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Parkgebet 16. Mai 2019 Apg. 16, 23ff Paulus und Silas im Gefängnis Pfarrer i.R. Hans-Eberhard Dietrich

Liebe Parkgemeinde,

1. Sonntag Kantate und seine Bedeutung im Rhythmus des Kirchenjahres
„Da wo man singt, da lass dich ruhig nieder, denn böse Menschen haben keine Lieder“. Das stimmt zwar nicht ganz, warum sollen böse Menschen nicht auch auf ihre Art ihre Lieder singen. Der Satz stimmt aber, wenn wir ihn in dem Zusammenhang lesen, wie ihn der Dichter ursprünglich gemeint hat:
„Wo man singt, da lass dich ruhig nieder,
Ohne Furcht, was man im Lande glaubt;
Wo man singt, da wird kein Mensch beraubt;
Bösewichter haben keine Lieder.“ (Seume)

Damit haben wir das Thema heute angesprochen: Singen, so wie auch der nächste Sonntag heißt: Kantate, singt dem Herrn ein neues Lied.

Im Rhythmus des Kirchenjahres befinden wir uns in der Mitte zwischen Ostern und Pfingsten, zwischen der Auferstehung Jesu und der Ausgießung des Heiligen Geistes über seine Jüngerinnen und Jünger. Diese sechs Sonntage haben (wie auch die Sonntage vor Ostern) alle ihren Namen, natürlich auf lateinisch: Quasimodogeniti, Miserikordias Domini, Jubilate, Kantate, Rogate und Exaudi. Mit dem Namen ist jeweils ein eigenes Thema verbunden: Da werden immer neue Facetten beleuchtet von dem, was es heißt, wenn wir bekennen: Christus ist auferstanden.
Da geht es um die Taufe, ums Beten, Jesus als der gute Hirte usw. Und letztlich auch ums Singen. Kantate. Singt dem Herrn ein neues Lied.

2. Die Bedeutung des Singens, auch in unserer Bewegung
Nicht nur im Glauben spielt der Gesang eine wichtige Rolle. Wir alle erinnern uns sehr gut an die Anfänge unserer Protestbewegung, da wurde noch sehr viel gesungen, kreativ wurden Lieder gedichtet, bekannte Melodien umgeschrieben usw. usw. Das Singen und die Lieder als Ausdruck der Begeisterung und des Protests. „Mit Liedern gegen Stuttgart21“, so hatten die Kopf-Bahnhof-Singers 2015 ihr Liederbuch genannt. Und sie singen noch heute nach der Montags-Demo im Bahnhof.

Und wie steht es heute neun Jahre später? Irgendwie ist das fröhliche, unbeschwerte Singen bei den Demos verstummt. Ist uns das Singen vergangen, weil unser Protest schon so lange dauert? Wir wollen es nicht beklagen. Alles Ding hat seine Zeit. Vielleicht war dieses Singen ein starker Motor, der zu Beginn unseren Protest erst richtig in Schwung gebracht hat.

3. Das Singen setzte sich fort in Aufklärung über die eigentlichen Hintergründe des Projekts
Auf die Begeisterung des Anfangs folgte notwendig die kontinuierliche Aufklärung, Erforschung und Darstellung aller Facetten und Einzelheiten dieses Projektes, die gesellschaftliche Analyse der Hintergründe, das Aufzeigen der Auswirkungen auf Verkehr und Klima usw. usw. Ich meine, darin liegt die eigentliche Leistung und wenn man will der Erfolg unseres Protestes.
Da wird in der Politik in Stadt und Land ein Projekt als alternativlos, als fortschrittlich, als zukunftsweisend, als innovativ bezeichnet und wie die ganzen Schlagwörter hießen. Und da gibt es uns, die wir sagen: Nein, es gibt Alternativen. Eure ganzen Schlagworte sind verlogen.
Und kontinuierlich weisen wir seitdem auf den Rechtsbruch, auf die Geld- und Ressourcenverschwendung hin, auf die Umweltschäden und die Beschädigung der Rechtskultur. Mit unserem Protest machen wir deutlich: Wir machen nicht länger mit bei einem unnützen und menschenverachtenden Großprojekt.

4. Eine wichtige Erkenntnis: Großprojekte als Ausgeburt des Neokapitalismus
Eine ganz wichtige Erkenntnis, die ich im Laufe der Jahre gewonnen habe, und vielleicht ist es auch vielen von Euch so ergangen, ist die: Die Triebfeder solcher Großprojekte ist der Neokapitalismus. Und der hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte als der unumschränkte Souverän und Herrscher klammheimlich in unserer Gesellschaft breit gemacht. Diese Ideologie hat sich bis in die Alltagssprache und das Denken hinein verfestigt, so dass es die meisten Menschen gar nicht mehr merken.
Ich will ein paar solcher Schlagworte nennen: Wachstum, Qualitätssicherung, Fortschritt, Innovation. Es ist nicht schlimm, falsch oder gar verwerflich, solche Wörter zu gebrauchen. Schlimm ist es, dass man sie nicht mehr hinterfragt, z.B. Fortschritt, ja wohin? Wachstum, ja wohin, wozu? In der Medizin nennt man grenzenloses Wachstum Krebs.

Unser Protest macht deutlich: Wir spielen nicht mehr mit beim neoliberalen Kapitalismus, der bedenkenlos die Erde ausplündert und die Klimakatastrophe schulterzuckend hinnimmt mit den Argumenten: Wir machen doch schon so viel, wir können nur zusammen mit Europa handeln, und wie die Ausreden alles heißen.

5. Gotteslob im Gesang an einem ungewohnten Ort: Paulus und Silas im Gefängnis
Aber zurück zum Singen im Glauben. Wir hier im Parkgebet singen noch, das Parkblech spielt noch. Es gibt ein Gotteslob auch jenseits von Hochstimmung und Aussicht auf Erfolg.
Ein schönes Beispiel wird uns aus der Frühzeit der Kirche in der Apostelgeschichte Kap. 16 erzählt. Es ist der Predigttext des nächsten Sonntag Kantate. Der Text ist zum Vorlesen zu lange, so dass ich nur das Wichtigste erzählen will.

Paulus und Silas auf Missionsreise in Philippi, in Griechenland, eine Bezirkshauptstadt des römischen Reiches. Eine kleine Gemeinde hatte sich schon gebildet. Sie haben noch keine Kirche, noch nicht einmal einen eigenen Raum, wo sie sich versammeln könnten. Nein, draußen vor der Stadt, am Fluss, kommen sie zusammen. Gottesdienst im Grünen sozusagen, auch dem Wechsel des Wetters ausgesetzt. Von der sehr langen und wunderbaren Erzählung soll uns nur das eine beschäftigen.

Da hatten die beiden Zeugen durch ihre Predigt des menschenfreundlichen Christus einigen Sklavenhändlern das Geschäft verdorben. Sie hetzen den Mob auf die beiden Apostel, die Obrigkeit leiht ihnen willfährig ihre Macht, sie werden ausgepeitscht, gegen jedes Recht und Gesetz, und ins Gefängnis geworfen.
Es ist wie so oft in unserer Welt: Wo Geld und Macht die beherrschende Rolle spielen, da bleibt das Recht auf der Strecke. Dort sitzen sie, die Hände und Beine zwischen zwei Balken gepresst, bewegungslos und mit blutenden Rücken.
Was tun sie: Sie fluchen nicht, sie wünschen ihren Peinigern und den Rechtsbrechern auch nicht alles Böse an den Hals, sie klagen auch nicht Gott ihren Schmerz. Sie haben es sicherlich erraten, was sie tun:
Mitten in der Nacht fangen sie an zu singen, sie stimmen Gott ein Loblied an.
Sie singen aus der Tiefe ihrer Not heraus, gleichsam als die letzte Möglichkeit ihrer Verkündigung des Evangeliums vom Kreuz. Das neue Lied von Ostern. In menschlich auswegloser Lage erklingt das neue Lied. Es besingt hoffnungsstark die Erfüllung von Gottes Verheißung.

Man fragt sich: Wie kommen die Apostel, wie kommen überhaupt Menschen dazu, Gott zu loben? Mir ist dazu ein Text von Hanns Dieter Hüsch eingefallen. Viele von Euch kennen ihn vielleicht:

Was macht, dass ich so fröhlich bin?
Ich bin vergnügt, erlöst, befreit.
Gott nahm in seine Hände meine Zeit,
mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen,
mein Triumphieren und Verzagen,
das Elend und die Zärtlichkeit.

Was macht, dass ich so fröhlich bin
in meinem kleinen Reich?
Ich sing und tanze her und hin
vom Kindbett bis zur Leich.

Was macht, dass ich so furchtlos bin
an vielen dunklen Tagen?
Es kommt ein Geist in meinen Sinn,
will mich durchs Leben tragen.

Was macht, dass ich so unbeschwert
und mich kein Trübsinn hält?
Weil mich mein Gott das Lachen lehrt
wohl über alle Welt.

Ich bin vergnügt, erlöst, befreit.
Gott nahm in seine Hände meine Zeit,
mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen,
mein Triumphieren und Verzagen,
das Elend und die Zärtlichkeit.
Hanns Dieter Hüsch

6. Ein bewundernswerte Gelassenheit des Glaubens, einfach zum Nachahmen
Ich finde eine solche Gelassenheit, eine solche Zuversicht und Leichtigkeit des Lebens, wie es Hüsch hier singt, bewundernswert, einfach zum Nachahmen und Einstimmen.
Ich bin vergnügt, erlöst, befreit.
Gott nahm in seine Hände meine Zeit,

Ich könnte mir denken, dass die beiden Apostel Silas und Paulus im Gefängnis auch von dieser Zuversicht des Glaubens durchdrungen waren, dass sie einfach anfingen, mitten der Nacht ein Lied anstimmten,
Was macht, dass ich so furchtlos bin
an vielen dunklen Tagen?
Es kommt ein Geist in meinen Sinn,
will mich durchs Leben tragen.

7. Der Ausgang der Geschichte
Nun, liebe Parkgemeinde, Ihr wisst vielleicht, wie die Geschichte damals in Philippi ausgegangen ist. Die Geschichte hat ein Happyend. Die Apostel werden durch ein Erdbeben befreit, ja der Gefängniswärter ist so von dem Gesang und dem Erdbeben beeindruckt, dass er zum Glauben kommt, ein neuer Mensch wird. Ich kann mir bei ihm nicht vorstellen, dass er weiterhin ein willfähriger Handlanger der Herrschenden bleibt. Leider wird uns nichts von seinem Schicksal berichtet. Nur so viel, dass er und seine ganze Familie sich taufen lassen. Ein echter Glaube setzt aus sich gute Werke heraus, wie Luther nicht müde wird zu betonen. Und ich könnte mir gut denken, dass jetzt auch der Gefängniswärter samt seiner Familie, alle einstimmen in das neue Lied des Glaubens.

Ich bin vergnügt, erlöst, befreit.
Gott nahm in seine Hände meine Zeit,
mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen,
mein Triumphieren und Verzagen,
das Elend und die Zärtlichkeit.

Amen

Ansprache beim Parkgebet am 4. April 2019 über Johannes 18, 28–38 von Pf. i.R. Hans-Eberhard Dietrich

(hier die Ansprache als pdf-Datei)

Leidensgeschichte: Jesus vor Pilatus

Liebe Parkgemeinde,

der kommende Sonntag heißt Judika. Er hat seinen Namen von den ersten Worten des 43. Psalms, der den Gottesdienst eröffnet: Judica me, Deus – Gott schaffe mir Recht!
Mit diesem Sonntag kommen wir dem Leiden und Sterben Jesu immer näher. In zwei Wochen ist Karfreitag. Der Predigttext für diesen Sonntag ist die Gerichtsverhandlung Jesu vor Pilatus.

Johannes 18, Vers 28 bis 38:
Da führten sie Jesus von Kaiphas zum Prätorium; es war früh am Morgen. Und sie gingen nicht hinein, damit sie nicht unrein würden, sondern das Passahmahl essen könnten. Da kam Pilatus zu ihnen heraus und fragte: Was für eine Klage bringt ihr gegen diesen Menschen vor? Sie antworteten und sprachen zu ihm: Wäre dieser nicht ein Übeltäter, wir hätten ihn dir nicht überantwortet. Da sprach Pilatus zu ihnen: So nehmt ihr ihn hin und richtet ihn nach eurem Gesetz. Da sprachen die Juden zu ihm: Wir dürfen niemand töten. So sollte das Wort Jesu erfüllt werden, das er gesagt hatte, um anzuzeigen, welchen Todes er sterben würde.

Da ging Pilatus wieder hinein ins Prätorium und rief Jesus und fragte ihn: Bist du der König der Juden? Jesus antwortete: Sagst du das von dir aus, oder haben dirs andere über mich gesagt? Pilatus antwortete: Bin ich ein Jude? Dein Volk und die Hohenpriester haben dich mir überantwortete: Was hast du getan? Jesus antwortete: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener würden darum kämpfen, dass ich den Juden nicht überantwortet würde; nun aber ist mein Reich nicht von dieser Welt. Da frage ihn Pilatus: So bist du dennoch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme. So spricht Pilatus zu ihm: Was ist Wahrheit?

  1. Hintergrundinfos

Pilatus, der römische Statthalter in Judäa. Er ist der eigentliche König. Herodes gibt es zwar auch noch. Aber das Sagen hat Pilatus. Deshalb residiert er auch symbolträchtig im Palast des Herodes. Die Römer nennen diesen Regierungssitz natürlich mit einem lateinischen Namen, Prätorium, das Haus des Feldherrn, wörtlich übersetzt. Die meiste Zeit hielt sich Pilatus aber in Cäsarea auf, am Meer gelegen, eine römische Stadtgründung, strategisch sicherer als Jerusalem. In Jerusalem war er nur in Krisenzeiten, an hohen Fest- und Feiertagen wie am Passahfest, wenn viele Menschen zusammenströmten. Da konnte man nie wissen, ob es Unruhen oder gar einen Aufstand gegen die Römer gab.
Grund hatte das Volk. Denn Pilatus war ein Judenhasser. Er hatte zwar vom Kaiser in Rom die Anweisung, auf die religiösen Gefühle der Juden Rücksicht zu nehmen und sie nicht zu provozieren. Aber er ließ keine Gelegenheit aus, sie seine Verachtung spüren zu lassen.

Und dann war da noch der Hohepriester Kaiphas, oberster Chef der religiösen Selbstverwaltung der Juden. Kaiphas, von Pilatus eingesetzt. Ein paar Rechte hatte das Volk zwar noch, kleinere Delikte durften sie nach ihrem mosaischen Gesetz aburteilen. Aber ein Todesurteil durften sie nicht fällen. Darum aber ging es der herrschenden religiösen Clique aus Hohenpriestern Pharisäern und Sadduzäern und wer sonst noch ein Interesse an der Beseitigung Jesu haben mochte.

  1. Die Gerichtsverhandlung

Auf diesem Hintergrund muss man jetzt die ganze Gerichtsverhandlung sehen.
Das Verhör findet drinnen im Palast statt. Die eigentliche Verhandlung draußen vor dem Palast, auf einem Hof oder freien Platz. Da sitzt er nun, der oberste Richter Pilatus auf seinem Richterstuhl, vermutlich ein Steinhocker, den man eigens für solche Gerichtsverhandlungen herbeischaffte und aufstellte.

Die Verhandlung nimmt jetzt ihren Verlauf. Wenn man sie unvoreingenommen liest oder hört, so hat man den Eindruck, dem Pilatus geht das ganze gegen den Strich und zwar auch deshalb, weil er von Jesu Unschuld überzeugt ist. Aber wie soll er sich verhalten? Weiterlesen

Predigt zum Weihnachtsgottesdienst am 26.Dez. 2018 im Schloßgarten bei der Lusthausruine von Hans-Eberhard Dietrich, Pfr. i. R., Kornwestheim

Weihnachten feiern heißt: Auf der Seite der Schöpfung stehen.
Lukas 2,7:
„ Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe,
denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge. “

Liebe Gemeinde
1. Das uns vertraute Krippenbild mit Ochs und Esel
Wenn wir diese Worte hören, so fallen uns unwillkürlich Ochs und Esel, Schaf und Ziege ein,
die damals in Palästina in einem Stall untergebracht waren. Eine frühe christliche
Überlieferung, die nicht im NT steht, scheut sich nicht, die Tiere zu benennen:
„Maria ging in den Stall und legte ihren Knaben in eine Krippe und Ochs und Esel beteten ihn an.“
Das ist das Bild der Maler, das uns allen sehr vertraut ist.
Liebe Gemeinde, ich muss Ihnen gestehen, ich liebe dieses Bild. Weihnachten kann ich mir gar nicht anders vorstellen. Diese Tiere standen ja nicht nur da, sie haben warm gegeben, denn in Palästina sinken nachts die Temperaturen bis zu Null Grad. Und diese Wärme tat dem Jesuskind und seinen Eltern richtig gut.

2. Die Tiere an der Seite der Menschen erinnern uns ans Paradies
Das Bild von den Tieren an der Seite des Jesuskindes ist mir noch wertvoller geworden als ich
daran etwas entdeckte, was ich früher so nie gesehen habe. Ochs und Esel sind nicht einfach
romantisches, schmückendes Beiwerk. Sie erinnern uns ans Paradies. Auch dort: Die Tiere an
der Seite der Menschen, nicht gleichgültig, nicht neutral, nein ihnen zugewandt, mit
Empathie, Mitgefühl und Barmherzigkeit.
Dieses Detail in der Weihnachtsgeschichte vergessen wir gern. Ein eindrucksvolles Bild, wie
sich bei der Geburt des Jesuskindes der Himmel öffnet und wie es gerade die Tiere sind, die
durch ihre Gegenwart den Himmel auf die Erde bringen.

Das Weihnachtslied hat recht, wenn es singt:
Heut schließt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis,
der Cherub steht nicht mehr dafür,
Gott sei Lob Ehr und Preis. (EG 27,5)

Die Tiere an der Seite der Menschen, freilich nur für einen Augenblick. Aber in diesem Augenblick bringen sie ein Stück Himmel in unsere irdische Wirklichkeit. Sie zeigen uns wie es in Gottes Schöpfung eigentlich zugehen sollte, Menschen und Tieren einander zugewandt in Empathie, Mitgefühl und Barmherzigkeit.

3. Jesus an der Seite der Tiere, der Schöpfung ganzheitlich zugewandt
Wir Menschen wurden aus dem Paradies vertrieben. Und die Tiere? Von ihnen steht in der Sündenfallgeschichte nichts davon, dass sie vertrieben wurden. Aber auch sie befinden sich heute wie wir Menschen jenseits von Eden.
Umso dringlicher fragen sie uns: Wie geht ihr Menschen mit uns um? Wir haben euch das Paradies gezeigt. Und Ihr? Wir müssen gestehen, wir haben es den Tieren schlecht gedankt.
Mit dem Verlassen des Paradieses haben die Menschen die ganze Natur, den Ackerboden, die Pflanzen, die Tiere als ihren Besitz angesehen, den man ausbeuten und über den man rücksichtslos verfügen kann.
Jetzt sehen viele Menschen Gottes gute Schöpfung nur noch als etwas Fremdes, Feindliches an und behandeln sie auch so.

So darf es nicht bleiben, dass die Tiere unter den Menschen leiden.
Das ist eine wesentliche Botschaft von Weihnachten: Die Tiere an der Seite der Menschen. Wenn die Tiere im Stall von Bethlehem uns Menschen ans Paradies erinnert haben, dann versteht es sich von selbst: Wer die frohe Botschaft hört und sich ihr öffnet und gewillt ist, ihr zu folgen, der steht auf der Seite der Schöpfung, er hütet sie und bewahrt sie.

4. Wie es aussieht, wenn der Mensch die Natur als Feind ansieht
Liebe Gemeinde, nicht alle Menschen lassen sich von dieser frohen Botschaft leiten. Man kann sich ja dieser Welt, der Natur, den Tieren und auch den Mitmenschen auf ganz andere Weise nähern und mit ihnen umgehen.

Dazu brauchen wir nur dort hin auf die Baustelle schauen, da wo einst uralte Bäume, Sträucher, Hasen, Schmetterlinge, Juchtenkäfer mit einem Wort eine blühende Vegetation sich ausbreitete, zur Freude der Tiere und von uns Menschen.

Die Betreiber von S21 in den Konzernen und in der Politik, ihre Helfershelfer und Trittbrettfahrer, meinen ja, der Stadt und dem Land und den Menschen etwas Gutes zu tun, sie sagen, sie bringen den Fortschritt.

Wir aber schauen genauer hin und stellen entsetzt fest:
Sie alle folgen letztlich nur einer Ideologie, einem Wirtschaftssystems und Gesetzen einer Finanzwelt, die sich losgelöst hat von jeder Moral und jeder Verantwortung der Mitwelt gegenüber, allein auf Profit und Geldvermehrung angelegt. Eine Ideologie, die verspricht, den Menschen höchsten Wohlstand zu bringen und die Probleme von Unterentwicklung, von Armut, Hunger und Umweltzerstörung zu lösen.

In Wirklichkeit schafft diese Wirtschaftsweise zwar einen ständigen Zuwachs an Reichtümern und Geldvermögen, doch zugleich verursacht sie eine wachsende Kluft
zwischen arm und reich, sie beschleunigt die Zerstörung des Ökosystems Erde. Sie zettelt Kriege an und erzeugt Terror und eine fortschreitende Enthumanisierung unserer Zivilisation.

Wenn wir gegen S21 protestieren, dann ist uns bewusst, dieses Bauprojekt ist nur ein Ausschnitt, die Spitze des Eisberges einer weltumfassenden Vernichtung und Zerstörung der Welt. Wir nehmen Stellung gegen eine Ideologie, die sich nicht nur hier in Stuttgart manifestiert, sondern weltweit und immer wieder in neuen Gesichtern zeigt, oder sollen wir sagen: in immer neuen Fratzen zeigt?
Hinter dieser Ideologie steht eine Geisteshaltung: Immer mehr, besser, größer, großartiger.
Ich bin kein Feind oder Verächter der Technik, ich bin kein Fortschrittsverweigerer. Muss es diese Maßlosigkeit sein? Da wird nicht nach besseren Alternativen gefragt, ob es auch anders geht, weniger Naturzerstörung, weniger Energieverbrauch, weniger Treibhausgase. Wir haben diese Alternative Umstieg21 entwickelt und veröffentlicht.

5. Wo stehen wir?
Wo stehen wir? Auf alle Fälle nicht dort, wo Menschen agieren ohne Moral, ohne Verantwortung. Wir stehen nicht bei denen, die alle Gefahren verleugnen, die demokratische Spielregeln missachten, keine Achtung haben gegenüber allem, was schwach ist, die die ganze Welt nur sehen als einzigartige Spielbank, in der man nach Belieben zockt.

Diese Leute sind, wenn man ihnen persönlich begegnet, oft ganz sympathische Zeitgenossen, Durchschnittsbürger. Aber wenn sie im Kontext ihrer Clique agieren, dann zeigt sich sehr schnell ihr wahres Gesicht.

Was können wir tun? Wir wollen nicht im breiten Strom der Ahnungslosen und Gleichgültigen mit schwimmen, sondern einen neuen verantwortungsvollen Lebensstil pflegen.

So ist das Bild von Ochs und Esel an der Krippe des Jesuskindes überhaupt keine romantische Angelegenheit, sondern Erinnerung ans Paradies. Und diese Erinnerung setzt aus sich heraus Kritik an den lebensbedrohenden Mächten, sie gibt uns Mut und Kraft, uns auf die Seite der Schöpfung zu stellen, mit ihr umgehen und ihr zu begegnen mit Liebe, Mitgefühl und Barmherzigkeit, so wie die Tiere im Stall von Bethlehem dem Jesuskind begegnet sind.
Amen

Ansprache beim Parkgebet am 17. Mai 2018 zu Apostelgeschichte 2,1-13 von Pfarrer i.R. Hans-Eberhard Dietrich

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Das Pfingstwunder (Apostelgeschichte 2, Vers 1–13)
Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander, und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen zerteilt, wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an, zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.
Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden.
Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache? Parther und Meder und Elamiter und die wir wohnen in Mesopotamien und Judäa, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien, Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene, in Libyen und Einwanderer aus Rom, Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie in unsern Sprachen von den großen Taten Gottes reden.
Sie entsetzten sich aber alle und wurden ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden?
Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll von süßem Wein.

 

1. Der Ausstieg einer aktiven Kämpferin

Liebe Parkgebetsgemeinde,

ihr habt vielleicht gelesen: Helga Stöhr-Strauch, eine Miterfinderin der Montags-Demos und anfangs aktive Streiterin gegen S21 verlässt Stuttgart und zieht weg, auch wegen ihres lungenkranken Mannes. In „einer zu Tode gerittene Stadt“ wolle sie nicht mehr leben.

Ihr tiefster Grund aber ist „die Hilflosigkeit und der Zorn darüber, Energie nicht mehr in Aktion umwandeln zu können“. (Kontext 370)

Nun, wir alle haben wohl auch schon mit den Gedanken gespielt, aus dem Protest auszusteigen, wenn auch nicht wegzugehen, aber sich in die Innerlichkeit zurückzuziehen und vor der Macht des Faktischen zu kapitulieren. Und wenn wir uns so umsehen und die kleine Schar der Protestierer vergleichen mit den früheren Jahren, stellen wir fest: Die meisten haben sich abgefunden und resignieren.

2. Begeisterung die Pfingstgeschichte

Welch einen Kontrast bietet demgegenüber unsere soeben vorgelesene Pfingstgeschichte. Da ist eine bis dahin kleine, verängstigte Schar von Menschen, die sich auch vor der Macht des Faktischen, nämlich die Kreuzigung Jesu, in die Innerlichkeit zurückgezogen haben.

Sie aber werden erfasst: Ein Brausen, ein Sturmwind vom Himmel, Feuerzungen über ihren Köpfen, alle fangen an zu reden von den großen Taten Gottes und die Leute, die sie hören, verstehen sehr gut, was sie da verkündigen. Die einen fragen interessiert, andere aber freilich spotten nur.

Pfingsten, da hatten die Jüngerinnen und Jünger erfahren, wir sind nicht verlassen und allein, wir brauchen uns nicht ängstlich zu verstecken, nein wir können reden von dem, was unsere Herzen erfüllt. Wir spüren den Geist, und erleben
Einsicht und Erkenntnis,
Weisheit und Stärke,
Wahrheit, Rat und Gottesfurcht.

Freilich, wir können über diesen Geist nicht einfach verfügen, er weht wo er will. Um diesen Geist können wir bitten, immer wieder neu.

3. Das wär`s, was wir brauchen: Begeisterung

Die Pfingstgeschichte erinnert uns daran, wie es gehen könnte, das wär`s doch, was wir für unsere Bewegung bräuchten: Begeisterung statt Resignation.

Dürfen wir diese Pfingstgeschichte auf diese Weise für uns in Anspruch nehmen? Pfingsten ist doch die Geburtsgeschichte der Kirche. Diese Begeisterung ist nicht einfach übertragbar, sondern mit der Gründung, mit dem Beginn der Kirche verknüpft.

Gottes Geist begeistert Menschen dafür, die Verkündigung der guten Botschaft in die Welt hineinzutragen. Das allerdings verbindet uns mit ihr. In dieser Tradition stehen wir. Als verfasste Kirche oder Gemeinde vor Ort oder aber so wie wir hier als Parkgebetsgemeinde.

Kirche ist nicht gleichzusetzen einfach mit unserer real vorfindlichen Orts- oder Landeskirche, sondern im ursprünglichen Sinn des Wortes einer Versammlung der Glaubenden. Eine bunt zusammengewürfelte Schar von Menschen. In diesem Sinne sind auch wir hier als Parkgemeinde Kirche, weil hier – wie die Reformatoren später genauer definierten – das Evangelium gepredigt wird. (Die Sakramente spielen freilich bei uns keine Rolle.) Und weiter sagten sie: Wo Gottes Wort ist, da wirkt auch der Heilige Geist.

Wir wollen und brauchen nicht zu sein, eine gesellschaftlich relevante Größe, die in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Wir bemühen uns nicht wie die Landeskirche um gesellschaftliche Anerkennung, öffentliche Wahrnehmung und Bedeutung.

Aber weil wir das alles nicht sein wollen, brauchen wir auch keine Rücksichten nehmen, müssen wir nicht nach Mehrheiten Ausschau halten oder uns umtreiben lassen von der Angst vor Kirchenaustritten. Wir können ungeschminkt und unzensiert das Evangelium verkündigen und das Beste daran ist: Wir müssen nicht resignieren vor der Macht des Faktischen.

4. Viele haben sich abgefunden mit der Macht des Faktischen

Wie gesagt: Die meisten Menschen in Stuttgart und Umgebung haben sich abgefunden damit, dass gebaut wird. Und wenn wir einmal das Jahr 1995 als den Beginn von S21 mit allem Begleiterscheinungen und Ungeheuerlichkeiten sehen, ist ja in der Zwischenzeit eine ganze Generation herangewachsen, die nichts anderes kennt, als dass eben gebaut wird, sie kann sich diese Stadt gar nicht anders vorstellen und finden es ganz normal, vielleicht sogar in Ordnung.

In der Politik nennt man das die „normative Kraft des Faktischen“. Das ist zwar kein Naturgesetz, es funktioniert aber in vielen Bereichen. Ein ganz banales Beispiel: In den Banken hat mal einer angefangen Krawatte zu tragen. Und alle anderen haben es nachgemacht. Heute tragen die Moderatoren im Fernsehen kaum noch einen Schlips und alle finden das normal.

Am Beispiel der Moral ganz leicht nachvollziehbar. Vor 50 Jahren stand ein Zusammenleben ohne Trauschein noch unter Strafe. Dann aber lebten immer mehr Paare so und langsam bildete sich eine neue Anschauung von Sitte und Anstand heraus.

Als letztes noch ein Negativbeispiel: Diktaturen. Nach Jahren der Unfreiheit und Unterdrückung haben sich die Leute daran gewöhnt und sehen es als normal an.

5. Auf diesen Mechanismus spekulieren die Politiker

Mit dieser normativen Kraft des Faktischen rechnen die Politiker, darauf spekulieren auch die Macher und Betreiber von S21. Man baut einfach und wenn es dann viele Jahre so weitergeht, werden es die Menschen schon akzeptieren. Ganz von allein geht es freilich nicht, man muss noch ein bisschen nachhelfen, am besten mit der Suggestion der Alternativlosigkeit, da ginge es um die Zukunftsfähigkeit des Landes oder Deutschland wird ohne S21 unregierbar, und wie die Sprüche alles heißen mögen. Nicht vergessen dürfen wir, welcher Anpassungsdruck in einer Gesellschaft von der Macht des Faktischen ausgeht. Keiner will ausscheren, alle wollen auf der Seite der Mehrheit und der Sieger stehen.

6. Erst der Protest einer Minderheit stellt die Macht des Faktischen in Frage

Aber wenn wir von Mehrheit sprechen, dann gibt es eben immer auch eine Minderheit, eine gewisse Anzahl von Menschen, die sich eben nicht abfinden, die protestieren, die Kritik üben und auf alle Ungeheuerlichkeiten, Widersprüche und Gefahren hinweisen. Dieser Protest Einzelner stellt die Macht des Faktischen in Frage. Erst diese Kritik macht vielen anderen Menschen bewusst, dass es eben nicht normal, nicht Sitte und Anstand ist, was da gebaut wird. Es macht bewusst, dass es andere Werte gibt, für die es sich lohnt zu kämpfen und sich einzusetzen.

7. Energie in Aktion

Um noch mal unsere Einleitung aufzugreifen: Mancher unter uns kann die Hilflosigkeit nicht mehr aushalten, nichts mehr bewegen zu können. Energie nicht mehr in Aktion umzuwandeln.

Ich frage mich, kann es mehr an Aktion geben als dass wir es fertigbringen, den Protest aufrecht und am Leben zu erhalten? Wir dürfen nicht vergessen, wir sind ja keine Wutbürger, die halt dagegen sind. Vielmehr artikulieren wir einen Protest, der sich aus Sachverstand speist.

Und das ist nicht wenig. Um nur die wichtigsten zu nennen: Der Sachverstand der Ingenieure22 als auch der exzellenten Juristen wie Eisenhardt von Loeper, Dieter Reicherter und viele anderen.

Und die vielen Gutachten, Expertisen von Experten. Die Pressemitteilungen des Aktionsbündnisses, die in der Presse ihren Niederschlag finden, wenn auch nicht immer so wie es sachlich geboten wäre. Und nicht zu vergessen die Fahrten nach Berlin, wenn der Aufsichtsrat tagt. Und auch wir hier im Parkgebet sind ein Teil der vielen Aktionen.

Und dieser geballte Protest wird jeden Montag erneut ausgebreitet und hält in unserem Denken und der Öffentlichkeit gegenüber die Tür offen, dass es auch anders gehen kann.

Wie leicht die Macht des Faktischen sich manchmal wandelt, zeigt folgendes Gedicht, mit dem ich schließen will:

Eine stachelige Raupe sprach zu sich selbst:
Was man ist, das ist man.
Man muss sich annehmen, wie man ist,
mit Haut und Haaren.
Was zählt, ist das Faktische. Alles andere sind Träume.
Meine Lebenserfahrung lässt keinen anderen Schluss zu:
Niemand kann aus seiner Haut.
Als die Raupe das gesagt hatte,
flog neben ihr ein Schmetterling auf.
Es war, als ob Gott gelächelt hätte.

Quelle: Die Macht des Faktischen von Dominik Frey, Baden-Baden, Katholische Kirche. Ein Gedicht des Schriftstellers und Dichters Lindolfo Weingärtner, Die Macht des Faktischen, aus: Einer soll heute dein Nächster sein, Schriftenmissions-Verlag, SWR3 Worte 24MRZ 2015.

Ansprache beim Parkgebet am 22. Februar 2018 zu Matthäus 4,1-11 von Pfarrer i. R. Hans-Eberhard Dietrich

(hier als pdf-Datei zum Herunterladen)

Matthäus 4,1-11
1 Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde.
2 Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn.
3 Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden.
4 Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.
5 Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels
6 und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben: Er wird seinen Engel deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.
7 Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben: Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.
8 Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit
9 und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.
10 Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben: Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott und ihm allein dienen.
11 Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm.

Liebe Parkgemeinde

Dreimal tritt der Versucher an Jesus heran, natürlich nur mit dem einen Ziel, ihn von seinem Weg wieder abzubringen, den er soeben in der Taufe am Jordan begonnenen hatte. Jesus wehrt sich mit einem Gotteswort. Aber der Teufel lässt nicht locker, zitiert selber Bibelworte. Sogar dieses wunderbare Psalmwort:

„denn er hat seinen Engel befohlen über dir, dass sie dich auf den Händen tragen“. Der Teufel macht weiter. Erst als Jesus ihn beim Namen nennt, „hinweg von mir Satan“, ihm sozusagen die Maske vom Gesicht reißt, eine sich sehr fromm gebende Maske, das raubt dem Satan die Macht. „Hinweg von mir Satan“, das hat gewirkt, die Macht des Bösen ist gebannt. Der Teufel verlässt Jesus. Engel erscheinen und dienen ihm.

Dieser eine Zug der Versuchungsgeschichte soll uns heute Abend beschäftigen. Das Böse wird beim Namen genannt und seine Macht ist gebannt.
Offensichtlich hat das Böse in der Welt ein großes Interesse daran, unerkannt zu bleiben, namenlos aus dem Dunkel heraus seine Macht auszuüben.

Liebe Parkgemeinde, ich glaube, Sie wissen schon, woran ich denke. Ob das nicht auch für S21 gilt? Mir jedenfalls ist es zu Beginn vor acht Jahren so ergangen. Namenloses Böses, unbegriffene Mächte, die sich da austoben und ihr böses Spiel mit uns treiben. Ich konnte es nicht fassen und ich konnte es mir einfach nicht erklären, warum unsere Gesetze plötzlich nicht mehr gelten sollten (z. B. Denkmalschutz oder der Schutz der Heilquellen), warum der Protest so vieler Tausend Menschen in einer freiheitlichen Demokratie nicht zählt. Warum haben alle guten Argumente nicht gefruchtet?

Aber je mehr ich an Informationen erfuhr, je intensiver ich mich in die Materie einarbeitete, desto mehr konnte ich all diese unbegriffenen Mächte beim Namen nennen. Das wirkte auf mich wie eine große Befreiung.

Dieser persönliche Erkenntnisgewinn war aber nicht möglich ohne die vielen anderen neben mir, die die gleichen Erfahrungen machten. Jetzt endlich konnten wir das Unrecht beim Namen, konnten die Urheber und Macher im Hintergrund auf diese Weise blamieren mit ihren hohlen Phrasen von Fahrzeitverkürzung, der Magistrale Paris–Bratislava, Kapazitätserhöhung, neue Arbeitsplätze usw.

Was sich hierbei abspielt, hat Volker Lösch mal auf den Begriff gebracht: Weiterlesen

Ansprache beim Parkgebet am 24.11.2016 zu Johannes 14,6;16,12 von Pf.i.R. Hans-Eberhard Dietrich

Liebe Parkgemeinde,

Joh 14,6: Jesus spricht: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich.

Joh 16,12: Wenn aber der Geist der Wahrheit kommen wird, der wird euch in alle Wahrheit leiten.

  1. Die „gefühlte“ Temperatur

wenn ich mein Smartphone nach der Temperatur von morgen frage, so kommt da z.B. die Angabe 9 Grad Celsius, drunter steht dann: gefühlt wie 6 Grad. Eigentlich wollte ich nicht wissen, wie irgendein Wetterfrosch sich fühlt, sondern wie kalt oder warm es wirklich wird. Das hat sich bei uns irgendwie eingebürgert, von einer gefühlten Wirklichkeit zu sprechen. Eigentlich ist das banal, kaum der Rede wert, Nebensache. Aber könnte es nicht auch Ausdruck einer ganz neuen Denkweise sein? Ein Denken jenseits der Wirklichkeit, jenseits aller Wahrheit? Auf Neudeutsch heißt das dann „postfaktisches Zeitalter“?

  1. Das postfaktische Zeitalter

Liebe Parkgemeinde, ehrlich gesagt, vor ein paar Monaten kannte ich diesen furchtbarbaren Begriff noch nicht: „postfaktisches Zeitalter“. Aber plötzlich las ich ihn immer wieder und stellte fest, er hat es bis in das Feuilleton seriöser Zeitungen geschafft.

Und jetzt las ich in der Zeitung: Es ist das Wort des Jahres. Die Jury begründete es so: „Das Adjektiv beschreibe Umstände, in denen die öffentliche Meinung weniger durch objektive Tatsachen als durch das Hervorrufen von Gefühlen und persönlichen Überzeugungen beeinflusst werde. Angetrieben von dem Aufstieg der sozialen Medien als Nachrichtenquelle und einem wachsenden Misstrauen gegenüber Fakten, die vom Establishment angeboten werden, habe das Konzept des Postfaktischen seit einiger Zeit an Boden gewonnen.“

Ich möchte es mit meinen eigenen Worten sagen: Die Menschen machen sich die Wirklichkeit zurecht, wie es ihnen gefällt, wie sie sich gerade fühlen. Für sie zählt Wahrheit, zählen Fakten nicht, sondern nur eine gefühlte Wirklichkeit. Man muss sie nur häufig genug behaupten und wiederholen, es wird genügend Menschen geben, die sie glauben. Schlimmer noch, es wird immer genügend Menschen geben, die sie glauben wollen, weil diese Art der Wirklichkeit ihren eigenen Illusionen entspricht. Es zählen nicht die besseren Argumente. Es zählt nur der starke Auftritt, die perfekte Inszenierung. Fakten sind weder richtig noch falsch, richtig sind sie nur, wenn sie der eigenen Sache dienlich sind.

Und wer auf Fakten besteht, der wird noch als Verlierer verhöhnt: „Fakten sind die Krücke der Verlierer, mit denen sie durchs Leben humpeln.“ (Zeit, 29.9.2016 S. 48) Sieger brauchen keine objektiven Fakten, sie schaffen sich ihre Welt, wie es ihnen gefällt. Wahr ist allein das Faktum der Macht, die ist echt. Und es gibt viele Menschen, denen das gefällt, die darauf reinfallen. Oder sollen wir lieber sagen; die gerne darauf reinfallen wollen?

  1. Postfaktische Zeitalter, leider auch unsere Wirklichkeit in Stuttgart

Kommt Ihnen das nicht irgendwie bekannt vor? Wir müssen gar nicht nach Amerika schauen, wo Donald Trump das gerade perfekt und mit viel Beifall praktiziert hat und damit zum Entsetzen der ganzen Welt auch einen Wahlsieg erzielt hat.

Das erleben wir hier in Stuttgart zur Genüge, seit Jahr und Tag. Jüngstes Beispiel: Beharrlich weigerte sich der Oberbürgermeister, gestützt von der Mehrheit des Stadtrates, einen Faktencheck zu S21 zu machen. Weiterlesen

Parkgebet am 9. Juni 2016 zu 1. Timotheus 2 Vers 1–3 von Eberhard Dietrich

Liebe Parkgemeinde,

1. Gebet für die Stadt, unter diesem Motto stehen unsere Gottesdienste alle zwei Wochen hier im Schlossgarten. Gebet, das ist für die meisten zunächst etwas ganz privates, ja Intimes zwischen mir und Gott. Ein „Reden des Herzens mit Gott“, wie es Martin Luther in seiner Erklärung zum Gebet ausdrückte. Darin schütte ich Gott mein Herz aus, was mir Sorge macht, was ich von ihm erhoffe, aber ich sage auch Danke für so vieles in meinem Leben, womit ich immer wieder neu beschenkt werde und was mich reich macht.

Gebet für die Stadt, das geht nun über diesen ganz privaten Bereich hinaus. Hier kommen unsere Mitmenschen in den Blick, die Gemeinschaft, die Gesellschaft, die Kommune.

Und das ist dann nicht nur eine Rede des Herzens mit Gott, sondern eine Sache, die man mit anderen Menschen gemeinsam macht. Aber nicht privat, so unter Freunden und Gleichgesinnten, sondern öffentlich. Dafür wird eingeladen, es ist für jedermann und jede Frau zugänglich.

Mit einem solchen Gebet stellen wir uns hinein in eine alte christliche Tradition, die es schon am Ende des ersten Jahrhunderts gab. Ich lese dazu ein paar Verse aus dem 1.Timotheusbrief des Paulus an seinen getreuen Missionsgehilfen Timotheus.

Predigttext: 1.Tim. 2 Vers 1-3
(1)So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen.
(2)Für die Könige und alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stillen Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit.
(3)Das ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserem Heiland, welcher will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.

2. Liebe Parkgemeinde, ich weiß nicht wie es Ihnen geht, manche Wendungen dieser Verse hören sich recht spießbürgerlich an: z.B. das mit dem „ruhigen und stillen Leben führen in aller Ehrbarkeit“.

Das soll uns aber nicht daran hindern, auf die Botschaft zu hören: Wir werden aufgefordert: öffentliches Gebet für die Obrigkeit.

Obrigkeit, das ist für uns nicht mehr ein König oder Fürst von Gottes Gnaden, sondern das sind für uns alle Menschen, die in unserer Gesellschaft Verantwortung tragen, die Parlamente und in unserer Stadt die Stadträte und Bürgermeister. Ihnen gehorcht man auch nicht mehr einfach, weil sie Obrigkeit sind. So hat man es früher oft verstanden, und so denken viele Menschen heute auch noch. Wer Verantwortung trägt, tut es für die Gemeinschaft und wird hoffentlich auch von der Öffentlichkeit einer mündigen Bürgergesellschaft kontrolliert.

Ich denke, wir alle hier sind ein Teil dieser kritischen Öffentlichkeit. Und deshalb werden wir auch nicht müde, z.B. S21 zu kritisieren.

Diese Kontrolle und Kritik ist kein Selbstzweck. Es hat zum Ziel, dass auch „sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.“

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Ansprache beim Parkgebet am 1.10.2015 zu Psalm 32,1-5 von Pfr. i. R. Eberhard Dietrich

V. 1 Wohl dem, dem die Übertretungen vergeben sind, dem die Sünde bedeckt ist.
V. 2 Wohl dem Menschen, dem der Herr die Schuld nicht zurechnet, in dessen Geist kein Betrug ist.
V. 3 Denn als ich es wollte verschweigen,
verschmachteten meine Gebeine durch mein tägliches Klagen.
V. 5 Darum bekannte ich dir meine Sünde
und meine Schuld verhehlte ich nicht. Ich sprach: Ich will dem Herrn meine Übertretungen bekennen.Da vergabst du mir die Schuld meiner Sünden.
Liebe Parkgemeinde

1.Der Psalm und seine Bedeutung
Wenn ich heute diesen ungewöhnlichen Bibeltext der Ansprache zugrunde lege, will ich ein paar einleitende und erklärende Worte voranschicken. Psalm 32 ist der zweite von sieben „Bußpsalmen“ der Kirche. Er ist in der Lutherbibel überschrieben:
„Vom Segen der Sündenvergebung“.
Der Anfangsvers nimmt uns gleich in diesen Gedanken hinein:
„Wohl dem, dem die Übertretungen vergeben sind, dem die Sünde bedeckt ist!
Wohl dem Menschen, dem der HERR die Schuld nicht zurechnet, in dessen Geist kein Betrug ist!“

Zuerst wollte der Beter seine Sünde verschweigen, doch er merkte, wie sich die Sünde wie ein Virus in seinem Körper auswirkte. Und er merkte die Hand Gottes, die schwer auf ihm lag. Wir würden heute sagen: Er hatte ein schlechtes Gewissen.
Das brachte ihn dazu Gott seine Sünde und
Schuld zu bekennen und er erfuhr Vergebung und Befreiung und ein erleichtertes Gewissen. Auf diese Weise ist dieses ganz intime Bekenntnisse der Schuld vor Gott zugleich auch Modell und Vorbild für andere, mit ihrer eigenen Schuld umzugehen.

2.Die öffentliche Dimension ihrer Taten: Störung des Rechtsfriedens. Wer zu den Tätern gehört
Wir müssen uns keine Gedanken darüber machen, wie die Täter vom 30. 9. mit ihrer Schuld vor Gott umgehen oder umgegangen sind. Das würde bedeuten, ihre Schuld einfach auf ihr Privatleben zu beschränken, und damit wäre ihr Tun für die Öffentlichkeit irrelevant.
Das Verhalten der Täter, ihr Tun und Agieren hat den Rechtsfrieden in unserer Bürger und Zivilgesellschaft empfindlich verletzt. Darüber wollen und müssen wir sprechen. An diese persönliche Schuld der Täter wollen wir erinnern.
Täter, um das noch einmal zu wiederholen, das sind für mich die Polizisten auf allen Stufen der Hierarchie, aber auch die Akteure im Hintergrund in der Politik, nicht nur damals vor fünf Jahren, sondern in gleicher Weise bis heute. Keiner der Verantwortlichen hat bis heute ein solches Schuldeingeständnis gemacht.

Was am 30. September 2010 passierte, war kein Tsunami, der über den Schlossgarten hereinbrach. Hier waren Menschen beteiligt. Alles war von langer Hand vorbereitet und geplant. Dabei wurde billigend in Kauf genommen, dass Menschen verletzt wurden, ja vielleicht nicht nur billigend in Kauf genommen, sondern mit Absicht. Denn warum hat man die Sanitäter nicht in den Schlossgarten gelassen?

Jeder einzelne von den Tätern hätte anders gekonnt.
Der Polizeipräsident hätte den Einsatz abbrechen können.
Die Täter in den Reihen der Polizisten hätten nur ihre Vorschriften beachten müssen.
Die Politiker und Justiz hatten fünf Jahre Zeit, ihre Pflicht zu tun und das Strafrecht anzuwenden.
Aber sie haben es nicht getan. Das ist ihre Schuld.
Was wir fordern und erwarten ist nicht eine oberflächliche Entschuldigung, wie wir es uns im Alltag angewöhnt haben mit den Worten: „Ach Entschuldigung“, eine Floskel, die wir letztlich gar nicht ernst meinen. Oder wie viele sagen: „Schwamm drüber“, so als wenn man früher auf einer Schiefertafel einfach einen Fehler wegwischte.
Wir fordern von den Tätern und Verantwortlichen das Eingeständnis ihrer individuellen Schuld, die Reue und die Bitte um Vergebung bei den Opfern. Erst dann ist Vergebung möglich. Und wir werden nicht müde werden, daran zu erinnern, bis der Rechtsfrieden wieder hergestellt ist.
Es ist unsere Aufgabe, die Gewissen zu schärfen, nicht sie einzulullen. Es ist unsere Aufgabe beharrlich das Unrecht zu benennen
und Vergebung zu verweigern.

3. Warum wir nicht vergessen dürfen
Warum aber soll man Schuld nach so langer Zeit thematisieren und daran erinnern?
Müssen wir uns als Christen nicht für Versöhnung und Vergebung stark machen? Als Christen müssen wir auch mal einen Schlussstrich unter Vergangenes ziehen. In der Tat, das müssen wir. Aber wie wir im Psalm gelernt haben, steht vor der Vergebung und Versöhnung und dem guten Gewissen das Eingeständnis der Schuld. Auch von der Psychologie her wissen wir, dass man Schuld nicht einfach unter den Teppich des Verdrängens und Vergessens kehren darf.

Und ich erinnere an eine kleine Szene aus dem Leidensgeschichte Jesu. Als während des Verhörs vor dem Hohenpriester einer der Soldaten ihn grundlos ins Gesicht schlägt, stellt er ihn zur Rede. „Habe ich übel geredet, so beweise, dass es böse ist; habe ich recht geredet, was schlägst du mich? (Joh. 18,23)
Das heißt für mich: Wir dürfen das Unrecht beim Namen nennen und den Täter an seine böse Tat erinnern.

Wenn wir uns gegen das Vergessen aussprechen, dann aus zwei Gründen:
Der Rechtsfrieden muss wieder hergestellt werden. Ein gedeihliches Zusammenleben in unserer Stadt, in unserer Bürger- und Zivilgesellschaft kann es nicht geben, solange offensichtliches Unrecht ungesühnt bleibt, solange Täter nicht zur Rechenschaft gezogen werden.
Wenn wir das Unrecht einfach vergessen, dann rechtfertigen wir die Täter und geben ihnen im Nachhinein Recht und ein gutes Gewissen.

Nicht nur als Christen wissen wir um die unheilvolle Macht des Bösen. Und dieses Böse, diese Schuld muss vergeben werden, erst dann ist ein Neuanfang möglich. Um zu vergeben, muss der Täter seine Schuld einsehen, anerkennen und um Vergebung bitten
und sofern es möglich ist, wieder gut machen und sühnen. Erst dann ist Vergebung keine billige wohlfeile Gnade, so nach dem Motto eines Spötters über den christlichen Glauben der sagte: Der Beruf des lieben Gottes ist es eben zu vergeben. Und er wollte damit wohl sagen: Jetzt können wir Menschen eben tun und lassen, was wir wollen, es hat keine Konsequenzen weder bei Menschen noch bei Gott.

Wir stemmen uns zweitens gegen das Vergessen um der Opfer willen. Das sind wir auch den Opfern gegenüber schuldig. Viele von uns wurden verletzt an Leib und Seele. Wenn wir das Böse einfach vergessen, machen wir sie erneut zu Opfern. Dann nehmen wir ihre Verletzungen nicht ernst und erwarten von ihnen, wenn auch unausgesprochen, das alles einfach wegzustecken.
Wir wollen uns nicht scheuen, das als Unrecht, als Böses zu benennen, auch wenn es vielleicht ein weltlicher Richter anders sieht oder entschuldigt.
Das Tun der Täter ist nicht einfach blindes Geschick oder Schicksal, sondern persönliche Schuld. Sie hätten auch anders gekonnt, wenn sie gewollt hätten. Gestörter Rechtsfrieden ist gestörte Gemeinschaft und die kann nur durch die Gemeinschaft wieder geheilt werden. Nur so ist ein Neuanfang möglich.
4.Gegen alle Selbsttäuschung
Und damit kommen wir zu einem letzten Gedanken unseres Psalmes. „Wohl dem Menschen, in dessen Geist kein Betrug ist.
Wir erleben es gerade im Hinblick auf den Schwarzen Donnerstag, wie gewissenlos Menschen im Umgang mit ihren Mitmenschen sein können. Warum können sie so handeln? Der Psalm spricht von Betrug, Täuschung, wir könnten auch sagen: Ausreden, Rationalisierungen..

Kaschieren von Gewalt. Auskosten von Macht. Ich erinnere an die kleine Szene aus dem Markusevangelium, wo Jesus vor denen warnt, die bei den Menschen als die Herrscher gelten und die ihre Völker nieder halten und ihnen Gewalt antun. (Mk 10,42)

Der Polizeipräsident hat z.B. ein halbes Jahr später in der Hospitalkirche eine Plattform bekommen, sich zu rechtfertigen und er stellte sein Tun unter das Motto: „Wieviel Sicherheit braucht unser Zusammenleben?“
Perverser geht es wohl nicht mehr. Als wenn die Sicherheit für die Stadt von einer friedlichen Schülerdemo gefährdet worden wäre.

Vielleicht werden Menschen erst zu solchen Taten fähig, weil sie sich etwas vormachen, sich selbst betrügen, weil sie Gottes Gebote missachten, ihren Gehorsam gegen Befehle als höchsten Wert ihres Lebens sehen, ihre Karriere nicht gefährden wollen oder einfach feige sind.
Über die Motive der Täter kann man trefflich spekulieren.
Wir aber messen sie an ihren Taten.
Wir wollen nicht mehr aber auch nicht weniger als dass das Unrecht erkannt und gesühnt wird. „Wohl dem Menschen, in dessen Geist kein Betrug ist.“

Ansprache Tour de Nature. Sonntag, 28. Juli 2013 Mittleren Schlossgarten (Hans-Eberhard Dietrich. Pfarrer)

Im Rahmen des 3. Europäischen Forums gegen unnütze Großprojekte startete die diesjährige Tour de Natur, die in Etappen von Stuttgart bis nach Marburg führt. Die Tour de Natur ist eine Fahrrad-Demo für eine sinnvolle ökologische Verkehrspolitik.

Die Gruppe Christen/Theologen gegen S21 verabschiedete im Rahmen eines Extra-Parkgebetes die Radler am Sonntagmorgen (28. Juli 2013) im Mittleren Schlossgarten mit einer Andacht und einen Reisesegen.

Ansprache Tour de Nature. Sonntag, 28. Juli 2013 Mittleren Schlossgarten (Hans-Eberhard Dietrich. Pfarrer)

„Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist,
der Erdkreis und die darauf wohnen.“ Psalm 24 V.1.

Mit diesem Satz, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer,

werden wir  daran erinnert, wem diese Erde wirklich gehört: Unserem Gott. Wir Menschen sind auf dieser Welt lediglich Gäste eines gastfreundlichen Gottes. Er will uns und alle seine Geschöpfe wie Mitglieder einer großen Familie bewirten. Und er will uns so bewirten, dass wir alle satt werden.

Dieser Satz ist aber auch zugleich eine deutliche Kritik an Menschen, die – um im Bild von Gast und Gastgeber zu bleiben –  nicht wissen, wie man sich zu Tisch benimmt. Wenn wir irgendwo zum Essen eingeladen sind, dann nehmen wir nicht ungefragt, sondern warten, bis man uns ausschöpft oder wir aufgefordert werden, uns zu bedienen. Und wenn wir uns dann bedienen, dann achten wir darauf, dass alle anderen am Tisch auch noch etwas abbekommen und nicht leer ausgehen.

Es fällt wohl nicht schwer, dieses Bild auf uns zu übertragen. Wir sind nicht allein auf dieser Welt und dürfen sie nicht einfach „vervespern“ ,wie man im Schwäbischen so schön sagt. Denn so wie es bei einem Festmahl in der Regel reichlich zu essen gibt, aber nicht unendlich, so steht es auch mit dieser Erde.

Diese Erde ist zwar riesig groß, aber eben begrenzt, begrenzt sind die Bodenschätze, das Wasser, die Luft, der Ackerboden für die Nahrung, die Wiesen, Wälder und Seen. Begrenzt die Vielfalt der Arten an Pflanzen und Tieren.

Und überhaupt: Diese Welt ist einfach zu schön, zu wertvoll, vielleicht auch zu zerbrechlich als dass wir Menschen sie einfach nach Belieben und ohne Ehrfurcht gebrauchen und verbrauchen dürften.

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Der Frieden mit den Kreaturen

Predigt zu Jesaja 11, 1-9 am 26.12.2012 im Stuttgarter Schlossgarten
von Pfarrer i.R. Eberhard Dietrich
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V. 6-8:  Ein kleiner Knabe wird Kälber  und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben. Kühe und Bären werden zusammen weiden, dass ihre Jungen beieinander liegen und Löwen werden Stroh fressen wie die Ochsen. Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein entwöhntes Kind wird seine Hand strecken in die Höhle der Natter.

Eine solche Vision findet sich nicht ab mit den Zuständen in der Welt, wie sie sind. Sie stellt uns hinein in die Erwartung einer anderen, neuen Welt. Hier aber sind wir nicht mehr staunende Zuschauer, so wie bei der Vision mit dem Frieden innerhalb des Tierreichs, sondern selbst Akteure, selbst gefordert. Wir Menschen können das Reich Gottes nicht heraufführen. Wir können aber im Verhalten zu den Tieren Zeichen setzen, ein Stück weit einen solchen Frieden verwirklichen, und zwar in der Vorfreude auf das Reich Gottes.
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Gedenken, Mahnen, Achten – Ansprache zum 30.09.2012

Liebe Freundinnen und Freunde der freiheitlichen Demokratie !

Bei den Römern gab es so etwas wie ein staatlich verordnetes Vergessen, um irgendwelche Verbrechen von Behörden oder Staatsmännern aus dem Bewusstsein des Volkes zu tilgen. So würden es die Verantwortlichen auch gern mit dem 30. September 2010 tun, um diesen Ausbruch staatlicher Gewalt gegen friedliche Kinder, Jugendliche und Menschen aller Altergruppen vergessen zu machen.
Wir aber vergessen nicht.
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Damoklesschwert über dem Park – Ansprache beim Parkgebet am 9.02.2012

Wie ein Damoklesschwert hängt die Baumfällung über diesem Park und seinen Bewohnern in den Bäumen. Schon sind die Baggerzähne gewetzt und die Sägen geschliffen und die Bagger stehen für ihr Vernichtungswerk bereit.
Aber noch können wir hier unser Parkgebet abhalten, auch wenn uns das Herz bei all diesen Gedanken schwer wird und uns eher zum Heulen zumute ist. Noch stehen die Bäume, um die wir kämpfen. Sehr tröstlich hat am letzten Freitag Schwester Inge Singer aus Gaildorf auf der Parkschützerseite aus der Tageslosung ein Wort von Dietrich Bonhoeffer zitiert:
Alles hat seine Zeit und die Hauptsache ist,
dass man mit Gott Schritt hält.
Und ihm nicht immer schon einige Schritte vorauseilt,
allerdings auch keinen Schritt zurückbleibt.
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„Juchtenkäfer stoppt S21“

So oder so ähnlich konnte man es in der letzten Zeit in der Presse lesen. Wer die Vorgänge um S21 verfolgt, weiß, worum es geht. Deshalb nur in aller Kürze: Unsere Gesetze schreiben vor, dass beim Fällen von Bäumen oder Abreißen von alten Gebäuden der Artenschutz beachtet werden muss. Konkret geht es um Fledermäuse und Juchtenkäfer, die streng geschützt werden, weil sie vom Aussterben bedroht sind.
Fakt ist, dass bei uns täglich Tierarten aussterben. Das aber kann uns nicht gleichgültig sein. Die biologische Vielfalt von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen ist Grundlage allen Lebens. Sie ist Grundlage auch unserer menschlichen Existenz. Wenn wir dem Artensterben nicht wehren, sägen wir uns den Ast ab, auf dem wir zusammen mit allen Lebewesen sitzen.
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Seid untertan der Obrigkeit !??

1. Die Aufforderung an die Theologen: Keine Einmischung in die Politik

Uns Theologen wird immer wieder dringend empfohlen, – so auch in kritischen Beiträgen auf diesem Blog – uns um die Verkündigung zu kümmern und nicht gegen ein Bahnprojekt Stellung zu nehmen. Politik, Wirtschaft, die Banken, die Industrie, das Rechtswesen – sie alle hätten ihre eigenen Gesetze, denen die Menschen, die dafür Verantwortung tragen, folgen müssten. Da herrschten wirtschaftliche Zwänge, Gesetze des Marktes, mit einem Wort: Eigengesetzlichkeiten, die man akzeptieren müsse, da habe der Glaube nichts zu suchen. Er ist Privatsache.

Andere Kritiker zitieren die Bibel, in der steht: Seid untertan der Obrigkeit. Ihr muss man gehorchen. Was sie einmal beschlossen hat, muss man eben akzeptieren. Diese Bibelstelle hat eine gewichtige Tradition in der Kirche, vor allem in lutherischen Landeskirchen, begründet. Sie beherrscht bis heute das Denken vieler Menschen.
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Keine Chance zur Mitsprache

Bürger, kritische Initiativen und Fachleute hatten bei Planungen und parlamentarischen Entscheidungen keine Chance zur Mitsprache oder Beteiligung.

Nicht nur an Stammtischen wird den Kritikern von S21 der Vorwurf gemacht, sie kämen mit ihrem Protest zu spät. Seit 1994 werde das Projekt geplant und öffentlich erörtert. Warum haben sie sich nicht früher zur Wort gemeldet und die Chancen des Einspruchs gegen das Vorhaben genutzt?
Dieser Vorwurf ist schlicht falsch und verkennt die Faktenlage. Weiterlesen

Sind die Beschlüsse zu Stuttgart 21 ethisch legitimiert ?

1.  Wichtige Vorhaben müssen ausreichend und öffentlich diskutiert werden
Einer der Gründe, aus christlicher Überzeugung S 21 abzulehnen, liegt in der Verweigerung einer offenen Auseinandersetzung über das ganze Projekt. Die Kirchen wie auch die Politik fordern bei solchen Großprojekten klare Regeln für das Zustandekommen von Beschlüssen.

Die Befürworter des Bahn- und Immobilienprojektes Stuttgart 21 berufen sich darauf, dass alle parlamentarischen Gremien, u.a. Gemeinderat und Landtag, dem Projekt mit großer Mehrheit zugestimmt haben. Wenn es aber um ein Vorhaben dieser Größenordnung geht („größtes Bauprojekt Europas“ O-Ton der Betreiber), dessen Verwirklichung sich seit mehr als 17 Jahre hinzieht, ist eine solche formale Legalität nicht ausreichend. Zum einen, weil beim Zustandekommen der Beschlüsse kein offener Diskurs stattfand. Zum anderen haben sich in der Zwischenzeit die Rahmenbedingungen gründlich geändert.
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Chronologie der Kritik und des Widerstandes gegen Stuttgart 21, 1994 – 2010

Immer wieder wird den Kritikern von S 21 vorgeworfen, sie kämen mit ihrer Kritik zu spät. Warum haben sie nicht die Chancen des Einspruchs gegen das Vorhaben genutzt? Diese Meinung entspricht nicht den Tatsachen. Ein Blick in die Geschichte lehrt.
„Die Unterstellung, dem heutigen Konflikt sei ein hinreichender Zeitraum demokratisch offener Entscheidungsfindung vorausgegangen, ist historisch schlichtweg falsch.“  (Andreas Zielcke, Süddeutsche Zeitung 19.10.2010)
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Wie konnte ihr Glaube nur so blind sein ?

1. Wie konnte ihr Glaube so blind sein?
In der Rückschau fragt man oft: Wie konnte der Glaube der Christen angesichts von Unrecht, Sklaverei, sozialer Missstände, staatlicher Terror, Zerstörung der Schöpfung usw. so blind sein?
Selina Moll, eine Mitunterzeichnerin der Gemeinsamen Erklärung,  erzählt uns von einer Kirchenkonferenz reformierter Kirchen in Akkra im Jahre 2004. Die Teilnehmer machten einen Besuch in einer ehemaligen Sklavenfestung an der afrikanischen Küste. Sie schilderten ihren Eindruck: „In der Festung Elmina an der Küste Ghanas lebten die holländischen Kaufleute, Soldaten und der Gouverneur auf der oberen Etage, während die Sklaven darunter, eine Etage tiefer eingekerkert waren und auf ihren Transport nach Amerika warteten. Oben beteten die frommen Christen ihre Psalmen, während Men-schen unter ihren Füßen in Ketten gelegt im Horror jenes Verlieses schmachteten. Wer heute diese Festung besichtet, fragt sich fassungslos und verstört: Wie konnten sie ihren Glau-ben so gänzlich von ihrem Leben abspalten? Wie konnten sie ihre spirituelle Erfahrung so gänzlich von dem qualvollen körperlichen Leiden direkt unter ihren Füßen trennen? Wie konnte ihr Glaube so blind sein?“
In der Vergangenheit ist dies nicht das einzige Versagen von Kirche und Christen. Es fällt sicherlich nicht schwer, hierzu weitere Beispiele zu finden.

2. Die Botschaft der Bibel ist eindeutig
Warum haben die Christen ihren Glauben nicht ernst genommen und wirklich so gelebt, wie es dem Willen Gottes entspricht? Denken wir nur an das Doppelgebot der Liebe Matthäus 22, 37ff, oder die Bergpredigt Matthäus 5ff und Lukas 6.
Wir hören von einem Glauben, der sich in der Nächstenliebe äußern muss, sonst ist er kein rechter Glaube. Aus dem Glauben folgt das richtige Handeln. Glauben darf nicht belangloses Denken, Meinen oder Reden sein, aus dem nichts folgt, sondern er muss aus sich heraus das rechte Tun setzen. Glaube ohne Werke ist kein wirklicher Glaube. Jakobus 2,14-24: So auch der Glaube, wenn er nicht gute Werke hat, so ist er tot in sich selber. Jesus: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Ein guter Baum bringt auch gute Früchte hervor. Matthäus 7,16.

3. Warum aber genügt Nächstenliebe nicht, warum sich auch noch politisch engagieren? Eine weit verbreitete Meinung – bis heute
Eine weit verbreitete Meinung lautet: die Kirchen (und die Christen) mögen sich auf religiöse Fragen und Probleme der individuellen Lebensführung beschränken, sie sollen sich unpolitisch verhalten und keine konkreten Forderungen zu politischen Gegenwartsfragen erheben. Persönlicher Glaube und Glaubensgehorsam ja, nein aber zu einer politischen Parteinahme zu Gegenwartsfragen.
Zwei Bibelstellen untermauern diese Meinung: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist.“ Mark 12 Vers 13-17 und Röm 13: „Seid untertan der Obrigkeit.“
Die grundsätzliche Kritik an diesem Denken:
Hier wird die Welt unzulässigerweise in zwei Bereiche eingeteilt: Auf der einen Seite die Kirche, die sich um das Seelenheil der Menschen zu kümmern hat. Auf der ande-ren Seite der Staat, die Verwaltung, die Wirtschaft, die Banken, die Industrie. In die-sen Bereichen herrschen bestimmte Zwänge und Eigengesetzlichkeiten, wirtschaftliche Gesetze usw.
Wenn unsere Welt nach solchen ehernen Gesetzmäßigkeiten abliefe, dann wären alle ethischen Überlegungen sinnlos. Dann wäre auch der Glaube für diese Welt belanglos. Der Umgang mit Kranken, Behinderten, Minderheiten usw. wäre allein von Zweckmäßigkeiten, angeblichen Sachzwängen bestimmt, es könnten vom Staat beliebige Werte proklamiert werden, wie z.B. Blut und Rasse, Apartheid, das Recht des Stärkeren.

4. Der persönliche Glaube allein genügt nicht, wir sind auch für die Welt um uns her verantwortlich
Jeder wird zustimmen, dass Glaube im persönlichen Leben Konsequenzen haben muss. Jetzt aber die entscheidende Frage: Warum genügt es nicht, persönlich Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft zu üben? Viele Menschen denken so, sie fühlen sich nicht für mehr als ihren privaten Umkreis verantwortlich.
Nächstenliebe im Alte Testament war die Zuwendung zu den Menschen, die mir nahe stehen: Familie, Sippe, Volk. Darüber hinaus durchzieht das Bemühen um Gerechtigkeit – im heutigen Sinne soziale Gerechtigkeit – das ganze AT und kommt vor allem in der Botschaft der Propheten zum Ausdruck. Das alles bleibt im NT gültig, ohne dass es eigens thematisiert wird.
Nächstenliebe im Neuen Testament am Beispiel des Barmherzigen Samariters bedeutet: Hier wende ich mich einem zu, der nicht zu meiner Sippe, Familie, ja noch nicht einmal zu meinem Volk gehört. Ich wende mich ihm zu, weil er meine Hilfe braucht, auch wenn ich ihm ganz zufällig begegnet bin. Nächstenliebe ist universal. Sie muss hineinwirken in ökonomische, politische und gesellschaftliche Strukturen, in denen geholfen wird.
Der Wille Gottes ist nicht nur im zwischenmenschlichen Bereich zu tun, sondern auch im Sozialverhalten und – was in den letzten Jahren stärker in den Blick kommt – im Verhältnis zur Schöpfung und der bedrohten Umwelt. Die Alternative zu einem rein privaten Christentum ist der Einsatz für strukturelle Gerechtigkeit, Kultur der Barm-herzigkeit, nachhaltiger Umgang mit Ressourcen, Wirtschaftsordnung zum Wohle aller, nicht nur der Starken, Reichen, Leistungsfähigen usw.
Die Kirche hat die Aufgabe, die Ursachen, Bedingungen und Auswirkungen wirt-schaftlicher und sonstiger Abläufe und Geschehnisse aufzudecken, über Wege zu ihrer Beeinflussung nachzudenken und scheinbaren Sachzwängen gegenüber die Freiheit des Menschen zu verantwortlichen Entscheidungen ins Spiel zu bringen.

5. Wie konnte ihr Glaube so blind sein?
Bei Stuttgart 21 geht es nicht um einen Bahnhof, ob er oben oder unten gebaut werden soll. Diese Frage wäre wohl schnell entschieden, wenn es nur die Lösung des Tiefbahnhofs gäbe. Das aber ist nicht der Fall. Spätestens seit der sogenannten Schlichtung wissen wir: Es gibt mit Erhalt und Ertüchtigung des Kopfbahnhofs eine bessere Alternative ohne Zerstörung des Parks und seiner Tierwelt, ohne Gefährdung der Mineralquellen, ohne all die weiteren Risiken, die in den letzten Wochen und Monaten ans Tageslicht gelangt sind.

Kann christlicher Glaube all diesen Erkenntnissen gegenüber blind sein?
Es ist zu hoffen, dass man die Befürworter von S 21 im Rückblick nicht die Frage stellen muss: „Wie konnte ihr Glaube so blind sein?“

Hans-Eberhard Dietrich, Pfarrer

Ansichten des Stuttgarter Amtes für Umweltschutz

1. Das Gleisvorfeld – ein einzigartiges Biotop
Stuttgart 21 sei auch ein städtebauliches Projekt, für „Stuttgart eine einmalige städtebauliche Gelegenheit“ (Werbeprospekt) . Die Befürworter halten es deshalb für gerechtfertigt, den Lebensraum von Tieren und Pflanzen zulasten der Menschen einzuschränken oder zu vernichten. In diesem Zusammenhang soll aber an ganz elementare Zusammenhänge unseres Lebens und unseres christlichen Glaubens erinnert werden.
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Das rechte Wort zur rechten Zeit

So lautet der Titel einer Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland aus dem Jahre 2008.
(Das rechte Wort zu Rechten Zeit. Eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Öffentlichkeitsauftrag der Kirche. Gütersloher Verlagshaus 2008)

Viele Christen sehen bei dem Projekt S21 die Thematik des konziliaren Prozesses von Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung tangiert und sie fragen sich: Warum bleibt die Kirche stumm?
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„Menschengesellschaften“

1. Menschengesellschaften contra Mäuse und Käfer
Mit diesem altertümlichen Wort, das im heutigen Duden nicht mehr vorkommt, das aber z. B. noch bei August Bebel 1895 (die Frau und der Sozialismus) zu finden ist, bezeichnete ein S21 Befürworter während der sog. Schlichtung den neuen Stadtteil, der auf dem Gleisvorfeld in 15 oder 20 Jahren einmal entstehen soll. Es steckte wohl die Absicht dahinter, der Zerstörung dieses Biotops, das sich dort seit 80 Jahren entwickelt hat, mit dem Rückgriff in die sprachliche Vergangenheit einen seriösen Anstrich zu geben.  …  Da versteht es sich in diesem Denken fast von selbst, dass der Mensch ein Recht hat, sich gerade an die Stelle der dortigen „Lebensgesellschaft von Mäusen und Käfern“ breit zu machen.

2. Widerspruch
Wenn auf diese Weise der Lebensraum von Menschen gegenüber den von Tieren und Pflanzen als höherwertig dargestellt und sogar noch mit einem angeblichen Bibelzitat belegt wird („Pflanzen und Tieren dem Menschen zum Nutzen“), dann muss man dem aus biblischen und theologischen Gründen widersprechen.

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Ethische Orientierung für ökologisches Handeln – Kirche nimmt Stellung (Teil 2)

Immer wieder wird betont: Die Kirche muss sich beim Streit um Stuttgart 21 heraus- und neutral verhalten. Dabei wird leicht vergessen, dass die Kirche schon längst in amtlichen Verlautbarungen in guter Weise Stellung bezogen und im Hinblick auf Großprojekte klare Handlungsanweisungen gegeben hat. An dieser Stelle sei erinnert an: „Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung. Gemeinsame Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz“. Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1985.

Die Schrift fordert eine klare ethische Orientierung für ökologisches Handeln. Sie führt unter anderem aus:  Ehrfurcht vor dem Leben führt zur Selbstbegrenzung; nicht was der Mensch kann, sondern was er verantworten kann, ist der Maßstab; Gefahren müssen ernst genommen und vorausschauend abgewogen werden.

Ehe ein Auszug aus der Schrift hier wieder gegeben wird, zuerst ein paar einführende Bemerkungen.

Ökologie und Schöpfung
Stuttgart 21 sei auch ein ökologisches Projekt, so die Befürworter. Zunächst ein paar Gedanken voraus, was mit Ökologie gemeint ist. Ökologie, ursprünglich die Lehre von den Häusern, ist nach Duden die Lehre der Beziehungen der Lebewesen zur Umwelt. Die Ökologie hat uns für diese Zusammenhänge in den letzten Jahrzehnten die Augen geöffnet, wie stark wir Menschen in diese Zusammenhänge eingebettet sind. Wir sind nur ein Teil dieser Welt, der belebten und unbelebten. Alles Leben ist aufs Engste mit der Natur verwoben. Nächstenliebe kann sich unter diesem Horizont nicht auf die Menschen beschränken, sondern auf alle Teile der Schöpfung. Die Menschheitsfamilie ist gerufen, so zu leben, dass die Beziehung mit der ganzen Schöpfung Leben ermöglicht und beidseitig Leben fördert. Es steht dahinter die Überzeugung, dass wir Menschen und die „Lebensgemeinschaft Erde“ in rechter Beziehung zueinander leben müssen und dass die menschliche Gemeinschaft nicht die übrige Schöpfung missbrauchen oder verkonsumieren darf.

S 21 und die Ökologie
Bei S 21 wird die Ökologie bei einer ganzen Reihe von gravierenden Maßnahmen tangiert. Man kann die Frage nicht allein auf die CO2 Bilanz reduzieren, obwohl sie sehr wichtig ist.
Es geht auch um die Gefährdung der Mineralquellen, die schweren Eingriffe in den Schlossgarten, die komplette Entfernung des Gleisvorfelds mit der dort vorhandenen Tier- und Pflanzenwelt.

Zum Beispiel: Der Schlossgarten
Unbestritten ist, dass er in allen seinen Teilen ein lebendiger und sehr sensibler Lebensraum von Tieren, Pflanzen und Bäumen darstellt, der neben der Erholung für die Menschen der Innenstadt mit seinen alten Bäumen der Luftreinhaltung der ganzen Großstadt dient. Was es bedeutet, in dieses sensible Ökosystem einzugreifen, belegen ein paar Beobachtungen, die M. Wetzler und Tomoko Arai im Zusammenhang mit den ersten Baumfällungen am 1. Oktober 2010 gemacht haben.

Bilder aus: „Stuttgarter Schlossgarten, ein Naturschatz mitten in der Stadt ist bedroht“, M. Wetzler und Tomoko Arai, 2010.

S. 3  „Diese Eichhörnchen wurden am 27.09.  unter dem Haselnussbaum, der gerade viele Nüsse trug, fotografiert. Drei Hörnchen sammelten fleißig Nüsschen. Der Haselnussbaum wurde am 01.10. gefällt. Nach der offensichtlich illegalen Abholzung wurde beobachtet, wie ein Eichhörnchen vergeblich nach seinem Baum suchte …“
S. 11 „Ein verirrter Feldhase wurde in der Nacht vom 29. Oktober auf dem Gelände beobachtet, wo die Bauarbeiten für das Wasser-Management stattfinden, ängstlich und bewegungslos …  Die größte Feldhasenpopulation innerhalb deutscher Großstädte, die im Schlossgarten vorkommt, ist durch die Abholzung bedroht.
In der von S21 geplanten Parkerweiterung kann kein großer Baum wegen des unter der Erde liegenden Tiefbahnhofdachs wachsen. Kein Tier wird auf einer solchen künstlichen Fläche eine Heimat finden !“


S 21 – ein ökologisches Projekt?
Ob Stuttgart 21 wirklich ein ökologisches Projekt ist, entscheidet sich daran, wie die ökologische Bilanz am Ende aussieht, und ob ökologisches Handeln bei seiner Verwirklichung auch diesen Namen verdient. Die Leserinnen und Leser können sich selbst eine Antwort geben, wenn sie die folgende kirchliche Stellungnahme gelesen haben.

Hier ein Auszug aus der Schrift (im folgenden kursiv gedruckt und mit Zwischenüberschriften versehen): „Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung.“ Gemeinsame Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz. Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1985, S. 27-30.

Nicht was der Mensch kann, sondern was er verantworten kann, ist der Maßstab.
Beim Wahrnehmen der Verantwortung für Natur und Umwelt darf sich der Mensch nicht allein an seinen eigenen Interessen orientie­ren, auch nicht allein an dem, was er technisch machen kann. Er muß sich vielmehr darauf besinnen, was er als sittliches Subjekt tun darf und tun soll. Die heutigen ungeheuren Möglichkeiten, die Reichweite menschlichen Handelns und damit menschlicher Verantwortung ins Unfaßbare zu erweitern, legen dem Menschen neue Pflichten und neue Verantwortung auf. Welche grundlegenden ethischen Orientierungen lassen sich für eine ökologische Ethik gewinnen und benennen?

Ehrfurcht vor dem Leben führt zur Selbstbegrenzung
Nicht allein menschliches, sondern auch tierisches und pflanzli­ches Leben sowie die unbelebte Natur verdienen Wertschätzung, Ach­tung und Schutz. Die Ehrfurcht vor dem Leben setzt voraus, daß Le­ben ein Wert ist und daß es darum eine sittliche Aufgabe ist, diesen Wert zu erhalten. Das Leben ist dem Menschen vorgegeben; es ist seine Aufgabe, dieses Leben zu achten und zu bewahren. Es obliegt seiner Verantwortung, Sorge für seine Umwelt zu tragen. Dies erfordert Rücksicht, Selbstbegrenzung und Selbstkontrolle. Der Maßstab „Ehr­furcht vor dem Leben“ enthält ein Moment unbedingter Beanspru­chung und Verpflichtung, ein Schaudern vor den Folgen des Gebrauchs der Macht, das den Menschen zurückhalten soll, diese Macht zur Selbstvernichtung zu mißbrauchen. Die Ehrfurcht vor der Bestimmung des Menschen und das Schaudern und Zurückschrecken vor dem, was aus dem Menschen und seiner Umwelt werden könnte und was uns als denkbare Möglichkeit der Zukunft vor Augen steht, enthüllt uns das Leben als etwas „Heiliges“, das zu achten und vor Ver­letzungen zu schützen ist.

Ehrfurcht vor dem Leben heißt: Der Mensch muss sich als Hirte verstehen
Die Ehrfurcht vor dem Leben bewirkt auch eine Scheu vor dem rein nutzenden Gebrauch, eine Haltung der Beachtung und Schonung. So gesehen schließt sie eine „Ehrfurcht vor dem Gegebenen“ mit ein, sie weckt Wertebewußtsein und Schadenseinsicht. Diese Ehrfurcht vermittelt auch Einsicht in gegebene Grenzen, Einsicht in die Endlich­keit und Vergänglichkeit, vor allen Dingen Einsicht in die Verletzlich­keit der Schöpfung und Mitkreatur. Ehrfurcht vor dem Leben bezieht sich nicht nur auf menschliches, tierisches und pflanzliches Leben, son­dern im weiteren Sinn auf die „unbelebte“ Natur mit ihren Lebensele­menten (Wasser, Boden, Luft) und ihren funktionalen Kreisläufen als Lebensraum. Sie sind nicht als tote Gebrauchsgegenstände zu verste­hen, sondern als Teil der Lebensbedingungen des Menschen und seiner Mitkreatur. Wir Menschen müssen uns, um mit Sokrates zu sprechen, auf die Kunst des Hirten verstehen, dem am Wohl der Schafe gelegen ist, dürfen sie also nicht bloß unter dem Blickwinkel des Metzgers be­trachten.

Gefahren müssen ernst genommen und vorausschauend abgewogen werden
Die Tugend der Klugheit im Sinne der klassischen „Besonnenheit“ (lat. prudentia) gebrauchte die Menschheit, um die Folgen ihres Tuns abzuschätzen und in Konfliktfallen das geringere Übel zu wählen. Weil wir heute Folgen besser voraussehen können als frühere Genera­tionen, ist unsere Verantwortung gewachsen. Unsere Klugheit muß weitsichtiger sein. Dies gilt besonders für langfristige und unumkehr­bare Wirkungen. Weil die heute möglichen und erforderlichen Eingrif­fe aber tiefer in das Gefüge der Umwelt eingreifen, sind Neben- und Folgewirkungen weniger absehbar als zu früheren Zeiten. Unsere Klug­heit muß deshalb auch vorsichtiger sein. Ein Schaudern vor den Folgen des Gebrauchs seiner Macht müßte den Menschen die Furcht lehren, in naiver Unvorsichtigkeit zerstörerische Folgen seines Handelns zu über­sehen. Dies bedeutet nicht den Verzicht auf jegliches Risiko, wohl aber die Einschränkung und Verteilung möglicher Risiken. Im Zweifelsfall ist daher eher nach der Überlegung zu handeln, ein gewagtes Unterneh­men könne mißlingen, als nach der gegenteiligen Überlegung, es werde schon alles gut gehen.

Eingriffe in die Natur dürfen nur begrenzt vorgenommen werden
Konkret bedeutet dies: Eingriffe in den Haushalt der Natur sind möglichst sparsam und begrenzt vorzunehmen, selbst wenn unmittel­bare Nachteile nicht voraussehbar sind. Dieses Verhalten ist auch des­wegen vernünftig, weil es der Natur möglichst viel Spielraum für selbst­heilende Eigenkräfte läßt. Die Eigengesetzlichkeiten der Natur haben sich als flexibler und erfinderischer erwiesen als die Fremdsteuerung durch Mechanismen, die menschliche Erfindungskraft und Technik hervorgebracht haben.

Abwägen von Schaden und Nutzen
Kurzfristige ökonomische und technische Interessen und langfri­stige Interessen der Erhaltung von Natur und Umwelt sowie Belange des Überlebens der Menschheit können in Kollision geraten. In diesem Fall ist das langfristige Interesse gerade dann einer besonderen ethi­schen und gesellschaftliche Unterstützung bedürftig, wenn kurzfristi­ger Nutzen langfristige Schäden verursacht. In solchen Konfliktlagen bewährt sich ethische Verantwortung. Eine Abwägung zwischen kurz­fristigen und langfristigen Schäden, zwischen Schäden und Nutzen so­wie Wertvorzugsüberlegungen (Prioritätensetzungen) sind möglich und notwendig. Fragen der Umkehrbarkeit und der Regenerierbarkeit von Naturgütern sind ebenso mit zu bedenken wie die Interessen der heutigen und der künftigen Generationen.

Verfasser: Hans-Eberhard Dietrich, Pfarrer i.R.

Sich einmischen – Kirche hat schon Stellung bezogen

Immer wieder wird von Verantwortlichen in unserer württembergischen Landeskirche betont: Die Kirche muss sich beim Streit um Stuttgart 21 heraus- und neutral verhalten. Dabei wird leicht vergessen, dass die Kirche schon längst in amtlichen Verlautbarungen in guter Weise Stellung bezogen und im Hinblick auf Großprojekte klare Handlungsanweisungen gegeben hat. Da diese Texte schon aus früheren Jahren stammen, sind sie vielleicht nicht mehr allen bekannt. Deshalb soll an dieser Stelle daran erinnert werden.

Schöpfung bewahren – Kirche nimmt Stellung
Aus: „Frieden in Gerechtigkeit für die ganze Schöpfung.“ Text des Forums: „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung der Arbeitsgemeinschaft christliche Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) e.V. Stuttgart 1988, S. 103-106.

Worum geht es in diesen Stellungnahmen? Aus dem Glauben  an Gott als den Schöpfer der Welt folgt: Der Mensch ist ein Teil dieser Schöpfung und darf die Natur nicht einfach egoistisch ausbeuten. Vielmehr hat er die Pflicht, Verantwortung für diese Welt zu übernehmen. Das heißt z.B. Abschied nehmen von Allmachtsphantasien über die Schöpfung, Abschied nehmen vom Glauben an Wachstum ohne Grenzen und Fortschritt ohne Maß und um jeden Preis.

Im Hinblick auf S 21 sei besonders hingewiesen auf folgende Kriterien: „Vorhaben dieser Art (gemeint sind Großprojekte, Anm.d.Autors) dürfen nicht durchgeführt werden, bevor schwerwiegende Zweifel ausgeräumt sind…. Denn was alle angeht, soll auch von allen entschieden und vor allem öffentlich diskutiert  werden, insbesondere muss  die Umweltverträglichkeit geprüft werden und ob die Artenvielfalt bedroht ist.“

Was bedeutet dies für die Bewertung von S 21?
Dem Autor ist nicht bekannt, dass bei dem Bahn- und Immobilienprojekt S21 öffentlich, geschweige denn ausreichend der Interessenskonflikt im Hinblick auf die gravierenden Eingriffe in den Schlossgarten, die dortige Tierwelt und die Risiken für die Thermalquellen diskutiert wurden.

Hier ein Auszug (in kursiv wiedergegeben) aus: „Frieden in Gerechtigkeit für die ganze Schöpfung.“ Text des Forums: „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) e.V. Stuttgart 1988, S. 103-106. 

Theologische Einleitung
Gott hat die Welt geschaffen und bleibt in seiner Schöpfung gegenwärtig. Ihre Be­wahrung ist allen Menschen von Gott aufgetragen (vgl. Gen 2,15). Wir Christen glauben, daß die gesamte Schöpfung von der Liebe Gottes getragen bleibt, die sich in Jesus Christus offenbart.
Christen aller Konfessionen bekennen den dreieinigen Gott als Schöpfer, Er­halter, Erlöser und Vollender der Welt. Sie preisen Gott als den Schöpfer des Himmels und der Erde: „Herr, wie zahlreich sind deine Werke! Mit Weisheit hast du sie alle gemacht, die Erde ist voll von deinen Geschöpfen.“(Ps 104,24) Von Jesus Christus bezeugt die Bibel: „Denn in ihm wurde alles geschaffen, im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne und Herr­schaften, Mächte und Gewalten; alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen. Er ist vor aller Schöpfung, in ihm hat alles Bestand.“(Kol 1,16 f.) Alles Geschaf­fene ist vom Geist Gottes, dem Liebhaber des Lebens, durchwaltet und wird dadurch geheiligt. …
Gott hat den Menschen als Teil seiner Schöpfung erschaffen. Alle Mitgeschöpfe haben ihren eigenen Wert, der darin begründet liegt, daß sie von Gott gewollt sind. Die Ehrfurcht vor dem Leben verbietet es, Tier- und Pflanzenwelt vor­nehmlich unter dem Gesichtspunkt ihres Nutzens und der Verwertbarkeit für den Menschen zu sehen. Das gilt auch für die unbelebte Natur. Gott hat dem Menschen jedoch auch eine besondere Stellung in seiner Schöp­fung vorbehalten: Er hat ihm den Auftrag gegeben, als sein Abbild Verantwor­tung für die Mitgeschöpfe wahrzunehmen.
Unsere Schuld besteht darin, daß wir immer wieder aus egoistischen Motiven die uns gezogenen Grenzen verletzen und der Schöpfung nicht mehr behebbare Schä­den zufügen. Die Natur ist vorwiegend zum Rohstoff für eine verschwenderische Produktion von Konsumgütern geworden.
D
ie Schöpfung ist uns zur Gestaltung und zur Pflege anvertraut. Mit der An­maßung grenzenloser Herrschaft über die Natur mißachten wir unseren Auf­trag und erweisen uns so als Sünder. Zudem gefährden wir das ökologische Gleichgewicht und riskieren unsere Zukunft wie die der kommenden Genera­tionen. Mit dieser Praxis tun wir der Schöpfung Gewalt an. Umkehr zu Gott ist daher notwendig. Begründet ist diese Umkehr in der tiefen Überzeugung, daß Gott Freude an seiner Schöpfung hat und sie liebt. Es gilt, die Dankbarkeit für das Geschenk der Schöpfung wiederzugewinnen und un­sere tägliche Verantwortung für das Geschaffene so wahrzunehmen, daß wir in den Lobpreis der gesamten Schöpfung einstimmen können. Der Mensch darf die Früchte und Schätze der Erde dankbar nutzen. Aber gerade darin soll er Ab­bild Gottes sein, daß er wie Gott fürsorglich, liebevoll die Schöpfung hegt und pflegt. Das aber heißt heute, viel größere Anstrengungen zu unternehmen, um die Gewalt gegen die Schöpfung zu vermindern. …  

Wahrnehmung der Verantwortung
Wenn wir als Christen, und sei es auch nur bruchstück- und zeichenhaft, den ver­heißenen Frieden Gottes in dieser Schöpfung aufzeigen wollen, müssen wir umdenken. Ausgehend vom biblischen Schöpfungsauftrag gilt es, mit Hilfe der menschlichen Vernunft Maximen für das konkrete Handeln in der Welt zu ent­wickeln.
Wir müssen ablassen von Machtphantasien über die Schöpfung und demütig die Grenzen unseres Handlungsspielraums und unsere eigene Begrenzung anerkennen. Wir müssen Abschied nehmen von dem Glauben an ein unbe­grenztes Wachstum und an Fortschritt ohne Ende und uns am Maßstab des Lebens und dessen, was dem Leben dient, orientieren. Bei der Verwirklichung dieses Umdenkens sind wir häufig konfrontiert mit star­ken Interessenkonflikten. Oft stehen z. B. Wirtschaftlichkeit, Besitzstandswah­rung und -Vermehrung, politisches Machtstreben und Sicherung von Arbeits­plätzen gegen die Bestrebungen der Umwelterhaltung; ökonomische Interes­sen beanspruchen im allgemeinen Vorrang vor ökologischen Interessen. Als Christen können wir uns der schwierigen Aufgabe nicht entziehen, uns für ein solches Umdenken in allen Lebensfeldern, auch im politischen Bereich, einzusetzen. Dazu gehört, z. B. in Wirtschaft und Politik immer wieder auf die Überprüfung und Einhaltung der folgenden Kriterien zu drängen:

  • die Umweltverträglichkeit,
  • die Sozialverträglichkeit,
  • die Generationenverträglichkeit,
  • die internationale Verträglichkeit.

Bei größeren Planungsvorhaben sind diese Kriterien zu berücksichtigen. Schon die Entstehung von Umweltschäden gilt es zu vermeiden. Deshalb soll­ten folgende Fragen vorab geklärt werden:

  • Zieht dieses Vorhaben tiefgreifende, dauerhafte und nicht wiedergutzu­machende Schäden nach sich?
  • Sind die Auswirkungen des Vorhabens in ihrer zeitlichen und räumlichen Erstreckung übersehbar?
  • Sind Nebenfolgen so erheblich, daß sie nicht in Kauf genommen werden können?
  • Sind die Würde der Menschen und die Artenvielfalt durch dieses Vorhaben bedroht? 

… Als Anwältinnen der Schöpfung stellen Kirchen diese Fragen öffentlich. Sie dringen darauf, daß Vorhaben dieser Art nicht durchgeführt werden, bevor schwerwiegende Zweifel ausgeräumt sind.
Zu einer solchen Vorsorge zählt insbesondere die Abschätzung der Folgen für die ökologischen Kreisläufe. Diese Naturkreisläufe dürfen nicht unterbrochen oder zerstört werden. … 
Die Auswirkungen eines Vorhabens müssen in ihren zeitlichen und räum­lichen Dimensionen übersehbar bleiben. Im Sinne der Fürsorgepflicht muß die Erde auch für die nachfolgenden Generationen bewohnbar und lebenswert sein. …

Generell sind sogenannte technische und wirtschaftliche Sachzwänge darauf­hin zu überprüfen, ob sie dem Leben der Menschen und der ganzen Schöpfung dienen und den oben genannten Kriterien genügen. Bei dem Entscheidungsprozeß, in dem diese Kriterien zur Anwendung kommen, muß die gesamte Gesellschaft mit einbezogen werden. Denn was alle angeht, soll auch von allen entschieden werden.

Verfasser: Hans-Eberhard Dietrich, Pfarrer i.R.

Die Schöpfung bewahren, Aufgabe eines jeden Christen

Der biblische Auftrag
Ein Grund, sich als Theologe gegen das Projekt Stuttgart 21 zu positionieren, ist das biblische Anliegen, die Schöpfung zu bewahren. Ich spreche bewusst von Schöpfung, nicht von der Natur. Damit wird deutlich: Die ganze Natur, belebt und unbelebt, Pflanzen und Tiere samt Wasser, Land und Luft sind von Gott geschaffen. Der Mensch kann nicht einfach damit machen, was er will, sondern er ist Gott verantwortlich. Und das kann nur heißen: Er muss sorgsam mit dieser Schöpfung Gottes umgehen.

Das Anliegen, die Schöpfung zu bewahren, nimmt den Auftrag Gottes an den Menschen in der Schöpfungsgeschichte auf, wo es im 1. Buch Moses Kapitel 2 Vers 15 heißt: „Und Gott, der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.“
Der Ökumenische Rat der Kirchen ruft diese Aufgabe wieder ins Bewusstsein
Im Raum der Kirche wurde in der Vergangenheit diese Aufgabe nicht immer so vordringlich gesehen. Erst die ungeheure Umweltzerstörung der letzten Jahrzehnte schufen hierfür das Bewusstsein. Federführend war der Ökumenische Rat der Kirchen. Er rief 1983 in Vancouver  auf der VI. Vollversammlung seine Mitgliedskirchen auf, in einen konziliaren Prozess gegenseitiger Verpflichtung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung einzutreten. In vielen Gemeinden und Initiativen der Kirchen nahmen Christen diese Herausforderung an. Ein paar Jahre später, im Jahre 1990 in Seoul, wurden alle Christen der Welt aufgefordert, sich aktiv für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung einzusetzen. Nur im Zusammenspiel dieser drei sind die Herausforderungen der Gegenwart wie Hunger, Krieg, Umweltzerstörung, sozialer Unfriede usw. zu bewältigen.

In den 80er Jahren stand eher die Friedensproblematik im Vordergrund. Es war die Zeit der Hochrüstung. Gleichwohl wurde der Zusammenhang gesehen, dass es Weltfrieden und Gerechtigkeit nicht geben kann, wenn nicht zugleich die Schöpfung bewahrt wird. Immer mehr wuchs im Laufe der Zeit die Einsicht, dass die Erhaltung des politischen Friedens und die Schaffung von mehr Gerechtigkeit vergeblich bleiben, wenn die natürlichen Grundlagen des Lebens zerstört werden. So trat die Aufgabe, die Schöpfung zu bewahren, zunehmend in den Vordergrund.

Gott liebt seine Schöpfung
Die damals schon formulierten Grundüberzeugungen sind bis heute gültig: „Wir bekräftigen, dass Gott die Schöpfung liebt. Land, Wasser, Luft, Wälder, Berge und alle Geschöpfe, einschließlich der Menschen, sind in Gottes Augen „gut“. Wir werden dem Anspruch widerstehen, alle geschaffenen Dinge dienten ledig­lich dazu, vom Menschen ausgebeutet zu werden.

Deshalb verpflichten wir uns als Mitglieder der lebendigen Schöpfungsgemeinschaft, in der wir eine unter vielen Arten sind, Mitarbeiter Gottes zu sein mit der moralischen Verantwortung, die Rechte kommender Generationen zu achten und die Ganzheit der Schöpfung zu bewahren; dafür wollen wir uns einsetzen um des eigenen Wertes willen, den die Schöpfung von Gott hat, und damit Gerechtigkeit geschaffen und erhalten werden kann.

Eine weitere Grundüberzeugung, die seit Seoul gilt, lautet: „Wir bekräftigen, dass die Erde Gott gehört“. Das hat zur Konsequenz: „Der Mensch soll Boden und Gewässer so nutzen, dass die Erde regelmäßig ihre lebenspendende Kraft wie­derherstellen kann, dass ihre Unversehrtheit geschützt wird und dass die Tiere und Lebewesen den Raum zum Leben haben, den sie brauchen. Wir werden jeder Politik widerstehen, die Land als bloße Ware behandelt, die Bodenspekulation auf Kosten der Armen treibt, die Giftmüll auf das Land und ins Wasser entlädt, die Ausbeutung, ungleiche Verteilung und Vergiftung des Bodens und seiner Erzeugnisse fördert und die jenen, die unmittelbar von der Nutzung des Landes leben, die Verfügungsgewalt darüber vorenthält. Wir verpflichten uns außerdem, den ökologisch notwendigen Lebensraum anderer Lebewesen zu achten.
(Lesen Sie dazu auch: Die Kirche im konziliaren Prozess gegenseitiger Verpflichtung für Gerechtigkeit , Frieden und Bewahrung der Schöpfung. 1990. Texte der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nr. 33)

Fragen an das Projekt – bisher ohne überzeugende Antwort
Gemessen an diesen Grundüberzeugungen sind an die Betreiber des Projekts Stuttgart 21 viele Fragen zu stellen:
Wie ist es zu verantworten, z.B.
–  das Fällen uralter Bäume, die für das Innenstadtklima unabdingbar sind,
–  die Gefährdung des gesamten alten Baumbestandes des ganzen Parks durch
–  das Absenken des Grundwasserspiegels,
–  der ungeheure Verbrauch an Land, insbesondere Grünflächen der Innenstadt, –  die Gefährdung der Mineralquellen in Bad Cannstatt,
–  die Vernichtung von Lebensraum von Tieren, darunter auch
artgeschützte  wie   Fledermaus und Juchtenkäfer und vom Aussterben
bedrohte Vogelarten wie Dohle, Gartenbaumläufer, Gelbkopfamazone,
Wacholderdrossel.
(Lesen Sie hierzu auch: Newsletter /2010, 8. Oktober, NABU, Gruppe Stuttgart)

Auf diese Fragen sind bisher keine Antworten bekannt. Vielmehr werden mit Stuttgart 21 Fakten geschaffen, die nicht mehr umkehrbar sind und deren Folgen nachwachsende Generationen zu tragen haben.

Verfasser: Hans-Eberhard Dietrich