Monatsarchiv: Februar 2020

ABGESAGT: 501. MONTAGSDEMO AM 10. FEBRUAR

Weder die Deutsche Bahn, die Staatsgewalt oder die Grünen haben es je geschafft, eine Montagsdemo gegen Stuttgart21 zu verhindern. Das Orkantief Sabine schafft es leider morgen, am 10.2.2020:

DIE 501. MONTAGSDEMO GEGEN S21 AM 10.FEBRUAR WIRD ABGESAGT.
Bitte informiert unsere Mitstreiter*innen, die keine elektonischen Medien benutzen

Nachdem keiner der Wetterdienste für morgen Abend zuverlässig Entspannung und ein Ende der Orkanböen  vorhersagt, hat das Demo-Team sich entschlossen, die morgige Montagsdemo vorsorglich abzusagen.

Es gibt nur 3 Gründe, um   auf Montag als Demotag gegen S21 zu verzichten: (1) Montag= Feiertag. (2) schwere Unwetter gefährden Demonstrant*innen. (3)  Stuttgart21 ist  beendet. Nachdem letzteres nicht der Fall ist, findet  die 501. Montagsdemo am Montag, 17.2. um 18:00 auf dem Schlossplatz statt.

Ansprache beim Parkgebet am 6.2.2020 zu 1. Mose 20,12 von Pf. i. R. Friedrich Gehring

Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass Du lange lebest im Lande, das Dir der Herr, dein Gott, geben wird.

Die Evangelischen unter uns haben wohl bei ihrer Konfirmation die Erklärung Luthers aufsagen müssen: „..dass wir unsere Eltern und Herren nicht verachten noch erzürnen, sondern sie in Ehren halten, ihnen dienen, gehorchen, sie lieb und wert halten“. Da kommen plötzlich zu den Eltern die Feudalherren hinzu, und es geht um Gehorsam. Das Gebot meint aber ursprünglich etwas ganz anderes: Pflegebedürftige Eltern sollen gut versorgt werden, damit die Versorgenden ihren Kinder ein Vorbild sind und später von der nächsten Generation ebenso umsorgt werden und lange leben im gelobten Land. Die Brüder Grimm erzählen von einem gebrechlichen Großvater, der Suppe verschüttet und deshalb hinter dem Ofen aus einem hölzernen Schüsselchen essen muss. Der Enkel sammelt Holz für ein Schüsselchen, aus dem die Eltern später einmal essen sollen. Darauf wird der Senior wieder an den Tisch gebeten. Das Märchen weiß besser als Luther, was das vierte Gebot meint. Luther vollzieht diese krasse Fehldeutung 1520, weil er seit 1518 im Konflikt mit Kaiser und Papst auf seinen Landesherren angewiesen ist und bei ihm gut Wetter machen muss. Im Bauernkrieg ergreift Luther Partei für die Feudalherren, seine Reformation wird endgültig zur Untertanenreligion.

Luther konnte sich für diese Untertanenreligion auf Römer 13 berufen: „Seid untertan der Obrigkeit, die Gewalt über euch hat, denn sie ist von Gott eingesetzt“. Diese Vergottung menschlicher Gewalt passt sprachlich nicht zu Paulus, wirkt im Zusammenhangs des Briefs sachlich als Einschub und ist vermutlich etwa 100 Jahre nach Paulus von fremder Hand eingefügt worden. Auch wenn das zu Luthers Zeiten noch nicht so genau unterschieden wurde, so hätte Luther doch den heftigen Gegensatz zur Position Jesu erkennen müssen. Jesus nimmt den Mächtigen seiner Zeit gegenüber kein Blatt vor den Mund, er sagt: „Ihr wisst, dass die weltlichen Fürsten ihre Völker nieder halten, und ihre Mächtigen missbrauchen ihre Macht. Aber so soll es nicht sein unter euch; sondern wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener, und wer unter euch der Erste sein will, der sei euer Knecht“ (Mk 10,42-44). Das griechische Wort für „Macht missbrauchen“ kommt nur im Neuen Testament vor, es fehlt im profanen Griechisch. Es ist eine christliche Spezialität. Das hätte Luther bemerken müssen, als er das Neue Testament übersetzte.

Es wird Zeit, dass wir die Fehlentwicklung des Christentum zur Untertanenreligion, angefangen von Römer 13 über die Konstantinische Wende bis hin zu zu Luther rückgängig machen und unsere Kirche zu einer Gemeinschaft wahrhaft freier Christenmenschen umgestalten. Wir müssen mit Jesus den militärischen, politischen und wirtschaftlichen Machtmissbrauch beim Namen nennen. Wie in neutestamentlicher Zeit muss die Kritik des Machtmissbrauchs zum Erkennungsmerkmal der christlichen Kirchen werden. Wir dürfen nicht müde werden, von den Herrschenden den Dienst an der Allgemeinheit zu fordern. Nur dazu gibt der barmherzige Gott ihnen die Macht. Die Alten zu ehren ist so etwas wie die Nagelprobe darauf, ob der Allgemeinheit gedient wird oder nicht.

Gerade an dieser Frage haben sich die Macher von Stuttgart 21 früh entlarvt. Unter den Senioren nehmen natürlicherweise Einschränkungen der Mobilität zu. Wir Gegner haben früh auf die drangvolle Enge in er unterirdischen schrägen Haltestelle hingewiesen. Im Katastrophenfall entstehen besondere Gefahren für mobilitätseingeschränkte Reisende. Technikvorstand Kefer brachte dazu den zynischen Vorschlag, man werde durch Lautsprecherdurchsagen die mobileren Reisenden dazu aufrufen, sich um die weniger mobilen zu kümmern. Die himmelschreiende menschenverachtende Planung hätte nicht deutlicher zum Ausdruck kommen können. Denn wie das Bergbahnunglück in Kaprun erwies und wie verschiedene Zugbrände der jüngeren Vergangenheit zeigen, werden sich auch die mobileren Reisenden im Brandfall nicht mehr retten können. Schon allein dieser Aspekt von S 21 verrät, dass hier nicht an den Dienst an der Allgemeinheit gedacht, sondern Macht missbraucht wird. Christen in der Nachfolge Jesu können dazu nicht schweigen, sondern müssen immer wieder den Finger in die Wunde legen.
Im Jahr 2014 reichte ich deshalb eine Fachaufsichtsbeschwerde gegen das Eisenbahnbundesamt ein wegen der Baugenehmigung trotz ungeklärtem Katastrophenschutz. Verkehrsminister Dobrindt ließ mir antworten, man werde den Katastrophenschutz im Rahmen der Inbetriebnahme berücksichtigen, als ob es die Berliner Flughafenprobleme nie gegeben hätte. Man nimmt also wissentlich in Kauf, dass das Milliardenprojekt zwar gebaut, aber nie in Betrieb gehen wird. Für den BER sucht man jetzt, etwa zehn Jahre nach der geplanten Eröffnung, 20.000 Komparsen für eine probeweise Inbetriebnahme. Das lässt sich auf S 21 hochrechnen. Selbst wenn die Fertigstellung bis 2026 gelänge, könnte es bis zur Inbetriebnahme noch weitere Jahre dauern. Die Stuttgarter haben dasselbe Recht wie die Berliner, Probeläufe mit Komparsen zu fordern. Dabei muss heraus kommen, was von den Ingenieuren schon vor Baubeginn mit dem Engpassmodell vor geführt wurde. Die Haltestelle ist nicht für einen wachsenden Bahnverkehr, sondern für mehr Baugelände konzipiert. Die Konsequenz muss sein, dass die engen Bahnsteige im Betrieb etwa nur einseitig mit Zügen belegt werden dürfen und der Kopfbahnhof bleiben muss.Wenn die Inbetriebnahme sich immer mehr verzögert, kann der Deutschlandtakt schon vorher im Kopfbahnhof vorgeführt werden, damit alle Welt erleben kann: S 21 wird dazu gar nicht benötigt. Der Kopfbahnhof kann, was die schräge Haltestelle nie können wird. Dann könnte es gehen wie beim Kernkraftwerk Kalkar, das ab 1970 für Milliarden gebaut wurde, aber auf Beschluss von 1991 nie in Betrieb ging. Heute ist das dortige Gelände ein Vergnügungspark. S 21 mit seinen schönen Kelchen kann Konsumtempel werden. Dafür ist das Ding geeignet. Genügend Investoren werden bereit sein, das Schnäppchen zu machen. Einst hatte der anhaltende Widerstand gegen den schnellen Brüter Erfolg, weil die Betreiber schließlich doch die Risiken dieser Technik nach Tschernobyl nicht mehr leugnen und deshalb auch selbst nicht mehr tragen konnten. Warum soll das nicht auch bei S 21 passieren?

Wir wollen deshalb nicht müde werden, die Risiken von S 21 ständig neu bewusst zu machen. Ein Auschwitz Überlebender sagte anlässlich der 75-jährigen Wiederkehr der Befreiung von Auschwitz-Birkenau, es müsse als 11. Gebot eingeführt werden, du sollst nicht gleichgültig sein, denn das Schweigen diene der Gewalt. Wir werden zum Machtmissbrauch nicht schweigen. Amen.

Anhang:

Aus dem Schreiben des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur vom 11.03.2014:

„Im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens werden, soweit es für das Verfahren selbst relevant ist, selbstverständlich die anerkannten Regeln der Technik berücksichtigt … . … zu beachten ist die EBA-Tunnelrichtlinie, die von Fachleuten aus den Bundesländern, der Deutschen Bahn AG, des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen und des Eisenbahn-Bundesamts erarbeitet wurde und Anforderungen des Brand- und Katastrophenschutzes an Planung, Bau und Betrieb von Schienenwegen nach dem Allgemeinen Eisanbahngesetz (AEG) enthält.

Soweit diese Regeln noch nicht im Rahmen der Planfeststellung Berücksichtigung finden konnten, ist deren Einhaltung über das Verfahren zur Inbetriebnahme einer neu erstellen Eisenbahninfrastruktur gewährleistet. … Insofern kann ich keinen Verstoß gegen den von Ihnen zitierten § 315a Abs. 1 Nr. 2 StGB erkennen. Die von Ihnen vorgebrachte Fachaufsichtsbeschwerde muss ich insofern zurückweisen.“

§ 315a Abs. 1 Nr. 2 StGB
„Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer … als … für die Sicherheit Verantwortlicher durch grob pflichtwidriges Verhalten gegen Rechtsvorschriften zur Sicherung des Schienenbahn- … verkehrs verstößt und dadurch Leib und Leben eines anderen … gefährdet.“