Ansprache beim Parkgebet am 18.9.2017 zu Römer 13 von Pf. Martin Poguntke

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Liebe Parkgebetsgemeinde,

hängt Ihnen auch noch das Wahlergebnis in den Knochen? Fast 13 % AfD, fast 11 % FDP in der Opposition und eine vermutliche Jamaika-Koalition an der Regierung, die von der CSU mit Obergrenze-Forderungen für Flüchtlinge und ähnlichem erpresst werden wird. Was soll daraus Gutes werden?

Ob vielleicht die SPD sich in der Opposition nun ihrer Wurzeln besinnt und wieder richtig sozial-demokratisch wird? Wir wissen es nicht.

Vorhin, im Psalm, haben wir ja gesagt: „Verlasst euch nicht auf Menschen, die können ja nicht helfen.“ Und im anschließenden Lied haben wir unsere Zuversicht auf die Mächte gestärkt, die wirklich helfen können. „Auf dich vertrau ich und fürcht mich nicht.“

Im Vertrauen auf die Kraft, die in unserem Glauben steckt, werden wir uns weiterhin einmischen in die Politik. Unsere wunderbare Stuttgarter Bürgerbewegung wird sich weiterhin aktiv daran beteiligen, wie es weitergehen wird in der Stadt und im Land.

Ich habe die Wahl für mich zum Anlass genommen, mir noch einmal klar zu machen, wie das eigentlich ist mit der Obrigkeit und dem christlichen Glauben. Sind das zwei getrennte Welten? Müssen sich Christen aus der Politik heraushalten oder sich ihr unterwerfen oder zu ihr in Opposition gehen? Wie wird das denn in Bibel und überhaupt in der Theologie gesehen?

Christ und Obrigkeit in der Bibel – sehr unterschiedlich

Beim Für und Wider taucht eine Bibelstelle immer wieder auf: Römer 13. Da schreibt Paulus – Sie kennen’s vielleicht: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit … denn sie ist von Gott angeordnet.“

Andererseits sagt der Apostel Petrus in der Apostelgeschichte: „Man muss Gott mehr gehorchen als Menschen.“

Und dann findet man im letzten Buch des Neuen Testaments, in der Offenbarung, eine schroffe Ablehnung der weltlichen Obrigkeit: Obrigkeit ist vom Teufel. Allerdings wurde dieses Bibelbuch auch gänzlich unter dem Eindruck der ersten Christenverfolgungen geschrieben, die damals durch die römischen Kaiser grausam veranstaltet wurden – diese (römische) Obrigkeit war wahrlich des Teufels.

Und geradezu das Gegenteil davon passierte im 4. Jahrhundert, als die christliche Kirche zu einer Quasi-Staatskirche des römischen Reichs wurde. Die Kirche selbst war nun zu einem Teil der Obrigkeit geworden.

Dieses Durcheinander der Vorstellungen, wie getrennt und wie vereint denn das Glaubensleben der Christen mit dem politischen sein müsse und dürfe, hat erst Martin Luther entwirrt: Er hat sich – und das ist das Interessante dabei – er hat sich nicht auf die Seite von Paulus oder auf die der Offenbarung geschlagen, sondern er hat beide Sichtweisen in einer Lehre vereinigt, der sogenannten „Zwei-Regimenten-Lehre“, auch „Zwei-Reiche-Lehre“.

Luthers „Zwei-Regimenten-Lehre“

Diese Lehre geht – kurz gesagt – so: Gott regiert auf der Welt auf zweierlei Weise: erstens durch ein geistliches Regiment, durch den Glauben, und zweitens durch ein weltliches Regiment, durch Regierungen. Das klingt vielleicht so, als ob Luther die Welt zweiteilen wollte in den Bereich der Politik, in dem die weltliche Obrigkeit herrscht, nach ihren Gesetzmäßigkeiten, und in den Bereich des Glaubens, in dem die Kirche das Sagen hat, nach ihren Regeln. Vor allem konservative Theologen behaupten bis heute, so habe Luther das gemeint.

Aber Luther hat von Beginn an gesagt: Das sind zwar zwei getrennte Regierungsarten Gottes, aber diese beiden Herrschaftsbereiche Gottes gehen mitten durch jeden Menschen hindurch: Jeder Mensch ist zugleich als Christ Teil des geistlichen Reichs und als sündiger Mensch Teil des weltlichen Reichs. Nur, wenn ein Mensch durch und durch Christ wäre, dann bräuchte er keine weltliche Obrigkeit, keine Gesetze, keine Polizei, weil er ja von sich aus so liebevoll und gerecht wäre, dass er immer das täte, was den andern guttut. Aber solche Christen kann man mit der Lupe suchen. Deshalb braucht es auch für die Christen eine weltliche Obrigkeit, die auch sie daran hindert, Böses zu tun, argumentiert Luther.

Getrennt sind die beiden Reiche insofern, als der Staat sich nicht in Glaubensdinge, in persönliche Überzeugungen einmischen oder gar darüber bestimmen darf. Das ist ja der Grund, warum wir Christen keinen christlichen Staat fordern, sondern einen weltlichen: weil wir unsere Glaubensfragen selbst untereinander regeln, da hat der Staat sich rauszuhalten. Und wenn der Staat in Deutschland die Kirchen unterstützt, dann mischt er sich nicht in die Inhalte ein, sondern er fördert allgemein die Pflege des Glaubens, weil sie – wie die Arbeit der Gewerkschaften oder der unzähligen Vereine – dem Gemeinwohl dient.

Weltliche Obrigkeit als Schutz für die Schwachen

Die weltliche Obrigkeit hat – das ist Luthers Idee –, ausschließlich die Aufgabe, unter Menschen, die keineswegs fromme Lämmer sind, eine Ordnung herzustellen, in der ein hinreichend gutes Leben für alle möglich ist und in der die Schwachen vor den Starken geschützt werden.

Das war übrigens der Grund, warum die Attentäter des 20. Juli sich nicht damit begnügt hatten, Pläne für Hitlers Ermordung zu entwickeln. Sondern sie erarbeiteten auch einen genauen Plan, der sicherstellen sollte, dass nach Hitlers Tod nicht das anarchische Chaos losbricht, sondern eine neue staatliche Obrigkeit eingesetzt wird, die auch nach dem Attentat für eine gewisse Ordnung sorgt.

Als vor etlichen Jahren einige Nato-Staaten Gaddafis libysche Regierung wegbombten, haben sie diese Vorsorge nicht getroffen. Wer dort unter dem in der Folge entstandenen Chaos bis heute zu leiden hat, ist die Zivilbevölkerung, die Kleinen Leute.

Weltliche Obrigkeit ist, wie gesagt, dazu da, die Schwachen vor den Starken zu schützen. Die Starken brauchen keine Obrigkeit; sie können sich selbst durchsetzen. Deshalb fordert die FDP einen schwachen, „schlanken“ Staat.

Widerstandsrecht und Widerstandspflicht

Was ist aber, wenn diese weltliche Obrigkeit den Schutz der Schwachen vor den Starken vernachlässigt und sich sogar auf die Seite der Starken schlägt? Die Konservativen sagen: Der Obrigkeit müssen wir trotzdem gehorchen. Luther aber sagt: Wenn die Fürsten Unrecht tun, dann muss man ihnen nicht folgen, denn – und jetzt zitiert er den Ausspruch von Petrus aus der Apostelgeschichte von vorhin – denn: „Man muss Gott mehr gehorchen als Menschen“.

Und Bonhoeffer fasst als Erfahrung im Dritten Reich dieses Widerstandsrecht als Widerstandspflicht in die Forderung: Wenn wir feststellen, dass immer mehr Menschen unter die Räder des ungerechten Staatskarrens geraten und verletzt werden, dann reicht es nicht, wenn wir die Verletzten pflegen, sondern dann müssen wir dem Rad in die Speichen fallen und es aufzuhalten versuchen.

Übermorgen, am Samstag, jährt sich zum siebten Mal das Unrecht, das die weltliche Obrigkeit im Schlossgarten angerichtet hat. Die Polizei wurde missbraucht, um die Starken vor den Schwachen zu schützen, das Unrecht vor dem Recht zu schützen – statt umgekehrt. Dieser Obrigkeit dürfen, ja müssen, Christen ihren Widerstand entgegensetzen. Da haben wir auch Luther klar auf unserer Seite.

Christen „wachen“ über die Obrigkeit

Nach Luthers „Zwei-Regimenten-Lehre“ ist nämlich zwar die weltliche Obrigkeit von Gott, aber – und jetzt kommt das große Aber – aber nur, wenn sie ihrem Auftrag auch wirklich gerecht wird, eine lebensdienliche Ordnung zum Schutz der Schwachen zu schaffen. Und da ist es Aufgabe der Kirche und aller Christen, dem Staat genau auf die Finger zu sehen, ob er seinen Auftrag auch wirklich erfüllt. Man nennt das das „Wächteramt“ der Kirche über den Staat – wir Christen sollen „wachen“ über den Staat.

Die Konservativen fordern – von den Christen und vom Islam und überhaupt von allen Gläubigen – Religion müsse privat sein. Aber christlicher Glaube kann niemals privat sein, weil er ja eine Mitverantwortung für die weltliche Obrigkeit hat. Christen müssen ja darüber wachen, ob die gute Obrigkeit auch wirklich Gutes tut.

Und Gottes zweites Regiment, das geistliche Regiment, ist es, das uns unseren Glauben stärkt und unsere Gewissen schärft, damit wir wache Wächter sein können. Auch dieses Parkgebet ist alle 14 Tage ein Teil von Gottes geistlichem Regiment.

Deshalb: Was immer die Koalitionsverhandlungen bringen werden – wir Christen werden auch die neue Bundesregierung hellwach kontrollieren.

Amen.

2 Antworten zu “Ansprache beim Parkgebet am 18.9.2017 zu Römer 13 von Pf. Martin Poguntke

  1. Bekommen die Demonstranten dann auch eine Kennzeichnungsnummer?

  2. Wenn sie nicht privat, sondern in hoheitlichem Auftrag des Staates tätig sind, ja.

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