Monatsarchiv: Januar 2020

Ansprache beim Parkgebet am 23.1.2020 zu Lk 19,26 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Jedem, der hat, wird gegeben werden; dem aber, der nicht hat, wird auch das genommen werden, was er hat.

Dieser Satz ist uns von Jesus überliefert im Gleichnis von den anvertrauten Pfunden: Ein reicher Mann gibt seinen Knechten Geld, damit sie in seiner Abwesenheit dieses Geld für ihn vermehren. Die viel anvertraut bekommen, machen einen guten Job, der am wenigsten bekommen hat, lässt das Geld liegen, ohne mehr daraus zu machen. Die angeblich guten Verwalter bekommen schließlich noch mehr anvertraut, dem schlechten Verwalter wird das zunächst anvertraute wieder weg genommen. So machen es noch heute reiche Anleger.

Bei Matthäus wird das Gleichnis moralisierend verwendet: Der unnütze Knecht wird verstoßen, denn er hat sich wenig bemüht, seinem Herrn zu dienen. Christen sollen sich bemühen, aus dem, was Gott ihnen anvertraut hat, möglichst viel zu machen. Bei Lukas wird der wohl ursprüngliche Sinn des Gleichnisses aus dem Mund Jesu deutlich. Jesus erzählt das Gleichnis, weil seine Jünger meinen, das Reich Gottes werde mit dem Einzug Jesu in Jerusalem sofort anbrechen. Das Gleichnis hat deshalb im Munde Jesu eine desillusionierende Funktion: So funktioniert die Welt der wirtschaftlich Mächtigen. Es wird nicht so ganz einfach sein, sie zu bekehren, wie bei Zachäus, von dem Lukas unmittelbar vor diesem Gleichnis berichtet. Der Reiche im Gleichnis ist bei Jesus nicht der barmherzige Gott, sondern ein Vertreter seines Gegenspielers, des Götzen Mammon, der zerstörerischen Gier des Kapitals.

Es gehört zur Tragik der Kirchengeschichte, dass die ursprüngliche Kapitalismuskritik Jesu durch moralisierende Kritik an den kleinen Leuten überlagert wurde. Auch der Reformator Luther hat sich früh auf die Seite der Herren geschlagen und die geschundenen versklavten Bauern im Stich gelassen. So wurde auch die ausgebeutete Arbeiterschaft im 19. Jahrhundert von den lutherischen Kirchen in ihrem Elend allein gelassen ebenso wie Sozialdemokraten und Kommunisten, als Hitler diese im 20. Jahrhundert verfolgte. So schwieg auch unsere württembergische lutherische Landeskirche, als die Gegner von Stuttgart 21 bei ihrem friedlichen Protest am schwarzen Donnerstag die rohe Gewalt der Staatsmacht traf, die sich auf die Seite der wirtschaftlich mächtigen Mammonsjünger schlug. In der neuesten Ausgabe der Predigttexte unserer Kirche wird das Gleichnis von den anvertrauen Pfunden bei Matthäus gegen den Urtext zum Reichsgottesgleichnis gemacht. Der treue Dienst gegenüber dem Ausbeuter soll Urbild des Reiches des barmherzigen Gottes sein, eine totale Verdrehung der Botschaft Jesu.

Es ist höchste Zeit, dass wir den Satz Jesu wieder als Satz des Protests verstehen lernen: Jedem, der hat, wird gegeben werden; dem aber, der nicht hat, wird auch das genommen werden, was er hat. Erich Kästner bringt den Protest zum Ausdruck in seinem Weihnachtsgedicht: „Morgen, KInder, wird’s nichts geben, nur, wer hat, kriegt was geschenkt.“ Die allein erziehende Hartz IV-Empfängerin, die ständig ihre Bedürftigkeit nachweisen muss, wird gezwungen, über die erneuerbare Energien-Abgabe auf ihrer Stromrechnung Aluminiumkonzerne zu subventionieren, die ohne Prüfung ihrer Bedürftigkeit von der Abgabe befreit sind. Sie wird sanktioniert, wenn sie einen Termin versäumt, megareiche Anleger durften durch ihre Lobbyisten Schlupflöcher in Gesetze schreiben lassen, damit sie durch hütchenspielerisches Verschieben von Aktien jahrelang in Milliardenhöhe Steuern zurückfordern konnten, die sie nie bezahlt hatten. Erst nach vielen Jahren kommen nun Ermittlungen und Gerichtsurteile zustande, die diese cum-cum- und cum-ex-Geschäfte kriminalisieren. Gleichzeitig bekommen Kleingewerbetreibende penible Betriebsprüfungen und sinnlose Kassenbons für Brötchen sollen Steuerhinterziehung in Bäckereien verhindern. Während bei Hartz IV verfassungswidrig bis in die Obdachlosigkeit sanktioniert werden konnte, wurden den Tunnelbohrern bei S 21 sinnlose Milliardenaufträge in den Rachen geworfen. Die reiche Bahn soll 85 Mrd. Steuergelder der kleinen Leute sowie von Kunden bekommen, um pünktlich zu werden. Sie sollte besser dieses Geld durch Verkauf ihrer weltweiten Tochterfirmen flüssig machen, die sie durch Sparen am Bahnverkehr gekauft hat und die irrsinniger Weise die Hälfte ihres Geschäfts ausmachen. In einer Kirche Jesu müsste es ständig Aufschreie des Protestes geben.

Deshalb stehen wir auch als kleiner Kreis immer noch hier regelmäßig im Schlossgarten und gleichen aus, was unsere Kirchenleitung und ein großer Teil der Pfarrerinnen und Pfarrer versäumt. Wir wollen uns nicht entmutigen lassen. Auch die Friedensgebetsgruppe in der Leipziger Nicolaikirche war zeitweise eine Gruppe von 6 Menschen, wobei einer von der Stasi war. Auch wir gelten als ähnlich gefährlich, denn wir stehen unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes. Dieser schützt aber weniger das Grundgesetz als vielmehr die ungeschriebene kapitalistische Verfassung. Diese nennt Jesus beim Namen: Den Reichen ist zu geben, den Armen wird genommen. Diese heimliche ungeschriebene Verfassung hat unser Land erobert spätestens mit der Machtergreifung des globalen Neoliberalismus nach dem Ende des kalten Kriegs.

Aber was begonnen hat, kann auch wieder beendet werden. Die SPD könnte begriffen haben, dass sie sich mit ihrer Neoliberalisierung das eigene Grab geschaufelt hat. Zumindest die Parteibasis scheint dies bei der Wahl der Vorsitzenden bemerkt zu haben. Auch die Wählerverluste der Union zeigen, dass immer mehr Menschen der neoliberalen Ideologie überdrüssig werden. In Berlin kommt ein wirksamer Mietendeckel gegen neoliberalen Wucher. In Thüringen ist der Mut zu einer linken Minderheitsregierung gewachsen. Diese zwingt bei der ständig neuen Suche nach Mehrheiten auch die AfD, konkret Farbe zu bekennen und ihren ultraneoliberalen Kurs zu offenbaren. Dabei wird ihr ihr die Maske der scheinbaren Menschenfreundlichkeit vom Gesicht fallen und die abgehängten AfD-Sympathisanten werden erkennen, dass sie mit der AfD vom Regen in die Traufe kommen. Insbesondere das neoliberale Pilotprojekt S 21 wird dazu beitragen, durch seine vielen Unsinnigkeiten den Unmut über die neoliberale Politik zu verstärken. Die Kanzlerin hat S 21 als Erkennungsmerkmal einer erfolgreichen Zukunft Deutschlands ausgerufen, es muss ihr lebenslang um die Ohren fliegen als Symbol für neoliberalen Irrsinn.

Unser Herr Jesus Christus schenke uns die Ausdauer, die heimliche ungeschriebene neoliberale Verfassung immer wieder ans Licht zu zerren, damit Barmherzigkeit die Massen ergreift und der Lobgesang der Maria wahr wird: Den Ausbeutern wird wieder genommen, was sie den Armen geraubt haben, und es wird den Armen wieder zurück gegeben. Amen.