Digitaler Weihnachts-GD am 26.12.2021, 11 Uhr

  • Instrumental-Vorspiel: Tochter Zion

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  • Begrüßung

Seien Sie ganz herzlich willkommen bei diesem Weihnachtsgottesdienst auf unserer Internet-Seite! Wir freuen uns, dass wir in diesen Corona-Zeiten wenigstens auf diesem Wege einen gemeinsamen Gottesdienst feiern können.
Wir haben dazu für Sie vier pdf-Dateien vorbereitet, die Sie für sich ausdrucken oder auf den Bildschirm rufen können (klicken Sie einfach die blauen Titel an):
– ein Liedblatt, das alle Lieder enthält, die wir miteinander singen.
– ein Textblatt mit dem gesamten Ablauf des Gottesdienstes und allen Gebeten etc.
– die Ansprache
Zwei Weihnachtsgeschichten:
1. wie Lukas sie etwa im Jahre 80 geschrieben hat und auf die sich die Ansprache bezieht
2. wie sie heute geschrieben worden sein könnte (lassen Sie sich überraschen!)

  • Gruß
  • Erstes Gemeindelied: Vom Himmel hoch (EG 24, 1–3+6)

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  • Eingangsgebet
  • Zweites Gemeindelied: Hört, der Engel helle Lieder (EG 54, 1–3)

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Liebe Weihnachtsgemeinde!

„Hört der Engel helle Lieder“, haben wir eben gesungen. Ich weiß nicht, ob es Ihnen auch so geht. Aber für mich haben Advent und Weihnachten und diese ganzen Lieder, Geschichten und Symbole drumherum eine eigenartige Faszination: im Advent der immer hellere Kranz – erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier. An Weihnachten ein kleines Kind, schutzlos in der Kälte; dunkle Nacht und helle Sterne; arme Hirten und ihre Schafe.

Ich glaube, das ist mehr als romantischer Kitsch, was uns da berührt. Mit den Mehr-werdenden Kerzenlichtern spüren wir unwillkürlich etwas von der Mehr-werdenden Hoffnung. Mit dem schutzlosen Kind schwingen Gedanken und Empfindungen mit an Zukunft, Leben, Hoffnung auf Geborgenheit. Mit der Nacht schwingen Gedanken an die Dunkelheit der Welt mit, das Elend von Flüchtlingen, die immer zahlreicher werdenden Opfer der nahenden Klimakatastrophe, auch das ökologische Elend, das die Gewinnsucht mit diesem S21-Immobilienprojekt anrichtet. Und mit den fernen aber hellen Sternen spüren wir ganz tief drinnen ein klein wenig Hoffnung keimen, dass das Dunkel ein Ende haben könnte, dass es hell werden könnte in der Welt.

Ich wage das alles fast nicht zu sagen, weil ich fürchte, dass so zarte Gefühle und Hoffnungen gleich wieder zerfallen, wenn wir sie in Worte fassen, sie aus dem Schutz unserer Seelen ans Tageslicht zerren. Lassen wir sie unten, tief in uns drinnen, unsere Hoffnungen, die uns rund um Weihnachten so eigentümlich warm und milde machen.

Vielleicht scheut sich auch der eine oder die andere unter Ihnen, dass solche Gefühle doch mit der eigentlichen Weihnachtsbotschaft gar nichts zu tun haben, mit Jesus und Gott und „Christ der Retter ist da“.

Aber täuschen wir uns nicht! Wir sind ganz dicht dran an der Sache. Denn dieses kleine Jesuskind, feiern wir ja, weil es später – als Erwachsener, als Wanderprediger – für elementare Werte und Aussagen gestanden hat: Menschlichkeit, Friedenshoffnung, Vergebung, Würde der Kleinen Leute, Gegnerschaft gegen Herrschaftsmissbrauch. Auch, wenn wir nur ganz wenig über die historische Figur Jesus wissen – aber sie muss beeindruckend gewesen sein. Er scheint in einzigartiger Weise seine Hoffnung auf eine gute Zukunft nicht nur in Geschichten erzählt zu haben, sondern er scheint das wirklich gelebt, selbst verkörpert zu haben, mit einer ergreifenden Glaubwürdigkeit, bis zum Selbstopfer.

„Schalom“ wurde diese Zukunftshoffnung Jesu in der Hebräischen Bibel genannt; und gemeint war ein Friede, der nicht nur Waffenstillstand bedeutete, sondern Gerechtigkeit für Mensch und Natur, Gerechtigkeit aus der Perspektive der Kleinen Leute.

Jesus hat diese Welt „Reich Gottes“ genannt, diese Welt, die endlich nicht mehr das Reich des Geldes und der Mächtigen sein sollte, sondern das Reich der Schöpferkraft, von der er der festen Überzeugung war, dass sie im Kern Liebe und Leben war.

Seine „Follower“ würde man heute vielleicht sagen, folgten ihm damals nicht durch einen einfachen Maus-Klick, sondern, indem sie ihre Familien für ihn verließen und leibhaftig mit ihm zogen. Und diese Nachfolger waren nicht einfach nur beeindruckt von ihm, sondern sie fanden: Genau diese Eigenschaften hatten sie immer von Gott, dem letzten Grund, warum es überhaupt die Welt gibt, geglaubt: so liebevoll, menschlich, gerecht, zukunftsgerichtet, auf Seiten der Schwachen. Deshalb waren sie so ergriffen von Jesus, weil sie das Gefühl hatten: An diesem Menschen sehen wir leibhaftig, was wir bislang immer nur von einem unsichtbaren Gott geglaubt hatten. Deshalb nannten sie ihn auch „Sohn Gottes“ – nicht, weil er etwa nicht von Josef und Maria gezeugt worden wäre. Im jüdisch-christlichen Glauben gibt es keine solchen biologischen Gottes-Sohn-Vorstellungen, sondern es war ein Würdetitel, den sie ihm damit gaben, um zu sagen: Dich erleben wir als einen, der außergewöhnlich tief erfüllt ist von der Kraft, die die Welt hervorgebracht hat und erhält.

Ob sie damit recht hatten? Wer will das sagen? Und als Jesus dann schließlich durch einen Justizmord umgebracht worden war, da wäre das Ganze nach menschlichem Ermessen eigentlich auch zu Ende gewesen: ein beeindruckender Mensch, schön, ihm begegnet zu sein, aber jetzt ist er tot.

Das Überraschende war aber, dass seine Nachfolger auch nach seinem Tod – mehr noch als vorher – eine Kraft in sich spürten und einen Mut, von dem sie der Überzeugung waren: Das ist die Kraft von Jesus. Ein wenig vergleichbar damit, wenn die Anhänger von Che Guevara „Presente!“ sagten, um auszudrücken, dass auch sie seine Gegenwart noch spürten – freilich lediglich die Gegenwart eines Mitkämpfers und nicht die von jemandem, an dem sie den Urgrund der Schöpfung wahrnahmen.

Und dann haben die Anhänger Jesu einen interessanten Denkschritt getan. Sie haben sich gesagt: Wenn die Kraft von Jesus durch seine Ermordung nicht totzukriegen war, musste das nicht daran liegen, dass seine Überzeugungen nicht einfach die Überzeugungen eines Privatmenschen waren, sondern, dass in diesen Überzeugungen eine grundsätzliche Wahrheit steckte, eine Wahrheit der Welt gewissermaßen? Und dass – auch 2000 Jahre nach seinem Tod – noch unzählige Menschen einfach nicht loskommen von diesem als Kind im Stall geborenen Überzeugungstäter, ist das nicht ein Hinweis darauf, dass man von Jesus zurecht so besonders denkt?

Gewagte Thesen. Ob an ihnen etwas Wahres ist? Das ist, wie so Vieles nicht zu beweisen. Es gibt so viele auch fragwürdige Überzeugungen, die ebenfalls viele, viele Anhänger haben. Die Zahl der Anhänger sagt gar nichts. Es glauben ja auch viele, dass es Corona nicht gebe.

Weil sich Wahrheit oft nicht belegen lässt – weil wir nicht genügend Fachwissen haben oder weil es grundsätzlich nicht geht –, habe ich mir ein wenig angewöhnt zu fragen: Was macht diese oder jene Überzeugung aus einem? Wie verändert es Menschen, wenn sie dieser oder jener Überzeugung anhängen? Und da muss ich sagen: Trotz scheinheiligen Kreuzzügen und bösartigen amerikanischen Fundamentalisten, hat der christliche Glaube doch im Großen und Ganzen eine erstaunlich positive Wirkung auf Menschen.

Aber auch das nur ein kleiner Hinweis und natürlich kein Beleg dafür, dass sich hinter diesem Glauben etwas verbirgt, von dem man ganz vorsichtig sagen kann, dass es etwas von Wahrheit haben könnte. Kein Beweis, keine Gewissheit. Es bleibt dabei, dass Glauben ein Wagnis ist, es mit einer Überzeugung zu versuchen, ohne Absicherung, ganz vorsichtig, Schrittchen für Schrittchen.

Um dieses vorsichtige Glauben-Versuchen geht es auch dem Evangelisten Lukas. Er wollte ja mit seiner Weihnachtsgeschichte keinen Polizeibericht schreiben, wie es wirklich war, damals bei der Geburt Jesu. Das wusste er ja auch gar nicht, er war ja gar nicht dabei, hat Jesus ja erst viel später kennengelernt und sein Evangelium und diese Weihnachtsgeschichte erst 80 Jahre nach Jesu Geburt geschrieben. Nein, seine Weihnachtsgeschichte ist ein kleines Glaubensbekenntnis in Geschichten-Form.

Er lässt Jesus, der vermutlich in Wirklichkeit in Nazareth geboren ist, in Bethlehem geboren sein, weil nach biblischer Tradition der Messias aus Bethlehem kommen würde und Lukas sagen will: Für mich ist Jesus der Messias.

Die Sache mit der Volkszählung, deretwegen Josef mit Maria nach Bethlehem zog, die aber in Wirklichkeit einige Jahre später stattfand und wegen der auch niemand in sein Heimatdorf ziehen musste, hat Lukas in die Geschichte nicht nur eingebaut, um einen Grund zu haben, damit Josef und Maria aus Nazareth nach Bethlehem ziehen mussten. Er hat diese Ereignis auch in seine Geschichte aufgenommen, um zu sagen: Jesus war keine mythische Figur, die über den Dingen dieser Welt stand, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut, der von Anfang an der Welt und ihren Machtspielchen ausgesetzt.

Deshalb erwähnt er auch gleich am Anfang den Kaiser Augustus, um zu sagen: Während die Herrscher der Welt noch ihrem üblichen Macht-Geschäft nachgingen, ist ganz im Verborgenen derjenige geboren, der das Ende ihrer Herrschaft einläutet.

Augustus war auch deshalb der Richtige, um hier angeführt zu werden, weil er sich selbst den „Friedensbringer“ nannte, während Lukas in Jesus denjenigen sah, der eigentlich Frieden schaffen würde.

Und dass Lukas die Geburt des Friedensbringers als allererstes den Hirten mitteilen lässt, ist geradezu Programm. Denn nach der Überzeugung von Lukas war Jesus ja der, der Frieden und Gerechtigkeit zuallererst für die Schwachen und an den Rand Gedrängten brachte.

Und dass es Engel waren, Boten Gottes, die ihnen das sagten – klar: weil Jesus ja für Lukas von Gott geschickt war in diese Welt.

Ich glaube, darin liegt die Kraft dieser Lukas-Weihnachtsgeschichte, dass er all die Dinge eingebaut hat – Kind, schutzlos, Nacht, Licht, Armut, Hoffnung –, die uns heute noch so eigenartig berühren, weil sie tief in uns für unsere Sehnsucht nach Hoffnung stehen. Hoffnung nicht auf irgend etwas, sondern Hoffnung, dass diese von Macht und Geld bestimmte Welt geheilt wird. Hoffnung, dass die Welt und ihr Klima noch rechtzeitig den Tentakeln der Geld-Gierigen entrissen wird. Hoffnung, dass den korrupten S21-Übeltätern ihr böses Werk nicht gelingen möge.

Hoffnung, Hoffnung. – Ist das nicht trügerischer Schein, Irrtum, der das Leben erträglicher macht? Nein, ich glaube nicht, sondern im Gegenteil: Ich glaube, dass es Veränderung nur geben kann, wenn wir hoffen. Ich glaube, dass in der Hoffnung eine schöpferische Kraft steckt, die – ja, so kann man das vielleicht sogar sagen –, eine Kraft, die das, worauf sie hofft, überhaupt erst erschafft. Prinzip Hoffnung ist nicht naiver Optimismus, sondern das revolutionäre Wissen, dass das Hoffen die Kraft ist, durch die gute Zukunft geschaffen wird.

Im Advent haben wir Kerze für Kerze unsere wachsende Hoffnung eingeübt. An Weihnachten staunen wir über das am Baum im Überfluss zur Erfüllung gekommene Licht. Advent und Weihnachten sind so eine kleine Hoffnungs-Schule, die uns lernen lässt zu hoffen, dass diese ganze Welt ein gutes Ende nehmen kann – wenn wir gemeinsam nicht aufhören, diese Hoffnung einander gegenseitig zu spüren zu geben und so jedes von uns einander ein wenig die Kraft zu sein, die uns Vertrauen gewinnen lässt in diese Welt und ihre gute Zukunft.

Diese gute Zukunft glauben wir übrigens nicht als Fortsetzung der Jahrtausende alten Herrschaftsgeschichte der Könige und Präsidenten und Despoten, sondern als einen wirklichen Neuanfang – eine ganz neue Art, Leben und Welt zu organisieren: menschlich, liebevoll, gerecht, lebendig… Deshalb singen wir im gleich folgenden Weihnachtslied: „…aus einer Wurzel zart…“ – ganz unten, unterhalb aller historischen Herrscherlinien, ganz unten an der Wurzel soll ein neuer Trieb kommen, ein echter Neuanfang passieren. Darauf hoffen wir Christen.

Und den Glauben, die Hoffnung, das Vertrauen in einen solchen die Welt qualitativ ändernden Neuanfang – das wünsche ich Ihnen und denen, denen Sie weitergeben können von ihrer kleinen Hoffnung – in Worten, aber vor allem im widerständigen Tun.

Einen Frohen Weihnachtstag! 365 Weihnachstage!

Amen.

  • Drittes Gemeindelied: Es ist ein Ros‘ entsprungen (EG 30,1–3)

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  • Fürbittgebet / Vater Unser
  • Viertes Gemeindelied: O du fröhliche (EG 44, 1–3)

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  • Segen
  • Verabschiedung

Wie von den Parkgebeten her gewohnt, wie sie von den Theolog*innen gegen S21 regelmäßig im Stuttgarter Schlossgarten veranstaltet werden, beschließen wir auch diesen Gottesdienst mit dem Lied der US-Bürgerrechtsbewegung „We shall overcome“.
Aber schon jetzt möchte ich Ihnen im Namen des Vorbereitungs-Teams (Jutta Radicke, Ulrich Ebert und Martin Poguntke) einen schönen restlichen Weihnachtsfeiertag wünschen.
Auch an dieser Stelle bereits: ein gutes neues Jahr Ihnen allen! Auf dass wir uns alle im neuen Jahr bald wieder gesund und zum unverminderten Widerstand gegen Stuttgart 21 wiedersehen.
Leben Sie wohl!

  • Fünftes Gemeindelied: We shall overcome (EG 652, 1.3.4.6.7)

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  • Instrumental-Nachspiel

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3 Antworten zu “Digitaler Weihnachts-GD am 26.12.2021, 11 Uhr

  1. Vielen Dank für diesen bewegenden Beitrag. Er hat uns sehr berührt.
    Ulli und Ilka

  2. ❤l-lichen Dank lieber Martin, das habe ich inhaltlich mit als eine der besten Weihnachtsansprachen/Predigten ever empfunden ☺❣ Werde die Website auch den Follower*innen auf Twitter posten 😉 (also denen von „Che Guevara“ wie auch von „Jeshua Ha´ Mashiach „- immerhin ist für jede/n was
    dabei zum „mit nach Hause nehmen“) 😅 👍 !

  3. Vielen Dank, für die unterstützenden Kommentare!
    Das freut mich sehr.
    Herzliche Grüße, Martin Poguntke

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