Monatsarchiv: März 2011

Gibt es theologische Argumente für Stuttgart 21 ?

Befürworter von Stuttgart 21 verweisen darauf, dass nach der Wahl vom 27. März immer noch eine Zweidrittelmehrheit pro S 21 aus CDU, SPD und FDP im Landtag sitzt. Die meisten dieser Abgeordneten und ihre Wähler verstehen sich wohl als Christen. Wie kommen sie als Christen dazu?

Gelegentlich wurde schon gefragt, weshalb in der „Gemeinsamen Erklärung“ eingeräumt werde, „dass es auch Argumente pro S21 gibt“ und „sich auch Christen pro S21 aussprechen können“. Noch spannender erscheint mir die Frage, wie Christen für S 21 theologisch argumentieren, denn dann wäre eine theologische Auseinandersetzung mit ihnen möglich.

Der Evangelische Oberkirchenrat in Stuttgart macht das Schweigen zu S 21 zum christlichen Programm und folgt damit offenbar dem in lutherischen Kirchen seit Jahrhunderten gültigen Grundsatz aus Römer 13: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit.“  Sich zu S 21 zu äußern, brächte die Gefahr mit sich, der Obrigkeit widersprechen zu müssen, was zugleich Aufruhr gegen Gott wäre, der alle Obrigkeit einsetzt. Mit dieser Theologie könnten Christen sogar für die Meinung, am 30.9.2010 sei eine strafrechtlich relevante Sitzblockade von der Polizei rechtmäßig aufgelöst worden, biblisch argumentieren. Denn in dieser theologischen Sichtweise ist die Staatsmacht „Gottes Dienerin, eine Rächerin zur Strafe über den, der Böses tut.“ (Röm 13,5)

Dass diese theologische Argumentation heute nur noch selten vorgetragen wird, hat zunächst historische Gründe. Diese Theologie hat im 3. Reich dazu geführt, dass nicht nur die „Deutschen Christen“, sondern auch die „Bekennende Kirche“ in Hitler den von Gott gesandten Führer gesehen und deshalb seinen vaterländischen Krieg mitgemacht haben. Diese fatale Konsequenz aus Römer 13 ist bis heute kirchlich nicht wirklich aufgearbeitet. Die „Bekennende Kirche“ hat im „Stuttgarter Schuldbekenntnis“ vom Oktober 1945 nur die Schuld des Volkes, nicht aber die Schuld der Kirchenleitung und der herrschenden Theologie bekannt. Unbekannte Schuld wirkt erfahrungsgemäß weiter. So hat der Württembergische Landesbischof von Keler z. B. 1983 noch den Atomkrieg vor der Landessynode befürwortet, obwohl er eingestehen musste, dass dabei die Freiheit zerstört wird, die verteidigt werden sollte. Er hat dabei nicht mehr offen mit Römer 13 argumentiert, war aber dieser Theologie entsprechend regierungstreu.

Der zweite Grund, warum mit Römer 13 kaum noch offen argumentiert wird, liegt darin, dass die Schwarzweißmalerei, hier gute Obrigkeit, da böses Volk, das mit dem Schwert in Schach zu halten ist, im Widerspruch steht zu dem, was Jesus seinen Jüngern sagt: „Ihr wisset, dass die weltlichen Fürsten ihre Völker niederhalten, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt. Aber so soll es nicht sein unter euch; sondern wer groß sein will unter euch, der sei euer Diener; und wer unter euch der Erste sein will, der sei aller Knecht“ (Mk 10, 42-43). Jesus fordert also von uns Christen, dass wir der Gewaltkultur der Herrschenden eine Kultur des Dienens entgegensetzen. Anders als in Römer 13 sieht Jesus, dass auch Regierende Menschen sind, die Fehler machen können.

Dass Stefan Mappus für seinen gutsherrnartigen Regierungsstil nach Römer 13 nur so geringfügig abgestraft worden ist und immer noch 39 Prozent der Wähler ihn weiter haben wollen, lässt darauf schließen, dass die Theologie von Römer 13 in den Herzen vieler Christen in Baden-Württemberg immer noch lebendig ist. Einiges spricht dafür, dass der württembergische Pietismus, der im 18. Jahrhundert noch eine bürgerliche Befreiungsbewegung war, im 19. Jahrhundert von lutherischer Theologie derart dominiert wurde, dass er der Entwicklung zum  „autoritären Charakter“ mit seinem Untertanengeist Vorschub leistete, den die analytische Sozialpsychologie ab 1930 näher beschrieb. Die Proteste gerade auch von Christen gegen das Projekt Stuttgart 21  und seine gutsherrnartige Durchsetzung sind ein Zeichen der Hoffnung, dass württembergische Christen wieder zurückfinden zu der Protestkultur der bürgerlichen Befreiungsbewegung, die der württembergische Pietismus ursprünglich war.

Nachdem das Problem der Atomkraft auf tragische Weise neue Aufmerksamkeit erfährt und die Kanzlerin auch die Kirchen an einer Atomkraftethikkommission beteiligen will, können wir nur inständig hoffen, dass die dorthin berufenen kirchlichen Verantwortungsträger nicht wieder wie bei Stuttgart 21 regierungsergeben den Kopf in den Sand stecken und sagen, sie könnten in der Bibel keine Weisung finden für Abschaltung oder Laufzeitverlängerung.

Friedrich Gehring, Pfarrer i. R.

Das „hohe C“ der CDU – Anspruch und Wirklichkeit

Der CDU geht es wie jeder anderen Partei und im Übrigen auch den Kirchen: zwischen den selbst gesetzten Ansprüchen, Vorsätzen und Zielsetzungen und der realen Politik herrscht eine mehr oder minder große Kluft. Wenn ich mir nun das Grundsatzprogramm der CDU, beschlossen beim 21. Parteitag vom 3./4. 12. 2007, anschaue und dann einen aktuellen politischen Faktencheck durchführe, ergibt sich eine interessante Beobachtung. Viele Aussagen des Grundsatzprogramms kann ich voll unterstützen, denn da wird sehr viel Richtiges und Wertvolles über die speziellen Herausforderungen der Zeit, über Familie und Gesellschaft, über Schöpfung und Umwelt, Menschenwürde, Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit, soziale Marktwirtschaft, Bildung und Kultur gesagt, und viele dieser Aussagen beinhalten auch eine erkennbare Affinität zu Grundüberzeugungen des biblisch – christlichen Glaubens. Schaue ich mir nun aber die konkreten politischen Entscheidungen an, für die die CDU im Bereich der Bildungspolitik, Energiepolitik, Militärpolitik, Sozialpolitik, Wirtschaftspolitik, Entwicklungspolitik und auch bei „Stuttgart 21“ konkret steht, muss ich leider feststellen, dass es zwischen deren Positionen und Entscheidungen in den konkreten Sachfragen und den meinigen so gut wie keine Übereinstimmung gibt.
Die hehren Aussagen des Parteiprogramms spielen im politischen Alltagsgeschäft offensichtlich keinerlei entscheidende Rolle, dafür aber umso mehr die ökonomischen Interessen der „Starken“, die bedient werden.

Dies sei an zwei konkreten Beispielen belegt.
Da liest man im Grundsatzprogramm, die CDU wolle ihren „Nachkommen eine Welt bewahren und hinterlassen, die auch morgen noch lebenswert ist“, denn „die nachfolgenden Generationen haben ein Recht auf wirtschaftliche Entwicklung, sozialen Wohlstand und eine intakte Umwelt“. Zugleich steht diese Partei seit nunmehr 50 Jahren ungebrochen für Atompolitik und damit nolens volens auch für die Herstellung von Massenvernichtungswaffen, deren Zerstörungsqualität alles übersteigt, was ein normaler Mensch sich vorstellen kann. Und auch die zivile Nutzung der Atomtechnik bedroht die Schöpfung wie keine andere Technik, zumal es bis zum heutigen Tag für den hochradioaktiven Atommüll kein sicheres Endlager gibt und wohl auch nie geben wird. Deshalb lässt man über Jahre den Müll im Atlantik verklappen, wo er als Zeitbombe vor sich hinmodert, oder lagert ihn z.B. in das angeblich 1000 Jahre sichere Endlager Asse in Niedersachsen ein, wo er nun – wie schnell die Zeit doch vergeht! – für über 3 Milliarden Euro auf Kosten der Steuerzahler wieder herausgeholt werden muss, nachdem nun endlich offiziell festgestellt wurde, was man im Grunde schon von an Anfang wusste, dass der Salzstock als Endlager nicht geeignet, weil nicht trocken, ist. Gutachter prognostizieren heute für den Berg, in dem 127 080 teils offene oder gebrochene Atommüllfässer, unter anderem 28,6 Kilogramm Plutonium (Halbwertzeit etwa 24000 Jahre) lagern, eine Standfestigkeit bis 2020. Seit 1988 flossen und fließen immer noch täglich 12 000 Liter Salzlauge aus dem Deckgebirge zu. Dieses Deckgebirge hat Kontakt zum Grundwasser, es gehört also zu der dem Menschen zugänglichen Biosphäre. Und schon in den 90 – er Jahren wurde in der besagten Lauge radioaktives Caesium 137 nachgewiesen, was aber vor der Öffentlichkeit zunächst verheimlicht und schließlich in seiner Gefährlichkeit heruntergespielt wurde. Damit „liegt heute die, vorsichtig formuliert, problematischste Atomanlage Deutschlands, wenn nicht gar Europas: das Atommülllager im ehemaligen Salzbergwerk Asse.“ (Quelle: Meinrad Heck, Asse im Ärmel, Wie die Öffentlichkeit von Politik und Atomlobby im Skandal um das niedersächsische Salzbergwerk planmäßig in die Irre geführt wurde, in: J.O. Freudenreich, die Taschenspieler, S. 123 ff).
Auch die andere Technik des 20. Jhdts., deren nachhaltige Gefährlichkeit ein ähnlich bedrohliches Vermächtnis für zukünftige Generationen darstellt wie die Atomtechnik, nämlich die Gentechnik, wird von der CDU offensiv vorangetrieben. Über 70 Prozent der deutschen Bevölkerung lehnt nachweislich die Gentechnik in Lebensmitteln ab. Schon dies müsste ein Grund sein, als „Volkspartei der Mitte“, die sich „an alle Menschen und alle Schichten und Gruppen in unserem Landet wendet“, hier ein restriktive Politik zu verfolgen. Das Gegenteil ist der Fall. Die CDU Niedersachsen unter dem damaligen Ministerpräsidenten Wulff etwa erklärte die Gentechnik für ethisch vertretbar, ökonomisch und ökologisch geboten. 2009 forderte der heutige Bundespräsident Wulff gegen das Ansinnen der Verbraucherministerin Ilse Aigner, die Aussaat von genmanipuliertem Mais zu verbieten, von der Bundesregierung ein klares Bekenntnis zum Einsatz der Gentechnik in Deutschland. Die Gentechnologie sei eine Zukunftstechnologie, die ihren Platz in Deutschland haben müsse.
Dazu kommt, dass die Vorbehalte der Bevölkerung gegen Gentechnik in Lebensmitteln durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts untermauert werden, das 2010 feststellte: „Mit der Möglichkeit, gezielt Veränderungen des Erbgutes vorzunehmen, greift die Gentechnik in die elementaren Strukturen des Lebens ein. Die Folgen solcher Eingriffe lassen sich, wenn überhaupt, nur schwer wieder rückgängig machen.(…) Angesichts eines noch nicht endgültig geklärten Erkenntnisstandes der Wissenschaft bei der Beurteilung der langfristigen Folgen eines Einsatzes der Gentechnik trifft den Gesetzgeber eine besondere Sorgfaltspflicht“. Der Gesetzgeber hat „in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen“. (http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg10-108)

Fazit: Eine Partei, die eine konkrete Politik betreibt, die gegen die eigenen ideellen Grundsätze verstößt und dazu noch vielfach den Willen der Bevölkerungsmehrheit missachtet (u.a. auch beim Projekt Stuttgart 21), ist schlicht unglaubwürdig und hat es verdient, wenn ihr das Vertrauen entzogen wird.

Wolfgang Schiegg, Pfarrer

Dürfen Christen CDU wählen?

Ja, Christen dürfen wählen, was sie wollen, denn sie sind freie Menschen und „niemandes Knecht“ (Luther). Aber welche Partei sie auch wählen, sie fragen natürlich, ob die Politik dieser Partei den Grundsätzen ihres Glaubens nahe kommt.

Eine „christliche“ Partei gibt es nicht. Alle demokratischen Parteien hierzulande haben Elemente christlicher Ethik in ihrer Politik, und in allen demokratischen Parteien hierzulande gibt es Christen (vermutlich sogar den jeweils gleichen Prozentsatz). Wenn sich allerdings eine Partei selbst „christlich“ nennt, dann sehen wir als Christen natürlich besonders genau hin.

Hier ist nicht Raum für eine vollständige Analyse der Politik der CDU, auch nicht für die Berücksichtigung verschiedener Strömungen. Ich beschränke mich auf die fünf augenfälligsten Punkte, an denen die vorherrschende Politik dieser Partei für Christen nicht akzeptabel ist. Dabei hoffe ich, dass ich eine Diskussion anstoße, die über die hier nur thesenhaft mögliche Darstellung hinaus führt.

  1. Die CDU vertritt die Ideologie des unbegrenzten Wachstums.
    Das ist für Christen Götzenglaube. Christen wissen um die Begrenztheit der Schöpfung. Sie fordern deshalb eine Politik, die nicht die begrenzten Ressourcen so weit als möglich ausbeutet, sondern eine Politik, die diese Ressourcen so weit als möglich schont.
    Dazu ist eine Begrenzung des Wachstums erforderlich. Und dazu ist eine hoch entwickelte Technologie erforderlich, die nicht im Dienst der Profitmaximierung steht, sondern im Dienst des Menschen und einer bestmöglichen Pflege der Schöpfung.
  2. Die CDU vertritt die Ideologie des freien Marktes, der angeblich die Interessen in der Welt gerecht ausgleicht.
    Auch das ist Götzenglaube. Christen wissen, dass der freie Markt zum Sieg der Stärkeren über die Schwächeren führt. Sie glauben, dass wir Menschen (als „Stellvertreter Gottes“) in die Welt eingreifen sollen, um sie vor dem freien Spiel der Kräfte zu bewahren und Gottes Willen in sie hinein zu tragen. Deshalb fordern sie eine Politik, die nicht möglichst wenig eingreift ins Wirtschaftsgeschehen, sondern das Wirtschaftsgeschehen als den Ort versteht, in dem die entscheidenden Weichen für Wohl und Wehe der ganzen Welt gestellt werden – oder eben nicht.
  3. Die CDU hat kein Bewusstsein von der zerstörerischen Macht des Geldes.
    Auch vor dem Mammon müssen Christen warnen. Christen wissen, wie zerstörerisch Reichtum auf den Menschen wirkt (indem er Maßstäbe und Wichtigkeiten verzerrt und Leben zerstört), und fordern deshalb, dass Reichtum begrenzt und konsequent in den Dienst der Schwachen gestellt wird.
  4. Die CDU ist geprägt von einer bis zur Ununterscheidbarkeit reichenden personellen Verquickung mit den Starken der Wirtschaft (was sie als ihre „Wirtschaftskompetenz“ ausgibt).
    Das macht Christen skeptisch. Christen sind parteiisch für die Schwachen und nehmen deshalb die Starken in die gesellschaftliche Pflicht. Dieser Aufgabe kann eine Partei nicht nachkommen, die in wesentlichen Teilen selbst zu den Starken gehört.
  5. Die CDU hat ein gestörtes Verhältnis zu den Bürgern; sie will ihre Politik nicht wirklich vom Willen der Wähler kontrollieren lassen.
    Demokratie ist für Christen ein Projekt zur Kontrolle menschlicher Macht. Christen wissen um die Fehlbarkeit aller Menschen und fordern deshalb, dass auch politische Entscheidungen laufend von den Betroffenen überprüft werden können müssen – und gegebenenfalls korrigierbar sein müssen. Die CDU will solche Kontrolle begrenzen, weil sie befürchtet, dass Demokratie Investoren abschrecken könnte.

Es wird deutlich: Die CDU ist eine Partei, die Christen nach gründlichem Nachdenken über ihre eigenen Grundlagen aus grundsätzlichen Erwägungen nicht wählen können – nicht nur, weil sie Hauptbetreiberin des Projekts Stuttgart 21 ist.

Etliches hiervon ist auch anderen Parteien vorzuwerfen – aber die nennen sich wenigstens nicht „christlich“.

Martin Poguntke, 13.03.2011

Befreiungstheologisches Netzwerk – Geschwister im Geiste

Seit kurzem findet sich auf der Seite www.befreiungstheologischesnetzwerk.de auch ein Link auf unsere Seite. Der Kontakt zu den BefreiungstheologInnen war entstanden, weil wir sie gewissermaßen als Geschwister im Geiste erkannt haben: In der Zeitschrift „publik forum“ hatten sie kürzlich ihren Widerstand gegen das geplante Atomendlager Gorleben mit dem Widerstand des Propheten Amos gegen die Ungerechtigkeit seiner Zeit parallelisiert.

Wir freuen uns darüber, denn wir fühlen uns mit Menschen verbunden, die gesellschaftliche Konflikte – und allgemein ihre Wirklichkeit – theologisch reflektieren und so die Kraft des Glaubens, Salz zu sein, erhalten helfen. Gerne weisen wir deshalb auch die LeserInnen unserer Seite auf die vielfältige Arbeit dieses Netzwerks hin, das bislang in 11 Städten Untergruppen gebildet hat.