Monatsarchiv: Mai 2020

Bibelarbeit zu 5. Mose 22, Vers 8

„Wenn du ein neues Haus baust, so mache ein Geländer ringsum auf deinem Dache, damit du nicht Blutschuld auf dein Haus lädst, wenn jemand herabfällt.“

Wer in der Bibel nach dem Wort „Bahnhof“ oder „Stuttgart 21“ sucht, wird dabei ganz bestimmt nicht fündig. Das ist ebenso bei Worten wie „Pränataldiagnostik“ oder „Pandemie“. Diese simple Feststellung enthebt uns nicht der Aufgabe, für dringende ethische Fragen und aktuelle Problemstellungen angemessene Antworten bei den Weisungen der Bibel zu suchen. Wenn eine Gruppe sich „Theolog/innen gegen Stuttgart 21“ nennt, dann beansprucht sie damit, dass die Auseinandersetzungen um „Stuttgart 21“ eine theologische Bedeutung haben und nicht nur eine politische Fragestellung sind, die ethisch irrelevant ist wie zum Beispiel die Frage, ob die Müllabfuhr am Dienstag oder am Mittwoch kommt.

Wenn wir in der Bibel nach Antworten zu dieser Problematik suchen, dann findet sich dieser oben angeführte aufschlussreiche Text aus dem 5. Buch Mose / Deuteronomium, der das Thema „Bausicherheit“ erörtert und zu einem Thema der göttlichen Weisung und damit der Ethik macht. Dabei kann es sehr konkret werden. In diesem Kapitel des 5. Buches Mose werden auf dem Hintergrund der Gesellschaft des alten Israels verschiedene lebenspraktische Fragen erörtert und geregelt.

Hinter dieser Weisung zu Geländern auf Dächern steht die Architektur Israels, die aufgrund des trockenen Klimas Flachdächer baute.  Solche Dächer konnten als Wohnraum oder hauswirtschaftlich oder in anderer Weise genutzt werden und waren daher zugänglich. Durch die Zugänglichkeit entstand die Gefahr, dass Menschen ganz einfach hinabfielen, wenn sie nicht aufpassten, und dabei ganz erheblichen Schaden erleiden konnten. Daher war es nicht nur sinnvoll, sondern auch dringend geboten, solche Flachdächer mit einem Geländer zu versehen. Dabei ist noch zu beachten, dass besonders Kinder und unachtsam Menschen auf ungesicherten Dächern in Gefahr geraten konnten.

Nun war ein solches Geländer so ziemlich das letzte, was an einem Flachdachbau zu erstellen war. Wenn alles sonst fertig war, dann ging es an dieses Geländer – oder eben auch nicht. Es wird auch in der Antike nicht anders gewesen sein als heutzutage, dass sich während des Baus allzu oft die Kosten erhöhten und man dann am Ende überlegte, wo man sparen kann und auf was man verzichten kann. Es dürfte für so manche Bauherrschaft nahe gelegen haben, auf dieses Geländer zu verzichten. Schließlich konnte man sich ja sagen, dass die Leute, die auf das Dach gehen, aufpassen sollen und wer das nicht tut und dann hinunterfällt, selbst schuld ist.

Solchen Ausreden wird von diesem biblischen Gebot ein klarer Riegel vorgeschoben. Wer ein Haus baut, ist auch für die nötige Sicherheit verantwortlich. Wer dafür die Bereitschaft oder das Geld nicht hat, darf nicht bauen. Wer baut ohne für die nötige Sicherheit zu sorgen, lädt im Schadensfall Blutschuld auf sich. Wer kein Geländer baut, ist dafür verantwortlich, wenn jemand herunterfällt, und ist dafür zur Rechenschaft zu ziehen.

Nun müssen wir bei den Regelungen des Alten Testaments immer auch die Frage stellen, wie sie im Licht des Neuen Testaments und im Licht der Botschaft Jesu Christi zu betrachten sind. Haben sie für uns noch in dieser Weise einen bindenden Charakter oder gehören sie einer anderen Epoche in der Geschichte Gottes mit seinem Volk an? Zu den Regelungen, die für uns keine unmittelbar bindende Bedeutung haben, gehören etwa die Regelungen, die den Tempelgottesdienst betreffen. Sie sind für uns zu verstehen im Licht dessen, dass nicht mehr im Jerusalemer Tempel, sondern in der Person Jesu Christi die Gegenwart Gottes in unserer Welt zu suchen und zu finden ist. Dazu gehören auch Regelungen zum Komplex „Rein – Unrein“, die zu verstehen sind im Licht dessen, dass in Jesus Gott anfängt, seine Welt und seine Menschen neu zu heiligen und zu reinigen.

Bei dieser Regelung zum Thema „Geländer auf Flachdächern“ muss es somit um die Frage gehen, ob dieses Gebot lebensdienlich ist und dem Gebot der Nächstenliebe entspricht. Es dürfte unstrittig sein, dass im Licht der Erscheinung und Botschaft Jesu dieses Gebot in ungebrochener Bedeutung weiterbesteht und Geltung entfaltet. Die Verantwortung für die Mitmenschen gebietet nach wie vor, Flachdächer, die man als Lebens- und Wirtschaftsraum nutzt, auch mit einem Geländer zu versehen. Ja, wir müssen feststellen, dass das Gebot der Bausicherheit sich nicht nur auf Flachdächer bezieht, sondern analog für Bauwerke aller Art zu gelten hat. Wer wissentlich die Sicherheit dessen, was er baut, missachtet und so baut, dass damit erhebliche Gefahren geschaffen werden, macht sich schuldig und wird verantwortlich für die Schäden, die Menschen erleiden.

Zum Thema Stuttgart 21 ist möchte ich daher einen Feuerwehrkommandanten der Region Stuttgart zitieren: „Das mit dem Brandschutz bei Stuttgart 21 ist ganz einfach. Die ganzen Diskussionen und Überlegungen sind alle völlig überflüssig. Es ist einfach so: Wenn es da unten brennt, kommt niemand mehr heraus und wir von der Feuerwehr gehen da auch nicht runter. Wir warten ab, bis sich der Rauch verzogen hat und holen dann die Leichen heraus. Damit ist zum Brandschutz von Stuttgart 21 alles gesagt. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.“

Auch im Licht biblischer Weisung fällt uns dazu schon noch etwas ein, was es dazu zu sagen gibt: „Oben bleiben!!“

Pfr.i.R. Michael Harr

Parkgebet am 14. Mai 2020 zu Apg 5,29 von Pfr.i.R. Friedrich Gehring

Liebe Freundinnen und Freunde des Parkgebets,

hier kommt das dritte Parkgebet digital mit einer Ansprache von Pfr.i.R. Friedrich Gehring.

Hier ist der Link zum ganzen Parkgebet mit allen Text- und Musikteilen:
https://c.web.de/@823176437937739474/Bsyu-Y-oRaKYkf0LP63enQ
Ihr könnt Euch durch das Parkgebet durchklicken. Und gerne könnt Ihr bei Euren Rundmails zum Besuch des virtuellen Parkgebets einladen 😉

Und hier ist die Ansprache: (hier die Ansprache als pdf-Datei)

Ansprache zum Parkgebet am 14.5.20 zu Apostelgeschichte 5, Vers 29 von Pfr.i.R. Friedrich Gehring.

Wenige Tage nach dem 8. Mai 2020, dem 75. Jahrestag der Befreiung vom Naziregime, biete ich unserem Nachdenken einen Satz aus Apg 5,29 an: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.

Vor dem 8. Mai 1945 galt es in Deutschland 12 Jahre lang, einem Menschen mehr zu gehorchen als dem barmherzigen Gott. Viele Christen hatten dabei kein Problem, weil der Irrglaube weit verbreitet war, alle Obrigkeit sei von Gott eingesetzt (Röm 13,1-7), auch der umjubelte Führer. Ihm zu gehorchen hieß demnach Gott gehorchen. Nur wenige Christen bemerkten, dass sie keinem Menschen, auch nicht dem Führer, einen Treueeid schwören können. Mit dem Kriegsende war das noch keineswegs allen klar. Es war ein Prozess der Entnazifizierung nötig. Dieser Prozess wurde unter Adenauer teilweise rückgängig gemacht, als er den Naziintensivtäter Globke zu seiner rechten Hand machte und als erste Aufgabe ihn ein Amnestiegesetz verfassen ließ. So kamen viele alte Nazis wieder in Amt und Würden.

Am 2. Juni 1967 beim Mord an Benno Ohnesorg und erst recht nach dem Freispruch seines Mörders wurde  mir und vielen anderen klar, wie dringend es immer noch war, dem barmherzigen Gott mehr zu  gehorchen als den Machthabern, auch den demokratisch legitimierten. Trotz der Veränderungen, die der 1968er-Generation bei der weiteren Entnazifizierung gelangen, kam es zu den Morden der RAF wie der Neonazis und Deutschland trat gegen Verfassung und Völkerrecht in den Balkankrieg ein. Auch der schwarze Donnerstag und die Beobachtung unseres Parkgebets durch den Verfassungsschutz markieren einen Rückfall in die Diktatur. Deshalb halten wir auch in der Coronakrise das Parkgebet, nur eben in anderer Form.

Dies ist derzeit umso dringender, als die Ingenieure 22 dankenswerterweise die Einsichtnahme in die Brandschutzunterlagen für den Fildertunnel gerichtlich erzwingen konnten. Bei der Lektüre sind äußerst grobe Fehleinschätzungen entdeckt worden, die verheimlichen wollen, dass so gut wie niemand einen Tunnelbrand überleben wird. Um nur einige zu benennen: Es wurde der günstigste Fall eine Brandhalts angenommen. Ein echtes Brandschutzkonzept muss aber zwingend für den schlimmsten Fall vorsorgen. Es wurde mit völlig unrealistisch hohen Fluchtgeschwindigkeiten gerechnet. Es wurde mit keinem Wort erwähnt, dass der Rauch viel schneller sein wird als die Fahrgäste, die nahezu alle auf der Flucht ersticken werden. Der Tunnel wird zur Gaskammer, ein Bild wie in Grafeneck oder in den Konzentrationslagern.

Warum wird bei diesem Projekt der Tod von bis zu 1700 Menschen bewusst in Kauf genommen und das ganze noch durch falsche Gutachten verschleiert? Die Antwort hängt eng mit der Kostenlüge zusammen. Die Tunnel mussten mit Ausnahmegenehmigung eng dimensioniert werden und es musste auf einen Rettungsstollen mit Fluchttüren in geringen Abständen verzichtet werden, um geringe Kosten vorgaukeln zu können und die Unwirtschaftlichkeit des Projekts zu verdecken. Sonst hätte es nie begonnen werden dürfen. Das neoliberale Bodenspekulationsprojekt hätte von vorneherein seine mangelnde Rentabilität und verkehrliche Unsinnigkeit offenbart. Nun zeigt es sich auch noch, dass für die mammonsfixierten  Profiteure über Leichen gegangen wird. Die geltende Tunnelrichtlinie bestimmt aus nachvollziehbarem Grund ausdrücklich, dass die Einzelheiten des Rettungskonzepts vor Einleitung der Planfeststellung festgelegt sein müssen. Was jedem Laien unmittelbar einleuchtet, ist allerdings in unserem Land vor Gericht sehr schwer durchsetzbar. Ein neuer juristischer Versuch wird jetzt dennoch unternommen.

Dietrich Bonhoeffer hat im April 1933 das Bild geprägt, Christen müssten bei eklatantem Versagen der Regierung „dem Rad in die Speichen fallen“. Als er damit ernst machte und dem Widerstand beitrat, wurde er von der Fürbitteliste der bekennenden Kirche gestrichen. Zu sehr waren auch die bekennenden Christen dem falschen Menschengehorsam verhaftet. Dies darf sich nicht mehr wiederholen. Deshalb halten wir weiter das Parkgebet. Es gilt, dem barmherzigen Gott mehr zu gehorchen als Menschen, die um des Mammons willen über Leichen gehen. Der barmherzige Gott schenke uns Mut und Ausdauer, im gewaltfreien Widerstand nicht nach zu lassen. Amen.

Pressemitteilung zum S21-„Todes-Tunnel“

(hier als pdf-Datei)

 

 

 

 

Theolog*innen gegen Stuttgart 21 fordern:

S21-„Todes-Tunnel“ darf nicht in Betrieb gehen

Nachdem ein Experten-Team der „Ingenieure22“ eklatante Fehler und Vertuschungsversuche beim Brandschutzkonzept der Bahn aufgedeckt hat, kann am Fildertunnel unmöglich weitergebaut werden, als wäre nichts geschehen. Die ökumenische Initiative „Theolog*innen gegen Stuttgart 21“ zeigt sich nach Veröffentlichung entsprechender Details tief betroffen. Ihr Sprecher, Pfarrer i.R. Martin Poguntke: „Jedes einzelne Menschenleben ist von unendlichem Wert – jedes vermeidbare Todesopfer ist eines zu viel. Nachdem zurecht im Hinblick auf die Corona-Gefahr alles unternommen wird, um Menschenleben nicht zu gefährden, darf dies beim Bau eines Eisenbahn-Tunnels nicht anders sein.“

Die Bahn hatte sich über zwei Gerichtsinstanzen hinweg geweigert, Einblick in das Brandschutzkonzept zu gewähren. Jetzt wird deutlich, warum: Sie arbeitet mit falschen Annahmen und falschen Zahlen, um – irreführend – den Eindruck zu erwecken, bei einem Brand im Fildertunnel könnten die Fahrgäste eines ICE sich in Sicherheit bringen: doppelt so hohe Fluchtgeschwindigkeit, wie vom Regelwerk vorgesehen, ein Drittel zu wenig Fahrgäste an den Schleusen zum Rettungsstollen berücksichtigt, Fluchtleitern an jedem Ausgang angenommen, die in Wahrheit nur in jedem dritten Wagen zu finden sind, weiträumige ICE-Züge ohne Sitze, aus denen die Flüchtenden in 1,2 Sekunden pro Person über 90 cm tiefe Ausstiege entkommen – und kein Wort darüber, dass der giftige Rauch in dem (wegen einer Sondergenehmigung) besonders engen Tunnelquerschnitt schneller vorankommt als die Flüchtenden und sie mit tödlicher Gewissheit einholen wird.

Der Skandal ist aus Sicht der kritischen Theologen ein doppelter: Es ist nicht nur ethisch völlig inakzeptabel, Menschen sehenden Auges einer solchen Gefahr auszusetzen – es ist auch besonders verwerflich, dass die Bahn dies vertuschen wollte.

Die Arbeiten an dem Tunnel, aus dem im Brandfall kein einziger Fahrgast lebendig entkommen wird, müssen sofort eingestellt werden. Stattdessen müssen Wege geprüft werden, den im Rohbau fast fertiggestellten Tunnel auf andere Weise zu nutzen als für Bahnverkehr. Zudem muss ein Untersuchungsausschuss klären, wie es zu diesem geradezu kriminellen Brandschutzkonzept kommen konnte und wer Verantwortliche und Mitwisser waren.

Wir fordern OB Fritz Kuhn und MP Winfried Kretschmann als Vertreter der Projektpartner der Bahn auf, unverzüglich auf die Bahn einzuwirken, damit keine weiteren Arbeiten und Vergaben für diesen „Todestunnel“ (so in einer Pressemitteilung des „Aktionsbündnisses gegen S21“) vorgenommen werden.