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Digitales Parkgebet am 6.5.2021 von Pf.i.R. Friedrich Gehring

(hier als pdf-Datei)
(und hier alle Lieder und Texte zum Lesen und Hören)

Ansprache zum Online-Parkgebet am 6.5.2021 zu Mt 4,8-10 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Der Teufel führte ihn mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest. Da sprach Jesus zu ihm: Hebe dich weg von mir, Satan! Denn es steht geschrieben: „Du sollst anbeten Gott, deinen Herrn, und ihm allein dienen“ (1. Mose 6,13).

In einer Woche feiert die Christenheit das Fest Christi Himmelfahrt. Da wird in vielen Kirchen das Lied erklingen: Jesus Christus herrscht als König. Ich habe für das heutige Parkgebet diesen Text von der Versuchung Jesu ausgewählt, um den Unterschied deutlich zu machen zwischen dem Königtum Jesu und dem weltlicher Herrscher. Weltherrschaft wird üblicherweise erreicht durch militärische Unterwerfung, die eine Ausbeutung unterworfener Völker ermöglicht. Jesus und den Evangelisten steht als plastisches Beispiel für solche Weltherrschaft der römische Machtapparat vor Augen. Die beschönigende Formulierung für das römische Machtprinzip ist der so genannte „römische Friede“ nach dem Motto: Wenn du Frieden willst, rüste auf. Heute wollen die USA diesen Frieden verwirklichen mit Militärstützpunkten in mehr als 80 Ländern, auch bei uns. Es wird nicht mehr gekreuzigt, es werden Kampfdrohen benutzt. Deutschland wirkt dabei maßgeblich mit. Am schwarzen Donnerstag haben wir die innenpolitische Variante dieses Friedens erlebt: Wenn du Frieden willst, schick Wasserwerfer in Demonstrationen.

Jesus widersetzt sich diesem teuflischen Prinzip. Er weist die versucherische Stimme von sich und lässt sich nicht vor den Karren derer spannen, die ihn gerne als den messianischen Feldherrn bei einem Aufstand gegen die Römer gesehen hätten. Deshalb reitet er nicht auf einem Pferd, sondern auf einem Esel in Jerusalem ein (Mk 11,7). Im Gegensatz zum römischen Machtmissbrauch fordert Jesus von seinen Jüngern den Dienst an der Allgemeinheit (Mk 10, 42-44). Von dieser Kultur des Dienens ist die Königsherrschaft Jesu geprägt. Davon singen wir am Fest Christi Himmelfahrt.

Gerade weil dies in der Kirchengeschichte und von angeblich christlicher Politik vielfältig vergessen wurde, müssen wir daran erinnern, auch wenn wir es  abgesehen von unserer Verstrickung in die brutalen US-Weltmachtansprüche und abgesehen vom schwarzen Donnerstag innenpolitisch mit einer milderen Variante von christlicher Machtpolitik zu tun haben. Gerhart Baum, ein Mann aus der guten alten Zeit der FDP, hat es am 23.10.2020 im ZDF-Kulturmagazin Aspekte trefflich formuliert: „Die Politik ist darauf angelegt, Wahlen zu gewinnen, und da ist nicht jedes Mittel recht, aber es wird natürlich auch getäuscht, den Leuten wird etwas vorgemacht. Und das kann man umso mehr dann, wenn die Menschen Angst haben und unsicher sind. Dann sind sie anfällig für einfache Lösungen und für starke Männer und Frauen, die versprechen: Alles wird gut.“ Gerade in der Zeit der Pandemieängste haben stark wirkende Personen wie Söder enorme Umfragewerte erzielt. Er fiel zunächst auf durch besonders heftige Einschränkungen der Grundrechte, später dann durch besonderes Machtgerangel. Wir im Ländle haben die bittere Erfahrung machen müssen, dass Kretschmanns vorgetäuschte S 21-Gegnerschaft ihm an die Macht half. Diese konnte er inzwischen ausbauen, weil er ähnlich heilsbringend wie Söder auftrat, aber die erfolgreichen Tübinger Maßnahmen lange missachtete und stattdessen mehr auf Grundrechtseinschränkungen setzte.

Als Kritikern von S 21 erscheint uns nun Kretschmanns Koalitionsentscheidung besonders brisant: Der 6-gleisige Ergänzungskopfbahnhof der Grünen und der Gäubahntunnel der CDU sollen S 21 „für zusätzlichen Schienenverkehr fit“ machen, „sofern sich die Wirtschaftlichkeit und Finanzierbarkeit der Elemente erhärten“ (Südwestpresse vom 3.5.21). Dies alles obwohl bereits im Jahr 2001 Bahnfinanzvorstand Sarrazin die Unwirtschaftlichkeit des gesamten Projekts der Bahnführung gegenüber nachgewiesen hat. Die später aufgestellte Wirtschaftlichkeitsgrenze von 4,6 Mrd. € ist längst überschritten. Der Rechtsstreit über die Finanzierung ist seit Jahren ungeklärt. Die fehlende Wirtschaftlichkeit und Finanzierbarkeit ist also längst erhärtet. Grüne und CDU hoffen aber darauf, verleugnen grob die Realität wie Querdenker und wollen das Wahlvolk dreist täuschen.

Mit einem Dienst an der Allgemeinheit im christlichen Sinne hat dies nichts mehr zu tun. Darum lassen wir uns aber nichts vormachen und die querdenkerischen Koalitionäre sollen dies auch wissen.  So habe ich dieser Tage meine neuerliche Fachaufsichtsbeschwerde gegen das Eisenbahnbundesamt wegen Genehmigung von S 21 trotz fehlendem Rettungskonzept an Ministerpräsident Kretschmann gesandt. Dem Koalitionsbeschluss, die Idee des 8-gleisigen Kopfbahnhofs  und des Gäubahntunnels weiter zu unterstützen, halte ich entgegen, dass die Rentabilität des gesamten Projekts S 21 nie gegeben war und die Finanzierung immer noch gerichtlich ungeklärt ist. Ich empfehle das fehlende Rettungskonzept als Ausstiegsgrund und den Umstieg 21 oder das neue städtische unterirdische Güterlogistikonzept als Alternativen.

Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass Report Mainz sich des unsinnigen Projekts erneut annehmen wird und dass Minister Scheuer und Staatssekretär Bilger Personen weichen, die Vernunft walten lassen dürfen. Auch hoffe ich, dass der von der Regierungskoalition geforderte Ergänzungskopfbahnhof eine Weichenstellung bedeutet hin zum Erhalt der ganzen 16 Gleise. Unsere steten Warnungen vor dem fehlenden Rettungskonzept könnten jetzt fruchten und zur Erkenntnis führen, dass die Tunnel aus Sicherheitsgründen nur einseitig befahren werden dürfen, weil immer ein Tunnel als Rettungsstollen frei bleiben muss. Dann müssen 16 Kopfbahnhofgleise bleiben. Dann kann Jesus Christus als Diener der Allgemeinheit in die Herzen der Verantwortlichen einziehen und den Götzen Mammon der Immobilienspekulanten daraus vertreiben.  Amen.

Ansprache zum Parkgebet an Himmelfahrt 2017 von Pfr. i.R. Wolfgang Schiegg

Hier: die Ansprache als pdf-Datei

Liebe Parkgemeinde, liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter!

Heute findet das Parkgebet nicht an einem normalen Donnerstag statt. Heute ist zugleich Feiertag. Christi Himmelfahrt. Der biblische Hintergrund des Festes ist schnell erzählt: Jesus ist mit seinen Jüngern auf dem Ölberg nahe Jerusalem. Er sagt ihnen den Empfang des heiligen Geistes zu, bestätigt sie als seine Zeugen, wo immer sie leben und – entschwindet vor ihren Augen in einer Wolke zum Himmel. Diese Geschichte markiert das Ende seines diesseitigen, irdischen Lebens.

Mit der Himmelfahrt ist Jesus in eine neue Daseinsweise eingetreten. Die Himmelfahrt erscheint so als seine Thronbesteigung. Er hat nun die Herrschaft über Himmel und Erde übernommen.

Und die Bedeutung von Himmelfahrt für uns?

Christi Himmelfahrt richtet an uns die Frage, wem wir Christen heute die Herrschaft in unserem Leben einräumen wollen, wen und was wir heute für unser Leben als maßgeblich anerkennen wollen und wie Jesus heute für uns zur Autorität werden kann.

 Wer regiert die Welt? Die große ganze und unsere kleine persönliche Welt? Wer hält die Macht in Händen?
Das ist die Kardinalfrage an Himmelfahrt.

 Vor einigen Jahren erschien ein Buch des Journalisten Christian Nürnberger, das dieser Frage nachgeht und viel Beachtung fand. Es trägt den Titel „Machtwirtschaft“. Schon beim Hören des Begriffs erkennt man das Wortspiel: Marktwirtschaft / Machtwirtschaft.

Die Grundbotschaft des Buches lautet, dass es gar nicht so sehr darauf ankommt, wer in den einzelnen Ländern an der Regierung sei, weil die eigentliche Macht längst nicht mehr bei der Politik liegt, sondern in der Wirtschaft. Nicht die Politikerinnen und Politiker regierten unser Land, sondern Unternehmer, Manager und vor allem Großaktionäre. Investoren und Aufsichtsräte dirigierten uns alle, einschließlich unserer Politiker. Das haben auch wir in den letzten Jahren beim Milliardenprojekt S 21 schmerzlich feststellen müssen. Die „Shareholder“, also die Anteilseigner großer Konzerne, und da die oft anonymen Großaktionäre, die niemand namentlich kennt, seien die geheimen Machthaber dieser Welt, nach denen sich alles zu richten habe. Sie seien es auch, die die Politik bestimmten.

 Wer regiert diese Welt?

Dies ist eine politische Frage und zugleich ein Glaubensthema.
Schon allein deshalb, weil diejenigen, die mit ihrer Wirtschaftsmacht die Welt regieren, auf ihre eigene Weise gläubige Menschen sind. Allerdings glauben sie nicht an Gott, sondern an den Markt, an den freien Markt, dem man möglichst freien Lauf lassen müsse. Sie sagen: Würden alle gesetzlichen Einschränkungen aus dem Weg geräumt oder vermieden – etwa ein gesetzlich festgelegter Mindestlohn, eine höhere Besteuerung von Vermögenden und Unternehmen und eine steuerliche Entlastung der mittleren und niederen Einkommen (im Grunde alles, was eine Marktwirtschaft zur sozialen Marktwirtschaft macht), dann und nur dann werde die Wirtschaft weiter wachsen und unseren Wohlstand sichern, weil die Tüchtigen belohnt würden und davon würden dann auch die weniger Tüchtigen und die sozial Schwachen profitieren. So etwa lautet zusammen gefasst das Glaubensbekenntnis der Marktgläubigen, der heute sog. Neoliberalen. Weiterlesen

Neulich auf der Montagsdemo (der Kirchentag lässt grüßen…)

Sünde_Geld_Plakat

„Eine Kirche, der verschwendete Milliarden wichtiger sind als erhaltene Bäume, macht mich traurig. Dem Quasi-Mythos, dass man die alten Bäume opfern muss, um nach der Baustellen-Leidenszeit den von allen Problemen erlösenden Tiefbahnhof zu erhalten, sollte man nicht auf den Leim gehen.“

Sünde_nur_Feuer_Plakat, mp

„Gefahren verschwinden nicht dadurch, dass man sie ignoriert. 60 km Tunnel unter der Stadt ohne funktionierenden Brandschutz sind kriminell. Will sich die Kirche darauf beschränken, Trost zu spenden, wenn das Unglück geschehen ist?“

Sünde_nur_Pfarrer_Plakat, mp

„Ich erwarte von evangelischen Pfarrern, dass sie mit Kopf, Herz und Hand dem Evangelium verpflichtet sind und sich nicht von Geld die Sinne vernebeln lassen. Warum segnet man Einkaufszentren und Tunnelbohrmaschinen?“

Sünde_nur_Herz_Plakat, mp

„Ich erwarte, dass meine Kirche sich kritisch zu problematischen Entwicklungen in der Gesellschaft äußert. Wenn Kirche aber so eng mit Politik und Wirtschaft befreundet ist, dann ist das nicht möglich.“

Ein Gastbeitrag für unsere Homepage.

Wider die „Ausschließeritis“ und den Glauben an die eine „richtige“ Aktionsform (Gedanken zu unseren Anti-S21-Aktionen), Martin Poguntke

Hier dieser Beitrag als pdf-Datei: Wider die Ausschließeritis

Unsere Vielfalt ist unsere Stärke.

Erhalten wir diese Vielfalt
– auch wenn wir dabei mit Aktionen identifiziert werden,
mit denen wir nicht identifiziert werden wollen!

Das sollten wir aushalten – um der Sache willen!

Liebe MitstreiterInnen,
ich möchte hiermit einen Debattenbeitrag leisten und hoffe, dass ich die Diskussion in unserer Bewegung damit ein wenig bereichere. Ich würde nämlich gerne die Frage der richtigen Aktionsformen bei unserem Widerstand gegen S21 etwas tiefer hängen – und zwar vor allem aus folgendem Grund:

Jede Aktion kann gegen uns gewendet werden
Die gesellschaftlich Mächtigen können jede, wirklich jede unserer Aktionen gegen(!) uns wenden. Als wir am Volksentscheid mitgemacht haben, haben sie ihn manipulieren können und werfen uns nun vor, wir seien undemokratisch. Hätten wir nicht(!) mitgemacht, hätten sie uns unterstellt, wir wüssten, dass wir keine Mehrheit hätten, und wir seien – wiederum – undemokratisch. Blockieren wir die Straßen, sagen sie, wir seien undemokratisch und gewalttätig. Demonstrieren wir unauffällig sagen sie, es gebe uns nicht mehr und wir hätten uns geschlagen gegeben. Weichen wir von dem Demonstrationsweg, den sie uns vorgeschrieben haben, ab, sagen sie, wir seien außerhalb des Rechtsstaats. Folgen wir brav allen Auflagen, schreiben sie gar nicht mehr über uns und verbreiten, es gebe uns nicht mehr. usw.

Ich schließe daraus: Jede, aber wirklich jede (selbst die allerfreundlichste und sympathischste) Aktion kann sowohl gegen(!) uns gewendet werden als auch zu Reaktionen führen, die einen kritischen(!) Diskurs in Gang setzen. Und jede, aber wirklich jede (selbst die radikalste und kompromissloseste) kann sowohl zu einem positiven(!) Aufschrei in der Öffentlichkeit führen als auch zu einer vernichtenden(!) Gegenreaktion.

Nicht die Aktionsform als solche scheint mir deshalb das Entscheidende, sondern dass wir immer und immer wieder in den öffentlichen Diskurs eingreifen mit immer neuen phantasievollen, überraschenden, feinsinnigen oder grobschlächtigen Aktionen. Wir müssen dem Diskurs „Futter“ geben, weil das immer und immer wieder die Chance birgt, dass Aufklärerisches oder Kritisches in der Öffentlichkeit wahrgenommen und diskutiert wird. Ob aber unser „Diskursfutter“ so wirkt, wie wir es denken – das haben wir nicht in der Hand.

Bitte keine Distanzierungen! Weiterlesen

Keine Chance zur Mitsprache

Bürger, kritische Initiativen und Fachleute hatten bei Planungen und parlamentarischen Entscheidungen keine Chance zur Mitsprache oder Beteiligung.

Nicht nur an Stammtischen wird den Kritikern von S21 der Vorwurf gemacht, sie kämen mit ihrem Protest zu spät. Seit 1994 werde das Projekt geplant und öffentlich erörtert. Warum haben sie sich nicht früher zur Wort gemeldet und die Chancen des Einspruchs gegen das Vorhaben genutzt?
Dieser Vorwurf ist schlicht falsch und verkennt die Faktenlage. Weiterlesen

Dürfen Christen CDU wählen?

Ja, Christen dürfen wählen, was sie wollen, denn sie sind freie Menschen und „niemandes Knecht“ (Luther). Aber welche Partei sie auch wählen, sie fragen natürlich, ob die Politik dieser Partei den Grundsätzen ihres Glaubens nahe kommt.

Eine „christliche“ Partei gibt es nicht. Alle demokratischen Parteien hierzulande haben Elemente christlicher Ethik in ihrer Politik, und in allen demokratischen Parteien hierzulande gibt es Christen (vermutlich sogar den jeweils gleichen Prozentsatz). Wenn sich allerdings eine Partei selbst „christlich“ nennt, dann sehen wir als Christen natürlich besonders genau hin.

Hier ist nicht Raum für eine vollständige Analyse der Politik der CDU, auch nicht für die Berücksichtigung verschiedener Strömungen. Ich beschränke mich auf die fünf augenfälligsten Punkte, an denen die vorherrschende Politik dieser Partei für Christen nicht akzeptabel ist. Dabei hoffe ich, dass ich eine Diskussion anstoße, die über die hier nur thesenhaft mögliche Darstellung hinaus führt.

  1. Die CDU vertritt die Ideologie des unbegrenzten Wachstums.
    Das ist für Christen Götzenglaube. Christen wissen um die Begrenztheit der Schöpfung. Sie fordern deshalb eine Politik, die nicht die begrenzten Ressourcen so weit als möglich ausbeutet, sondern eine Politik, die diese Ressourcen so weit als möglich schont.
    Dazu ist eine Begrenzung des Wachstums erforderlich. Und dazu ist eine hoch entwickelte Technologie erforderlich, die nicht im Dienst der Profitmaximierung steht, sondern im Dienst des Menschen und einer bestmöglichen Pflege der Schöpfung.
  2. Die CDU vertritt die Ideologie des freien Marktes, der angeblich die Interessen in der Welt gerecht ausgleicht.
    Auch das ist Götzenglaube. Christen wissen, dass der freie Markt zum Sieg der Stärkeren über die Schwächeren führt. Sie glauben, dass wir Menschen (als „Stellvertreter Gottes“) in die Welt eingreifen sollen, um sie vor dem freien Spiel der Kräfte zu bewahren und Gottes Willen in sie hinein zu tragen. Deshalb fordern sie eine Politik, die nicht möglichst wenig eingreift ins Wirtschaftsgeschehen, sondern das Wirtschaftsgeschehen als den Ort versteht, in dem die entscheidenden Weichen für Wohl und Wehe der ganzen Welt gestellt werden – oder eben nicht.
  3. Die CDU hat kein Bewusstsein von der zerstörerischen Macht des Geldes.
    Auch vor dem Mammon müssen Christen warnen. Christen wissen, wie zerstörerisch Reichtum auf den Menschen wirkt (indem er Maßstäbe und Wichtigkeiten verzerrt und Leben zerstört), und fordern deshalb, dass Reichtum begrenzt und konsequent in den Dienst der Schwachen gestellt wird.
  4. Die CDU ist geprägt von einer bis zur Ununterscheidbarkeit reichenden personellen Verquickung mit den Starken der Wirtschaft (was sie als ihre „Wirtschaftskompetenz“ ausgibt).
    Das macht Christen skeptisch. Christen sind parteiisch für die Schwachen und nehmen deshalb die Starken in die gesellschaftliche Pflicht. Dieser Aufgabe kann eine Partei nicht nachkommen, die in wesentlichen Teilen selbst zu den Starken gehört.
  5. Die CDU hat ein gestörtes Verhältnis zu den Bürgern; sie will ihre Politik nicht wirklich vom Willen der Wähler kontrollieren lassen.
    Demokratie ist für Christen ein Projekt zur Kontrolle menschlicher Macht. Christen wissen um die Fehlbarkeit aller Menschen und fordern deshalb, dass auch politische Entscheidungen laufend von den Betroffenen überprüft werden können müssen – und gegebenenfalls korrigierbar sein müssen. Die CDU will solche Kontrolle begrenzen, weil sie befürchtet, dass Demokratie Investoren abschrecken könnte.

Es wird deutlich: Die CDU ist eine Partei, die Christen nach gründlichem Nachdenken über ihre eigenen Grundlagen aus grundsätzlichen Erwägungen nicht wählen können – nicht nur, weil sie Hauptbetreiberin des Projekts Stuttgart 21 ist.

Etliches hiervon ist auch anderen Parteien vorzuwerfen – aber die nennen sich wenigstens nicht „christlich“.

Martin Poguntke, 13.03.2011

Predigt beim Gottesdienst im Schlossgarten 26.12.2010

Predigt zu Johannes 1,1-5+9-14

Johannes schreibt sein Evangelium in einer Zeit, in der es die Christen schwer haben. Die christlichen Gemeinden sind kleine Gruppen, umgeben von einer weithin feindlichen Umwelt. Das kann die resignativen Untertöne erklären, die Johannes in den ersten Versen seines Evangeliums mitschwingen lässt: „Das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht ergriffen“ (V.5). „Er war in der Welt, … aber die Welt erkannte ihn nicht“ (V 10). „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf“ (V. 11). Zum Glück bleibt Johannes bei diesen traurigen Feststellungen nicht stehen. Er schreibt ein Evangelium, eine frohe Botschaft: „Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden“ (V 12) und „wir sahen seine Herrlichkeit“ (V 14) In dem schmählich am Kreuz gescheiterten Jesus sehen die Kinder des liebenden Vaters die Herrlichkeit Gottes. Die Liebe Gottes, die die Christen verkünden, sie mag verlacht werden, die Jünger Jesu lassen sich davon nicht beirren. Weiterlesen

Kirche hat ein „Wächteramt“ gegenüber dem Staat

Spätestens seit dem „schwarzen“ Donnerstag können die Kirchen meines Erachtens zu S21 keine (scheinbar) neutrale Haltung mehr einnehmen, weil spätestens seit dieser staatlich provozierten Eskalation das Verständnis, das wir als evangelische Christen vom Staat haben, infrage steht. Aus evangelischer Sicht ist es Aufgabe des Staates, Recht zu setzen, das Leben ermöglicht und die Schwachen vor den Starken schützt. Dem Staat steht ein Gewaltmonopol zu, solange und in dem Maße, wie er dieser Aufgabe nachkommt. Die Kirche ihrerseits hat dem Staat gegenüber ein „Wächteramt“: Sie muss sich öffentlich zu Wort melden, den Staat zur Rechenschaft ziehen und notfalls ihm die Loyalität kündigen, wenn er dieser Aufgabe nicht nachkommt oder Zweifel daran bestehen.

Im Fall von S21 wird immer deutlicher: 1. Staatliche Stellen versuchen ein Projekt durchzusetzen, das nicht durch demokratische Gremien legitimiert ist, denn sämtliche Gremien hatten zur Zeit der Abstimmung falsche Kostenberechnungen, falsche Angaben über den angeblichen Nutzen und falsche Angaben über die technischen Risiken vorliegen. 2. Das Projekt entpuppt sich immer deutlicher als eines, das nicht für die Mehrheit der Schwachen von Vorteil ist, sondern für eine Minderheit der Starken, denn es ist lediglich für einige Bauunternehmen, Immobilienhändler und Kreditgeber von Vorteil. Den Zugverkehr, den die Mehrheit (und die Natur) braucht, befördert es nicht, sondern es schränkt ihn im Gegenteil stark ein. 3. Der Staat versucht dieses Projekt gegen die Mehrheit der Bevölkerung – inzwischen mit Gewalt – durchzusetzen.

Aus evangelischer Sicht muss die Kirche ihre Stimme parteilich gegen dieses Handeln des Staates erheben, weil der Verdacht besteht, dass bei diesem Projekt die demokratischen Gremien von einer Minderheit von Wirtschaftsakteuren instrumentalisiert werden. Wenn dies zutrifft, steht nicht weniger als die Legitimität dieses Staatswesens infrage. Um dies zu klären, kann Kirche sich nicht mehr darauf beschränken, zu friedlichem Umgang miteinander zu mahnen. Sondern sie muss den Staat dringend auffordern zu klären, ob von staatlicher Seite aus gelogen wird, ob vonseiten des Staates wirklich der Nutzen für die Schwachen Ziel des Handelns ist und ob er sein Gewaltmonopol rechtmäßig einsetzt.

Eine Kirche, die versuchte, unpolitisch zu bleiben, kann sich nicht auf Christus berufen, von dem wir glauben, dass sein Anspruch alle Lebensbereiche umfasst.

Martin Poguntke, Leserbrief in „evangelisch.de“ vom 5.10.2010

Offener Brief von Pfarrerin Guntrun Müller-Enßlin, 6.09.2010

An die Kolleginnen und Kollegen, an die Kirchenleitung und alle, die sich angesprochen fühlen.

Man kann sich bestimmte Entwicklungen lange Zeit mit mehr oder weniger Geduld anschauen. Irgendwann kommt der Punkt, an dem das Maß voll ist. Dieser Punkt ist bei mir derzeit erreicht, wenn ich auf die Rolle der Evangelischen Kirche in Sachen Stuttgart 21 blicke, darauf, was sie tut, bzw. was sie nicht tut.

Als eine, die einmal Theologie studiert hat und Pfarrerin der Landeskirche geworden ist, in der Hoffnung, damit in einer Institution zu arbeiten, die in einer gnadenlosen Wettbewerbsgesellschaft ein Gegengewicht der Menschlichkeit bildet, bleiben einem gegenwärtig nur noch Trauer und Scham darüber, dieser Institution anzugehören.

Was ist das für ein klägliches Bild, das die Kirche derzeit nach außen abgibt, wenn sie hartnäckig –oder ängstlich? – darauf beharrt, sich nicht einmischen zu wollen angesichts eines Projekts mit mittlerweile allseits bekannten und absehbar katastrophalen sozialen und ökologischen Folgen! Als Institution von immer noch bedeutendem gesellschaftlichem Ansehen räumt sie damit freiwillig den Platz als ethisches Korrektiv, das ihr von der Mehrheit unserer Gesellschaft ganz selbstverständlich zugestanden wird!
Seit Monaten zieht sich die Kirche in Sachen S21 auf diese unsägliche Raushalte-Position zurück, mit fragwürdigen Argumenten, die den zahllosen im Widerstand gegen S21 engagierten Christen und Kirchenmitgliedern weder verständlich noch vermittelbar sind.
Da geht es auf einer formalen Ebene um Dienstwege, bzw. um das, was man als InhaberIn eines kirchlichen Amtes darf oder nicht darf, was richtig oder falsch ist, anstatt darum, sich beizeiten umfassend mit dem Thema und seinen Inhalten zu beschäftigen, um dann zu erkennen, welcher Gruppierung in unserer Gesellschaft man als Kirche stärkend zur Seite stehen muss.

Ich frage mich wirklich, warum ich auf Seiten der S21-Gegner als Pfarrerin ganz alleine dastehe. Wenn es heißt, Kirche dürfe nicht Partei ergreifen sondern müsse für alle da sein, ist zu sagen, dass ihr das, indem sie sich raushält und schweigt, jedenfalls bestimmt nicht gelingt. Indem Kirche keine Stellung bezieht, steht sie immer auf der Seite der Macht und des herrschenden Status Quo und macht sich zu deren Handlanger, was ihr von intellektueller Seite seit eh und je zum Vorwurf gemacht wird.
Der Meinung, Religion sei Privatsache, sei entgegengehalten, dass Religion seit jeher eine ethische Komponente besitzt, die das Gemeinwohl betrifft. Im Fall von Stuttgart 21 sind mit der Verschiebung von Milliarden von Steuergeldern von unten nach oben sowie mit dem Kahlschlag hunderter alter Bäume höchst offensichtlich ethische Themen berührt und Grundwerte in Gefahr. Sich hier herauszuhalten, gar nobel eine Vermittlerrolle in Aussicht zu stellen, wenn sich die Parteien ordentlich gezofft haben, halte ich geradezu für zynisch. Die einzige adäquate Haltung wäre stattdessen, mit Zivilcourage auf der Seite derer zu streiten, die ganz offensichtlich den Schaden haben.

Wie gesagt, die Zurückhaltung der Kirche ist schwer nachzuvollziehen und noch schwerer auszuhalten. Vollends unerträglich wird es, wenn nun auch noch ausgerechnet ein Pfarrer sich für eine Pro Stuttgart 21 –Bewegung stark macht und sich auf dem Podium der FAZ als Opfer militanter und intoleranter S21-Gegner feiern lässt. Offenbar ist sich über die Ruf schädigende Wirkung dieser Aktivitäten für die Kirche niemand im Klaren. Es ist einfach nicht zu glauben, dass sich nicht einmal jetzt auf breiter Front Widerstand bei Kirchenvertretern regt, sich niemand distanziert und niemand sagt, der spricht nicht für uns.
Stattdessen sehe ich mich als die einzige Pfarrerin, die sich öffentlich gegen S21 exponiert hat, in der grotesken Lage, als Gegenspielerin jenes Pfarrers in den Zirkusring der Öffentlichkeit, auch den der Fernsehmedien, steigen zu sollen. Mit diesem Befürworter kloppe ich mich dann stellvertretend für die Kirche, die sich vornehm zurückhält und muss außerdem noch damit rechnen, dass von erhabener Stelle der Zeigefinger erhoben wird.

Mich würde mal interessieren, wieweit meine Kollegenschaft sich noch traut, unabhängig von der Obrigkeit eindeutig und öffentlich sozialpolitisch Position zu beziehen. Wenn sich große Bevölkerungsgruppen gegen einbetonierte Machtpositionen zur Wehr setzen, kann sich die Kirche nicht unparteiisch geben. Es geht darum, entsprechende Machtträger in der Gesellschaft zur Besinnung und zur Reflektion zu bringen.  Ich bin gespannt auf Reaktionen oder auch Nicht-Reaktionen.

Hier gibt’s diesen Text als PDF