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Parkgebet am 14.4.16 zu 1. Joh. 5,4b von Martin Poguntke

Ansprache als pdf-Datei

Liebe Parkgebetsgemeinde!

Es ist schon eine gewaltige Wucht, mit der die S21-Betreiber scheinbar unaufhaltsam ihren Weg vorangehen. Mit welcher Rücksichtslosigkeit sie zerstören! Mit welcher Leichtigkeit sie Lügen verbreiten und Gesetze bis zum Zerbrechen biegen zu ihrem Vorteil! Mit welcher Beharrlichkeit so viele Menschen, die es besser wissen könnten und vermutlich auch besser wissen – mit welcher Beharrlichkeit sie ihresgleichen unterstützen, decken, verteidigen!

Ich frage mich immer wieder: Warum tun die das? Warum machen sich Menschen so verbissen zu Werkzeugen der Zerstörung und des Betrugs?

Als Versuch einer Antwort darauf ist in mir in den letzten Jahren die Überzeugung gereift: Das ist eine Glaubensfrage. Diese Leute haben einen ganz anderen Glauben. Sie dienen – ohne sich dessen bewusst zu sein – einem ganz anderen Gott.

Ich will heute anhand eines Satzes – des Kernsatzes – aus dem Predigttext vom kommenden Sonntag der Frage nachgehen, was unseren Glauben ausmacht. Und im Umkehrschluss: was wohl den Glauben dieser S21-Verteidiger ausmacht.

Dieser Kernsatz des Predigttextes steht im 1. Johannesbrief, Kapitel 5, dort am Ende von Vers 4, und er lautet:

 „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.“

Bevor ich frage, was das für ein Glaube ist, von dem da so Großes gesagt wird, möchte ich ein wenig auffächern, was mit diesem Satz gesagt ist. – Wenn ich’s richtig sehe, dreierlei:

1. Unser Glaube ist der Sieg, der dazu führt, dass uns das Treiben der Welt nicht mehr gefangen hält.

Mit dem Treiben der Welt meine ich in erster Linie diesen kapitalistischen Zwang zum immer weiteren Wachstum, egal, wodurch, und koste es, was es wolle. Das ist ja der einzige Sinn von Stuttgart 21: dass Geld in die Wirtschaft gepumpt wird, damit auf Teufel komm raus die Wirtschaft wachsen kann. Ob das Projekt am Ende funktioniert, ist völlig egal – Hauptsache, die Wirtschaft wird angekurbelt. Und wenn man hinterher teure Korrekturen und Ergänzungen machen muss – umso besser: dann kann man noch mehr Geld in die Wirtschaft lenken.

Aber so widersinnig und absurd einem dieses Treiben erscheinen mag – es hat eine ungeheure Kraft: Wir können uns diesem System nicht wirklich entziehen. Unmerklich und ohne es verhindern zu können, werden wir alle zu Teilen dieses Systems. Wir tragen es mit durch unsern Konsum. Wir tragen es mit, weil wir durch unser ganzes Leben Teil dieses weltweit zerstörenden Ausbeutersystems sind.

Wir können uns dieser Welt nicht entziehen, aber: Weiterlesen

Ansprache beim Parkgebet am 15. Oktober 2015 von Pfarrer Martin Poguntke

Bitte hier klicken, um die Ansprache als pdf-Datei herunterzuladen:
Parkgebet, 151015, Heilung des Gelähmten

Liebe Parkgebetsgemeinde,

Eberhard Dietrich hatte letztes Mal zufällig über genau diesen Psalm 32 gesprochen, den wir vorhin gebetet haben – und er hat sehr Wichtiges dazu gesagt. Nämlich, dass in Stuttgart der Rechtsfrieden gestört ist, weil die Verantwortlichen für den 30.9. sich noch immer nicht zu ihrer Schuld bekannt haben. Unvergebene Sünden stehen noch im Raum.
Auch im Predigttext vom vergangenen Sonntag – in der Geschichte von der Heilung eines Gelähmten aus Markus 2, Vers 1 bis 12 – spielt diese Sündenvergebung eine Rolle. Ich will deshalb heute ein wenig mit Ihnen über diese Geschichte nachdenken.

Ich bin ja der Überzeugung, dass die biblischen Schriftsteller die Wundergeschichten vor allem deshalb weitererzählt haben, weil sie und ihre LeserInnen selber darin vorkommen.
Deshalb will ich mich heute Abend mit Ihnen, liebe Parkgebetler, auf die Suche machen: Wo kommen wir denn in der Geschichte vor? Ich erzähle sie kurz:
Jesus war wieder zurück nach Kapernaum gekommen. Nicht nur die Frommen strömten herbei, sondern auch all die Neugierigen, die einfach bloß sehen und hören wollten, was dieser Wanderprediger wohl sagen und tun würde.
Und ein paar Freunde eines gelähmten Mannes versuchten nicht nur, selbst zu Jesus vorzudringen, sondern für ihren gelähmten Freund vielleicht die Chance seines Lebens zu nutzen. Aber es gab kein Durchkommen, die vielen Leute verstopften die Eingänge und machten keinen Platz für sie.
Da nahmen sie die Matratze, auf der sie den Gelähmten hergetragen hatten, und stiegen den Leuten buchstäblich aufs Dach – das muss man manchmal tun, auch auf Bahnhofsdächern–, räumten oben ein paar Ziegel ab und seilten ihren auf Heilung Hoffenden direkt vor Jesu Füße ab.
Und Jesus macht nun etwas ganz Überraschendes: Er heilt den Gelähmten nicht, sondern er sagt zu ihm: Deine Sünden sind dir vergeben.
Jesus vergibt dem Gelähmten die Sünden, und eigentlich nur nebenbei – weil die Leute glauben, es sei schwieriger einen Gelähmten zu heilen als Sünden zu vergeben – nur so als Ergänzung sagt schließlich Jesus zu dem Mann in der Mitte: Nimm deine Matratze und geh heim. Und der geht tatsächlich heim – geheilt von seiner Lähmung.
Und die Leute scheinen nicht zu erkennen, was für eine tiefe Heilung hier geschehen ist. Sie nehmen nur die Sensation wahr: „Wow, so etwas haben wir ja noch nie gesehen!“

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, liebe Parkgebetsgemeinde. Aber ich fühle mich schon auch immer wieder wie gelähmt, dabei zum Zusehen verdammt, wie sie da unsere Stadt und einen der besten Bahnhöfe Deutschlands ruinieren. All mein Tun kommt mir dann vor wie das hilflose Fuchteln des Gelähmten, der dadurch doch nicht vom Fleck kommt.
Ohne die Hilfe der anderen geht gar nichts. Und das Schlimme: Sind nicht die anderen hier in Stuttgart alle gleich gelähmt wie ich? Sind nicht die einzigen Nicht-Gelähmten die Betreiber und Unterstützer von S21? Sie handeln doch Tag um Tag! Weiterlesen

Ansprache beim Parkgebet am 1.10.2015 zu Psalm 32,1-5 von Pfr. i. R. Eberhard Dietrich

V. 1 Wohl dem, dem die Übertretungen vergeben sind, dem die Sünde bedeckt ist.
V. 2 Wohl dem Menschen, dem der Herr die Schuld nicht zurechnet, in dessen Geist kein Betrug ist.
V. 3 Denn als ich es wollte verschweigen,
verschmachteten meine Gebeine durch mein tägliches Klagen.
V. 5 Darum bekannte ich dir meine Sünde
und meine Schuld verhehlte ich nicht. Ich sprach: Ich will dem Herrn meine Übertretungen bekennen.Da vergabst du mir die Schuld meiner Sünden.
Liebe Parkgemeinde

1.Der Psalm und seine Bedeutung
Wenn ich heute diesen ungewöhnlichen Bibeltext der Ansprache zugrunde lege, will ich ein paar einleitende und erklärende Worte voranschicken. Psalm 32 ist der zweite von sieben „Bußpsalmen“ der Kirche. Er ist in der Lutherbibel überschrieben:
„Vom Segen der Sündenvergebung“.
Der Anfangsvers nimmt uns gleich in diesen Gedanken hinein:
„Wohl dem, dem die Übertretungen vergeben sind, dem die Sünde bedeckt ist!
Wohl dem Menschen, dem der HERR die Schuld nicht zurechnet, in dessen Geist kein Betrug ist!“

Zuerst wollte der Beter seine Sünde verschweigen, doch er merkte, wie sich die Sünde wie ein Virus in seinem Körper auswirkte. Und er merkte die Hand Gottes, die schwer auf ihm lag. Wir würden heute sagen: Er hatte ein schlechtes Gewissen.
Das brachte ihn dazu Gott seine Sünde und
Schuld zu bekennen und er erfuhr Vergebung und Befreiung und ein erleichtertes Gewissen. Auf diese Weise ist dieses ganz intime Bekenntnisse der Schuld vor Gott zugleich auch Modell und Vorbild für andere, mit ihrer eigenen Schuld umzugehen.

2.Die öffentliche Dimension ihrer Taten: Störung des Rechtsfriedens. Wer zu den Tätern gehört
Wir müssen uns keine Gedanken darüber machen, wie die Täter vom 30. 9. mit ihrer Schuld vor Gott umgehen oder umgegangen sind. Das würde bedeuten, ihre Schuld einfach auf ihr Privatleben zu beschränken, und damit wäre ihr Tun für die Öffentlichkeit irrelevant.
Das Verhalten der Täter, ihr Tun und Agieren hat den Rechtsfrieden in unserer Bürger und Zivilgesellschaft empfindlich verletzt. Darüber wollen und müssen wir sprechen. An diese persönliche Schuld der Täter wollen wir erinnern.
Täter, um das noch einmal zu wiederholen, das sind für mich die Polizisten auf allen Stufen der Hierarchie, aber auch die Akteure im Hintergrund in der Politik, nicht nur damals vor fünf Jahren, sondern in gleicher Weise bis heute. Keiner der Verantwortlichen hat bis heute ein solches Schuldeingeständnis gemacht.

Was am 30. September 2010 passierte, war kein Tsunami, der über den Schlossgarten hereinbrach. Hier waren Menschen beteiligt. Alles war von langer Hand vorbereitet und geplant. Dabei wurde billigend in Kauf genommen, dass Menschen verletzt wurden, ja vielleicht nicht nur billigend in Kauf genommen, sondern mit Absicht. Denn warum hat man die Sanitäter nicht in den Schlossgarten gelassen?

Jeder einzelne von den Tätern hätte anders gekonnt.
Der Polizeipräsident hätte den Einsatz abbrechen können.
Die Täter in den Reihen der Polizisten hätten nur ihre Vorschriften beachten müssen.
Die Politiker und Justiz hatten fünf Jahre Zeit, ihre Pflicht zu tun und das Strafrecht anzuwenden.
Aber sie haben es nicht getan. Das ist ihre Schuld.
Was wir fordern und erwarten ist nicht eine oberflächliche Entschuldigung, wie wir es uns im Alltag angewöhnt haben mit den Worten: „Ach Entschuldigung“, eine Floskel, die wir letztlich gar nicht ernst meinen. Oder wie viele sagen: „Schwamm drüber“, so als wenn man früher auf einer Schiefertafel einfach einen Fehler wegwischte.
Wir fordern von den Tätern und Verantwortlichen das Eingeständnis ihrer individuellen Schuld, die Reue und die Bitte um Vergebung bei den Opfern. Erst dann ist Vergebung möglich. Und wir werden nicht müde werden, daran zu erinnern, bis der Rechtsfrieden wieder hergestellt ist.
Es ist unsere Aufgabe, die Gewissen zu schärfen, nicht sie einzulullen. Es ist unsere Aufgabe beharrlich das Unrecht zu benennen
und Vergebung zu verweigern.

3. Warum wir nicht vergessen dürfen
Warum aber soll man Schuld nach so langer Zeit thematisieren und daran erinnern?
Müssen wir uns als Christen nicht für Versöhnung und Vergebung stark machen? Als Christen müssen wir auch mal einen Schlussstrich unter Vergangenes ziehen. In der Tat, das müssen wir. Aber wie wir im Psalm gelernt haben, steht vor der Vergebung und Versöhnung und dem guten Gewissen das Eingeständnis der Schuld. Auch von der Psychologie her wissen wir, dass man Schuld nicht einfach unter den Teppich des Verdrängens und Vergessens kehren darf.

Und ich erinnere an eine kleine Szene aus dem Leidensgeschichte Jesu. Als während des Verhörs vor dem Hohenpriester einer der Soldaten ihn grundlos ins Gesicht schlägt, stellt er ihn zur Rede. „Habe ich übel geredet, so beweise, dass es böse ist; habe ich recht geredet, was schlägst du mich? (Joh. 18,23)
Das heißt für mich: Wir dürfen das Unrecht beim Namen nennen und den Täter an seine böse Tat erinnern.

Wenn wir uns gegen das Vergessen aussprechen, dann aus zwei Gründen:
Der Rechtsfrieden muss wieder hergestellt werden. Ein gedeihliches Zusammenleben in unserer Stadt, in unserer Bürger- und Zivilgesellschaft kann es nicht geben, solange offensichtliches Unrecht ungesühnt bleibt, solange Täter nicht zur Rechenschaft gezogen werden.
Wenn wir das Unrecht einfach vergessen, dann rechtfertigen wir die Täter und geben ihnen im Nachhinein Recht und ein gutes Gewissen.

Nicht nur als Christen wissen wir um die unheilvolle Macht des Bösen. Und dieses Böse, diese Schuld muss vergeben werden, erst dann ist ein Neuanfang möglich. Um zu vergeben, muss der Täter seine Schuld einsehen, anerkennen und um Vergebung bitten
und sofern es möglich ist, wieder gut machen und sühnen. Erst dann ist Vergebung keine billige wohlfeile Gnade, so nach dem Motto eines Spötters über den christlichen Glauben der sagte: Der Beruf des lieben Gottes ist es eben zu vergeben. Und er wollte damit wohl sagen: Jetzt können wir Menschen eben tun und lassen, was wir wollen, es hat keine Konsequenzen weder bei Menschen noch bei Gott.

Wir stemmen uns zweitens gegen das Vergessen um der Opfer willen. Das sind wir auch den Opfern gegenüber schuldig. Viele von uns wurden verletzt an Leib und Seele. Wenn wir das Böse einfach vergessen, machen wir sie erneut zu Opfern. Dann nehmen wir ihre Verletzungen nicht ernst und erwarten von ihnen, wenn auch unausgesprochen, das alles einfach wegzustecken.
Wir wollen uns nicht scheuen, das als Unrecht, als Böses zu benennen, auch wenn es vielleicht ein weltlicher Richter anders sieht oder entschuldigt.
Das Tun der Täter ist nicht einfach blindes Geschick oder Schicksal, sondern persönliche Schuld. Sie hätten auch anders gekonnt, wenn sie gewollt hätten. Gestörter Rechtsfrieden ist gestörte Gemeinschaft und die kann nur durch die Gemeinschaft wieder geheilt werden. Nur so ist ein Neuanfang möglich.
4.Gegen alle Selbsttäuschung
Und damit kommen wir zu einem letzten Gedanken unseres Psalmes. „Wohl dem Menschen, in dessen Geist kein Betrug ist.
Wir erleben es gerade im Hinblick auf den Schwarzen Donnerstag, wie gewissenlos Menschen im Umgang mit ihren Mitmenschen sein können. Warum können sie so handeln? Der Psalm spricht von Betrug, Täuschung, wir könnten auch sagen: Ausreden, Rationalisierungen..

Kaschieren von Gewalt. Auskosten von Macht. Ich erinnere an die kleine Szene aus dem Markusevangelium, wo Jesus vor denen warnt, die bei den Menschen als die Herrscher gelten und die ihre Völker nieder halten und ihnen Gewalt antun. (Mk 10,42)

Der Polizeipräsident hat z.B. ein halbes Jahr später in der Hospitalkirche eine Plattform bekommen, sich zu rechtfertigen und er stellte sein Tun unter das Motto: „Wieviel Sicherheit braucht unser Zusammenleben?“
Perverser geht es wohl nicht mehr. Als wenn die Sicherheit für die Stadt von einer friedlichen Schülerdemo gefährdet worden wäre.

Vielleicht werden Menschen erst zu solchen Taten fähig, weil sie sich etwas vormachen, sich selbst betrügen, weil sie Gottes Gebote missachten, ihren Gehorsam gegen Befehle als höchsten Wert ihres Lebens sehen, ihre Karriere nicht gefährden wollen oder einfach feige sind.
Über die Motive der Täter kann man trefflich spekulieren.
Wir aber messen sie an ihren Taten.
Wir wollen nicht mehr aber auch nicht weniger als dass das Unrecht erkannt und gesühnt wird. „Wohl dem Menschen, in dessen Geist kein Betrug ist.“