Ansprache zum Parkgebet am 3.6.2021 zu Jona 1,1-3a von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

(hier als pdf-Datei)
(und hier alle Lieder und Texte dieses Parkgebets)

Es geschah das Wort des Herrn zu Jona, dem Sohn Amittais: Mache dich auf und geh in die große Stadt Ninive und predige wider sie; denn ihre Bosheit ist vor mich gekommen. Aber Jona machte sich auf und wollte vor dem Herrn nach Tarsis fliehen.

Jona will das prophetische Wort seines Gottes an die Stadt Ninive nicht ausrichten und versucht, sich dem Auftrag zu entziehen. Er ist damit nicht allein. Auch der Prophet Jeremia sucht eine Ausflucht und schiebt vor, er sei zu jung für das Prophetenamt (Jer 1,6). Aber er hat sich dann doch von seinem Gott überreden lassen und bekennt, wenn er das aufgetragene Wort gegen Unrecht und Gewalt verweigere, werde es in seinem Herzen wie brennendes Feuer (20, 7-9). Auf eine etwas andere Weise misslingt bekanntlich auch Jonas Flucht vor dem prophetischen Auftrag. Sein Fluchtschiff gerät in Seenot, er wird von einem Fisch wieder an Land gespien. Anders als bei Jeremia ist seine Weigerung nicht darin begründet, dass er als Prophet Erfolglosigkeit fürchtet. Jona gönnt der bösen Stadt Ninive nicht die Chance zur Umkehr durch seine prophetische Predigt. Für Christen in der Nachfolge Jesu ist diese Haltung unmöglich, denn Jesus ist gerade darin der Sohn seines barmherzigen Vaters, dass er auch so sozial schädliche Menschen wie Zachäus durch seine Zuwendung zu heilsamer Umkehr bewegt.

Der Blick auf Propheten wie Jeremia oder Jona löst bei mir die bange Frage aus: Wie steht das heute mit den prophetischen Aufträgen? Wer sind die Berufenen? Wer versucht zu fliehen aus dem prophetischen Amt? Wer nimmt den Auftrag an? Welche Bosheit, welches Unrecht, welche Gewalt müsste zur Umkehr gerufen werden?

In unserer Kirche wird zum Predigtamt berufen in der so genannten Ordination aller Pfarrerinnen und Pfarrer. Das passt nicht so ganz zu dem reformatorischen Anspruch, eine Kirche des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen zu sein. Ich verstehe es deshalb als allgemeine Christenpflicht, im prophetischen Sinne gegen Bosheit, Unrecht und Gewalt das Wort zu erheben. Meine Ordination und mein Gehalt bzw. meine Pension als Pfarrer verstehe ich als eine Freistellung, mich der prophetischen Aufgabe in besonderer Weise zu widmen. Ich versuche deshalb auch im Ruhestand, alle Bitten um Dienste zu erfüllen. Seit meiner Studienzeit schöpfe ich in der Predigtvorbereitung nicht nur aus dem biblischen Text, sondern auch aus regelmäßiger Zeitungslektüre, zu der mir heute mehr als früher die Zeit geschenkt ist.  Ich spüre, dass sich dies immer mehr in meinen Predigten niederschlägt und dass es mir ergeht wie Jeremia: Ich kann nicht mehr an Bosheit, Unrecht und Gewalt vorbei predigen, sonst würde es in meinem Herzen zu brennen beginnen. Ich vermute, dass das nicht nur mir so geht und dass deshalb das Parkgebet nach knapp 11 Jahren immer noch lebt.

Der öffentliche Aufschrei erhebt sich bei uns vor allem dann, wenn die Bosheit andernorts auftritt, etwa wenn der Diktator Lukaschenko ein Flugzeug kapert, um einen Regimekritiker zu verhaften. Ich erinnere mich an keine Sanktionen, als 2013 ein Flugzeug in Wien zur Landung gezwungen wurde, weil der Systemkritiker Snowden darin vermutet wurde. Die Empörung über den politischen Prozess gegen den Putinkritiker Nawalny vermisse ich im Fall von Julian Assange, der in London psychisch gefoltert wird, weil er US-Kriegsverbrechen öffentlich gemacht hat. Als Christen sind wir aufgerufen, zuerst auf den „Balken im eigenen Auge“ zu achten (Mt 7,1-5).

Wenn ich vor der eigenen Haustüre beginne, fällt mir zum Stichwort Gewalt zuerst ein, dass Deutschland nach zwei furchtbaren verlorenen Weltkriegen zu den größten Waffenexportnationen gehört, dass wir die US- Drohnenlynchmorde im Stuttgarter Africom und Eucom unterstützen, dass wir immer noch Atomwaffen lagern, dem Atomwaffensperrvertrag immer noch nicht beigetreten sind und eine kritische Prüfung unserer Kriegsbeteiligung in Afghanistan unterbleibt. Als einen gewissen Erfolg prophetischer Kritik erscheinen mir militärkritische Tendenzen nicht nur bei den Linken, sondern auch in der SPD und teilweise bei den Grünen.

Beim gegenwärtigen Unrecht denke ich zuerst an den ungerechten Welthandel, bei dem Arme in unterentwickelten Ländern für Hungerlöhne unseren billigen Konsum befriedigen. Aber auch im eigenen Land sehe ich das Unrecht des Niedriglohnsektors, bewusst herbeigeführt durch Kanzler Schröder unter dem Beifall der Union, während immer mehr unermesslicher Reichtum in wenigen Händen konzentriert und nicht angemessen besteuert wird. Als besonders krasses Beispiel sehe ich die Coronahilfen für die Autobranche, die in erheblichem Maße in die Taschen von Aktionären geflossen sind. So haben für 2020 allein die Quandt-Erben bei BMW 700 Millionen € Dividenden kassiert. Als prophetischer Hoffnungsschimmer erscheint mir das jetzt beschlossene Lieferkettengesetz, auch wenn es noch verbesserungsbedürftig ist, und die Chance, dass im Herbst eine Regierung gebildet wird, die mehr soziale Gerechtigkeit schafft. 

Was Bosheit anlangt, so hat jüngst das Seilbahnunglück in Norditalien aufgeschreckt, bei dem alles darauf hindeutet, dass die Sicherheit dem Profitstreben geopfert wurde. Wir Kritiker von S 21 vermissen entsprehendes Erschrecken an diesem Immobilienprojekt. Hier wurde von Anfang an die Sicherheit der Bahnreisenden vernachlässigt, obwohl das Rettungskonzept vor der Planfeststellung vorgeschrieben ist. Meine jüngste Beschwerde bei Minister Scheuer vom 20.4.21 ist bis heute unbeantwortet, auch Verkehrsminister Hermann reagiert nicht. Dieses Schweigen schreit laut. Querdenkerische Realitäsverleugnung gibt es nicht nur bei Demonstrationen, sondern auch auf Regierungsbänken. Aber nun ist Klage eingereicht gegen das fehlende Sicherheitskonzept vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim. Dort ist Schluss mit Schweigen. Einstweilen gibt man wie im Märchen von „Des Kaisers neue Kleider“ das Stück „Stuttgarts neuer Bahnhof“, obwohl es nur eine gefährliche zu kleine Haltestelle ist. Die Backnanger Kreiszeitung hat meinen entsprechenden Leserbrief nicht veröffentlicht, weil man meine Beschuldigungen angeblich nicht überprüfen konnte, obwohl ich aus der allgemein zugänglichen Tunnelrichtlinie zitiert habe und Belege für alle Feststellungen anbot. Propheten darf solcher Misserfolg nicht entmutigen, denn es ging selten die Umkehr so schnell und gut wie bei Jona in Ninive. Prophetische Geduld weiß, dass Verdrängtes und Verleugnetes schließlich doch mit der Realität konfrontiert wird. Wir werden sehen. Amen.   

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