glaube, von Max Frisch stammt, sinngemäß, der Ausspruch: „Sobald ich mir ein Bild von einem Menschen gemacht habe, ist die Liebe tot.“ Die Wahrheit über einen Menschen ist immer viel, viel mehr als das, was ich an ihm sehe. Und mehr als die ganze Familie und Nachbarschaft und die ganze Stadt sehen. Die Wahrheit ist die ganze Geschichte, auch die Geschichte der Eltern und Vorfahren und Urahnen. Ohne alles das miteinzubeziehen, gehe ich an der Wahrheit vorbei.

Liebe Parkgebetsgemeinde, da frage ich mich nun: Ist dann nicht alles aussichtslos? Ich mag dann viele kleine Wahrheiten über einen Menschen oder ein Ereignis wahrnehmen und in mein Denken einbeziehen – aber „die“ Wahrheit werde ich nicht finden.

Im Johannesevangelium lässt Johannes Jesus sagen: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“ Johannes hat Jesus diesen Satz in den Mund gelegt als eigenes Glaubensbekenntnis. Johannes will damit sagen: In dir, Jesus, sehe ich Gott. In dir, Jesus, spüre ich das, was nur Gott sein kann: das allumfassende Leben, der Weg zu wirklichem Leben und eben: die Wahrheit, die ganze Wahrheit, die hinter der ganzen Menschengeschichte steckt und die allein Mensch und Welt gerecht wird.

Wenn das so ist, dass wir die Wahrheit selbst nicht erkennen können, dann müssen wir mit den Wahrheiten(!), die wir nur erkennen können, anders umgehen: demütiger, bescheidener.

Seien wir demütig, hüten wir uns vor zu schnellem Urteil, gegenüber Menschen, vielleicht sogar vor jedem Urteil. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass es angemessen ist, ist meist ausgesprochen gering.

Demütiger und bescheidener muss das sein, was wir an Urteilen aussprechen – und selbstkritisch. Denn wenn die Wahrheit nur die ganze Wahrheit sein kann, dann sind auch wir selbst immer Teil der Wahrheit. Sprich: Ich sollte immer fragen: Was ist denn mein eigener Anteil an der aktuellen Situation? Was habe denn ich dazu beigetragen oder unterlassen, dass es dazu gekommen ist? Wie sehr bin ich selbst denn verwickelt auch in das Leben der Menschen, über die ich so schnelle Urteile fälle?

Demütig und selbstkritisch muss das sein, was wir an Urteilen aussprechen – und liebevoll. Denn wenn die Wahrheit Gott ist, von dem ich mir Vergebung meiner Verfehlungen erhoffe – dann muss dieser Gott und diese Wahrheit eine liebevolle sein: eine Wahrheit, die liebevoll mein eigenes Leben beurteilt und wegen der auch ich liebevoll das Leben anderer beurteile – und es damit gar nicht beurteile, sondern liebevoll unbeurteilt so stehenlasse, wie es ist.

„Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet!“ Das ist die direkte Konsequenz aus der Erkenntnis, dass wir die Wahrheit nicht haben, sondern dass die Wahrheit das für uns nicht erkennbare und erreichbare Ganze ist, das wir so mutig und ahnungslos „Gott“ nennen.

Scheinbar sind wir nun ganz weit weg von dem Krieg in der Ukraine gelandet, aber nur scheinbar. Denn auch für die Beurteilung dessen, was dort geschieht, gilt: Wir erkennen nur Teilwahrheiten, die ganze Wahrheit bleibt uns unerreichbar. Und deshalb sollten wir auch über diesen Krieg demütig, selbstkritisch und liebevoll urteilen.

Ich denke: Wir (die Friedensbewegung, zu der ich mich rechne) müssen zurzeit sehr aufpassen, dass wir drei Fehler nicht machen: 1. nicht zu Falken werden, sondern demütig unablässig Wege zur Deeskalation suchen, statt die Rüstungsspirale anzukurbeln, 2. selbstkritisch unsere eigene Verflochtenheit nicht ausblenden, 3. den „Gegner“ nicht zu dämonisieren, sondern – liebevoll – darum bemüht bleiben, auch im „Gegner“ einen Menschen zu sehen – vielleicht einen gefährlichen, brutalen Menschen, aber einen Menschen.

Ich würde mich überschätzen und übernehmen, wenn ich hier jetzt hinstehen würde und fertige Friedens-Konzepte oder -Rezepte vorstellen würde. Das habe ich natürlich nicht; was ich sage, ist nur Stückwerk, nur ein Teil dessen, was gesagt gehört. Aber was ich habe und sagen möchte, ist eine Richtung: die Richtung, dass wir auch den Russen die Hände reichen, dass wir Brücken auch zu ihnen bauen, dass wir Vertrauen wieder herzustellen versuchen – Vertrauen, das die NATO in den letzten Jahrzehnten mutwillig zertrampelt hat.

Nicht dass wir naiv übersehen sollten oder auch nur übersehen dürften, welche Fehler und bösartigen Entwicklungen Russland in den letzten Jahrzehnten gemacht hat. Aber dass wir demütig, selbstkritisch und liebevoll erkennen, was auch auf unserer Seite an Fehlern und bösartigen Entwicklungen geschehen ist. Und vor allem: dass wir aufhören, in den Kategorien von Freund und Feind zu denken.

So nähern wir uns dem, dass die Wahrheit, das Ganze ist, indem unsere Sorge und Fürsorge dem Ganzen zu gelten hat: der ganzen Welt, dem ganzen Leben, allen Menschen, die alle Teil der großen Wahrheit sind.

Und dann macht es auch wieder Sinn, über Bäume und Züge und Gleise zu reden: weil ein pfleglicher Umgang mit der Schöpfung auf geradem Weg zu einem pfleglichen Umgang mit denen führt, die man uns zu „Feinden“ zu machen versucht. Auch unser Engagement für einen klimafreundlichen Bahnhof und einen klimafreundlichen Zugverkehr in einer klimafreundlichen Stadt, Land, Welt ist ein Beitrag zum Frieden. Nicht nur, weil wir dann nicht mehr von den Rohstoffen von Diktatoren abhängig sind, sondern weil wir dann den weltweit immer bedrohlicher werdenden Streit um Ressourcen entschärfen.

Woher wir die Kraft nehmen sollen für dieses Engagement? – Meine Erfahrung ist: Wenn man sich gemeinschaftlich, wie wir das z.B. im Parkgebet immer wieder tun, mit Gott, dem Ganzen, der Wahrheit verbunden fühlt, dann erwächst einem daraus Kraft, ganz erstaunliche Kraft zum Brückenbauen. Eine Kraft, die übrigens auch in vielen gar nicht bewusst christlich motivierten Friedens- und Ökologie-Gruppen sichtbar wird. Eine Kraft, die aus dem Ganzen kommt, das man keineswegs „Gott“ nennen muss – aber „Gott“ nennen darf.

Diese Kraft wünsche ich Ihnen und mir immer neu. Amen.

Digitaler Weihnachts-GD am 26.12.2021, 11 Uhr

  • Instrumental-Vorspiel: Tochter Zion

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  • Begrüßung

Seien Sie ganz herzlich willkommen bei diesem Weihnachtsgottesdienst auf unserer Internet-Seite! Wir freuen uns, dass wir in diesen Corona-Zeiten wenigstens auf diesem Wege einen gemeinsamen Gottesdienst feiern können.
Wir haben dazu für Sie vier pdf-Dateien vorbereitet, die Sie für sich ausdrucken oder auf den Bildschirm rufen können (klicken Sie einfach die blauen Titel an):
– ein Liedblatt, das alle Lieder enthält, die wir miteinander singen.
– ein Textblatt mit dem gesamten Ablauf des Gottesdienstes und allen Gebeten etc.
– die Ansprache
Zwei Weihnachtsgeschichten:
1. wie Lukas sie etwa im Jahre 80 geschrieben hat und auf die sich die Ansprache bezieht
2. wie sie heute geschrieben worden sein könnte (lassen Sie sich überraschen!)

  • Gruß
  • Erstes Gemeindelied: Vom Himmel hoch (EG 24, 1–3+6)

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  • Eingangsgebet
  • Zweites Gemeindelied: Hört, der Engel helle Lieder (EG 54, 1–3)

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Liebe Weihnachtsgemeinde!

„Hört der Engel helle Lieder“, haben wir eben gesungen. Ich weiß nicht, ob es Ihnen auch so geht. Aber für mich haben Advent und Weihnachten und diese ganzen Lieder, Geschichten und Symbole drumherum eine eigenartige Faszination: im Advent der immer hellere Kranz – erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier. An Weihnachten ein kleines Kind, schutzlos in der Kälte; dunkle Nacht und helle Sterne; arme Hirten und ihre Schafe.

Ich glaube, das ist mehr als romantischer Kitsch, was uns da berührt. Mit den Mehr-werdenden Kerzenlichtern spüren wir unwillkürlich etwas von der Mehr-werdenden Hoffnung. Mit dem schutzlosen Kind schwingen Gedanken und Empfindungen mit an Zukunft, Leben, Hoffnung auf Geborgenheit. Mit der Nacht schwingen Gedanken an die Dunkelheit der Welt mit, das Elend von Flüchtlingen, die immer zahlreicher werdenden Opfer der nahenden Klimakatastrophe, auch das ökologische Elend, das die Gewinnsucht mit diesem S21-Immobilienprojekt anrichtet. Und mit den fernen aber hellen Sternen spüren wir ganz tief drinnen ein klein wenig Hoffnung keimen, dass das Dunkel ein Ende haben könnte, dass es hell werden könnte in der Welt.

Ich wage das alles fast nicht zu sagen, weil ich fürchte, dass so zarte Gefühle und Hoffnungen gleich wieder zerfallen, wenn wir sie in Worte fassen, sie aus dem Schutz unserer Seelen ans Tageslicht zerren. Lassen wir sie unten, tief in uns drinnen, unsere Hoffnungen, die uns rund um Weihnachten so eigentümlich warm und milde machen.

Vielleicht scheut sich auch der eine oder die andere unter Ihnen, dass solche Gefühle doch mit der eigentlichen Weihnachtsbotschaft gar nichts zu tun haben, mit Jesus und Gott und „Christ der Retter ist da“.

Aber täuschen wir uns nicht! Wir sind ganz dicht dran an der Sache. Denn dieses kleine Jesuskind, feiern wir ja, weil es später – als Erwachsener, als Wanderprediger – für elementare Werte und Aussagen gestanden hat: Menschlichkeit, Friedenshoffnung, Vergebung, Würde der Kleinen Leute, Gegnerschaft gegen Herrschaftsmissbrauch. Auch, wenn wir nur ganz wenig über die historische Figur Jesus wissen – aber sie muss beeindruckend gewesen sein. Er scheint in einzigartiger Weise seine Hoffnung auf eine gute Zukunft nicht nur in Geschichten erzählt zu haben, sondern er scheint das wirklich gelebt, selbst verkörpert zu haben, mit einer ergreifenden Glaubwürdigkeit, bis zum Selbstopfer.

„Schalom“ wurde diese Zukunftshoffnung Jesu in der Hebräischen Bibel genannt; und gemeint war ein Friede, der nicht nur Waffenstillstand bedeutete, sondern Gerechtigkeit für Mensch und Natur, Gerechtigkeit aus der Perspektive der Kleinen Leute.

Jesus hat diese Welt „Reich Gottes“ genannt, diese Welt, die endlich nicht mehr das Reich des Geldes und der Mächtigen sein sollte, sondern das Reich der Schöpferkraft, von der er der festen Überzeugung war, dass sie im Kern Liebe und Leben war.

Seine „Follower“ würde man heute vielleicht sagen, folgten ihm damals nicht durch einen einfachen Maus-Klick, sondern, indem sie ihre Familien für ihn verließen und leibhaftig mit ihm zogen. Und diese Nachfolger waren nicht einfach nur beeindruckt von ihm, sondern sie fanden: Genau diese Eigenschaften hatten sie immer von Gott, dem letzten Grund, warum es überhaupt die Welt gibt, geglaubt: so liebevoll, menschlich, gerecht, zukunftsgerichtet, auf Seiten der Schwachen. Deshalb waren sie so ergriffen von Jesus, weil sie das Gefühl hatten: An diesem Menschen sehen wir leibhaftig, was wir bislang immer nur von einem unsichtbaren Gott geglaubt hatten. Deshalb nannten sie ihn auch „Sohn Gottes“ – nicht, weil er etwa nicht von Josef und Maria gezeugt worden wäre. Im jüdisch-christlichen Glauben gibt es keine solchen biologischen Gottes-Sohn-Vorstellungen, sondern es war ein Würdetitel, den sie ihm damit gaben, um zu sagen: Dich erleben wir als einen, der außergewöhnlich tief erfüllt ist von der Kraft, die die Welt hervorgebracht hat und erhält.

Ob sie damit recht hatten? Wer will das sagen? Und als Jesus dann schließlich durch einen Justizmord umgebracht worden war, da wäre das Ganze nach menschlichem Ermessen eigentlich auch zu Ende gewesen: ein beeindruckender Mensch, schön, ihm begegnet zu sein, aber jetzt ist er tot.

Das Überraschende war aber, dass seine Nachfolger auch nach seinem Tod – mehr noch als vorher – eine Kraft in sich spürten und einen Mut, von dem sie der Überzeugung waren: Das ist die Kraft von Jesus. Ein wenig vergleichbar damit, wenn die Anhänger von Che Guevara „Presente!“ sagten, um auszudrücken, dass auch sie seine Gegenwart noch spürten – freilich lediglich die Gegenwart eines Mitkämpfers und nicht die von jemandem, an dem sie den Urgrund der Schöpfung wahrnahmen.

Und dann haben die Anhänger Jesu einen interessanten Denkschritt getan. Sie haben sich gesagt: Wenn die Kraft von Jesus durch seine Ermordung nicht totzukriegen war, musste das nicht daran liegen, dass seine Überzeugungen nicht einfach die Überzeugungen eines Privatmenschen waren, sondern, dass in diesen Überzeugungen eine grundsätzliche Wahrheit steckte, eine Wahrheit der Welt gewissermaßen? Und dass – auch 2000 Jahre nach seinem Tod – noch unzählige Menschen einfach nicht loskommen von diesem als Kind im Stall geborenen Überzeugungstäter, ist das nicht ein Hinweis darauf, dass man von Jesus zurecht so besonders denkt?

Gewagte Thesen. Ob an ihnen etwas Wahres ist? Das ist, wie so Vieles nicht zu beweisen. Es gibt so viele auch fragwürdige Überzeugungen, die ebenfalls viele, viele Anhänger haben. Die Zahl der Anhänger sagt gar nichts. Es glauben ja auch viele, dass es Corona nicht gebe.

Weil sich Wahrheit oft nicht belegen lässt – weil wir nicht genügend Fachwissen haben oder weil es grundsätzlich nicht geht –, habe ich mir ein wenig angewöhnt zu fragen: Was macht diese oder jene Überzeugung aus einem? Wie verändert es Menschen, wenn sie dieser oder jener Überzeugung anhängen? Und da muss ich sagen: Trotz scheinheiligen Kreuzzügen und bösartigen amerikanischen Fundamentalisten, hat der christliche Glaube doch im Großen und Ganzen eine erstaunlich positive Wirkung auf Menschen.

Aber auch das nur ein kleiner Hinweis und natürlich kein Beleg dafür, dass sich hinter diesem Glauben etwas verbirgt, von dem man ganz vorsichtig sagen kann, dass es etwas von Wahrheit haben könnte. Kein Beweis, keine Gewissheit. Es bleibt dabei, dass Glauben ein Wagnis ist, es mit einer Überzeugung zu versuchen, ohne Absicherung, ganz vorsichtig, Schrittchen für Schrittchen.

Um dieses vorsichtige Glauben-Versuchen geht es auch dem Evangelisten Lukas. Er wollte ja mit seiner Weihnachtsgeschichte keinen Polizeibericht schreiben, wie es wirklich war, damals bei der Geburt Jesu. Das wusste er ja auch gar nicht, er war ja gar nicht dabei, hat Jesus ja erst viel später kennengelernt und sein Evangelium und diese Weihnachtsgeschichte erst 80 Jahre nach Jesu Geburt geschrieben. Nein, seine Weihnachtsgeschichte ist ein kleines Glaubensbekenntnis in Geschichten-Form.

Er lässt Jesus, der vermutlich in Wirklichkeit in Nazareth geboren ist, in Bethlehem geboren sein, weil nach biblischer Tradition der Messias aus Bethlehem kommen würde und Lukas sagen will: Für mich ist Jesus der Messias.

Die Sache mit der Volkszählung, deretwegen Josef mit Maria nach Bethlehem zog, die aber in Wirklichkeit einige Jahre später stattfand und wegen der auch niemand in sein Heimatdorf ziehen musste, hat Lukas in die Geschichte nicht nur eingebaut, um einen Grund zu haben, damit Josef und Maria aus Nazareth nach Bethlehem ziehen mussten. Er hat diese Ereignis auch in seine Geschichte aufgenommen, um zu sagen: Jesus war keine mythische Figur, die über den Dingen dieser Welt stand, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut, der von Anfang an der Welt und ihren Machtspielchen ausgesetzt.

Deshalb erwähnt er auch gleich am Anfang den Kaiser Augustus, um zu sagen: Während die Herrscher der Welt noch ihrem üblichen Macht-Geschäft nachgingen, ist ganz im Verborgenen derjenige geboren, der das Ende ihrer Herrschaft einläutet.

Augustus war auch deshalb der Richtige, um hier angeführt zu werden, weil er sich selbst den „Friedensbringer“ nannte, während Lukas in Jesus denjenigen sah, der eigentlich Frieden schaffen würde.

Und dass Lukas die Geburt des Friedensbringers als allererstes den Hirten mitteilen lässt, ist geradezu Programm. Denn nach der Überzeugung von Lukas war Jesus ja der, der Frieden und Gerechtigkeit zuallererst für die Schwachen und an den Rand Gedrängten brachte.

Und dass es Engel waren, Boten Gottes, die ihnen das sagten – klar: weil Jesus ja für Lukas von Gott geschickt war in diese Welt.

Ich glaube, darin liegt die Kraft dieser Lukas-Weihnachtsgeschichte, dass er all die Dinge eingebaut hat – Kind, schutzlos, Nacht, Licht, Armut, Hoffnung –, die uns heute noch so eigenartig berühren, weil sie tief in uns für unsere Sehnsucht nach Hoffnung stehen. Hoffnung nicht auf irgend etwas, sondern Hoffnung, dass diese von Macht und Geld bestimmte Welt geheilt wird. Hoffnung, dass die Welt und ihr Klima noch rechtzeitig den Tentakeln der Geld-Gierigen entrissen wird. Hoffnung, dass den korrupten S21-Übeltätern ihr böses Werk nicht gelingen möge.

Hoffnung, Hoffnung. – Ist das nicht trügerischer Schein, Irrtum, der das Leben erträglicher macht? Nein, ich glaube nicht, sondern im Gegenteil: Ich glaube, dass es Veränderung nur geben kann, wenn wir hoffen. Ich glaube, dass in der Hoffnung eine schöpferische Kraft steckt, die – ja, so kann man das vielleicht sogar sagen –, eine Kraft, die das, worauf sie hofft, überhaupt erst erschafft. Prinzip Hoffnung ist nicht naiver Optimismus, sondern das revolutionäre Wissen, dass das Hoffen die Kraft ist, durch die gute Zukunft geschaffen wird.

Im Advent haben wir Kerze für Kerze unsere wachsende Hoffnung eingeübt. An Weihnachten staunen wir über das am Baum im Überfluss zur Erfüllung gekommene Licht. Advent und Weihnachten sind so eine kleine Hoffnungs-Schule, die uns lernen lässt zu hoffen, dass diese ganze Welt ein gutes Ende nehmen kann – wenn wir gemeinsam nicht aufhören, diese Hoffnung einander gegenseitig zu spüren zu geben und so jedes von uns einander ein wenig die Kraft zu sein, die uns Vertrauen gewinnen lässt in diese Welt und ihre gute Zukunft.

Diese gute Zukunft glauben wir übrigens nicht als Fortsetzung der Jahrtausende alten Herrschaftsgeschichte der Könige und Präsidenten und Despoten, sondern als einen wirklichen Neuanfang – eine ganz neue Art, Leben und Welt zu organisieren: menschlich, liebevoll, gerecht, lebendig… Deshalb singen wir im gleich folgenden Weihnachtslied: „…aus einer Wurzel zart…“ – ganz unten, unterhalb aller historischen Herrscherlinien, ganz unten an der Wurzel soll ein neuer Trieb kommen, ein echter Neuanfang passieren. Darauf hoffen wir Christen.

Und den Glauben, die Hoffnung, das Vertrauen in einen solchen die Welt qualitativ ändernden Neuanfang – das wünsche ich Ihnen und denen, denen Sie weitergeben können von ihrer kleinen Hoffnung – in Worten, aber vor allem im widerständigen Tun.

Einen Frohen Weihnachtstag! 365 Weihnachstage!

Amen.

  • Drittes Gemeindelied: Es ist ein Ros‘ entsprungen (EG 30,1–3)

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  • Fürbittgebet / Vater Unser
  • Viertes Gemeindelied: O du fröhliche (EG 44, 1–3)

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  • Segen
  • Verabschiedung

Wie von den Parkgebeten her gewohnt, wie sie von den Theolog*innen gegen S21 regelmäßig im Stuttgarter Schlossgarten veranstaltet werden, beschließen wir auch diesen Gottesdienst mit dem Lied der US-Bürgerrechtsbewegung „We shall overcome“.
Aber schon jetzt möchte ich Ihnen im Namen des Vorbereitungs-Teams (Jutta Radicke, Ulrich Ebert und Martin Poguntke) einen schönen restlichen Weihnachtsfeiertag wünschen.
Auch an dieser Stelle bereits: ein gutes neues Jahr Ihnen allen! Auf dass wir uns alle im neuen Jahr bald wieder gesund und zum unverminderten Widerstand gegen Stuttgart 21 wiedersehen.
Leben Sie wohl!

  • Fünftes Gemeindelied: We shall overcome (EG 652, 1.3.4.6.7)

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  • Instrumental-Nachspiel

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Parkgebet am 15.7.2021 von Pfr.i.R Martin Poguntke zu „Geh aus mein Herz und suche Freud“

Ansprache zum Parkgebet am 15. Juli 2021 über Aussagen des Liedes „Geh aus mein Herz“

(hier als pdf-Datei)

Lied: Geh aus mein Herz (Evangelisches Gesangbuch Nr. 503), Strophen 1 bis 3

Liebe Parkgebetsgemeinde!

Wie schön, sich mal wieder von Angesicht zu Angesicht zu sehen! Das ist doch etwas ganz Anderes. Hoffen wir, dass die Corona-Situation sich nicht so schnell wieder verschlechtert.

Schön aber auch, sich hier draußen, in der freien Natur zu treffen, „in dieser lieben Sommerzeit“ und sich an „unsres Gottes Gaben“ zu erfreuen. Auch wenn hier im Schlossgarten diese Gaben Gottes durch die Riesenbaustelle arg zugrunde gerichtet worden sind – Einiges ist doch noch sehr schön zu genießen hier.

Das Lied, von dem wir eben drei Strophen gesungen haben, ist ja regelrecht ansteckend. Wie es unsere staunende Aufmerksamkeit auf immer neue Details in der Natur um uns her richtet. Z.B. die Lerche, von der wir eben gesungen haben: Sie „schwingt“ sich ja nicht einfach nur in die Luft – wie es im Lied heißt –, sondern sie schraubt sich unablässig trillernd und flatternd höher und immer höher in den Himmel, wo sie noch lange zu hören – oft gar nicht mehr zu sehen – ist, um dann urplötzlich zu verstummen und wie ein Stein sich zur Erde fallen zu lassen, zur Erde, auf der sie aber sanft ankommt, weil sie kurz vorher ihre Flügel aufspannt, um sich mit ihnen abzufangen und ganz dicht über dem Boden weiterzugleiten bis zum Nest mit ihren Jungen. – Sie lässt sich ja nicht direkt über ihrem Nest fallen, sondern ein Stück davon entfernt, um es nicht zu verraten und so ihren Nachwuchs zu gefährden.

Das führt uns, liebe Umwelt-Freundinnen und -Freunde, mitten in unserer fast überschwänglichen Bewunderung an einen Punkt, der die Idylle ein wenig stört. Wir hätten in unserem Staunen fast vergessen, dass die scheinbar so ausgelassenen Tiere ja ständig auf der Hut sein müssen, nicht von größeren gefressen zu werden. Was uns als Außenstehende so verspielt und harmlos erscheinen mag, ist in jedem Detail Ausdruck des Überlebenskampfes aller Arten.

Jedes Tier muss mit allerlei Tricks versuchen, sich der stärkeren zu erwehren, und zugleich, sich schwächere zu schnappen. Wir kommen nicht umhin: Bei näherem Hinsehen und Überlegen erkennen wir in der ganzen Natur nichts als ein riesiges Feld von Bedrohung, Kampf und Konkurrenz.

Ist es dann also ein großer Irrtum, dass wir staunen über die Natur und sie bewundern? Sind wir bloß hereingefallen auf den schönen Schein?

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Digitales Parkgebet am 20.5.2021 von Pfr.i.R. Martin Poguntke

Pfingsten und der Turmbau zu Babel

Ansprache über 1. Mose 11, 1–9

(hier als pdf-Datei)
(und hier alle Lieder und Texte dieses Parkgebets)

Liebe Parkgebetsgemeinde,

Am Sonntag ist Pfingsten, und der Psalm 118, der in württembergischen Gottesdiensten an Pfingsten gebetet wird, jubelt ausgelassen: „Dies ist der Tag, den der HERR macht; lasst uns freuen und fröhlich an ihm sein.“ Währenddessen schlägt der Predigttext für dieses Pfingsten ganz andere Töne an. Es ist die Geschichte vom Turmbau zu Babel, in der die Überheblichkeit der Menschen für die Erbauer des Turms ein böses Ende nimmt. Uns als S21-Gegner*innen liegt diese Geschichte natürlich sehr nahe, haben wir hier doch ein Musterbeispiel für solche Überheblichkeit vor Augen. Nur ist noch nicht klar, ob das Ende des Projekts für die Schuldigen, die Erbauer, böse sein wird oder für die ganze normale Bevölkerung, deren Bahnverkehr wegen S21 auf ein Minimum zusammengestrichen werden würde.

Um diese Turmbau-Geschichte richtig zu verstehen, muss man wissen: Sie ist genauso wenig wie etwa die Noah-Geschichte oder die Geschichte vom Sündenfall eine historische. Sondern all diese Geschichten am Anfang der Bibel sind ja mehr oder weniger frei erfundene Erzählungen, mit denen die Autoren theologische Aussagen über den Menschen und sein Verhältnis zu Gott plastisch machen wollten.

So hatten schon die Theolog*innen im 9. Jahrhundert vor Christus eine verwirrende Beobachtung gemacht, die irgendwie theologisch verarbeitet werden musste: Fast drei Jahrtausende vor dem, was wir heute Ökologie nennen, stellten sie immer und immer wieder fest: Der Mensch gehört irgendwie nicht richtig dazu. Er ist einerseits ein Lebewesen wie alle andern, aber andererseits hat er eine Freiheit und Macht gegenüber der übrigen natürlichen Umwelt wie kein anderes Lebewesen. Er kann fast ohne Einschränkung zerstören und bewahren, behindern und schützen – fast wie Gott. Und so heißt es dann auch in Psalm 8 über den Menschen: Gott hat ihn „wenig niedriger gemacht als Gott“.

Das macht den Menschen zu einem sehr zwiespältigen Wesen: Einerseits ist keiner besser dafür ausgestattet, die Schöpfung zu bewahren. Andererseits hat keiner so viel Macht, eben diese Schöpfung zu zerstören. Tiere haben die Macht zu beidem nicht.

In der Geschichte vom Sündenfall wird das bildhaft so beschrieben: Die Menschen haben vom Baum in der Mitte des Gartens, vom „Baum der Weisheit“ gegessen. Die Schlange hatte ihnen Lust darauf gemacht mit den Worten: „An dem Tage, da ihr von ihm esst, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.“

Im Kern drückt diese Geschichte aus, wie man sich damals vorstellte, warum sich der Mensch aus der Tierwelt erheben und zu diesen ihn so sehr von den Tieren unterscheidenden Eigenschaften kommen konnte – weil er vom Baum der Erkenntnis aß. Wir heute wissen, dass der Mensch in einem Prozess der Evolution aus dem Tierreich entstanden ist. Für uns heute drückt die Sündenfall-Geschichte deshalb genau diesen Übergang aus: wie aus dem Wesen ohne Erkenntnis ein Wesen mit Erkenntnis wurde, also der denkende Mensch, der homo sapiens.

Der Mensch ist zwar noch Teil der Natur, aber zugleich ist er aus ihr herausgefallen, weil er sich bewusst auch gegen sie stellen kann. In diesem Graben zwischen dem Menschen und der übrigen Natur sehen Theolog*innen den Graben zwischen dem Menschen und dem Ganzen, also die Trennung zwischen dem Menschen und Gott, der ja als „das Ganze“ verstanden werden kann.

Der Mensch ist damit unwiderruflich abge-sond-ert, abge-sünd-ert vom Ganzen, von Gott. Und dieses Abge-sond-ert-Sein ist gemeint mit dem so moralisch belasteten Begriff „Sünde“. Hier liegt übrigens der Grund, warum Tiere nicht getauft zu werden brauchen: weil sie nie aus der Schöpfungsordnung gefallen sind, sondern unwissender Teil des gigantischen ökologischen Mobiles sind und bleiben – gar nicht anders können.

War es nun gut oder schlecht, dass aus dem zum Tierreich gehörenden Vor-Menschen der denken-könnende Jetzt-Mensch wurde? Die Philosophen streiten sich darüber. Die Auffassung ist verbreitet, dass der Mensch ein großes Unglück für die Welt ist, weil er sie letztlich zerstören kann und wenig darauf hinweist, dass er es nicht tun wird.

Der jüdisch-christliche Glaube ist dagegen ein Projekt, das die Überzeugung vertritt, dass die große Macht des Menschen, mit der er die Welt zerstören kann, auch die entscheidende Macht sein kann, mit der er die Welt in einen Ort verwandeln kann, an dem es auch der Natur besser geht als zuvor. Paulus spricht vom „ängstlichen Harren der Kreatur auf die Offenbarung der Kinder Gottes“.

Allerdings – und das ist die große Einschränkung, die die jüdischen und christlichen Theolog*innen machen – allerdings kann der Mensch diese positive Wirkung auf die Welt nur haben, wenn er sich in seinem Tun am Ganzen der Welt orientiert und nicht an den Interessen Einzelner, wenn er sich damit faktisch zu einem Werkzeug des Ganzen machen lässt.

Eine der beiden biblischen Erzählungen von der Erschaffung des Menschen drückt das mit der bildhaften Vorstellung aus, dass Gott den Menschen „zu seinem Bilde“ erschaffen hat. Gemeint ist: Du, Mensch, sollst dich hier auf der Welt als Abbild Gottes – des Ganzen – verhalten. Das ist deine Würde, aber auch deine Aufgabe. Du. Mensch, hast einen Auftrag in der Welt: nämlich sie immer im innerlichen Rückfragen nach dem Ganzen zu behandeln, immer zu fragen: Tut das, was ich mache, der Welt als Ganzer gut oder nicht?

Ständige Rückbindung des Menschen an den Schöpfer nennt man das theologisch – nur mit dieser Rückbindung kann der Mensch das sein, wovon die jüdisch-christliche Theologie überzeugt ist: dass der Mensch der Welt ein Segen sein kann. Nur wenn der Mensch in seinem Tun ans Ganze denkt und nicht nur an sich und seine Interessen, nur dann ist die Kraft, die er vom Ursprung der Welt bekommen hat, ein Segen für die Welt.

In der Turmbaugeschichte ist aber genau das nicht der Fall: Hier entscheiden sich die Menschen, einen Turm zu bauen, nicht im Blick auf das Wohl der ganzen Welt, sondern im bloßen Kreisen um ihre eigenen Interessen: Sie wollen sich „einen Namen machen“, wollen nicht „in alle Länder zerstreut“ werden.

Und die Autoren der Geschichte lassen Gott mit der Benennung genau dieser Gefahr antworten, die von der Macht des Menschen ausgehen kann: „Nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun.“ Etwas flapsig ausgedrückt: Das haben wir jetzt von der Weisheit des Menschen: dass er zu allem fähig ist.

Natürlich ist die Turmbau-Erzählung keine realistische Erzählung. Wenn die Autoren Gott als letztes Mittel gegen die Selbstherrlichkeit des Menschen die Sprachen verwirren lassen, erweist sich die Geschichte im Grunde als ein vorwissenschaftlicher Versuch, die Vielfalt der menschlichen Sprachen zu erklären. Aber darum geht es ja nicht wirklich, sondern um die theologische Aussage: Des Menschen Weisheit ist auch eine gigantische Gefahr für die Welt.

Warum wird eigentlich über diese Geschichte ausgerechnet an Pfingsten gepredigt? – Weil es in der Pfingstgeschichte passiert, dass Menschen aus aller Herren Länder, mit völlig unterschiedlichen Sprachen das Predigen der Apostel auf dem Marktplatz verstehen. Pfingsten wird hier als eine Art Neuanfang, als ein Ausweg aus der Turmbauerzählung verstanden: Ja, die vielen Sprachen trennen uns Menschen, aber diese Trennung kann überwunden werden; es ist Verständigung über die Sprachgrenzen – und heute würde man ergänzen: und kulturellen Grenzen – hinweg möglich.

Und wodurch wird das möglich? Die Antwort ist: wieder so ein theologisches Wort: durch den Heiligen Geist. Die ersten Christ*innen haben diesen Geist als den Geist von Jesus verstanden. Sie spürten diese Kraft, die da unter ihnen wirkte, und konnten sie nur deuten als die vertraute Kraft aus der Zeit, als ihr Freund Jesus noch mit ihnen zusammen durch die Dörfer gezogen war.

Die christlichen Theolog*innen haben aber inzwischen erkannt, dass wir den Heiligen Geist nicht einfach den Juden wegnehmen und als den Geist Jesu vereinnahmen können – es muss schon unser gemeinsamer Geist sein. Deshalb sehen wir heute: Die Kraft, die die Jünger*innen dazu gebracht hatte, sich über Grenzen hinweg zu verständigen, das war der Geist Gottes. Also der Geist, der die ganze Schöpfung durchdringt.

Und jetzt schließt sich der Kreis: Dieser Geist ist der Geist, der sich am Welt-Ganzen orientiert. Wo Menschen ihr Fühlen, Denken und Handeln am Ganzen ausrichten, da geschieht Verständigung, da kommen die gefährlichen und wunderbaren Fähigkeiten des Menschen zu ihrem für die Welt guten Sinn und Ziel: zur Heilung der menschlichen Beziehungen und der ganzen Schöpfung.

Um noch einmal auf Stuttgart 21 zu sprechen zu kommen: Unser Vorwurf an die Erfinder und Betreiber dieses Großprojektes ist nicht, dass sie die Grenzen der technischen Möglichkeiten ausloten, sondern dass sie das im Interesse einer begrenzten Clique machen: ihrer Wachstums- und Geld-gläubigen Wirtschaftsklientel. Hätten sie auch nur das Ganze der Stadt Stuttgart oder des Bahnverkehrs oder des Landes Baden-Württemberg im Sinn gehabt – sie hätten es nicht beschlossen und würden es nicht durchsetzen.

Im Geist Gottes handeln, im Sinne des pfingstlichen Heiligen Geistes zu handeln, hätte aber noch viel mehr geheißen: Sie hätten fragen müssen: Was richtet das Projekt mit der Schöpfung an, mit dem Klima, dem kleinen in Stuttgart und dem im Umkippen befindlichen Weltklima?

So hätten sie sich als „Abbild Gottes“ verhalten, hätten der Schöpfung gedient, hätten Verständigung ermöglicht zwischen den verwirrten Sprachen der verschiedenen Interessengruppen. Nein, nicht sie hätten das ermöglicht, sondern die Geist-Kraft, die in der Welt wirkt, die wir an Pfingsten feiern und die uns die Hoffnung nicht verlieren lässt, dass „alles anders wird“, wie es im Lied heißt, das wir – ohne Pandemie – jetzt im Park singen würden: „Ich glaube fest, dass alles anders wird.“ Amen.

Digitales Parkgebet am 25.3.2021 von Pfr.i.R. Martin Poguntke

(hier die Ansprache als pdf-Datei)
(und hier alle Lieder und Texte dieses Parkgebets)

Liebe Parkgebetsgemeinde,

„O komm, du Geist der Wahrheit“ heißt es im Eingangslied zu diesem Parkgebet. Beim Umgang mit dem Projekt Stuttgart 21 haben wir ja traurige Erfahrungen gemacht, wie mit der Wahrheit umgegangen wird, wie sie verbogen und dann mit Wasserwerfern und überzogenen Strafverfahren durchgesetzt wird. Aber wir haben die Lügen aufgedeckt und tragen sie unermüdlich in die Medien, vor die Gerichte und auf unsere Demonstrationen.

Wir haben dabei in so vielerlei Hinsicht von Anfang an recht gehabt, dass wir in einer großen Gefahr stehen: Wir können überheblich werden und glauben, das liege daran, dass wir halt so klug oder so gut seien. Und wir beginnen womöglich zu glauben, das sei grundsätzlich so: dass wir die Dinge alle richtig durchschauen. Aber bedenken wir: Nicht, weil wir so klug oder so gut wären, haben wir S21 so gründlich durchschauen können, sondern weil S21 so konsequent verlogen war und ist. Und auch für diese Erkenntnis mussten und müssen wir sehr viel an Arbeit leisten.

Wenn aber schon die Wahrheit eines solchen Projekts nur mit großer Mühe und Disziplin zu entdecken war, wieviel mehr gilt das für „die“ Wahrheit, die Wahrheit der Welt? Denn um die geht es ja in dem Lied. Wenn schon politische oder technische oder medizinische Wahrheiten ein hohes Maß an fachkundiger und selbstkritischer Arbeit bedeuten – wieviel mehr die Wahrheit der Welt! Wie schnell „wandeln“ wir „im Rat der Gottlosen“, wie es im Psalm dieses Parkgebets heißt, wenn wir vorschnell unsere eigene kleine Wahrheit mit der Wahrheit der Welt gleichsetzen.

Ich will Sie heute einmal auf eine kleine Reise durch die Werkstatt des Theologen mitnehmen, um zu sehen: Wie gehen sie vor, um in biblischen Texten möglichst nicht lediglich die eigene Wahrheit zu entdecken, sondern die Wahrheit der Welt oder ein wenig von ihr? Wir werden dabei zunächst auf den griechischen Gott Hermes treffen. Aber keine Sorge: Wir bleiben auf dem Boden unseres christlichen Glaubens. Weiterlesen

Ansprache zum (virtuellen) Parkgebet am 3.12.20 zu Jakobus 5,7f von Pf.i.R. Martin Poguntke

(hier als pdf-Datei)
(hier in Großdruck, 4 Seiten)

Liebe Parkgebetsgemeinde, liebe Leser*innen unserer Homepage,

wirklich schade, dass wir einander in diesen Zeiten nicht im Park gegenüberstehen können – so gerne würde ich bei meiner heutigen Ansprache in Ihre Gesichter sehen. Aber mir ist es wichtig, dass wir auch kleine Beiträge leisten, um die Corona-Infektionen nicht zu schnell wachsen zu lassen, und deshalb auf ein analoges Parkgebet verzichten.

Jetzt, in der Adventszeit finde ich das besonders schwer, jetzt, wo wir einander wieder unsere adventliche Hoffnung stärken wollen – denn wo blieben wir ohne diese Hoffnung?

Und dennoch: Irgendwie ist es auch jedes Jahr anstrengend: Ständig wird von Hoffnung geredet, während man selbst bisweilen alle Mühe hat, auch nur ein kleines bisschen an Hoffnung aufzubringen. Wem gelingt es denn, wirklich noch zu hoffen, dass Stuttgart 21 noch aufgehalten wird? Wem geht nicht so nach und nach die Hoffnung verloren, dass wir das mit dem Klimawandel noch in den Griff bekommen? Wem gelingt es noch – viel grundsätzlicher – allen Ernstes zu hoffen, dass diese Welt auf eine Zukunft in Gerechtigkeit und Frieden zusteuert?

Nein, so einfach ist das nicht mit der Hoffnung. Da kann man schon verstehen, wenn Mitstreiter unserer Bewegung gegen S21 gelegentlich die Geduld verlieren. Wenn der Ton untereinander bisweilen etwas rauer wird. Und man kann verstehen, dass manche unter uns sich auf bedenkliche Weise aufreiben in ihrem Einsatz dafür, dass doch noch das Ruder herumgeworfen und S21 gestoppt wird. Worauf sollte man auch sonst hoffen, wenn nicht auf das eigene Tun und das der Mitstreiter?

Aber was ist das für eine zerstörerische Hoffnung? Selbstzerstörerisch! Wenn alles von uns abhängt. Nur wenn wir Tag und Nacht rödeln, bis die Schwarte kracht, können wir auf Erfolg hoffen? Kann es das wirklich sein?

Meine Schüler hätten an dieser Stelle hellwach und angemessen misstrauisch erkannt, dass das natürlich nur eine rhetorische Frage ist. Und weil sie der Relilehrer stellt, wäre für sie klar gewesen, dass jetzt gleich das liebe Jesulein rauskommen muss. Da sind wir Pfarrer ja Meister drin: Immer wenn die Situation unübersichtlich oder bedrohlich wird, ziehen wir Jesus oder den lieben Gott aus der Tasche, und alles kommt auf einen guten Weg.

Aber so einfach ist es nicht. Weiterlesen

Ansprache beim Pargebet am 22.10.2020 zu 1. Mose 2,4a–25 von Pf.i.R. Martin Poguntke

Liebe Parkgebets-Gemeinde,

die S21-Baustelle wächst und wächst, und die Erkenntnisse werden immer klarer, wie zerstörerisch das Bauen selbst und vor allem danach die Wirkung des viel zu kleinen Kellerbahnhöfles sein wird. Da fragt man sich: Darf denn der Mensch so tief in die Schöpfung eingreifen? Müssen wir Menschen nicht demütiger sein, uns viel unmerklicher anpassen an diese Schöpfung, damit wir möglichst wenig an ihr verändern?

Ich habe kürzlich in meiner Heimatgemeinde – dem Weltdorf Zizishausen – eine Predigt gehalten (https://www.youtube.com/watch?v=ZfjAKcikdRc), von der ich dachte: Das wäre auch fürs Parkgebet interessant, denn da ist auch diese Frage drin angesprochen. Erlauben Sie mir, dass ich diese Predigt – gekürzt und natürlich schon an einigen Stellen sehr verändert und auf unsere S21-Situation bezogen – heute hier noch einmal vortrage.

Es ist eine Predigt über die sogenannte „zweite Schöpfungserzählung“. Sie steht im 1. Buch Mose, dort ab Kapitel 2, Vers 4b. Die sogenannte „erste“ Schöpfungserzählung steht im Kapitel davor, im 1. Kapitel, ganz am Anfang der Bibel.

In keiner der beiden Geschichten geht es übrigens darum, wie die Welt erschaffen wurde. Sondern in beiden wird anhand einer ausgedachten(!) Erzählung von der Erschaffung der Welt etwas über das Verhältnis zwischen Gott und Mensch gesagt, wie die Autoren es glauben.

Vordergründig erzählt der Text von einer ganz, ganz fernen Vergangenheit, „als Gott der HERR Erde und Himmel machte“. In Wahrheit aber spricht er von der Gegenwart, von unserer Gegenwart, von der Schöpfung, in der wir leben, und von „dem“ Menschen, von uns. Weiterlesen

Ansprache beim Parkgebet am 16.7.2020 von Pfr.i.R. Martin Poguntke

(hier als pdf-Datei)

Parkgebetsansprache am 16. Juli 2020 zu Epheser 2, Vers 8

Liebe Parkgebetsgemeinde,

schön, dass das Virus uns wieder erlaubt, hier im Schlossgarten einander leibhaftig zu begegnen. Auch wenn die Fahrt in den Öffentlichen Verkehrsmitteln immer noch ein wenig beklemmend ist, mit den Masken und dem Bemühen, Abstand zueinander zu halten – schön, Sie hier direkt vor mir zu sehen!

Gar nicht schön ist, was unsere Ingenieure vor wenigen Wochen zum fehlenden Brandschutz in den S21-Tunnels entdeckt und veröffentlicht haben. In Dokumenten, die die Bahn geheim halten wollte, haben sie falsche Zahlen aufgedeckt, Verletzungen der Bahn-eigenen Regelwerke, „best case“-Szenarien, also, dass grundsätzlich das glückliche Zusammentreffen der günstigsten Faktoren angenommen wurde.

Und das Eisenbahnbundesamt hat entschieden, dass die eigentliche Genehmigung des Brandschutzkonzeptes erst nach Fertigstellung der Tunnels ausgesprochen wird. Dann aber können die Genehmigungsbehörden nicht mehr frei entscheiden, denn ein unglaublicher Druck lastet auf ihnen:

Entweder verweigern sie dem Brandschutz-Konzept die Zustimmung, dann wird ihnen vorgeworfen, dass wegen ihnen Milliarden umsonst vergraben worden sind. Oder sie stimmen dem Konzept zu, dann tragen sie die Verantwortung dafür, dass tagtäglich in den Stuttgarter Tunnels eine Katastrophe mit hunderten oder sogar über tausend Verletzten und Toten passieren kann.

Wir fordern deshalb: Die Tauglichkeit – vielmehr: die Untauglichkeit – dieses verlogenen Konzepts muss heute schon festgestellt werden. Alles andere ist verbrecherisch.

Ich frage mich immer wieder: Was geht in Menschen vor, die so ein Verbrechen sehenden Auges zulassen oder sogar selbst veranlassen? Was für ein eigenartig kaputtes Verhältnis zur Verantwortung müssen sie haben, zum Leben, zur Welt? Und ich ertappe mich bisweilen bei der Versuchung zu denken: Ich(!) würde an deren Stelle ganz anders handeln.

Aber ob das wirklich so wäre – ich weiß es nicht. Klar, ich mache schon auch Vieles richtig in meinem Leben. Und klar: Es gibt schon immer wieder Situationen, in denen wir alle durchaus auch ein wenig als Vorbilder taugen. Aber zumindest für mich gilt das nur für einzelne Situationen, nicht für mich und mein Leben als Ganzes.

Eher staunend blicke ich mich manchmal um, wenn ich gespiegelt bekomme, dass ich doch an der einen oder anderen Stelle hilfreich sein konnte, dem einen oder anderen Schüler etwas bedeutet habe, durch mich eine Sache sich positiv entwickeln konnte. Solche Momente machen mich glücklich und dankbar.

Dankbar, dass durch mich bisweilen offenbar Momente von etwas Besonderem passieren – ohne, dass ich etwas Besonderes wäre und sein müsste. Durch ganz gewöhnliche Menschen wie mich und wie Sie, liebe Parkgebetsgemeinde, geschieht bisweilen Besonderes. Weiterlesen

Parkgebet-digital am 30.4.2020 zu Johannes 15,5 von Pf. i. R. Martin Poguntke

Vom verlorenen Vertrauen und den Lügen der Politik

Liebe Freundinnen und Freunde des Parkgebets,

hier kommt das zweite Parkgebet digital mit Ansprache von Pfarrer i.R. Martin Poguntke und von Ulrich Ebert zusammengestellter Musik.

Hier ist der Link zum ganzen Parkgebet mit allen Text- und Musikteilen:
https://c.web.de/@823176437937739474/Cvei9G8aS76lbLmVsFxJQQ

Ihr könnt Euch durch das Parkgebet durchklicken. Und gerne könnt Ihr bei Euren Rundmails zum Besuch des virtuellen Parkgebets einladen 😉

 

Und hier ist die Ansprache: (hier die Ansprache als pdf-Datei):

Ansprache zum Parkgebet-digital am 30. April 2020 von Pfr.i.R. Martin Poguntke

Christus spricht: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht.“, Johannes 15, Vers 5 (aus dem Predigttext vom kommenden Sonntag)

Liebe Parkgebetsgemeinde,

wie gerne hätte ich Sie alle direkt vor mir gesehen, wenn ich zum Einstieg meiner Ansprache meiner tiefen Sorge Ausdruck gegeben hätte, meiner Sorge auch um unsere gemeinsame Bewegung – aber in Coronazeiten ist das nicht zu verantworten.

Meine Sorge ist, dass ein Gift sich verbreitet, es die Herzen und Gehirne von immer mehr Menschen vergiftet. Und ich weiß überhaupt keine einfache Lösung dagegen. Auch der Satz aus dem Johannesevangelium, um den es heute gehen soll, ist keine einfache Lösung: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht.“ Denn: Wie macht man das „in ihm bleiben“?

Das Gift, das ich meine, ist das Gift des zerbrochenen Vertrauens. Wir Stuttgart 21-Gegner:innen haben über so viele Jahre miterleben müssen, wie wir und die ganze Gesellschaft unglaublich gründlich belogen wurden und es weiterhin werden. Unser Vertrauen in „die Politik“ hat schweren Schaden gelitten. Und immer mehr von uns denken deshalb inzwischen über Äußerungen und Entscheidungen von Politikern gar nicht mehr wirklich nach, sondern sagen reflexhaft: Ist doch eh alles Lüge und Betrug. Ganz absurde Behauptungen werden geglaubt – einfach, weil sie in unser festes Bild passen: Die Politiker belügen uns doch alle.

Ein wenig scheint es mir wie in einer Partnerschaftsbeziehung: Weiterlesen

Weihnachtsgottesdienst im Park 2019

(hier der ganze Gottesdienst als Video, freundlicherweise zur Verfügung gestellt von „Doppelmeter“: https://youtu.be/6uOr92vOuJI)

(und hier eine Fotoserie, freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Wolfgang Rüter: https://www.magentacloud.de/share/zdsw1riw50)

„Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe.“

Ansprache zum Weihnachts-Gottesdienst im Park am 26.12.2019 über Matthäus 10, Vers 16 (bis 22) von Pfr.i.R. Martin Poguntke

(hier als pdf zum Download)

Liebe Weihnachts-Gemeinde!

Für mich ist immer erst Weihnachten, wenn ich – wie eben – die Weihnachts-Geschichte aus Lukas 2 gehört habe. Manchmal kommt es mir so vor, als ob es mir dabei gar nicht mal auf den Inhalt der Geschichte ankomme, sondern einfach auf den Wortlaut, genau diesen Wortlaut. Wenn es losgeht in dieser altertümlichen Sprache: „Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging…“ – dann ist für mich Weihnachten. Das Korrekturprogramm meines PCs meldet mir, dass es besser wäre zu schreiben: „…dass ein Gebot des Kaisers Augustus ausging“ oder „von Kaiser Augustus“ – aber ich hänge an der alten Formulierung, nicht nur am Inhalt.

Aber dann, beim Hören der Geschichte, passiert es dann doch: Die einzelnen Personen, Szenen, Aktivitäten in der Geschichte beginnen für mich lebendig zu werden. An jeder Stelle der Geschichte könnte man einhaken und sich genauer ausmalen, wie das da wohl gewesen ist.

Wenn es zum Beispiel gegen Ende heißt: „Die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott.“ Da frage ich mich, ob sie wirklich zu ihren Herden umgekehrt sind oder nicht vielleicht zurück ins Dorf, aus dem sie gekommen waren? Sie mussten doch unter die Leute, um ihr Glück weiterzuerzählen. Aber dann denke ich wieder: Sie können doch ihre Schafe nicht alleingelassen haben – schlimm genug, dass sie einfach zum Stall in Bethlehem abgehauen sind. Nein, denke ich, sie werden sich ihrer Verantwortung bewusst geworden sein, die sie für die Schafe haben. Und sie werden auch – als Menschen, die Tag und Nacht mit ihren Schafen lebten – sich diesen Tieren nah gefühlt haben, sie als Mitgeschöpfe liebgehabt und wichtig genommen haben. Sie hätten es wohl nicht übers Herz gebracht, diese Tiere schutzlos den Wölfen zu überlassen, die da nachts auf Beutesuche waren. Schafe haben gegen Wölfe nichts auszurichten.

Der biblische Text, den wir für den diesjährigen Weihnachts-Gottesdienst ausgesucht haben, – Vers 16 aus Matthäus 10 – handelt genau davon: „Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe.“ Jesus sagt das zu seinen Jüngern. Und er gibt ihnen in den folgenden Versen noch Mahnungen mit, wie sie sich auf diesem schwierigen Weg verhalten sollten: „Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben.“ „Hütet euch vor den Menschen, denn sie werden euch vor Gericht ziehen.“ „Ihr werdet gehasst werden.“ Ein Bruder wird den andern dem Tod preisgeben.“

Rauhe Worte. Jesus war nicht zimperlich, wenn es darum ging, die Grobheit der Welt zu benennen. In dieser Welt das Evangelium zu verkünden, das ist, wie als Schaf mitten unter Wölfe geschickt zu werden.

Von ähnlichen Erfahrungen können wir durchaus auch erzählen: von Gerichten, die S21-GegnerInnen wegen Lappalien zu Geldstrafen verurteilt haben, aber prügelnde Polizisten laufen ließen. Von Zivilpolizisten, die Demonstranten provozierten oder zur Gewalttätigkeit ermunterten. Von Politikern, Bahn-Vertretern oder Journalisten, die gnadenlos die Wahrheit verdrehten und gegen uns wandten. Ja, da konnte einem schon bisweilen dieses Bild von den Schafen unter den Wölfen in den Sinn kommen. Weiterlesen

Ansprache beim Parkgebet am 21.11.2019 von Pfarrer i.R. Martin Poguntke

(hier als pdf-Datei)

Parkgebet am 21.11.2019, Jeremia 32,27

Liebe Parkgebetsgemeinde,

die Zerstörungen durch S21 werden immer größer, die Skandale dahinter werden immer empörender, der Baufortschritt geht immer weiter voran. Und wir demonstrieren und warnen, wir argumentieren und gehen vor Gericht – aber es wendet sich nichts zum Besseren. Wer soll das aushalten? Ein Wunder, wie viele überhaupt von uns immer noch nicht aufgegeben haben, sondern Woche für Woche dabeibleiben!

Dabeibleiben – vielleicht auch trotz des heimlich nagenden Glaubens-Zweifels. Des Zweifels, wieso Gott nicht dreinschlägt und endlich dem ganzen S21-Treiben den Garaus macht. Wieso lässt Gott das alles – und das viele andere weltweite Elend – zu?

Manche von Ihnen nicken wahrscheinlich innerlich und sagen: Ja, ja, die Theodizeefrage, sie lässt einen einfach nicht los. Theos, griechisch: Gott; dikee, griechisch: Gerechtigkeit. Wie können wir von einem gerechten Gott reden, wenn er doch so viel Ungerechtigkeit zulässt?

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Ansprpache beim Parkgebet am 11. Juli 2019 zu Jesaia 2, Vers 4

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Liebe Parkgebetsgemeinde,

die heutige Tageslosung ist mir eine besondere Freude. Es ist der Jesaia-Vers, der seit Jahrzehnten die Friedensbewegung begleitet: „Der HERR wird zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln.“ (Jesaja 2,4)

Das hat es doch wieder mal schön getroffen. Denn nach biblischem Verständnis ist auch unser Kampf gegen S21 wirkliche Friedensarbeit, weil wir auch mit unserem Widerstand hier an dem großen Ziel des Schalom mitarbeiten. Gemeint ist ja in der Bibel mit Schalom nicht nur das Schweigen der Waffen, sondern ein umfassender Friede, auch ein Friede mit der Schöpfung.

Wenn Jesaia die Vision eines großen Friedens hat, bei dem keine Schwerter und Spieße mehr gebraucht werden, sondern sie zu friedlichen Hilfsmitteln wie Pflugscharen und Sicheln umgeschmiedet werden, dann hat er ja eine Veränderung der ganzen Welt-Gesellschaft im Blick: eine Weltgesellschaft, in der auch z.B. Wohnungen nicht mehr gebaut werden, um damit Geld zu verdienen, sondern einfach, um so viel Wohnraum herzustellen wie benötigt wird. Handel wird nicht mehr in der Absicht betrieben, den Konkurrenten zu besiegen, sondern in der Absicht, die Menschen mit den Handelsgütern zu versorgen, die sie brauchen. Und Worte werden nicht mehr wie Schwerter genutzt, um andere zu übertrumpfen oder ihnen wehzutun, sondern als heilsames Mittel der Wahrheitsfindung und der gegenseitigen Hilfe.

Beim Beispiel Worte als Waffen könnten wir ja wirklich viele, viele Beispiele aus dem Kreis der S21-Propagandisten nennen, für die Worte offenbar immer nur eines sind: Waffen zur Durchsetzung des Projekts. Mir ist da kürzlich der Staatssekretär im Bundes-Verkehrsministerium Steffen Bilger aufgefallen. Als der SWR seine Rechercheergebnisse öffentlich gemacht hatte, dass S21 nicht für den Deutschlandtakt geeignet ist, da stellte er sich vors Mikrofon und behauptete einfach: „Das ist alles genau durchgerechnet und von der Bahn überprüft; das wird funktionieren.“ Bei so viel Dreistigkeit bleibt einem die Spucke weg.

Der Prophet Jesaia ist da aber auch nicht naiv und hofft nicht einfach, dass selbst einer wie dieser opportunistische CDU-Politiker es schon noch lernen wird, Weiterlesen

Ansprache beim Parkgebet am 21.2.2019 von Pfarrer Martin Poguntke

(hier als pdf-Datei)

„Schöpfungsglaube und Marktwirtschaft“

Liebe Parkgebetsgemeinde,

Ich will heute einmal mit Ihnen darüber nachdenken, was der Glaube an einen Schöpfer denn mit der herrschenden Marktwirtschaft zu tun hat. Nicht von der ethisch-moralischen Seite her, will ich fragen, also nicht von der Frage her, welche Werte dabei betroffen sind. Sondern von der Frage her: Welche grundsätzlichen Aussagen wollten eigentlich die Verfasser der alttestamentlichen Schöpfungserzählungen machen?

Wir stellen dann nämlich etwas Überraschendes fest: Obwohl es damals noch gar keinen Kapitalismus gab und keine Vorstellung von Markwirtschaft, hat das sehr viel zu tun mit eben dieser Marktwirtschaft.

Der Grund, warum sie damals eine Erzählung erstellten, in der ein Schöpfer die Schöpfung erschafft, war ja kein naturwissenschaftlicher. Sie wollten ja nicht beschreiben, auf welche Weise, die Welt erschaffen wurde. Erst recht nicht wollten sie eine bestimmte Vorstellung, wie die Welt erschaffen wurde, zum Glaubensgegenstand erheben, etwa die Vorstellung, die Welt sei in sieben Tagen erschaffen worden.

Nein, vom Wie der Schöpfung, was auf welche Weise entstanden ist – davon wussten sie ja damals noch ungleich weniger als wir, im Grunde gar nichts. Die Erzählung von der Erschaffung der Welt in sieben Tagen war reine Phantasie. Aber diese Phantasie hat man aufgewandt, um zwei ganz wichtige Dinge damit zum Ausdruck zu bringen: nämlich erstens, dass es einen unaufhebbaren Unterschied gibt zwischen Schöpfer und Schöpfung, und zweitens, dass der Mensch in dieser Schöpfung eine höchst wichtige Rolle hat.

Vielleicht fragen Sie sich nun: Was hat die Unterscheidung zwischen Schöpfer und Schöpfung mit der Marktwirtschaft zu tun?

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Ansprache beim Parkgebet am 11.10.18 über Psalm 41 von Pf. Martn Poguntke

(hier als pdf-Datei)

Liebe Parkgebetsgemeinde,

Der Hambacher Forst darf bis auf Weiteres nicht gerodet werden. Die verbotene Demonstration gegen die Rodung letzten Samstag durfte doch stattfinden. Das sind wunderbare Nachrichten. – Solche würden wir allzu gerne auch einmal im Zusammenhang mit Stuttgart 21 hören. Aber die Mächte, die hinter S21 stehen, scheinen zu verfilzt zu sein, die Politik scheint sich zu sehr mit S21 identifiziert zu haben, sodass kein Gericht es mehr zu wagen scheint, diesem Wahnsinn ein Ende zu bereiten.

Und dennoch stehen wir hier. Und dennoch demonstrieren wir seit 8 Jahren oder noch länger. Und dennoch haben wir nicht vor aufzugeben. Macht das wirklich Sinn?

Der Psalm, den wir eben gebetet haben – Psalm 41 – scheint damit nichts zu tun zu haben. Er ist ja das Gebet eines Kranken.

Aber vielleicht haben Sie schon entdeckt, dass es z.B. bei den Heilungsgeschichten Jesu um viel mehr geht als um körperliche Gebrechen. Jedenfalls weiß ich, dass viele, viele Frauen schon die Heilung der gekrümmten Frau an sich selbst erlebt haben: das Glücksgefühl, endlich aufrecht durchs Leben gehen zu können. Und ich weiß, dass schon viele Menschen nach der Lektüre einer Blindenheilungsgeschichte gesagt haben: Auch mir hat Jesus die Augen geöffnet – für die schönen Dinge des Lebens, für die Not der andern, für Situationen, in denen ich gebraucht werde.

Und so ist es mir nun mit dem Psalm 41 gegangen: Ich habe darin nicht nur die Schwachheit eines körperlich Kranken gelesen. Sondern ich habe darin auch unsere Lage als Widerständler gegen Stuttgart 21 gesehen. Weiterlesen

Tunnel-Segnung? – Nein, Segen muss der Schöpfung dienen!

Nun hat also am 17. Juli 2018 wieder eine „Segnungsfeier“ in einem S21-Tunnel stattgefunden. Wer immer die beiden evangelischen bzw. katholischen Geistlichen gewesen sein mögen und was immer bei dieser Segenshandlung getan und gesprochen wurde – ich möchte im Folgenden ein paar (hoffentlich) klärende, ganz nüchterne Gedanken zum Segnen beisteuern:

  1. Ein evangelischer Geistlicher kann nicht an der Segnung von Gegenständen (Tunnels, Häuser, Fahnen, Waffen etc.) mitwirken, denn ein auf der Bibel gegründeter Segen kann nur Menschen und ihrem Tun gelten.
  2. Nach evangelischem Verständnis ist Segnen kein magischer Vorgang, bei dem (wie Obelix mit dem Zaubertrank) göttliche oder übernatürliche Kräfte auf Menschen übertragen werden. Geistliche verfügen weder über besondere eigene oder göttliche Kräfte, noch haben sie die Macht, Derartiges herbeizurufen. Veranstaltungen, bei denen solches versucht wird – etwa, indem auf Heiligenfiguren Weihwasser gespritzt wird –, sind aus evangelischer Sicht Aberglaube und Mummenschanz.
  3. Eine Segenshandlung ist vielmehr eine natürliche und rationale seelsorgerliche Zeichenhandlung, durch die wir Menschen die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft zusprechen – und aus diesem Erfahren von Zugehörigkeit schöpfen sie die Kraft, um die es beim Segen geht.
  4. Diese Gemeinschaft, in die wir Menschen beim Segnen mit hineinnehmen, ist nicht etwa die Kirche oder gar die örtliche Gemeinde, sondern die Gemeinschaft allen Lebens, der ganzen menschlichen und nicht-menschlichen Schöpfung. Diese weltumspannende Gemeinschaft bezieht ihre lebendige Kraft – körperlich und seelisch – aus der Kraft, aus der die ganze Schöpfung hervorgegangen ist und die bis heute in ihr wirkt und die wir „Gott“ nennen.
  5. Wir Christen verstehen Reden und Wirken Jesu so, dass diese der Schöpfung innewohnende Lebenskraft zugleich die Kraft der Liebe ist. Deshalb heißt Segnen für uns auch immer: Menschen in den Zusammenhang der Liebe mit hineinnehmen.
  6. Weil die Kraft, an der ein Segen teilhaben lässt, also die auf Liebe ausgerichtete Lebenskraft ist, ist die Teilhabe an dieser Kraft immer auch mit dem Auftrag verbunden, ein an dieser Schöpfung orientiertes liebevolles Leben zu führen. Segnung ohne solche Beauftragung ist Missbrauch der Schöpferkraft.
  7. Auch wenn Menschen diesem Auftrag, das Leben und die Schöpfung zu erhalten, nicht gerecht werden – und das sind nach evangelischem Verständnis alle(!) Menschen –, schließen wir sie dennoch ein in die Gemeinschaft des ganzen Lebens. Wir tun das aber nie, ohne ihnen zu sagen, worauf sie die Kraft richten sollen, die sie aus diesem Segen erfahren.
  8. Auch Menschen, die an einem in vielfacher Weise Leben zerstörenden Betrugs-Projekt wie „Stuttgart 21“ mitarbeiten, schließen wir selbstverständlich in diese Gemeinschaft mit ein. Wir tun das aber dann missbräuchlich, wenn wir sie nicht im selben Atemzug auf die Lebensfeindlichkeit ihres Tuns aufmerksam machen und sie ermahnen, ihre Kraft dem Erhalt der Schöpfung und der Gestaltung einer liebevollen Welt zu widmen. Nur dazu darf ihnen die mit dem Segen gemeinte Lebenskraft dienen.

In diesem Sinne hoffe ich, dass bei der Segnungsfeier den Tunnelarbeitern und allen an diesem verbrecherischen Bauvorhaben Beteiligten deutlich geworden ist, dass sie Gott lästern, wenn sie nicht umkehren von ihrem schändlichen Tun. Das wäre eine im besten Sinne geistliche Wirkung des Segens.

Martin Poguntke, 27.7.18

Ansprache beim Parkgebet am 19. April 2018 zu 2. Korinther 4,16-18 von Pfarrer Martin Poguntke

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Liebe Parkgebetsgemeinde!

Eine der Fragen, die mir in letzter Zeit am häufigsten begegnen, ist die Frage: Warum protestiert ihr eigentlich immer noch gegen den Tiefbahnhof, obwohl ihr doch eigentlich keine Hoffnung mehr haben könnt? Warum tut ihr euch das an? Ihr quält euch, macht euch lächerlich, vertut eure Zeit.

Und ich antworte dann – und das werden Sie, liebe Parkgebetler, auch immer wieder sagen –: weil es um viel mehr geht als um einen Bahnhof. Um Demokratie geht es und darum, dass wir zu einem Großbetrug nicht schweigen können. Um das sogenannte „System 21“ geht es: dass es inzwischen weltweit zur Aufgabe der Politik zu gehören scheint, dass sie sinnlose Großprojekte erfindet und zum Schaden der Bevölkerung durchkämpft, um dem Moloch Wirtschaftswachstum Futter geben zu können. Alles das und noch mehr führen wir an, um zu sagen: Es geht bei unserem Protest um viel mehr als um einen Bahnhof.

Aber um wieviel(!) mehr es tatsächlich geht, das ist mir jetzt in den Ostertagen erst deutlicher geworden. Es geht um ein Kernelement unseres christlichen Glaubens, um die Auferstehungsbotschaft. Denn mit unserer Auferstehungshoffnung meinen wir ja nicht diese heilsegoistische Verengung, dass wir selbst – weil uns unser eigenes Leben ja das allerwichtigste ist – nach unserem Tod auf jeden Fall auferstehen müssen. Sondern unsere Auferstehungshoffnung ist ja eine Hoffnung, die wir für die Welt haben, die ganze Menschheit, die ganze Schöpfung.

In dem Predigttext, über den am kommenden Sonntag von den evangelischen Kanzeln gepredigt wird, habe ich etwas gefunden, das uns der Sache ein wenig auf die Spur bringt, der Frage: was das Geheimnis der Welt mit unserem nicht müde werdenden Protest zu tun hat und was unser scheinbar sinnloser Protest mit der Frage nach wirklichem Leben zu tun hat.

Ich lese aus dem 2. Korintherbrief, aus dem 4. Kapitel die letzten drei Verse. Dort schließt Paulus seine Gedanken über das Leiden der dortigen christlichen Gemeinde mit folgenden Worten ab:

Darum werden wir nicht müde; sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert. Denn unsre Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit, uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.

Paulus meint mit dem „Unsichtbaren“, das „ewig“ sei, nicht irgendein – gar esoterisches – Geistreich, das ewig sei. Nein, mit dem „Unsichtbaren“ meint er einfach alles das, was noch nicht sichtbar ist, das, was noch kommt. Also die Neuwerdung der Welt, die unsichtbar am Kommen ist – das ist die „über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit“, wie es in unserem Text heißt, die eine Qualität hat, die er „ewig“ nennt.

Und nun legt Paulus eine erstaunliche These vor. Er behauptet: diese Neuschöpfung komme ausgerechnet aus unseren Niederlagen und Schwächen. Unsere „Trübsal“ – wie es im Text genannt wird – sei kein Zeichen des Niedergangs, sondern im Gegenteil: „Unsere Trübsal … „schafft“ die ewige Herrlichkeit.“ Weiterlesen

Ansprache beim Parkgebet am 8. Februar 2018 zu Amos 5, 21–24 von Pfarrer Martin Poguntke

(hier als pdf-Datei)

Liebe Parkgebetsgemeinde,

in der Nacht vom 14. auf den 15. Februar 2012 – nächsten Donnerstag ist es 6 Jahre her – haben sie unseren Park endgültig zerstört. Sie haben die herrlichen, teils 200-jährigen Bäume geschreddert, eine Mondlandschaft hinterlassen. Eine böse, unsinnige Aktion, denn erst viel, viel später wurde begonnen mit dem Bau des schlechtesten Bahnhofs Deutschlands. Und die Bauarbeiten gehen zurzeit immer langsamer voran, weil die technischen, rechtlichen und finanziellen Probleme immer größer werden.

Wir haben das alles schon damals geahnt. Und gut drei Wochen später haben wir am Rande dieser Baustellen-Wüste einen Trauer-Gottesdienst gefeiert (https://s21-christen-sagen-nein.org/2012/03/10/trauergottesdienst-am-10-marz-2012-im-schlossgarten/), einen Gottesdienst, der mich noch heute ergreift, wenn ich an unsere damalige Seelenverfassung denke. – Was diesem Gottesdienst damals seine Kraft und Bedeutung gegeben hat, darum soll es heute gehen.

Ich möchte Ihnen dazu ein wenig vom Propheten Amos erzählen.

Amos war – wie alle biblischen Propheten – kein Hellseher, sondern ein Mensch mit „Durchblick“. Ein Mensch, der – weil er einen tiefen Glauben hatte – dem Alltag mehr ansah als die andern. Und so sah er mit seinem buchstäblichen „Durchblick“, wie moralisch verkommen das Israel seiner Zeit geworden war und wie falsch deshalb auch die Gottesdienste waren. Und deshalb wandte er sich mit großer Wortgewalt und schonungsloser Direktheit an seine Zeitgenossen und rief ihnen zu – ich zitiere aus Amos 5, Vers 21 bis 24, dem Predigttext vom vergangenen Sonntag:

So spricht Gott: „Ich hasse eure Feiertage und verurteile sie und mag eure Versammlungen nicht riechen. Und wenn ihr mir auch Brandopfer und Speiseopfer opfert, so habe ich kein Gefallen daran und mag eure fetten Dankopfer nicht ansehen. Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören!
Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“

Die Gottesdienstbesucher waren schockiert. Sie fanden diese Vorwürfe nicht nur empörend, sondern auch völlig unverständlich. Denn ihre Lieder waren ausgesprochen schön – keineswegs „Geplärr“. Und die Harfenmusik, mit der sie begleitet wurden, war kunstvoll und auf hohem Niveau. Auch die Dank- und Speiseopfer, die sie in ihren Gottesdiensten darbrachten, waren keineswegs kritisierenswert.

Und in der Tat, die Kritik, die Amos an diesen Gottesdiensten übte, war auch keine an der Liturgie. Sondern es war eine Kritik an der inneren Haltung ihrer Besucher. Weil die Gottesdienste nämlich eines nicht leisteten: Sie veränderten die Menschen nicht; Weiterlesen

Ansprache beim Parkgebet am 18.9.2017 zu Römer 13 von Pf. Martin Poguntke

Hier als pdf-Datei: Andacht als pdf-Datei zum Herunterladen

Liebe Parkgebetsgemeinde,

hängt Ihnen auch noch das Wahlergebnis in den Knochen? Fast 13 % AfD, fast 11 % FDP in der Opposition und eine vermutliche Jamaika-Koalition an der Regierung, die von der CSU mit Obergrenze-Forderungen für Flüchtlinge und ähnlichem erpresst werden wird. Was soll daraus Gutes werden?

Ob vielleicht die SPD sich in der Opposition nun ihrer Wurzeln besinnt und wieder richtig sozial-demokratisch wird? Wir wissen es nicht.

Vorhin, im Psalm, haben wir ja gesagt: „Verlasst euch nicht auf Menschen, die können ja nicht helfen.“ Und im anschließenden Lied haben wir unsere Zuversicht auf die Mächte gestärkt, die wirklich helfen können. „Auf dich vertrau ich und fürcht mich nicht.“

Im Vertrauen auf die Kraft, die in unserem Glauben steckt, werden wir uns weiterhin einmischen in die Politik. Unsere wunderbare Stuttgarter Bürgerbewegung wird sich weiterhin aktiv daran beteiligen, wie es weitergehen wird in der Stadt und im Land.

Ich habe die Wahl für mich zum Anlass genommen, mir noch einmal klar zu machen, wie das eigentlich ist mit der Obrigkeit und dem christlichen Glauben. Sind das zwei getrennte Welten? Müssen sich Christen aus der Politik heraushalten oder sich ihr unterwerfen oder zu ihr in Opposition gehen? Wie wird das denn in Bibel und überhaupt in der Theologie gesehen?

Christ und Obrigkeit in der Bibel – sehr unterschiedlich

Beim Für und Wider taucht eine Bibelstelle immer wieder auf: Römer 13. Da schreibt Paulus – Sie kennen’s vielleicht: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit … denn sie ist von Gott angeordnet.“

Andererseits sagt der Apostel Petrus in der Apostelgeschichte: „Man muss Gott mehr gehorchen als Menschen.“

Und dann findet man im letzten Buch des Neuen Testaments, in der Offenbarung, eine schroffe Ablehnung der weltlichen Obrigkeit: Obrigkeit ist vom Teufel. Allerdings wurde dieses Bibelbuch auch gänzlich unter dem Eindruck der ersten Christenverfolgungen geschrieben, die damals durch die römischen Kaiser grausam veranstaltet wurden – diese (römische) Obrigkeit war wahrlich des Teufels.

Und geradezu das Gegenteil davon passierte im 4. Jahrhundert, als die christliche Kirche zu einer Quasi-Staatskirche des römischen Reichs wurde. Die Kirche selbst war nun zu einem Teil der Obrigkeit geworden. Weiterlesen

Ansprache beim Parkgebet am 16.3.2017 von Pf. Martin Poguntke

Hier als pdf-Datei: Andacht als pdf-Datei zum Herunterladen

Vom jüdischen Sabbat zum grundgesetzlich geschützten Sonntag

Liebe Parkgebetsgemeinde!

Jetzt möchte ich doch einmal mit Ihnen gemeinsam über den Sonntag nachdenken. Über den Sonntag, der an den S21-Baustellen so regelmäßig missachtet wird.

Das ist ja schon eine ausgesprochen erstaunliche Sache, dass es diesen freien Tag in der Woche überhaupt gibt. Man muss sich das mal vorstellen: Es muss wohl so um die 1000 vor Christus gewesen sein, als das – vor wenigen hundert Jahren erst sesshaft gewordene – Nomadenvolk Israel auch so modern sein wollte wie seine Nachbarvölker und auch einen König haben wollte, nicht mehr dieses rückständige ehemalige Viehtreiber-Image haben wollte. Ausgerechnet in dieser Zeit, als man sich der Mehrheit der Nachbarvölker anpassen wollte, da schuf sich Israel eine Einrichtung, mit der es sich von allen anderen unterschied: einen freien siebten Tag. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal des Judentums: Nur die Juden haben sich diesen Ruhetag alle sieben Tage geschaffen.

Die Ruhe des siebten Tages als Höhepunkt der Schöpfung

Und von Anfang an haben sie diesen freien Tag nicht nur als irgendeine von Menschen gemachte und von Menschen auch wieder veränderbare Regelung verstanden, wie die vielen sonstigen Rechtsvorschriften. Sondern von Anfang an haben sie den freien Tag als nicht diskutierbar aufgefasst und das ausgedrückt in der Geschichte, dass Mose auch dieses Gebot direkt von Gott erhalten hat. Der freie siebte Tag hat damit höchste Autorität bekommen.

Und einige hundert Jahre später – als Israel als Quittung für seine Großmachtträume im babylonischen Exil gelandet war – da hatte dieser freie siebte Tag bereits eine so hohe Bedeutung erlangt, dass man die ganze jüdische Theologie um diesen Gedanken herum strickte und z.B. den Feiertag gewissermaßen als Bauprinzip der Schöpfung festzurrte: Man legte der damaligen Schöpfungserzählung diesen 7-Tage-Rhythmus zugrunde, sodass auch Gott am siebten Tage ruhte.

Was für ein sensationeller Gedanke: Weiterlesen

Parkgebet, 13. Oktober 2016, Martin Poguntke

Epheser 6, Vers 10 bis 17
Predigttext zum 21. S. n. Tr. (16. Oktober 2016)

(Zum Herunterladen und Ausdrucken: parkgebet-161013-ansprache)

Liebe Parkgebetsgemeinde,
ich möchte heute ein paar Gedanken über den Predigttext sagen, der am kommenden Sonntag von den evangelischen Kanzeln gepredigt werden wird. Ich finde, er trifft unsere Situation als Christen in einem so heftigen Kampf, wie dem um Stuttgart 21, ausgesprochen gut. Ich lese ihn dann vor. Aber erst noch ein paar vorbereitende Gedanken:
Es hätte für mich nicht mehr des heutigen Nicht-Beschlusses bei der Aufsichtsratssitzung der Bahn gebraucht, um sagen zu können, was ich in der ganzen langen Zeit, die wir inzwischen gegen dieses Wahnsinnsprojekt kämpfen wissen gelernt habe:
Bei unserer Auseinandersetzung um S21 geht es nicht einfach um einen Bahnhof oder um ein paar Milliarden, sondern um eine ganz grundsätzliche Auseinandersetzung über ganz grundsätzliche Wertentscheidungen. Die Kräfte, mit denen wir es in dieser Auseinandersetzung zu tun haben, sind von solcher Gewalt und Rücksichtslosigkeit, dass wir sie gar nicht gefährlich genug einschätzen können.
Ich zögere etwas, dafür ein zu großes Wort zu wählen. Aber ich meine, dass wir das mit ziemlichem Recht „Mächte des Bösen“ nennen können, was uns da begegnet. Nicht die Menschen, die da handeln, sind böser als wir. Auch unsere Gegner sind nicht weniger liebevolle Familienväter oder -mütter, engagieren sich in ihrem Privatleben vielleicht nicht weniger als wir für Spielplätze, Flüchtlinge oder Umweltschutz. Nicht die Menschen selbst sind das Böse, auch nicht der Tiefbahnhof selbst, sondern der Geist, der in unseren Gegnern wirkt. Weiterlesen

Parkgebet am 14.4.16 zu 1. Joh. 5,4b von Martin Poguntke

Ansprache als pdf-Datei

Liebe Parkgebetsgemeinde!

Es ist schon eine gewaltige Wucht, mit der die S21-Betreiber scheinbar unaufhaltsam ihren Weg vorangehen. Mit welcher Rücksichtslosigkeit sie zerstören! Mit welcher Leichtigkeit sie Lügen verbreiten und Gesetze bis zum Zerbrechen biegen zu ihrem Vorteil! Mit welcher Beharrlichkeit so viele Menschen, die es besser wissen könnten und vermutlich auch besser wissen – mit welcher Beharrlichkeit sie ihresgleichen unterstützen, decken, verteidigen!

Ich frage mich immer wieder: Warum tun die das? Warum machen sich Menschen so verbissen zu Werkzeugen der Zerstörung und des Betrugs?

Als Versuch einer Antwort darauf ist in mir in den letzten Jahren die Überzeugung gereift: Das ist eine Glaubensfrage. Diese Leute haben einen ganz anderen Glauben. Sie dienen – ohne sich dessen bewusst zu sein – einem ganz anderen Gott.

Ich will heute anhand eines Satzes – des Kernsatzes – aus dem Predigttext vom kommenden Sonntag der Frage nachgehen, was unseren Glauben ausmacht. Und im Umkehrschluss: was wohl den Glauben dieser S21-Verteidiger ausmacht.

Dieser Kernsatz des Predigttextes steht im 1. Johannesbrief, Kapitel 5, dort am Ende von Vers 4, und er lautet:

 „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.“

Bevor ich frage, was das für ein Glaube ist, von dem da so Großes gesagt wird, möchte ich ein wenig auffächern, was mit diesem Satz gesagt ist. – Wenn ich’s richtig sehe, dreierlei:

1. Unser Glaube ist der Sieg, der dazu führt, dass uns das Treiben der Welt nicht mehr gefangen hält.

Mit dem Treiben der Welt meine ich in erster Linie diesen kapitalistischen Zwang zum immer weiteren Wachstum, egal, wodurch, und koste es, was es wolle. Das ist ja der einzige Sinn von Stuttgart 21: dass Geld in die Wirtschaft gepumpt wird, damit auf Teufel komm raus die Wirtschaft wachsen kann. Ob das Projekt am Ende funktioniert, ist völlig egal – Hauptsache, die Wirtschaft wird angekurbelt. Und wenn man hinterher teure Korrekturen und Ergänzungen machen muss – umso besser: dann kann man noch mehr Geld in die Wirtschaft lenken.

Aber so widersinnig und absurd einem dieses Treiben erscheinen mag – es hat eine ungeheure Kraft: Wir können uns diesem System nicht wirklich entziehen. Unmerklich und ohne es verhindern zu können, werden wir alle zu Teilen dieses Systems. Wir tragen es mit durch unsern Konsum. Wir tragen es mit, weil wir durch unser ganzes Leben Teil dieses weltweit zerstörenden Ausbeutersystems sind.

Wir können uns dieser Welt nicht entziehen, aber: Weiterlesen

Ev. Kirche macht Grünen-Wahlkampf

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http://hospitalhof.de/programm/180116-5-jahre-danach-die-schlichtung-zu-s21/

Kommentar:
(und hier als pdf-Datei: Ev. Kirche macht Grünen-Wahlkampf)

Die sogenannte „Schlichtung“ zu S21 ist zweifelsohne einer der geglücktesten Propagandacoups der damaligen Landesregierung gewesen: Angeblich, um „alle Fakten“ zu S21 „auf den Tisch“ zu bringen, ließ Heiner Geißler neun Tage lang die S21-Gegner ihre hoch kompetenten Kritikpunkte der Bahn um die Ohren hauen und machte die Teilnehmer und alle Welt glauben, die Bahn würde nun endlich verpflichtet, diese auch zu berücksichtigen.

Wohlwissend, dass die Bahn selbstverständlich nicht aufgrund einer bloßen Aufforderung eines durch keine Rechtsgrundlage legitimierten „Schlichters“ irgendwelche Änderungen am Projekt vornehmen würde – ja, dass die Bahn das aus rechtlichen Gründen gar nicht durfte –, beließ Geißler es lediglich bei „Vorschlägen“, denen er selbst lediglich „psychologische“ und „politische“ Wirkung beimaß. Dass Geißler zu keinem Zeitpunkt die Notwendigkeit ins Gespräch brachte, dass am Ende dieses Faktenschecks eine rechtlich bindende vertragliche Regelung mit der Bahn stehen müsste, macht deutlich: Es ging von vornherein nicht um Korrekturen, sondern um Beschwichtigung und Schwächung der Gegnerschaft.

Auch die Begründung Geißlers, warum die Bahn „weiterbauen“ dürfe („die Bahn hat Baurecht“), macht deutlich, dass die ganze Veranstaltung als Show gedacht war. Denn das war erstens schon damals falsch, weil sie Baurecht damals nur für zwei von fünf Planfeststellungsbereichen hatte (und bis heute nur für drei von fünf). Und es führt zweitens auch die ganze Schlichtungsveranstaltung ad absurdum, denn dieses Baurecht war ja vorher schon bekannt und kein Ergebnis der Schlichtung. Wenn die Bahn aufgrund dieser Begründung weiterbauen durfte, dann hätte man sich die ganze Schlichtung sparen können.

Der von Geißler beabsichtigte Eindruck, es werde aufgrund der Schlichtung tatsächlich Planungsänderungen geben, wurde auch von den Pro-S21-Parteien als Wahlkampf-Versprechen genutzt: Alle Parteien warben „Ja zum Schlichtungsergebnis“ – und verhinderten anschließend jede Umsetzung dieses Ergebnisses: Nichts, aber auch wirklich gar nichts vom „Schlichtungs“ergebnis wurde umgesetzt. Außer dem „Stresstest“, bei dem allerdings „Stress“ systematisch verhindert wurde und bei dem die Bahn an so vielen Stellen ihre eigenen Planungs-Regeln verletzte, dass sie damit erfolgreich den Eindruck erwecken konnte, der Kellerbahnhof bringe eine Leistungssteigerung.

Und was haben die Grünen als Regierungspartei getan? Sie haben es nicht einmal geschafft, auf den vorgeblich allseits unterstützten „Schlichtungs“ergebnissen zu bestehen und andernfalls den Pro-Parteien ihre gebrochenen Wahlversprechen vorzuhalten. Sondern genau der am Montag auf dem Podium sitzende Verkehrsminister war sich nicht zu schade, auf der Homepage seines Hauses den einzigen formal umgesetzten – aber inhaltlich betrogenen – Punkt des Schlichtungsergebnisses schön zu lügen: S21 bringe tatsächlich eine Leistungssteigerung.

Wenn die Grünen es zu keinem Zeitpunkt geschafft haben, auf die Ergebnisse der „Schlichtung“ zu pochen, sondern sogar deren Schein-Erfüllung noch zu behaupten – wie kritisch kann Winfried Hermann dann bei dieser Veranstaltung dem Heiner Geißler Contra bieten, mit dessen Partei er voraussichtlich nach der Wahl eine Koalition eingehen möchte?
Und wenn als weitere Gäste nur moderate S21-Gegner und Grünen-Freunde auf dem Podium sitzen – wer soll dann dem Verkehrsminister Contra bieten?

Was wird also unterm Strich herauskommen an diesem Abend? Ein „Schlichter“ und ein Verkehrsminister, die beide unbehelligt ein friedliches Heimspiel absolvieren, garniert mit einigen ein klein wenig aufmüpfigen Fragen der übrigen Podiumsgäste, an denen die Politprofis sympathisch ihre Redegewandtheit unter Beweis stellen können.

Nein, diese Veranstaltung erscheint mir als reine Wahlkampfhilfe für die Grünen – finanziert von der Evangelischen Kirche (unterstützt von BUND und VCD). Das wäre nicht so unappetitlich, wenn es dabei nicht um den Milliardenbetrug S21 ginge, den die Grünen seit Regierungsantritt tatkräftig verschleiern helfen – und hier auch (wieder mal) die Evangelische Kirche.

Dabei wäre engagiertes Eintreten – gerade der für die Bewahrung der Schöpfung eintretenden Kirche – für einen schnellstmöglichen Baustopp und ein baldigstes Ende von S21 so dringend vonnöten. Aber die Kirche steht eben, wo sie immer stand…

Martin Poguntke

Ansprache beim Parkgebet am 15. Oktober 2015 von Pfarrer Martin Poguntke

Bitte hier klicken, um die Ansprache als pdf-Datei herunterzuladen:
Parkgebet, 151015, Heilung des Gelähmten

Liebe Parkgebetsgemeinde,

Eberhard Dietrich hatte letztes Mal zufällig über genau diesen Psalm 32 gesprochen, den wir vorhin gebetet haben – und er hat sehr Wichtiges dazu gesagt. Nämlich, dass in Stuttgart der Rechtsfrieden gestört ist, weil die Verantwortlichen für den 30.9. sich noch immer nicht zu ihrer Schuld bekannt haben. Unvergebene Sünden stehen noch im Raum.
Auch im Predigttext vom vergangenen Sonntag – in der Geschichte von der Heilung eines Gelähmten aus Markus 2, Vers 1 bis 12 – spielt diese Sündenvergebung eine Rolle. Ich will deshalb heute ein wenig mit Ihnen über diese Geschichte nachdenken.

Ich bin ja der Überzeugung, dass die biblischen Schriftsteller die Wundergeschichten vor allem deshalb weitererzählt haben, weil sie und ihre LeserInnen selber darin vorkommen.
Deshalb will ich mich heute Abend mit Ihnen, liebe Parkgebetler, auf die Suche machen: Wo kommen wir denn in der Geschichte vor? Ich erzähle sie kurz:
Jesus war wieder zurück nach Kapernaum gekommen. Nicht nur die Frommen strömten herbei, sondern auch all die Neugierigen, die einfach bloß sehen und hören wollten, was dieser Wanderprediger wohl sagen und tun würde.
Und ein paar Freunde eines gelähmten Mannes versuchten nicht nur, selbst zu Jesus vorzudringen, sondern für ihren gelähmten Freund vielleicht die Chance seines Lebens zu nutzen. Aber es gab kein Durchkommen, die vielen Leute verstopften die Eingänge und machten keinen Platz für sie.
Da nahmen sie die Matratze, auf der sie den Gelähmten hergetragen hatten, und stiegen den Leuten buchstäblich aufs Dach – das muss man manchmal tun, auch auf Bahnhofsdächern–, räumten oben ein paar Ziegel ab und seilten ihren auf Heilung Hoffenden direkt vor Jesu Füße ab.
Und Jesus macht nun etwas ganz Überraschendes: Er heilt den Gelähmten nicht, sondern er sagt zu ihm: Deine Sünden sind dir vergeben.
Jesus vergibt dem Gelähmten die Sünden, und eigentlich nur nebenbei – weil die Leute glauben, es sei schwieriger einen Gelähmten zu heilen als Sünden zu vergeben – nur so als Ergänzung sagt schließlich Jesus zu dem Mann in der Mitte: Nimm deine Matratze und geh heim. Und der geht tatsächlich heim – geheilt von seiner Lähmung.
Und die Leute scheinen nicht zu erkennen, was für eine tiefe Heilung hier geschehen ist. Sie nehmen nur die Sensation wahr: „Wow, so etwas haben wir ja noch nie gesehen!“

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, liebe Parkgebetsgemeinde. Aber ich fühle mich schon auch immer wieder wie gelähmt, dabei zum Zusehen verdammt, wie sie da unsere Stadt und einen der besten Bahnhöfe Deutschlands ruinieren. All mein Tun kommt mir dann vor wie das hilflose Fuchteln des Gelähmten, der dadurch doch nicht vom Fleck kommt.
Ohne die Hilfe der anderen geht gar nichts. Und das Schlimme: Sind nicht die anderen hier in Stuttgart alle gleich gelähmt wie ich? Sind nicht die einzigen Nicht-Gelähmten die Betreiber und Unterstützer von S21? Sie handeln doch Tag um Tag! Weiterlesen

Rede von Pfarrer Martin Poguntke bei der Kirchentags-Kundgebung: „Aus S21 klug werden: Oben bleiben!“ am 6. Juni 2015

Rede von Martin Poguntke zum Kirchentag als pdf-Datei zum Herunterladen.
…und hier als Video: https://www.youtube.com/watch?v=OCOlvM4gLic

Liebe Protestantinnen und Protestanten – aller Konfessionen! Liebe Agnostiker! Liebe – wenn ich hier den Theologen Schleiermacher zitieren darf – liebe „Gebildete unter den Verächtern der Religion“! Sie alle grüße ich im Namen der Initiative „Theologinnen und Theologen gegen Stuttgart 21“ mit einem herzlichen „Grüß Gott“.

1.1 S21 ist eine Katastrophe für die Umwelt

Wir stehen hier, weil uns eines verbindet: die Empörung über ein Bauprojekt, für das es geradezu verharmlosend ist, es nur „Murks“ zu nennen. Denn es ist gefährlicher, zerstörerischer Murks, was hier gebaut werden soll.

Stuttgart hat bislang den zweitpünktlichsten Großbahnhof Deutschlands. Die Behauptung, S21 bringe mehr Leistung, ist längst widerlegt. Aber mit dieser Lüge will man diesen hoch funktionstüchtigen Kopfbahnhof mit 17 Gleisen und großem Potenzial für Erweiterungen zerschlagen und stattdessen einen Vororthaltepunkt mit nur 8 Gleisen daraus machen – ohne jede Erweiterungsmöglichkeit. Und das nur, um auf der frei werdenden Fläche Geschäfte mit teuren City-Grundstücken machen zu können.

Stuttgart ist eine Wirtschafts- und Verkehrsmetropole – und zugleich Feinstaub- und Stau-Hauptstadt Deutschlands. Stuttgart kann sich einen solchen Leistungsrückbau von Verkehrsinfrastruktur einfach nicht leisten – wir ersticken doch in Autos. Das ist ein Umweltskandal erster Güte.

1.2 Katastrophe für die Sicherheit

Aber nicht nur die Leistung des geplanten Kellerbahnhofs ist viel zu schlecht, sondern er ist auch noch dazu hoch gefährlich. Weiterlesen

Zwei Pfarrer und ein Bahnhof

Martin Poguntke und Johannes Bräuchle im Interview:

Zum 5-jährigen Jubiläum der feierlichen Prellbock-Anhebung als versuchtem Projektstart von Stuttgart 21 am 2. Februar 2010 führte die schweizerische evangelisch-reformierte Wochenzeitschrift „doppelpunkt“ ein Interview mit den beiden Theologen.
Hier der Artikel, der daraus entstanden ist – ergänzt durch einen Artikel über den ehemaligen Bahnhofsvorsteher des Stuttgarter Hauptbahnhofs Egon Hopfenzitz. Weiterlesen

„Farbe bekennen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“

Herzliche Einladung zu der Kundgebung
„Farbe bekennen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“
am Montag, 5. Januar, um 17 Uhr auf dem Stuttgarter Schlossplatz!
(angemeldet ist vorsichtshalber eine Kundgebungszeit von 17 bis 20 Uhr).

Diese Kundgebung wurde ganz kurzfristig angesetzt, weil offenbar die PEGIDA-Bewegung nun auch in Stuttgart Fuß fassen will und dazu eine Kundgebung für denselben kommenden Montag, 19 Uhr in Stuttgart plant.

Die PEGIDA-Aktionen haben äußerlich Ähnlichkeiten mit den Aktionen gegen Stuttgart 21: die „Montags-Demonstrationen“ und die Zielrichtung gegen eine „Lügenpresse“ und gegen Parteien, die uns verraten (und damit zwar nicht zu einer offiziell beklagten Politik-Verdrossenheit, aber zu einer Politiker-Verdrossenheit beitragen).

Dem steht aber eine grundsätzlich andere Ausrichtung gegenüber: Weiterlesen

Kreuz und Kommerz

Ich frage mich:
Darf in einem Gottesdienst das Kreuz so eingerahmt von kommerzieller Werbung stehen?
Ist die katholische Kirche von allen guten Geistern verlassen?
Ist das nur geschmacklos oder Gotteslästerung?
Wie distanzlos darf Kirche zur Macht sein?
Üble Assoziationen an vergangene Zeiten steigen in mir auf…

Barbara-Feier am 4. Dezember 2014 im S21-Steinbühltunnel bei Hohenstadt:

Kreuz und Kommerz

Martin Poguntke

Wider die „Ausschließeritis“ und den Glauben an die eine „richtige“ Aktionsform (Gedanken zu unseren Anti-S21-Aktionen), Martin Poguntke

Hier dieser Beitrag als pdf-Datei: Wider die Ausschließeritis

Unsere Vielfalt ist unsere Stärke.

Erhalten wir diese Vielfalt
– auch wenn wir dabei mit Aktionen identifiziert werden,
mit denen wir nicht identifiziert werden wollen!

Das sollten wir aushalten – um der Sache willen!

Liebe MitstreiterInnen,
ich möchte hiermit einen Debattenbeitrag leisten und hoffe, dass ich die Diskussion in unserer Bewegung damit ein wenig bereichere. Ich würde nämlich gerne die Frage der richtigen Aktionsformen bei unserem Widerstand gegen S21 etwas tiefer hängen – und zwar vor allem aus folgendem Grund:

Jede Aktion kann gegen uns gewendet werden
Die gesellschaftlich Mächtigen können jede, wirklich jede unserer Aktionen gegen(!) uns wenden. Als wir am Volksentscheid mitgemacht haben, haben sie ihn manipulieren können und werfen uns nun vor, wir seien undemokratisch. Hätten wir nicht(!) mitgemacht, hätten sie uns unterstellt, wir wüssten, dass wir keine Mehrheit hätten, und wir seien – wiederum – undemokratisch. Blockieren wir die Straßen, sagen sie, wir seien undemokratisch und gewalttätig. Demonstrieren wir unauffällig sagen sie, es gebe uns nicht mehr und wir hätten uns geschlagen gegeben. Weichen wir von dem Demonstrationsweg, den sie uns vorgeschrieben haben, ab, sagen sie, wir seien außerhalb des Rechtsstaats. Folgen wir brav allen Auflagen, schreiben sie gar nicht mehr über uns und verbreiten, es gebe uns nicht mehr. usw.

Ich schließe daraus: Jede, aber wirklich jede (selbst die allerfreundlichste und sympathischste) Aktion kann sowohl gegen(!) uns gewendet werden als auch zu Reaktionen führen, die einen kritischen(!) Diskurs in Gang setzen. Und jede, aber wirklich jede (selbst die radikalste und kompromissloseste) kann sowohl zu einem positiven(!) Aufschrei in der Öffentlichkeit führen als auch zu einer vernichtenden(!) Gegenreaktion.

Nicht die Aktionsform als solche scheint mir deshalb das Entscheidende, sondern dass wir immer und immer wieder in den öffentlichen Diskurs eingreifen mit immer neuen phantasievollen, überraschenden, feinsinnigen oder grobschlächtigen Aktionen. Wir müssen dem Diskurs „Futter“ geben, weil das immer und immer wieder die Chance birgt, dass Aufklärerisches oder Kritisches in der Öffentlichkeit wahrgenommen und diskutiert wird. Ob aber unser „Diskursfutter“ so wirkt, wie wir es denken – das haben wir nicht in der Hand.

Bitte keine Distanzierungen! Weiterlesen