Monatsarchiv: Juli 2021

Parkgebet am 15.7.2021 von Pfr.i.R Martin Poguntke zu „Geh aus mein Herz und suche Freud“

Ansprache zum Parkgebet am 15. Juli 2021 über Aussagen des Liedes „Geh aus mein Herz“

(hier als pdf-Datei)

Lied: Geh aus mein Herz (Evangelisches Gesangbuch Nr. 503), Strophen 1 bis 3

Liebe Parkgebetsgemeinde!

Wie schön, sich mal wieder von Angesicht zu Angesicht zu sehen! Das ist doch etwas ganz Anderes. Hoffen wir, dass die Corona-Situation sich nicht so schnell wieder verschlechtert.

Schön aber auch, sich hier draußen, in der freien Natur zu treffen, „in dieser lieben Sommerzeit“ und sich an „unsres Gottes Gaben“ zu erfreuen. Auch wenn hier im Schlossgarten diese Gaben Gottes durch die Riesenbaustelle arg zugrunde gerichtet worden sind – Einiges ist doch noch sehr schön zu genießen hier.

Das Lied, von dem wir eben drei Strophen gesungen haben, ist ja regelrecht ansteckend. Wie es unsere staunende Aufmerksamkeit auf immer neue Details in der Natur um uns her richtet. Z.B. die Lerche, von der wir eben gesungen haben: Sie „schwingt“ sich ja nicht einfach nur in die Luft – wie es im Lied heißt –, sondern sie schraubt sich unablässig trillernd und flatternd höher und immer höher in den Himmel, wo sie noch lange zu hören – oft gar nicht mehr zu sehen – ist, um dann urplötzlich zu verstummen und wie ein Stein sich zur Erde fallen zu lassen, zur Erde, auf der sie aber sanft ankommt, weil sie kurz vorher ihre Flügel aufspannt, um sich mit ihnen abzufangen und ganz dicht über dem Boden weiterzugleiten bis zum Nest mit ihren Jungen. – Sie lässt sich ja nicht direkt über ihrem Nest fallen, sondern ein Stück davon entfernt, um es nicht zu verraten und so ihren Nachwuchs zu gefährden.

Das führt uns, liebe Umwelt-Freundinnen und -Freunde, mitten in unserer fast überschwänglichen Bewunderung an einen Punkt, der die Idylle ein wenig stört. Wir hätten in unserem Staunen fast vergessen, dass die scheinbar so ausgelassenen Tiere ja ständig auf der Hut sein müssen, nicht von größeren gefressen zu werden. Was uns als Außenstehende so verspielt und harmlos erscheinen mag, ist in jedem Detail Ausdruck des Überlebenskampfes aller Arten.

Jedes Tier muss mit allerlei Tricks versuchen, sich der stärkeren zu erwehren, und zugleich, sich schwächere zu schnappen. Wir kommen nicht umhin: Bei näherem Hinsehen und Überlegen erkennen wir in der ganzen Natur nichts als ein riesiges Feld von Bedrohung, Kampf und Konkurrenz.

Ist es dann also ein großer Irrtum, dass wir staunen über die Natur und sie bewundern? Sind wir bloß hereingefallen auf den schönen Schein?

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Ansprache beim Parkgebet am 1.7.2021 zu Mt 28,18-20 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Und Jesus trat hinzu, redete mit ihnen und sprach: Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet alle Völker zu Jüngern und taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes, und lehret sie alles halten, was ich euch befohlen habe! Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.

Wenige Tage nach der schmählichen Kreuzigung erscheint Jesus den Jüngern und erklärt, dass er alle Gewalt im Himmel und auf Erden innehat. Wie kann das sein nach dieser grauenhaften Ohnmachtserfahrung und Demütigung durch die römische Staatsmacht? Die Antwort gibt mir der Blick in den griechischen Urtext. Der Begriff, der traditionell mit Gewalt übersetzt wird, meint zunächst die Freiheit, selbstbestimmt handeln zu können, in diesem Sinne dann auch Vollmacht und Autorität. Diese muss nicht gewalttätig ausgelebt werden wie im römischen Reich. Der Kaiser beansprucht Göttlichkeit und leitet daraus das Recht ab, seine Macht willkürlich zu gebrauchen, indem ausbeutet und alle kreuzigt, die ihn in Frage stellen. Insofern leistet die traditionelle Übersetzung, Jesus habe alle Gewalt im Himmel und auf Erden, einem schweren Missverständnis Vorschub. Jesus will das genaue Gegenteil der kaiserlichen Gewalt verwirklichen, er will ein Diener aller sein. Seine Autorität und Vollmacht gewinnt er gewaltfrei in den Herzen derer, die umkehren und ihm nachfolgen wollen.

Es gehört zur Tragik der Kirchengeschichte, dass schon sehr früh diese Unterscheidung in Vergessenheit geriet. Paulus ersetzt die Botschaft Jesu vom Reich seines barmherzigen Vaters mit ihren gesellschaftlichen Konsequenzen durch die individualisierende Rechtfertigungslehre: Wer nur das richtige glaubt, muss nicht mehr von der Unbarmherzigkeit zur Barmherzigkeit umkehren. Paulus will dem Sklavenhalter Philemon den Schaden ersetzen, den dieser durch das Entlaufen des Sklaven Onesimus erlitten hat, statt diesen frei zu kaufen (Philemon 18). Er bemerkt nicht, was er damit einem der „geringsten Geschwister“ Jesu verweigert (Mt 25,45). So passt er als privilegierter römischer Bürger (Apg 25, 11-12) die Kirche an den sklavenhalterischen römischen Machtmissbrauch an, den Jesus noch deutlich brandmarkt (Mk 10, 42-44). Obwohl der Gott Israels ein Sklavenbefreier ist, macht der Jude Paulus aus der Armenkirche Jesu eine Sklavenhalterkirche.

Im Gefolge dieser fatalen Wende konnten sich die spanischen Eroberer genau auf die missdeutete weltumspannende Macht Jesu berufen: Der Papst als Statthalter des Weltherrschers Jesus erlaube ihnen, die Länder der Völker Lateinamerikas in Besitz zu nehmen sowie die Bevölkerung zu unterwerfen und auszubeuten. Diese jesuswidrige Ideologie hat auch die Gräuel in den kirchlichen Kinderheimen Kanadas ermöglicht, an deren Massengräbern wir dieser Tage erschrecken, Zeichen kolonialen kirchlichen Machtmissbrauchs.

Leider hat auch Luther sich nicht an Jesus, sondern an Paulus orientiert und wie dieser die versklavten Bauern im Stich gelassen, als er seine Kirche an den Feudalismus anpasste und sich auf die Seite der gewalttätigen Herren schlug. Die Vergottung auch brutaler Herrschaft als von Gott eingesetzt in Römer 13 wurde zum heimlichen Artikel 1 lutherischer Kirchenverfassung. Sie hat Jahrhunderte später dazu geführt, dass auch die bekennende Kirche in der NS-Zeit begeistert in der mörderischen Krieg des angeblich von Gott gesandten Führers zog. Das Stuttgarter Schuldbekenntnis vom Oktober 1945 hat diesen Krieg nur als Schuld des Volkes, nicht als Schuld der Kirche und der Theologie bekannt. So konnte der württembergische Bischof von Keler noch 1983 vor der Landessynode den Atomkrieg rechtfertigen, ohne einen Sturm der Entrüstung zu entfachen. Die Blindheit gegenüber dem Machtmissbrauch der Herrschenden hat schließlich auch dazu geführt, dass zu lange verdrängt wurde, wie kirchliche Missbraucher Kinder versklavten, nicht nur in der katholischen Kirche. Ein Patensohn meiner Eltern wurde in „heilig Korntal“ zum Opfer.

Der kirchliche Publizist Andreas Koch, uns Kritikern von Stuttgart 21 noch erinnerlich als profilierter kirchlicher Verteidiger des Projekts, schreibt in der letzten Ausgabe des Evangelischen Gemeindeblatts für Württemberg (S. 10), um nicht zu sterben müsse unsere Kirche sich „der Zeit und den Gegebenheiten anpassen“. Es ist keinerlei Bewusstsein erkennbar, dass dies schon seit knapp zwei Jahrtausenden in verhängnisvoller Weise geschieht und nur eine Umkehr retten kann.

Auch bei Stuttgart 21 hat sich unsere Kirche den gegebenen Machtverhältnissen perfekt angepasst. Ich erinnere mich nicht, dass unsere Kirchenleitung sich mit auffälliger Kritik am Polizeieinsatz am „Schwarzen Donnerstag“ profiliert hätte. Das wird verständlich auf dem Hintergrund der Ideologie von Römer 13: Die Staatsmacht hat von Gott das Schwert, die Bösen zu strafen, die sich der Anordnung der Obrigkeit durch die Polizei widersetzen, die Demonstration gefälligst zu verlassen. Wie schon beim Turmbau zu Babel muss der gute Potentat das böse Volk auseinander treiben. Undenkbar erscheint, dass das gute Volk böse Machtmissbraucher in Schach halten muss. Logisch ist dann auch, dass wir beim Parkgebet vom Verfassungsschutz beobachtet werden müssen, weil wir uns unserer gütigen Obrigkeit widersetzen und dieses großartige Geschenk einer total überteuerten, unnützen und gefährlichen Untergrundhaltestelle nicht annehmen wollen. Natürlich wird dabei nicht unsere tatsächliche Verfassung geschützt, sondern die religiös verbrämte Untertanenideologie von Römer 13, auf die ein christlicher Politiker wie Mappus sich offenbar verlassen wollte. Es gereicht unserer Kirchenleitung nicht zum Ruhm, dass sie es der weltlichen Gerichtsbarkeit überlassen hat festzustellen, dass der Polizeieinsatz widerrechtlich war.

Wir kommen zum Parkgebet zusammen, weil wir uns mit unserer Macht angepassten Kirche nicht einfach abfinden. Wir halten fest, dass diese Anpassung eine Fehlentwicklung ist, die nur geheilt werden kann, wenn wir uns auf die Kritik Jesu am Machtmissbrauch zurück besinnen. Er schenke uns die Ausdauer und den Mut, darin laut zu bleiben. Wo zwei oder drei sich versammeln in seinem Namen, ist er bei uns alle Tage bis an das Ende der Welt. Amen.