Parkgebet, 13. Oktober 2016, Martin Poguntke

Epheser 6, Vers 10 bis 17
Predigttext zum 21. S. n. Tr. (16. Oktober 2016)

(Zum Herunterladen und Ausdrucken: parkgebet-161013-ansprache)

Liebe Parkgebetsgemeinde,
ich möchte heute ein paar Gedanken über den Predigttext sagen, der am kommenden Sonntag von den evangelischen Kanzeln gepredigt werden wird. Ich finde, er trifft unsere Situation als Christen in einem so heftigen Kampf, wie dem um Stuttgart 21, ausgesprochen gut. Ich lese ihn dann vor. Aber erst noch ein paar vorbereitende Gedanken:
Es hätte für mich nicht mehr des heutigen Nicht-Beschlusses bei der Aufsichtsratssitzung der Bahn gebraucht, um sagen zu können, was ich in der ganzen langen Zeit, die wir inzwischen gegen dieses Wahnsinnsprojekt kämpfen wissen gelernt habe:
Bei unserer Auseinandersetzung um S21 geht es nicht einfach um einen Bahnhof oder um ein paar Milliarden, sondern um eine ganz grundsätzliche Auseinandersetzung über ganz grundsätzliche Wertentscheidungen. Die Kräfte, mit denen wir es in dieser Auseinandersetzung zu tun haben, sind von solcher Gewalt und Rücksichtslosigkeit, dass wir sie gar nicht gefährlich genug einschätzen können.
Ich zögere etwas, dafür ein zu großes Wort zu wählen. Aber ich meine, dass wir das mit ziemlichem Recht „Mächte des Bösen“ nennen können, was uns da begegnet. Nicht die Menschen, die da handeln, sind böser als wir. Auch unsere Gegner sind nicht weniger liebevolle Familienväter oder -mütter, engagieren sich in ihrem Privatleben vielleicht nicht weniger als wir für Spielplätze, Flüchtlinge oder Umweltschutz. Nicht die Menschen selbst sind das Böse, auch nicht der Tiefbahnhof selbst, sondern der Geist, der in unseren Gegnern wirkt.
Wenn man es zu benennen versucht, wird das Böse immer banal,– so banal, wie ein Teufel mit Hörnern, Pferdefuß und Schwefelgeruch. Wir können es nur umschreiben, das Böse: als Kreisen ums Geld, um den eigenen Vorteil, als Rücksichtslosigkeit gegen Mensch und Natur, als Verfallenheit an Gesetzmäßigkeiten, die der Menschenliebe und dem Glück der Schwächeren in der Gesellschaft entgegenstehen.
Letzten Endes ist es wohl nicht falsch zu sagen: Die gegenwärtige Form des Bösen ist am besten mit dem Wort „Kapitalismus“ gefasst. Seine Gesetzmäßigkeiten, die Unterwerfung unter seine scheinbaren Zwänge, das Aufgeben aller humanen Prinzipien, um ein unbeherrschbares, weltweit tödliches System zu erhalten, das nicht erhalten werden kann. Der Geist dieses Systems ist wohl das Böse.
Aber täuschen wir uns nicht: Es sind nicht nur unsere Gegner, die von diesem System ergriffen sind. Es hat auch uns im Griff, dieses Böse; auch wir sind unentrinnbar Teil dieses menschen- und naturverachtenden Systems. Auch wir sind für viele Menschen auf der Welt die Bösen. Weil unser Wohlstand auf ihre Kosten erzeugt und erhalten wird. Weil wir die Regierungen wählen, unter denen andere zu leiden haben. Weil wir in tausend privaten und beruflichen Alltagsentscheidungen dazu beitragen, dass das Elend armer Menschen hier und weltweit weitergeht und keine Besserung erfährt.
Selbst wenn wir als „Aussteiger“ versuchen würden, an alledem nicht mehr mit schuldig zu sein, was weltweit an Elend geschieht – wir würden auch dann noch von einer Gesellschaft miternährt und unterstützt, die auf dem Elend der Welt basiert.
Wir können dem Bösen nicht entrinnen. Wir können nur eines: die Augen dafür öffnen, dass es so ist – das nennt man Sündenerkenntnis. Und wir können zum Urgrund des Seins flehen, dass durch seine Kraft, aus uns Bösen Gutes komme – das nennt man Erlösung.
Die Erfahrung der Christen ist es seit jeher, dass das einem zu einer großartigen Kraftquelle werden kann: Wenn man nicht mehr eitel glaubt, aus seiner eigenen Kraft zu leben, sondern demütig weiß, dass man alles, aber auch wirklich alles Leben aus der Hand dessen hat, von dem alles kommt und auf den alles hinführt.
Ohne zu wissen, wovon wir dabei wirklich reden, nennen wir diese Kraftquelle „Gott“. Kein „Göttle“, das man begreifen könnte, kein Taschengöttle, das man immer aus der Tasche ziehen könnte, wenn man’s mal braucht, keiner von diesen selbst gemachten Göttern, die einem sonntags ein gutes Gefühl machen. Sondern das unbegriffene Geheimnis der Welt, das uns trägt und durchdringt und leben lässt – schon bevor wir auch nur durch unser Leben die erste kleine Antwort gegeben haben.
Von diesem Gott schreibt Paulus an seine kleine Gemeinde in Ephesus folgendes – und das ist nun der Predigttext des kommenden Sonntags: Epheser 6,10–17:

Seid stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke.
Zieht an die Waffenrüstung Gottes, damit ihr bestehen könnt gegen die listigen Anschläge des Teufels.
Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Mächtigen und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in dieser Finsternis herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel.
Deshalb ergreift die Waffenrüstung Gottes, damit ihr an dem bösen Tag Widerstand leisten und alles überwinden und das Feld behalten könnt.
So steht nun fest, umgürtet an euren Lenden mit Wahrheit und angetan mit dem Panzer der Gerechtigkeit,
und an den Beinen gestiefelt, bereit, einzutreten für das Evangelium des Friedens.
Vor allen Dingen aber ergreift den Schild des Glaubens, mit dem ihr auslöschen könnt alle feurigen Pfeile des Bösen,
und nehmt den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes.

Es widerstrebt einem ja zunächst, diese recht kriegerische Sprache mit der „Waffenrüstung“, dem „Feld behalten“, dem „Schild“, den „Pfeilen“ und dem „Schwert“. Aber wer – wie Paulus – die gewaltige und gewalttätige Macht des Bösen erkannt hat, für den bedeutet diese Wortwahl, das Böse ernst zu nehmen, es nicht zu verharmlosen, es nicht zum bedauerlichen Schatten kleinzureden, den es halt überall gebe, wo es Licht gibt.
Vielleicht kann man das Böse nur dann so ernst nehmen, wie es in der Bibel genommen wird, wenn man – wenigstens ein Stück weit – ergriffen ist von diesem wunderbaren Vertrauen in den Gott, der einen – wenigstens ein Stück weit – stark macht, diesem Bösen zu widerstehen.
Mit diesem Vertrauen in die einzige wirkliche Macht liest sich der Text als bilderreicher Ausdruck der Glaubenskraft, mit der wir uns dem Bösen um uns und in uns stellen können.
Paulus fordert uns auf: Ergreift die geistlichen Waffen – der Wahrheit, der Gerechtigkeit, des Friedens –, denn wir haben es mit viel Gefährlicherem zu tun als mit menschlichen Gegnern. Wir haben es mit „den Herren der Welt“ zu tun, die von einem finsteren Geist getrieben werden, der mehr ist als Menschen – der Menschen zu Marionetten macht.
Seid stark – nicht aus euch selbst, sondern in ständiger Beziehung zu Gott.
Wie das geht? Stark sein aus der Beziehung zu Gott? – Indem man es sich zur ständigen Selbstverständlichkeit macht, nach dem zu fragen, was die Bibel „Wille Gottes“ nennt:
– Stehe ich deutlich genug auf der Seite der Schwächsten?
– Habe ich wirklich das Ganze im Blick – oder nur Teilinteressen, persönliche, lokale, nationale?
– Verstehe ich mein Handeln als Dienst an der Welt – oder die Welt als Beute, die es zu erobern gilt?
– Handle ich bewusst als Beauftragter, diese Welt in Gottes Sinn zu gestalten – oder handle ich eigenmächtig?
Wenn wir so all unser gewaltfreies Kämpfen immer in ständigem vertrauendem Rückbezug auf die eine Kraft allen Lebens betreiben – dann geschieht das, wovon Paulus in diesen Versen schreibt: Wir sind in all unserer Schwäche stark in dem Herrn.
Das ist eine andere Stärke als die Brutalität unserer Gegner. Das ist die Stärke, die uns inzwischen seit vielen Jahren standhalten lässt im Kampf gegen dieses Großverbrechen S21 – ohne gewalttätig zu werden und ohne aufzugeben.
Diese geistliche Waffenrüstung wünsche ich uns – und unsern Gegnern.
Amen.

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