Monatsarchiv: Oktober 2013

Bürgerbegehren – Bitte unterschreiben!

Storno21 LeistungsrueckbauS21_Logo_200

Die S21-Gegner haben zwei neue Bürgerbegehren gestartet (die aus juristischen Gründen getrennt durchgeführt werden). Beide haben zum Ziel, dass die Stadt Stuttgart die S21-Finanzierungsverträge kündigt, weil sie von ihrem Vertrags„partner“ Deutsche Bahn 1. über die wahren Kosten und 2. über die wahre Leistungsfähigkeit des geplanten Bahnhofs wissentlich getäuscht wurde. Eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses sei deshalb für die Stadt Stuttgart nicht zumutbar.

Für beide Bürgerbegehren („Storno 21“ und „Leistungsrückbau S21“) werden je 20 000 Unterschriften von wahlberechtigten Stuttgarter BürgerInnen gebraucht. Termin gibt es keinen; aber die Unterschriften sollten natürlich so schnell wie möglich zusammen kommen.
Es gibt keine Online-Möglichkeit zur Unterzeichnung, weil die originalen Unterschriften gezählt werden müssen.

Hier die beiden Unterschriftenlisten zum Selberausdrucken:
Unterschriftenliste, Storno21
Unterschriftenliste, Leistungslüge

Wer also selbst in Stuttgart wohnt
oder einen kennt, der in Stuttgart wohnt,
oder eine kennt, die eine kennt, die in Stuttgart wohnt…
oder… – bitte um Unterschrift bitten und zurückschicken an:
DenkMacherei, Werastraße 90, 70190 Stuttgart.

Gerne auch Blätter mit nur einer Unterschrift zurück schicken! Jede einzelne ist wichtig!

Vielleicht weiß auch jemand einen Laden, in dem man Listen auslegen könnte?
(Aber bitte dran denken, sie auch regelmäßig abzuholen!)

Weitere Infos und Argumentationshilfen zu den beiden Bürgerbegehren hier: http://storno21.de/ und hier: http://www.leistungsrueckbau-s21.de/

Brief an die SynodalkandidatInnen

Am 1. Dezember 2013 wird in den Evangelischen Landeskirchen von Baden und Württemberg das Kirchenparlament – die Landessynode – gewählt. Wir „TheologInnen gegen S21“ haben den KandidatInnen einen Brief geschrieben, in dem wir sie um Auskunft bitten, wie sie zum Projekt „Stuttgart 21“ stehen.

Hier der Brief
und die Datei als pdf zum Runterladen (Theols_geg_S21 an Landessynodale):

„Theologinnen und Theologen gegen Stuttgart 21“
Anfrage an die Kandidatinnen und Kandidaten
für die Landessynodalwahlen 2013 in Baden und Württemberg

Sehr geehrte Damen und Herren,
mit diesem Schreiben wenden wir uns an Sie, weil es für uns bei den anstehenden Kirchenwahlen von großer Bedeutung ist, wie sich die Kandidatinnen und Kandidaten für die Landessynoden zum Projekt „Stuttgart 21“ stellen. Auch denkbare Wahlempfehlungen hängen für uns davon ab.
In den 80-er Jahren des letzten Jahrhunderts beschlossen die christlichen Kirchen den sog. „konziliaren Prozess“ und verpflichteten sich, Ungerechtigkeit, Unfrieden und Zerstörung der Schöpfung in ihrem jeweiligen gesellschaftlichen Umfeld zu analysieren und zu überwinden.
Folgende vier Grundüberzeugungen des konziliaren Prozesses hindern uns, das Projekt „Stuttgart 21“ mitzutragen:
1. „Wir bekräftigen, dass Wahrheit zur Grundlage einer Gemeinschaft freier Menschen gehört. Jesus lebte ein Leben der Wahrhaftigkeit“.
„Stuttgart 21“ hat durch vielfältige Rechtsbrüche, Unwahrheiten und schließlich brutale Polizeigewalt Unfrieden gestiftet. Nach unwahren Kosten- und Leistungsbehauptungen hat die Staatsgewalt am 30. September 2010 die noch nicht genehmigte Fällung von Bäumen im Schlossgarten für das Projekt „Stuttgart 21“ in einem brutalen Polizeieinsatz gegen friedlich demonstrierende Menschen durchgesetzt, wie es in diktatorischen Regimen üblich ist. Dadurch wurde der Friede in unserem Land schwer gestört. Die juristische Aufarbeitung der Gewalttaten ist nicht zufriedenstellend. Die Geschädigten warten noch zu einem großen Teil auf die Wiederherstellung des Rechtsfriedens.
2. „Die einzig mögliche Grundlage für einen dauerhaften Frieden ist Gerechtigkeit“
„Stuttgart 21“ steht für uns jedoch dem biblischen Grundwert der Gerechtigkeit diametral entgegen. Denn dieses Projekt dient den Profiten weniger (z.B. Deutsche Bahn, Großkonzerne, Großbanken) und bürdet die verharmlosten Kosten des Projektes den Steuerzahlern und Bahnkunden auf. Die ohnehin schon dramatischen Staatsschulden werden noch weiter erhöht mit entsprechenden Zinslasten, die Mobilitätskosten werden besonders für die steigen, die sich keine arbeitsplatznahe Wohnung leisten können. Die Botschaft Jesu ist solchem wirtschaftlichen Handeln genau entgegengesetzt: Indem die Reichen ihr Hab und Gut mit den Armen teilen, geschieht Gerechtigkeit und wächst das Reich Gottes.
3. „Wir bekräftigen, dass Gott die Schöpfung liebt. Gott, der Schöpfer, ist der Ursprung und der Erhalter des ganzen Kosmos.“
Als Gottes Ebenbilder haben wir die Aufgabe, zur Erhaltung der Schöpfung beizutragen. Damit stehen wir in der Pflicht, bei Eingriffen in die Natur die Risiken für Menschen und Umwelt daraufhin zu überprüfen, ob sie in einem angemessenen Verhältnis zum zu erwartenden Nutzen stehen. Durch die S21-Baumaßnahmen entstehen aber unkalkulierbare Risiken für das Stuttgarter Mineralwasser, die Bäume der verbliebenen Flächen des Schlossgartens und die Häuser an den Hängen. An möglichem Nutzen stehen dem lediglich ca. 15 ha neu gewonnene Baufläche gegenüber, für einige wenige Züge Fahrzeitgewinne von wenigen Minuten und eine wenig komfortable und von nur Wenigen benötigte ICE-Verbindung zum Flughafen – eine mögliche Parkerweiterung hat nichts mit S21 zu tun. Der mögliche Nutzen ist so gering, dass selbst Bahnchef Grube das Projekt heute nicht mehr beginnen würde.
4. „Wir bekräftigen, dass Gott auf der Seite der Armen steht… Jene, die die Gesellschaft als die ‚Geringsten‘ behandelt, nennt Jesus seine Geschwister“
Als Christen sind wir aufgerufen, uns auf die Seite der Schwachen in unserer Gesellschaft zu stellen – und damit insbesondere auch für Menschen mit Behinderungen und Einschränkungen einzutreten. Bei S21 sind aber die Bahnsteige, Treppen und Aufzüge so eng bemessen, dass sie in den Stoßzeiten und in Gefahrensituationen die zu erwartenden Personenströme nicht bewältigen können. Außerdem sind die Bahnsteige nicht ebenerdig erreichbar. Beides stellt vor allem für Menschen mit Behinderungen, für Senioren und für Eltern mit Kinderwagen eine besondere Gefährdung dar, die im bestehenden Kopfbahnhof nicht gegeben ist.
Die Brandschutzeinrichtungen im Tiefbahnhof und in den ca. 60 km Tunnelröhren sind völlig unzureichend, und erforderliche Nachrüstungen würden an den Bahnsteigen weiteren wertvollen Platz kosten.
Aus diesen und etlichen weiteren Gründen bitten wir um Auskunft, ob Sie sich für oder gegen das Projekt „Stuttgart 21“ positionieren, und machen Sie gleichzeitig darauf aufmerksam, dass wir Ihnen bei Wahlveranstaltungen entsprechende Fragen stellen werden.
Mit freundlichen Grüßen
im Namen der Initiative „Theologinnen und Theologen gegen Stuttgart 21“
Martin Poguntke
( TheologInnen-gegen-s21@online.de )

PS: Gerne machen wir Sie an dieser Stelle auch aufmerksam auf unsere „Gemeinsame Theologische Erklärung gegen S21“ (http://s21-christen-sagen-nein.de/gemeinsame-erklarung-von-theologinnen), die inzwischen von über 1200 Christinnen und Christen mit getragen wird.

Der letzte Brief – Vorsicht Satire

Sehr geehrter Herr Landesbischof Juli,
sehr geehrter Herr Erzbischof a.D. Zollitsch!

Noch immer von großer Freude und Dankbarkeit erfüllt schaue ich auf den Festgottesdienst am Tag der Deutschen Einheit in „meiner“ Kirche, der altehrwürdigen Stiftskirche, zurück. Auch wenn und gerade weil ich diesen Event als Höhepunkt im meinem Mesnerinnenleben betrachte (beim Festgottesdienst 1997 mit Helmut Kohl und Georges Bush war ich noch an einer anderen Kirche), kann ich nicht umhin, Ihnen einige kritische Anmerkungen zukommen zu lassen. Auch eine Mesnerin macht sich ja so ihre Gedanken, auch wenn Sie das in der Tiefe Ihres Herzens einer Frau vermutlich nicht zutrauen mögen. Ich bin mir zwar bewusst, dass ich, wenn ich diese Gedanken nun auch noch öffentlich ausspreche, damit gegen den biblischen Rat „das Weib schweige in der Gemeinde“ verstoße. Aber mit Gottes Hilfe will ich es dennoch wagen und hoffe dabei auf Ihre bischöfliche Nachsicht.

Nun zu meinen Beobachtungen und Einsichten. Da kommt mir als erstes der rote Teppich in den Sinn, der zwischen Schillerplatz und Eingangsportal ausgelegt war und auf dem die Gottesdienstbesucher feierlich zur Kirche schritten. Zunächst war ich als evangelische Mesnerin darüber etwas verwundert. Auch wenn die Gemeinde wohl ausschließlich aus hoch gestellten Persönlichkeiten und geladenen Ehrengästen bestand, ist ein Gottesdienst doch etwas grundlegend anderes als ein Staatsakt! Und vor Gott zählt schließlich weder Ansehen noch Ehre noch gesellschaftliche Position eines Menschen, sondern allein die Reinheit des Herzens. Psalm 15 ist da ganz eindeutig. Allerdings muss ich ehrlicherweise zugeben, dass ich am nächsten Tag beim Putzen den roten Teppich dann nachträglich doch noch zu schätzen wusste. Der Reinigungsaufwand war dieses Mal deutlich geringer als an den normalen Sonntagen.

Von Ihrer Predigt, verehrter Herr Erzbischof a.D., ist mir besonders die Anrede in unangenehmer Erinnerung. Anstelle der gewohnten Anrede: „liebe Gemeinde“ oder „liebe Brüder und Schwestern in Christus“ sprachen Sie zunächst direkt und namentlich die Oberhäupter des Staates an und schließlich auch die „Brüder und Schwestern“. Auch hierbei fühlte ich mich eher an die Ansprache bei einem Staatsakt erinnert oder auch an Zeiten des landesherrlichen Obrigkeitsstaates, die Gott sei Dank der Vergangenheit angehören. Und in der Anrede der Predigt sollte doch wohl schon die biblische Wahrheit zum Ausdruck kommen, die da lautet: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, nicht Sklave noch Freier, nicht Mann noch Frau. Denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus“.

„Soli Deo Gloria” war, ist und bleibt das Motto unserer Gottesdienste.
Und deshalb bin ich auch ausgesprochen dankbar dafür, dass sich die Paramentenwerkstatt in der Kürze der Zeit nicht imstande sah, Antependien in unseren Nationalfarben schwarz rot gold für Altar und Kanzel zu fertigen. So gab es dann nur einen neutralen Kanzelbehang in schlichtem Rot. Vielleicht aus Ihrer Sicht ein kleiner Schönheitsfehler an diesem Tag, den unser Herrgott Ihnen aber sicher verzeihen wird.
Zwar bin ich in den langen Jahren meiner Dienstzeit so einiges an neumodischem Schnickschnack gewohnt, wie Sie sich denken können. Aber der Tanz um den Altar hat mich doch sehr befremdet. Musste das denn unbedingt sein? Jeder halbwegs bibelfeste Zuschauer und besonders ich, die Sonntag für Sonntag von Amts wegen eine Bibelstunde absolviert, musste sich erinnert fühlen an die Geschichte vom „Tanz ums Goldene Kalb“. Sie wissen ja, wie diese ausgegangen ist. Der zu Recht aufs Äußerste erzürnte Mose befahl seinen linientreu gebliebenen Leviten, ihr Schwert zu erheben und „Bruder, Freund und Nächsten“ zu erschlagen, was dann 3 000 Männern das Leben kostete. Auch wenn Sie als Bischöfe quasi selbst die Nachkommen der Leviten sind und von daher nichts zu befürchten zu haben glauben, ist es zumindest denkbar, dass sich beim Tanz ums Goldene Kalb eines Tages die Verhältnisse bei der Bestrafung der Abgefallenen umkehren könnten.

Auf jeden Fall halte ich es für angeraten, solche unseligen Assoziationen durch dem Zeitgeist geschuldete Verkündigungsformen erst gar nicht aufkommen zu lassen. Wie wir wissen, lässt der Blick auf die Kirche in Geschichte und Gegenwart bei immer mehr Menschen den – natürlich völlig unbegründeten – Verdacht aufkommen, auch der Kirche gehe es nur ums Geld. Diesem falschen Eindruck ist gezielt zu wehren, was ja gerade der neue Papst Franziskus von Anfang an schon durch seine Namenswahl deutlich machte und nun auch noch dadurch, dass er das „Papamobil“ durch einen alten Renault 4 mit 360 000 Kilometern auf dem Buckel ausgetauscht hat. Wie wäre es, wenn Sie, verehrter Herr Landesbischof July, es dem Papst gleichtun und Ihre Mercedes S-Klasse etwa gegen einen 2 CV austauschen? Das war mein erstes Auto, und ich bin damit auch im Winter jede Steigung hinauf gekommen. Dies sage ich deshalb, weil Sie ja vor einiger Zeit die Befürchtung geäußert haben, ohne den Vierradantrieb Ihres Mercedes in den Wintermonaten nicht rechtzeitig zu Gottesdiensten auf die Schwäbische Alb zu kommen. Allenfalls müssten Sie eben etwas früher aufstehen, was Ihnen in Erinnerung an die früher in unserer Kirchen üblichen Frühandachten nicht schwer fallen dürfte.

Auf jeden Fall wäre ein solcher Fahrzeugwechsel ein deutliches Zeichen dafür, dass auch unsere evangelische Kirche gewillt ist, wieder etwas erkennbarer jesuanisch werden zu wollen. Immerhin hatte unser Herr, im Unterschied zu Füchsen und Vögeln, die wenigstens eine Höhle bzw. ein Nest haben, nicht einmal einen Ort, wo er sein Haupt hätte hinlegen können, geschweige denn ein Fahrzeug. Wenn man dann in einer Zeit, in der in beiden Kirchen aus Geldmangel Gehälter gekürzt, Personalstellen gestrichen, Kirchen umgewidmet oder abgerissen, diakonische Einrichtungen marktkonform geführt werden und so weiter, lesen muss, dass der Bischof von Limburg, Franz-Peter Tebartz-van Elst, sich einen Protzbau für 31 Millionen Euro als Bischofssitz bauen lässt, dann muss man sich nicht wundern, wenn immer mehr Menschen aus der Kirche austreten.
Nach dieser kurzen Abschweifung, die ich zu entschuldigen bitte, zurück zum Festgottesdienst. Von ganzem Herzen froh bin ich darüber, dass sich die Diskussion um die Länge der Röcke des katholischen Mädchenchors schließlich in Wohlgefallen aufgelöst hat. Die Mädchen hätten ursprünglich ja auf der Sängerempore mit dem Glasgeländer singen sollen, oberhalb des Altars. Und da wäre realistischerweise zu befürchten gewesen, dass Gottesdienstbesucher ihnen unter die Röcke geschaut hätten. Dies wurde aber Gott sei Dank noch rechtzeitig erkannt. Ich will mir gar nicht vorstellen, welche neuerlichen Diskussionen das ausgelöst hätte, wenn Fernsehkameras solche Blicke eingefangen und in die Welt hinaus übertragen hätten! Der Mädchenchor wurde dann ja, mit langen Röcken züchtig verhüllt, auf die Nebenempore platziert.

Noch eine Kleinigkeit, gleichwohl erwähnenswert, möchte ich ansprechen. Wie Sie vielleicht wissen, wurden in der Unterkirche sämtliche Mitwirkende fernsehgerecht geschminkt. Die Solisten bekamen zwei Lagen Make-up mehr aufs Gesicht. Schminken und Kirche, das passt für mich nun wirklich nicht zusammen. Fernsehen hin oder her. Gott schaut ohnehin durch jede Maske, so dick sie auch sein mag. Auf jeden Fall sollte das eine Ausnahme bleiben. Im Gegensatz zum Pudern der Hände des Organisten. Herr Johannsen hat ja ganz hervorragend gespielt. Sicher haben seine gepuderten Hände ein Übriges dazu getan. Eventuell könnte das Pudern der Hände vor dem Gottesdienst in die Richtlinien für den Organistendienst aufgenommen werden. So wäre er oder sie sich stets bewusst, dass Einer ihm immer auf die Hände schaut, auch ohne Fernsehkamera. Das würde mit Sicherheit das Niveau des Orgelspiels in unseren Kirchen heben.

Sollten Sie noch an weiteren Erkenntnissen meinerseits über diesen Stuttgarter Jahrhundertgottesdienst interessiert sein, dürfen Sie mich gerne zu einem Gespräch einladen.

Einstweilen grüßt Sie hochachtungsvoll die Mesnerin der Stuttgarter Stiftskirche

Maria Martha Sauberle

Ansprache zum Parkgebet am 3.10.2013 zu Mt 5,10 von Pfarrer i. R. Friedrich Gehring

Ein Parkgebet am 3. Oktober muss zwangsläufig an die Friedensgebete in der Leipziger Nicolaikirche erinnern, die der Ursprung der Befreiung von der DDR-Diktatur waren und uns die deutsche Wiedervereinigung schenkten, die wir heute feiern. Anders als bei den Jubelreden dieser Tage hier in Stuttgart muss aber heute im Parkgebet auf eine unrühmliche Parallele hingewiesen werden, die uns hier im Park mit den einstigen Betern in Leipzig verbindet: In der Nicolaikirche war stets ein Mensch von der Stasi dabei, der für die DDR-Überwachungsdiktatur Berichte schrieb. Bei unseren Parkgebeten hier im Schlossgarten müssen wir ebenfalls davon ausgehen, dass jemand vom Verfassungsschutz anwesend ist, um über uns zu berichten. Die Überwachung einer Versammlung von friedlichen christlichen Betern ist normalerweise nur nötig in einer Diktatur. So entsteht die Frage: Welche Diktatur braucht unsere Überwachung? Es ist dieselbe Frage, die wir auch am vergangenen Montag in Erinnerung an den schwarzen Donnerstag stellen mussten: Welche Diktatur braucht einen solchen polizeilichen Gewaltexzess gegen friedliche Demonstranten? Unsere unbeugsame Antwort ist: An die Stelle der Diktatur der DDR-Parteibonzen ist die heutige Diktatur der Lobbyisten getreten mit Baden-Württembergischen Innenministern als ihren willfährigen Erfüllungsgehilfen.
In dieser Situation möchte ich erinnern an die trotzige Seligpreisung Jesu aus Mt 5,10: Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihrer ist das Himmelreich.
Ich habe mit dieser Seligpreisung in meinem Leben nicht viel anfangen können, denn ich habe mich zwar gelegentlich gemobbt fühlen müssen, aber mich dabei nicht wirklich als verfolgt betrachtet, weil ich schwerere Verfolgungen überall auf der Welt vor Augen hatte. Auch will ich nicht die Unterschiede zwischen der DDR-Diktatur und der heutigen verwischen: Wenn ich diese Ansprache in der DDR gehalten hätte, dann wäre es möglich gewesen, dass mir angedroht worden wäre, meine Frau würde gelegentlich bei einem Verkehrsunfall umkommen. So weit sind wir heute noch nicht. Das befreit uns allerdings nicht davon, den Anfängen unseres Überwachungsstaats zu wehren. Spätestens seit dem „Schwarzen Donnerstag“ ist die staatliche Verfolgung vor aller Augen, auch dass die Geschädigten wegen ihres Einsatzes für die Gerechtigkeit verfolgt werden. Denn das Projekt Stuttgart 21 ist erwiesenermaßen ein Beitrag dazu, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinandergeht: Wenige Profiteure stecken ein, was der Gesamtheit der Steuerzahler und Fahrgäste unnötigerweise aus der Tasche gezogen wird. Genau darum ist es das Lieblingsprojekt von Kanzlerin Merkel, die uns in ihrer neoliberalen Verblendung vorgaukeln will, wenn es auf Kosten der Mehrheit einigen Profiteuren gute gehe, sei das für alle besser. Jesus spricht in solchen Zusammenhängen vom „ungerechten Mammon“ und fordert Gerechtigkeit durch die Rückverteilung von den Reichen zu den Armen: „Machet euch Freunde mit dem ungerechten Mammon“ (Lk 16,9). Jesus verheißt denen, die ihm darin nachfolgen, das Himmelreich nicht als jenseitiges Wolkenkuckucksheim, sondern als ganz diesseitige Erfüllung der Verheißung des barmherzigen Gottes, dessen „Wille geschehe wie im Himmel, so auf Erden“ (Mt 6,10). Für dieses Himmelreich auf Erden setzen wir uns beim Parkgebet ein.

Deshalb fordern wir, sofern jemand vom Verfassungsschutz anwesend sein sollte, die entsprechenden Personen dazu auf: Machen Sie Ihren Job, berichten Sie Innenminister Gall, dass wir ihm unbeugsam zurufen: Der Horcher an der Wand, hört seine eigne Schand. Wir sind durch Beobachtung nicht einzuschüchtern. Hier bei uns ist zu lernen, wie unsere Verfassung wahrhaft zu schützen ist. Freiheiten, die nicht genutzt werden, gehen verloren. Wir nutzen die Freiheit, uns als kritische Christen zu versammeln, wir verteidigen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung vor der völligen Machtergreifung der Lobbydiktatur.
Unseren Kirchenleitungen rufen wir zu: Brechen Sie Ihr Schweigen zu den Gewaltexzessen gegen diejenigen, die sich für Gerechtigkeit einsetzen. Beziehen Sie Stellung zu dem bisherigen Verteilungsprozess von unten nach oben.
Dem im Wahlkampf gemeinsam angetretenen rot-grünen Bündnis rufen wir zu: Nehmt die gewählte linke Mehrheit im neuen Bundestag an für eine neue Politik, die die schwarz-gelbe Umverteilung zu den reichen Hoteliers und Stromfresserfirmen umkehrt und soziale Gerechtigkeit schafft im Sinne der Botschaft Jesu vom Reich Gottes.
Uns selbst wollen wir ermutigen lassen von der Verheißung Jesu: Glücklich sein werden die, welche um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn Ihnen gehört das Reich des barmherzigen Gottes. Amen

Ort der Montagsdemos Stellungnahme der „TheologInnen gegen S21“

Wir beobachten mit wachsender Sorge, dass die Frage des Orts der Montagsdemo zu einer Art Glaubenskrieg zwischen verschiedenen Fraktionen der Anti-S21-Bewegung zu werden droht. Wir bitten daher alle Beteiligten darum, keine Maximalforderungen zu stellen, sondern die jeweils andere Perspektive als ebenfalls berechtigte zu akzeptieren. Unseres Erachtens gibt es für beide Orte – Schillerstraße und Marktplatz – gute Gründe.

Für die Mehrheit unter uns überwiegen beim Ort Schillerstraße die Nachteile:
• Der Verkehrslärm wirkt störend und erschwert das Verstehen.
• Dass viele Leute bis dicht an den Rand des Autoverkehrs stehen, erscheint uns gefährlich.
• Man kann nach der Demo nicht stehen bleiben und reden, weil die Schillerstraße schnell wieder frei gemacht werden muss.
• Es bekommen nur sehr wenige Menschen etwas von der Demo überhaupt mit und noch weniger von den Inhalten, weil sie in den Autos nur schnell vorbeifahren.
• Die Beschallung ist teuer, weil diese Straße akustisch sehr ungünstig ist.
• Die Atmosphäre des Ortes ist hässlich (Verkehr, blaue Rohre…)

Die Befürworter der Schillerstraße führen als Vorteile an:
• Wir demonstrieren dort, wo der Gegenstand unseres Protests sich befindet: der Bahnhof.
• Wir sehen „unseren“ Bonatzbau.
• Wir sind an einem Verkehrsknotenpunkt und werden deshalb wahrgenommen.
• Wir sind auf der Straße und erzeugen damit eine spürbare Störung.

Dem gegenüber scheinen uns am Marktplatz die Vorteile zu überwiegen:
• Es herrscht kein Verkehrslärm, sodass man alles gut verstehen kann.
• Wir sind vor dem Rathaus – dem klassischen Ort der Volksversammlung und einem der Orte, an dem für uns bedeutsame Entscheidungen gefällt werden.
• Der in sich geschlossene Platz schafft eine ästhetische, ruhige, fast geborgene Atmosphäre, welche die Erfahrung der Gemeinschaft stärkt.
• Nach der Demo kann man noch in Grüppchen stehen bleiben und die Gelegenheit zum Austausch von Meinungen und Ideen nutzen.
• Viel mehr Leute bekommen en passant etwas mit von den Inhalten der Beiträge, weil sie entweder zu Fuß unterwegs sind oder in einer der benachbarten Straßenkneipen sitzen.
• Die Kosten der Demos werden nicht unnötig in die Höhe getrieben, weil die Beschallung kostengünstiger geht.

Als Nachteile des Markplatzes wird gesehen:
• Wir sind „fernab“ vom Geschehen – was man aber auch genau umgekehrt sehen kann: Am Marktplatz sind wir im Zentrum der Stadt.
• Wir blockieren keinen Verkehr und werden deshalb zu wenig wahrgenommen – andere sagen: Wir werden dort nicht weniger wahrgenommen, sondern nur weniger als Ärgernis wahrgenommen.

Unter Abwägung dieser Vor- und Nachteile kommen wir zu dem Schluss, dass der Marktplatz aus unserer Sicht der derzeit geeignetere Ort für die Montagsdemos ist. Denn wir haben den Eindruck, dass wir gegenwärtig die Montagsdemos vorrangig für die eigene Selbstvergewisserung und zum Aufbau innerer Stabilität brauchen.

Wir haben aber auch Verständnis für die Befindlichkeit eines für uns durchaus wichtigen Teils der Bewegung, der aus unterschiedlichen Gründen die direkte Konfrontation mit dem bedrohten Bahnhof und wenigstens niederschwellige Blockadeaktionen für unverzichtbar hält. (Allerdings können die Blockadeaktionen unseres Erachtens genauso wirksam beim Demozug im Anschluss an die Kundgebung auf dem Marktplatz stattfinden.)

Wir bitten deshalb alle Akteure, ihre Verantwortung für die Bewegung als Ganze nicht im bloßen Durchsetzen ihrer eigenen Vorstellungen zu sehen, sondern in der Erhaltung der guten Vielfalt unserer Bewegung. Niemand sollte die Bewegung beschädigen, weil er seine eigenen politischen Vorstellungen für die allein richtigen hält.

Könnte eine Lösung darin bestehen, für die Montagsdemos beide Orte im Wechsel zu nutzen? Nach einem bestimmten Modus, der noch festzulegen wäre? Dabei ist uns bewusst, dass auch dieser Vorschlag seine Tücken hat (Kommunikationsprobleme mit Mitstreitern ohne Internet, usw.). Vielleicht gibt es keine glatte Lösung.

Unsere Stärke ist unsere Vielfalt.
Bitte sucht eine Lösung, die dieser Stärke und unserer augenblicklichen Situation am besten gerecht wird! Ein Ende der Montagsdemos kommt für uns jedenfalls nicht in Betracht.

(Text als pdf-Datei: Montagsdemos, Ort, Stellungnahme, Theols, final)