Ansprache zum (virtuellen) Parkgebet am 3.12.20 zu Jakobus 5,7f von Pf.i.R. Martin Poguntke

(hier als pdf-Datei)
(hier in Großdruck, 4 Seiten)

Liebe Parkgebetsgemeinde, liebe Leser*innen unserer Homepage,

wirklich schade, dass wir einander in diesen Zeiten nicht im Park gegenüberstehen können – so gerne würde ich bei meiner heutigen Ansprache in Ihre Gesichter sehen. Aber mir ist es wichtig, dass wir auch kleine Beiträge leisten, um die Corona-Infektionen nicht zu schnell wachsen zu lassen, und deshalb auf ein analoges Parkgebet verzichten.

Jetzt, in der Adventszeit finde ich das besonders schwer, jetzt, wo wir einander wieder unsere adventliche Hoffnung stärken wollen – denn wo blieben wir ohne diese Hoffnung?

Und dennoch: Irgendwie ist es auch jedes Jahr anstrengend: Ständig wird von Hoffnung geredet, während man selbst bisweilen alle Mühe hat, auch nur ein kleines bisschen an Hoffnung aufzubringen. Wem gelingt es denn, wirklich noch zu hoffen, dass Stuttgart 21 noch aufgehalten wird? Wem geht nicht so nach und nach die Hoffnung verloren, dass wir das mit dem Klimawandel noch in den Griff bekommen? Wem gelingt es noch – viel grundsätzlicher – allen Ernstes zu hoffen, dass diese Welt auf eine Zukunft in Gerechtigkeit und Frieden zusteuert?

Nein, so einfach ist das nicht mit der Hoffnung. Da kann man schon verstehen, wenn Mitstreiter unserer Bewegung gegen S21 gelegentlich die Geduld verlieren. Wenn der Ton untereinander bisweilen etwas rauer wird. Und man kann verstehen, dass manche unter uns sich auf bedenkliche Weise aufreiben in ihrem Einsatz dafür, dass doch noch das Ruder herumgeworfen und S21 gestoppt wird. Worauf sollte man auch sonst hoffen, wenn nicht auf das eigene Tun und das der Mitstreiter?

Aber was ist das für eine zerstörerische Hoffnung? Selbstzerstörerisch! Wenn alles von uns abhängt. Nur wenn wir Tag und Nacht rödeln, bis die Schwarte kracht, können wir auf Erfolg hoffen? Kann es das wirklich sein?

Meine Schüler hätten an dieser Stelle hellwach und angemessen misstrauisch erkannt, dass das natürlich nur eine rhetorische Frage ist. Und weil sie der Relilehrer stellt, wäre für sie klar gewesen, dass jetzt gleich das liebe Jesulein rauskommen muss. Da sind wir Pfarrer ja Meister drin: Immer wenn die Situation unübersichtlich oder bedrohlich wird, ziehen wir Jesus oder den lieben Gott aus der Tasche, und alles kommt auf einen guten Weg.

Aber so einfach ist es nicht. Wir Christen haben kein Geheimwissen darüber, dass alles gut werden wird. Wir haben auch keinen Zugang zu geheimen Möglichkeiten, Einfluss auf den Gang der Dinge zu nehmen, damit auf diese Weise alles gut wird. Nein, uns steht auch nichts anderes zur Verfügung als den Nichtchristen. Auch wir müssen mit dieser Welt und ihren und unseren begrenzten Möglichkeiten klarkommen.

Aber wenn wir über gar keine besonderen Wege und Mittel verfügen – was bringt es dann, die Bibel aufzuschlagen und Hoffnungstexte zu lesen? Was bringt es, sich in kleiner oder großer Runde zu Andachten und Gottesdiensten zu versammeln? Wenn dadurch weder Gott zum Eingreifen gebracht wird, noch wir selbst einen Einfluss gewinnen auf die Geschicke der Welt, der anderen nicht ebenfalls zur Verfügung steht? Auch uns Christen steht doch bloß diese ganz gewöhnliche Welt zur Verfügung und die ganz gewöhnlichen begrenzten menschlichen Mittel.

Ich weiß, dass viele Christen deshalb ausweichen ins Irrationale, sich Quellen der Hoffnung schaffen, indem sie auf vergangene magische oder vornaturwissenschaftliche Weltbilder zurückgreifen.

Aber unsere christliche Hoffnung darf nach meiner Überzeugung keine Weltflucht sein, kein Ausweichen in eine esoterische, irrationale Sonderwelt. Sondern unsere christliche Hoffnung muss die Hoffnung sein, dass diese konkrete Welt, in ihrem Innersten, in allem, was sie ausmacht, Grund zur Hoffnung bietet. Wenn wir Christen hoffen, dass diese Welt – trotz allem – auf ein gutes Ziel zusteuert, dann – so finde ich – dürfen wir nicht hoffen, dass ein externer Gott eines Tages eingreifen wird, sondern dass diese Welt selbst in ihrem Innersten und von ihrem Ursprung her Grund zur Hoffnung bietet.

Und wenn wir für uns selbst und für andere auf Kraft und Leben und Zukunft hoffen, dann weil diese Welt uns mit dieser Kraft und diesem Leben versorgt. Ich denke: Wir Christen glauben, dass dieser Welt von ihrem Ursprung her – den wir so leichtfertig und ahnungslos „Gott“ nennen – etwas mitgegeben ist, was Grund zur Hoffnung gibt. Und wir glauben, dass dieser Ursprung der Welt – also das, wohinter nicht mehr zurückgefragt werden kann – bis heute die Kraft ist, die diese Welt zusammenhält, die Kraft ist, aus der Leben wächst, die Kraft, die uns stark macht.

Die Adventsbotschaft, dass es Grund zur Hoffnung gebe, ist keine fromme Weltflucht und darf das auch um Himmels Willen nicht sein. Sondern sie ist die nüchterne Überzeugung, dass in dieser Welt die Chance für ihre Zukunft schlummert und wirkt. Deshalb reden wir davon, dass an Weihnachten Gott Mensch geworden ist, weil wir damit ausdrücken, dass der Ursprung der Welt hier in unserer ganz persönlichen menschlichen Welt wirksam ist. Der Gott, auf den wir Christen hoffen, ist nicht irgendwo außerhalb, um eines Tages einzugreifen, sondern er ist der Mittelpunkt, das Wesen dieser Welt, die Kraft, die Leben entstehen lässt und die die Planeten hält. Und von dieser Kraft glauben wir, dass sie diese Welt zu einem guten Ziel bringen kann.

Und „glauben“ heißt da nicht: „Ich glaub halt, dass es so ist“. Sondern „glauben“ heißt: „Ich vertraue darauf“, so wie ich darauf vertraue, dass mein Partner mich liebt, auch wenn es manchmal vielleicht gar nicht so aussieht. Und jetzt erst kommt das große Problem des Glaubens: Ich schaffe das oft nicht. Ach, was, ich schaffe das meistens nicht. Tagtäglich tue ich mich schwer damit, darauf wirklich zu vertrauen. Tagtäglich ereilen mich die Nachrichten und meine aufrichtige Selbsterkenntnis, dass alles dagegen spricht, auf eine gute Zukunft der Welt zu hoffen.

In diese Situation hinein sind die beiden Bibelverse geschrieben, die kommenden Sonntag auf evangelischen Kanzeln Predigttext sind, denn diese angefochtene Hoffnung war auch schon vor zweitausend Jahren ein Problem.

Im Brief des Jakobus (man ist sich nicht sicher, aber vielleicht war das einer der Brüder von Jesus), da heißt es – in Kapitel 5, Vers 7 und 8: „So seid nun geduldig, liebe Geschwister, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe.“

Wenn hier davon die Rede ist, dass das Kommen des Herrn nahe sei, dann ist damit natürlich gemeint, dass die zukünftige Welt in Frieden und Gerechtigkeit nahe ist. Aber nicht nur das ferne Ziel ist damit gemeint, wenn eines Tages die echte Menschheitsgeschichte beginnt, sondern es ist auch etwas ganz Gegenwärtiges gemeint: nämlich, dass es bereits heute in Ihrer und meiner Gegenwart Momente gelingenden Lebens gibt, wo uns für einen Moment Liebe oder Gerechtigkeit gelungen ist, wo wir für einen Moment eine Verbundenheit mit den Opfern der Welt – und auch mit unseren Feinden – gespürt haben. Dann ist für einen Moment das „Kommen des Herrn“ Wirklichkeit geworden.

Ganz schnell sind sie zumeist vorbei, diese Momente. Und dennoch hat jeder von uns bereits erlebt: Sie sind vorbei und doch nicht vorbei. Sie sind vorbei, und wirken dennoch weiter. Sie sind vorbei, und dennoch verändern sie etwas an uns, was länger andauert. Sie verändern uns und stellen eine Art Kraftquelle dar, eine Sehnsucht, die uns nicht in Ruhe lässt, die uns drängt, weiter an dieser Welt zu arbeiten. Nicht in dieser hektischen, bedrängenden, selbstzerstörerischen Weise, als ob alles an uns hinge, sondern in einer Weise, die ihr Ziel schon ein wenig vorwegnimmt, die schon auf dem Weg, nicht erst am Ziel diese Liebe und diese Gerechtigkeit sehen will.

Diese Art des Tätigwerdens, bei der schon der Weg ein Teil des Ziels ist – das ist die Art von Geduld, von der in unserem Bibeltext die Rede ist: „Seid geduldig, liebe Geschwister!“ Da ist keine Geduld gemeint, die einfach bloß abwartet, dass irgendwann das Große geschehen wird, sondern eine, die sich selbst als Teil des Ganzen versteht: Dieses Große geschieht auch durch mich.

Winnie Wolf hat neulich in einer Rede auf der Montagsdemo davon gesprochen, dass mehrere Bedingungen zusammenkommen müssen, damit Veränderung wirklich passiert. Eine dieser Bedingungen war, dass wir „sagen, was ist“, auf Demos, in Leserbriefen, in Diskussionen. Auch das ist tägiges Hoffen: dass wir den Mund aufmachen auf jegliche Art.

Aber Winnie Wolf hat in seiner Rede noch deutlich gemacht, dass zwar einiges planbar ist, dass aber auch Umstände zusammenkommen müssen, die wir nicht planen können, sondern die ungeplant passieren. So wie der Atomunfall von Fukushima dazu beigetragen hat, dass die CDU im Land abgewählt wurde. So wie Corona dazu beigetragen hat, dass die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie nicht mehr verheimlicht werden konnten. So kann es ein guter – oder auch ein schlechter – neuer OB sein, wegen dem in der Stadt ganz neue Konstellationen entstehen, die keiner planen oder vorhersehen konnte. Diese Mischung aus Planbarem und Unerwartetem ist es, durch die Veränderung geschieht. Diese Mischung aus eigenem Zutun und unverfügbaren Rahmenbedingungen ist es, wodurch sich die Welt verändert. Oft eher trotz als wegen unseres Zutuns, oft mit völlig anderem Ergebnis, als wir es vorhatten – aber immer im Zusammenspiel zwischen unserem Tun und der Bewegung der Welt. So wie der Bauer sein Eigenes beisteuert zur „kostbaren Frucht“, indem er sät und pflegt und erntet, dabei aber auf das Zusammenspiel mit dem Unverfügbaren angewiesen ist: den Frühregen, den Spätregen. Dieses Zusammenspiel von Planbarem und Unverfügbarem macht die Atmosphäre aus, in der die Veränderungen sich Bahn brechen, auf die wir in der Adventszeit hoffen. Da ist nichts sicher, aber wir spüren Vertrauen in die lebendige Kraft dieser Welt, die Neues entstehen lassen kann, überraschendes, unerwartetes, alles veränderndes Neues.

„Stärkt eure Herzen!“ mahnt Jakobus. Stärkt eure Herzen, indem ihr euch gegenseitig die – immer zu kleine – Hoffnung stärkt. Indem ihr immer wieder den Einen sagt: Macht euch nicht kaputt – es hängt nicht alles von eurem Tun ab! Und indem wir den Andern sagen: Engagiert euch – auch unser eigenes Tun, unsere tätige(!) Hoffnung ist nötig, damit Veränderung passiert.

So klein und alltäglich ist es, wenn man auf das große Ziel hofft: „dass der Herr kommt“. Aber auch so groß, mit dem Blick auf die Veränderung der ganzen Welt ist die Perspektive, wenn wir hier so Kleines tun, wie gegen einen Bahnhof zu demonstrieren, die Fridays bei ihrem Kampf zu unterstützen, hier im Parkgebet uns – heute eben nur virtuell – gegenseitig zu stärken.

So seid nun geduldig, Geschwister, bis zum Kommen des Herrn und stärkt eure Herzen, denn der Herr ist nahe. Spürbar nahe, immer nahe, besonders in der Adventszeit nahe – weil wir da ganz unweigerlich dazu verführt werden, so offenporig über unsere Hoffnung nachzudenken, über unsere Hoffnung auf das große Ziel, das bisweilen schon mitten in unserm Alltag Wirklichkeit wird.

Amen.

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