Monatsarchiv: Juli 2015

Ansprache beim Parkgebet am 16.7.2015 zu Lk 12,16-21 von Friedrich Gehring

Und er sagte ihnen ein Gleichnis und sprach: Es war ein reicher Mensch, des Feld hatte wohl getragen. Und der dachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich habe nicht, wo ich meine Früchte hin sammle. Und er sprach: Das will ich tun: Ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen und will darin sammeln all mein Korn und meine Güter und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen Vorrat auf viele Jahre; habe nun Ruhe, iss und trink und habe guten Mut! Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und was du gesammelt hast, wem wird es zufallen? So geht es dem, der für sich Schätze sammelt und ist nicht reich vor Gott.

Diese Warnung Jesu aus dem Lukasevangelium spielt auf die Klugheit an, die das Sprichwort formuliert: „Das letzte Hemd hat keine Taschen“. Wir können von unserem Besitz nichts mitnehmen über unseren Tod hinaus. Die Losung des diesjährigen Kirchentags „auf dass wir klug werden“ meint ursprünglich dasselbe, sie wurde aber aus dem Zusammenhang des 90. Psalms gerissen wo es heißt: „Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“. Wenn wir unsere Vergänglichkeit bedenken, bekommen wir ein anderes Verhältnis zum materiellen Besitz, das gierige Raffen verliert seinen Sinn. Das wäre die zentrale Botschaft des Kirchentags geworden, wenn man den Zusammenhang des Psalms berücksichtigt hätte. Die Hauptaufgabe des Christentreffens hier in Stuttgart wäre dann die Auseinandersetzung mit dem herrschenden Neoliberalismus geworden.

Dann wäre nicht nur zur Sprache gekommen, dass unser Tod die Gier zur Narretei macht, es wären noch andere Aspekte des närrsichen Raffens in den Blick gekommen. Der neoliberale Mainstream in unserem Land verkündet ja immer wieder voll Stolz und Selbstgefälligkeit, dass wir Exportweltmeister sind, weil wir die Löhne und Lohnnebenkosten niedrig halten und deshalb konkurrenzfähig sind. In großer Überheblichkeit empfiehlt die neoliberale politische Kaste in unserem Land allen möglichen anderen, uns diese Politik nachzumachen. Alle Welt soll an diesem deutschen Lohndumpingunwesen genesen. Speziell den Griechen wurde diese Politik 5 Jahre lang aufgezwängt, obwohl sie stetig in den Abgrund führte. Diese Politik denkt so kurz, so borniert, dass sie nicht merkt, was eine Steigerung der Konkurrenzfähigkeit in Griechenland für Deutschland bedeutet. Wenn die Löhne im griechischen Tourismussektor sinken, steigt dort die Zahl der Gäste aufkosten auch der deutschen Tourismusbranche. Das wird vernachlässigt, weil Deutschland seinen Wohlstand vorrangig aus Industrieproduktion erwirtschaftet. Aber auch die Exportüberschüsse dieser Branche haben eine Haken: Wenn mehr exportiert als importiert wird wie bei uns, müssen sich die Länder verschulden, in die wir exportieren. Das mag eine Weile gutgehen, aber am Ende kommt die Zahlungsunfähigkeit der Importländer, und die Gelder, die wir ihnen geliehen haben, damit sie bei uns kaufen, sind verloren. Unser toller Exportüberschuss macht das eingenommene Geld wieder kaputt.

Ihr Narren, sagt Gott den neoliberalen Wirtschaftsweisen, die den Exportüberschuss preisen. Ihr hättet darauf achten müssen, dass ihr die Importländer auch was verdienen lasst, damit der Handel tatsächlich funktioniert. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, das ist die Weisheit des barmherzigen Gottes gegenüber dem dummen Raffen des Götzen Mammon. Das gilt auch für die Binnenwirtschaft. Wer verkaufen will, der muss die Arbeitnehmer so am Gewinn beteiligen, dass sie die Produkte kaufen können. Lohndrückerei führt den Binnenmarkt in die Rezession.

Wir sind hier im Schlosspark zusammen, um ein besonders dummes Projekt der Gier zu brandmarken. Die gierigen Investoren, die innerstädtisches Bauland für ihre Profite brauchen, haben sich zunächst in die Tasche gelogen, der Tiefbahnhof könne mit dem Geld aus dem Verkauf des Bahngeländes bezahlt werden. Aber auch was wir uns in die Tasche lügen, hat eben kurze Beine. Als die Bahn die Lüge erkannte, hat sie das Projekt S 21 aufgegeben, ließ sich aber durch die Zuzahlungen von Stadt und Land bestechen, doch weiterzumachen. Zu dumm: Jetzt kommt die Zahlung der Stadt vor das Bundesverwaltungsgericht. Bahnchef Grube gab zu, er würde das Projekt mit dem Wissen von 2013 nicht mehr beginnen. Zu dumm: Jetzt wird mehr und mehr nachweisbar, dass die Kanzlerin im März 2013 das unrentable Projekt durchgedrückt hat. Sie schwärmt für die sparsame „Schwäbische Hausfrau“. Zu dumm: Sie ist das Gegenteil davon. Sie hat Stuttgart 21 zur Zukunft Deutschlands erklärt. Zu dumm, Stuttgart 21 wird zum Fiasko, schlimmer als die Elbphilharmonie und der Berliner Flughafen zusammen.
Ihr Narren, sagt der barmherzige Gott, ihr wollt Schätze sammeln und vergesst den wahren Reichtum, der vor dem barmherzigen Gott gilt. Wahrer Reichtum entsteht, wenn das Wohl für alle geschaffen wird. Da muss gefragt werden, was für alle gut ist, welcher Bahnhof der Allgemeinheit dient bei einem positiven Kosten-Nutzen-Faktor. Da kommt es darauf an, dass von den Unternehmensgewinnen im Land alle einen gerechten Lohn empfangen, nicht nur eine kleine Gruppe von Reichen. Und da muss darauf geachtet werden, dass nicht nur einzelne Nationen wirtschaftlich blühen, sondern dass auch in der Völkerwelt gerecht geteilt wird. Das ist Reichtum vor dem barmherzigen Gott. Das bringt wahren Frieden.
Lasst uns deshalb unbeirrt auf den barmherzigen Gott schauen, damit wir wahrhaft klug werden.
Amen.

Rede beim Parkgebet am 18.6.15 von Heinz Wienand

Impulstext
Farin Urlaub, Deine Schuld

(Text und Musik auch im Kirchentags-Liederbuch Nr. 107)

Hast du dich heute schon geärgert, war es heute wieder schlimm?
Hast du dich wieder gefragt, warum kein Mensch was unternimmt?
Du musst nicht akzeptieren, was dir überhaupt nicht passt,
wenn du deinen Kopf nicht nur zum Tragen einer Mütze hast.

Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist.
Es wäre nur deine Schuld, wenn sie so bleibt.

Glaub keinem, der dir sagt, dass du nichts verändern kannst.
Die, die das behaupten, haben nur vor Veränderung Angst.
Es sind dieselben, die erklären, es sei gut so, wie es ist.
Und wenn du etwas ändern willst, dann bist du automatisch Terrorist.

Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist.
Es wäre nur deine Schuld, wenn sie so bleibt.
Weil jeder, der die Welt nicht ändern will, ihr Todesurteil unterschreibt.

Lass uns diskutieren, denn in unserm schönen Land
sind zumindest theoretisch alle furchtbar tolerant.
Worte wollen nichts bewegen, Worte tun niemandem weh.
Darum lasst uns drüber reden, Diskussionen sind okay.
Nein, geh mal wieder auf die Straße, geh mal wieder demonstriern,
denn wer nicht mehr versucht zu kämpfen, kann nur verliern.
Die dich verarschen, die hast du selbst gewählt,
darum lass sie deine Stimme hörn, denn jede Stimme zählt.

Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist.
Es wäre nur deine Schuld, wenn sie so bleibt.

Liebe Parkgemeinde!

„Das Gewurschtel am Bahnhof finde ich gar nicht so schlimm“, meinte ein Kirchentagsbesucher, als ich ihm vor einer Schule den Flyer „kann denn Bahnhof Sünde sein …“ entgegenstreckte. Er kam hörbar nicht aus dem Ländle. Vermutlich hatte er auf dem Weg vom Durchgang zur Bahn-hofshalle seinen Kopf durch eines der Fenster gestreckt und in eine der Baugruben geschaut. Den Flyer lehnte er dankend ab.

Der 35. Deutsche Evangelische Kirchentag ist Geschichte. Das Programm wies – sage und schreibe – über 2.000 Veranstaltungen auf! 95.000 Dauergäste nahmen teil. Landesbischof July und der Präsident des Kirchentags, Professor Barner, lobten die Vielfalt der Themen und die Lockerheit der Teilnehmenden. OB Fritz Kuhn lobte den Kirchentag über den grünen Klee und bezeichnete ihn als ein „Geschenk für Stuttgart“.

Im Programm des Kirchentags spielte Stuttgart 21 so gut wie keine Rolle. Obwohl das Präsidium im Jahr 2011 Stuttgart als Ort des 35. Kirchentags auserkor mit der Begründung, die baden-württembergische Landeshauptstadt habe im Streit um das Projekt Stuttgart 21 neue Formen offener und öffentlicher Debatte erlebt. Nachhaltiger Protest und zivilgesellschaftliches Engagement hätten eine Diskussion über die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an Entscheidungen in der Demokratie ausgelöst. In diesem Kontext habe der Kirchentag die Einladung nach Stuttgart besonders gern angenommen. So die offizielle Verlautbarung.

Dennoch war das Thema Stuttgart 21 präsent. Weiterlesen