Archiv der Kategorie: Gehring

Parkgebet am 17.6.2021 mit Pfr. i. R. Friedrich Gehring

(hier die Ansprache als pdf-Datei)
(und hier alle Lieder und Texte dieses Parkgebets)

Ansprache zum Parkgebet am 17.6.21 zu Lk 15, 1-3+7  von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Es kamen allerlei Zöllner und Sünder zu ihm, um ihn zu hören. Die Pharisäer und die Schriftgelehrten murrten und sagten: Dieser nimmt Sünder an und isst mit ihnen. Da sagte er zu ihnen … . Im Himmel wird mehr Freude sein über einen Sünder, der Buße tut, als über 99 Gerechte, die der Buße nicht bedürfen

Die Schriftgelehrten und Pharisäer sehen es als ihre Aufgabe an, Zöllner und Sünder auszugrenzen. Sie wollen wohl die Sünde brandmarken und auf diese Weise Druck ausüben, damit unsoziales Handeln aufhört. Sie empören sich, dass Jesus den anderen Weg geht. Er versucht die Änderung des schädlichen Verhaltens zu erreichen durch positive Zuwendung. Bei dem Steuereintreiber und Betrüger Zachäus hat Jesus Erfolg (Lk 19,1-10), bei dem so genannten „reichen Jüngling“ nicht, denn dieser geht traurig weg, weil er viele Güter hat, die er nicht an die Armen abgeben will (Mk 10, 17-22). Es fällt mir allerdings auf, dass Jesus mit einer bestimmten Sündergruppe nicht isst: Den Priestern im Tempel, denen er Räuberei vorwirft, macht er öffentlich Randale (Mk 11,15-17). Den Widerspruch kann ich mir nur dadurch erklären, dass die Priester sich als Gerechte ansehen, die einer Umkehr nicht bedürfen. Es fehlt ihnen das Schuldbewusstsein. Auch in der Bevölkerung werden sie wegen ihrer ausbeuterischen Opferforderungen und der Beherrschung des Fleischmarkts nicht als Sünder angesehen. So muss Jesus  zuerst für Schuldeinsicht sorgen, bei ihnen selbst und bei den Ausgebeuteten. Deshalb betont er: Über Selbstgerechte ist im Himmel weniger Freude als über einsichtige umkehrende Sünder. Bei den allgemein verachteten Sünderinnen, den Prostituierten, muss Jesus nicht erst Schuldbewusstsein schaffen. Sie wollen ja selbst gerne umkehren aus diesem belastenden Broterwerb. Anders bei den Männern, die diese Frauen sexuell ausbeuten, ihnen muss er vorhalten: Wer unter euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein (Joh 8,7).  Erst daraufhin lassen sie ihre Steine fallen und kehren um, indem sie weggehen.

Wenn wir im Umgang mit Sünde Jesus nachfolgen, geht es nicht nur darum, wie bei Zachäus nett zu sein zu den Sündern, sondern auch die Sünde zu brandmarken, wo Schuldeinsicht noch fehlt. Wir müssen die Gratwanderung der kritischen Solidarität mit den Sündern versuchen. Das bedeutet, sie nicht einfach bloß auszugrenzen wir die Pharisäer, sondern uns ihnen zuzuwenden, sie als Menschen zu akzeptieren, aber zugleich nicht zu verschweigen, was wir an ihrem Verhalten kritisieren müssen. Diese Gratwanderung kann am besten gelingen, wenn wir den Rat Jesu zur Selbstkritik beherzigen: „Ziehe zuerst den Balken aus dem eigenen Auge, dann magst du zusehen, dass du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst“ (Mt 7, 5). Wenn wir uns unseren eigenen Verfehlungen stellen und bewusst werden, dass wir der Vergebung und der Umkehr bedürfen, dann werden wir gnädiger im Umgang mit Verfehlungen anderer. Auch werden wir überzeugender in unserer Kritik, wenn wir selbstkritisch vorangehen.

Konkret heißt das etwa: Der brasilianische Präsident Bolsonaro wird bei uns vielfach kritisiert, weil er den Tropenwaldholzfällern  freie Hand lässt. Das mit uns ausgehandelte Handelsabkommen Mercosur verschärft aber die Abholzung. Mit mehr Holzverkauf kann Brasilien bei uns mehr einkaufen. Und mit unserem massiven CO2-Ausstoß tragen wir mindestens so sehr zum Klimawandel bei wie die Abholzung des Regenwalds. Wenn wir unsere eigenen Klimasünden einsehen, darf dieses Abkommen nicht in Kraft treten, auch wenn unser Export und damit unser Wohlstand nicht mehr weiter wächst oder zurückgeht. Vielmehr müssen wir von unseren Klimasünden umkehren. Wenn wir bei uns im Kleinen anfangen, unseren ökologischen Fußabdruck zu verkleinern, dann bekommt auch unsere Kritik größere Kraft. Dass die Union und die FDP jetzt den Grünen die Benzinpreiserhöhung in die Schuhe schieben, die von der großen Koalition durch die CO2-Preiserhöhung beschlossen wurde, können wir dann als paradoxen Wahlkampf  brandmarken, und dass die beiden jetzt den armen Mann an der Tankstelle entdecken, als Heuchelei entlarven. Wir können daran erinnern, dass die im Billiglohnsektor arm Gemachten sich ein Auto oft gar nicht leisten leisten können. Wir können Berechtigungsscheine für Treibstoff als sozial gerechte Lösung vorschlagen. Arme ohne Auto könnten diese Scheine versteigern an diejenigen, die sich Spritfresser leisten. Die Älteren unter uns werden sich noch an die Lebensmittelmarken im Mangel nach dem Krieg erinnern. Warum nicht jetzt Benzinmarken als Zahlungsmittel für die Armen, dass Obdachlose an Tankstellen ihre Benzinmarken zu Bargeld machen ohne betteln zu müssen? Das wäre echter sozialer Ausgleich im Sinne Jesu. Denn er fordert uns auf, uns Freunde zu machen mit dem ungerechten Mammon (Lk 16,9). Damit wäre Bundestagswahlkampf zu machen.

Wenn wir zuerst vor der eigenen Tür kehren, wird unsere Kritik glaubwürdiger und überzeugender  denen gegenüber, die sich noch keiner Schuld bewusst sind, wie etwa den Befürwortern von Stuttgart 21. Wir werden nicht wie Jesus im Tempel randalieren, aber dennoch beharrlich dem fehlenden Schuldbewusstsein aufhelfen. Ich war am vergangenen Wochenende bei einem Treffen meiner Abitursklasse in Nellingen, wenige Kilometer vom fertigen Bahnhof Merklingen entfernt.  Immer wieder wurde ich von einzelnen gefragt, was ich von Stuttgart 21 halte. Alle Fragenden meinten resignativ, der Unsinn werde ja nun fertig gebaut. Niemand erinnerte sich an das Kernkraftwerk Kalkar, das für Milliarden erbaut nie in Betrieb ging, weil Beherrschbarkeit des schnellen Brüters im öffentlichen Bewusstsein zu fragwürdig geworden war. Als ich daran erinnerte und von der jüngst eingereichten Klage wegen des fehlenden Rettungskonzepts berichtete, setzte Nachdenklichkeit ein, vor allem auch deswegen, weil ich auf die Umnutzungsideen verweisen konnte. Im Sprichwort heißt es: Steter Tropfen höhlt den Stein. Und Jesus macht uns Mut, auf die menschliche Einsicht zu hoffen. Umkehr ist möglich. Amen.

Ansprache zum Parkgebet am 3.6.2021 zu Jona 1,1-3a von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

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Es geschah das Wort des Herrn zu Jona, dem Sohn Amittais: Mache dich auf und geh in die große Stadt Ninive und predige wider sie; denn ihre Bosheit ist vor mich gekommen. Aber Jona machte sich auf und wollte vor dem Herrn nach Tarsis fliehen.

Jona will das prophetische Wort seines Gottes an die Stadt Ninive nicht ausrichten und versucht, sich dem Auftrag zu entziehen. Er ist damit nicht allein. Auch der Prophet Jeremia sucht eine Ausflucht und schiebt vor, er sei zu jung für das Prophetenamt (Jer 1,6). Aber er hat sich dann doch von seinem Gott überreden lassen und bekennt, wenn er das aufgetragene Wort gegen Unrecht und Gewalt verweigere, werde es in seinem Herzen wie brennendes Feuer (20, 7-9). Auf eine etwas andere Weise misslingt bekanntlich auch Jonas Flucht vor dem prophetischen Auftrag. Sein Fluchtschiff gerät in Seenot, er wird von einem Fisch wieder an Land gespien. Anders als bei Jeremia ist seine Weigerung nicht darin begründet, dass er als Prophet Erfolglosigkeit fürchtet. Jona gönnt der bösen Stadt Ninive nicht die Chance zur Umkehr durch seine prophetische Predigt. Für Christen in der Nachfolge Jesu ist diese Haltung unmöglich, denn Jesus ist gerade darin der Sohn seines barmherzigen Vaters, dass er auch so sozial schädliche Menschen wie Zachäus durch seine Zuwendung zu heilsamer Umkehr bewegt.

Der Blick auf Propheten wie Jeremia oder Jona löst bei mir die bange Frage aus: Wie steht das heute mit den prophetischen Aufträgen? Wer sind die Berufenen? Wer versucht zu fliehen aus dem prophetischen Amt? Wer nimmt den Auftrag an? Welche Bosheit, welches Unrecht, welche Gewalt müsste zur Umkehr gerufen werden?

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Digitales Parkgebet am 6.5.2021 von Pf.i.R. Friedrich Gehring

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Ansprache zum Online-Parkgebet am 6.5.2021 zu Mt 4,8-10 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Der Teufel führte ihn mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest. Da sprach Jesus zu ihm: Hebe dich weg von mir, Satan! Denn es steht geschrieben: „Du sollst anbeten Gott, deinen Herrn, und ihm allein dienen“ (1. Mose 6,13).

In einer Woche feiert die Christenheit das Fest Christi Himmelfahrt. Da wird in vielen Kirchen das Lied erklingen: Jesus Christus herrscht als König. Ich habe für das heutige Parkgebet diesen Text von der Versuchung Jesu ausgewählt, um den Unterschied deutlich zu machen zwischen dem Königtum Jesu und dem weltlicher Herrscher. Weltherrschaft wird üblicherweise erreicht durch militärische Unterwerfung, die eine Ausbeutung unterworfener Völker ermöglicht. Jesus und den Evangelisten steht als plastisches Beispiel für solche Weltherrschaft der römische Machtapparat vor Augen. Die beschönigende Formulierung für das römische Machtprinzip ist der so genannte „römische Friede“ nach dem Motto: Wenn du Frieden willst, rüste auf. Heute wollen die USA diesen Frieden verwirklichen mit Militärstützpunkten in mehr als 80 Ländern, auch bei uns. Es wird nicht mehr gekreuzigt, es werden Kampfdrohen benutzt. Deutschland wirkt dabei maßgeblich mit. Am schwarzen Donnerstag haben wir die innenpolitische Variante dieses Friedens erlebt: Wenn du Frieden willst, schick Wasserwerfer in Demonstrationen.

Jesus widersetzt sich diesem teuflischen Prinzip. Er weist die versucherische Stimme von sich und lässt sich nicht vor den Karren derer spannen, die ihn gerne als den messianischen Feldherrn bei einem Aufstand gegen die Römer gesehen hätten. Deshalb reitet er nicht auf einem Pferd, sondern auf einem Esel in Jerusalem ein (Mk 11,7). Im Gegensatz zum römischen Machtmissbrauch fordert Jesus von seinen Jüngern den Dienst an der Allgemeinheit (Mk 10, 42-44). Von dieser Kultur des Dienens ist die Königsherrschaft Jesu geprägt. Davon singen wir am Fest Christi Himmelfahrt.

Gerade weil dies in der Kirchengeschichte und von angeblich christlicher Politik vielfältig vergessen wurde, müssen wir daran erinnern, auch wenn wir es  abgesehen von unserer Verstrickung in die brutalen US-Weltmachtansprüche und abgesehen vom schwarzen Donnerstag innenpolitisch mit einer milderen Variante von christlicher Machtpolitik zu tun haben. Gerhart Baum, ein Mann aus der guten alten Zeit der FDP, hat es am 23.10.2020 im ZDF-Kulturmagazin Aspekte trefflich formuliert: „Die Politik ist darauf angelegt, Wahlen zu gewinnen, und da ist nicht jedes Mittel recht, aber es wird natürlich auch getäuscht, den Leuten wird etwas vorgemacht. Und das kann man umso mehr dann, wenn die Menschen Angst haben und unsicher sind. Dann sind sie anfällig für einfache Lösungen und für starke Männer und Frauen, die versprechen: Alles wird gut.“ Gerade in der Zeit der Pandemieängste haben stark wirkende Personen wie Söder enorme Umfragewerte erzielt. Er fiel zunächst auf durch besonders heftige Einschränkungen der Grundrechte, später dann durch besonderes Machtgerangel. Wir im Ländle haben die bittere Erfahrung machen müssen, dass Kretschmanns vorgetäuschte S 21-Gegnerschaft ihm an die Macht half. Diese konnte er inzwischen ausbauen, weil er ähnlich heilsbringend wie Söder auftrat, aber die erfolgreichen Tübinger Maßnahmen lange missachtete und stattdessen mehr auf Grundrechtseinschränkungen setzte.

Als Kritikern von S 21 erscheint uns nun Kretschmanns Koalitionsentscheidung besonders brisant: Der 6-gleisige Ergänzungskopfbahnhof der Grünen und der Gäubahntunnel der CDU sollen S 21 „für zusätzlichen Schienenverkehr fit“ machen, „sofern sich die Wirtschaftlichkeit und Finanzierbarkeit der Elemente erhärten“ (Südwestpresse vom 3.5.21). Dies alles obwohl bereits im Jahr 2001 Bahnfinanzvorstand Sarrazin die Unwirtschaftlichkeit des gesamten Projekts der Bahnführung gegenüber nachgewiesen hat. Die später aufgestellte Wirtschaftlichkeitsgrenze von 4,6 Mrd. € ist längst überschritten. Der Rechtsstreit über die Finanzierung ist seit Jahren ungeklärt. Die fehlende Wirtschaftlichkeit und Finanzierbarkeit ist also längst erhärtet. Grüne und CDU hoffen aber darauf, verleugnen grob die Realität wie Querdenker und wollen das Wahlvolk dreist täuschen.

Mit einem Dienst an der Allgemeinheit im christlichen Sinne hat dies nichts mehr zu tun. Darum lassen wir uns aber nichts vormachen und die querdenkerischen Koalitionäre sollen dies auch wissen.  So habe ich dieser Tage meine neuerliche Fachaufsichtsbeschwerde gegen das Eisenbahnbundesamt wegen Genehmigung von S 21 trotz fehlendem Rettungskonzept an Ministerpräsident Kretschmann gesandt. Dem Koalitionsbeschluss, die Idee des 8-gleisigen Kopfbahnhofs  und des Gäubahntunnels weiter zu unterstützen, halte ich entgegen, dass die Rentabilität des gesamten Projekts S 21 nie gegeben war und die Finanzierung immer noch gerichtlich ungeklärt ist. Ich empfehle das fehlende Rettungskonzept als Ausstiegsgrund und den Umstieg 21 oder das neue städtische unterirdische Güterlogistikonzept als Alternativen.

Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass Report Mainz sich des unsinnigen Projekts erneut annehmen wird und dass Minister Scheuer und Staatssekretär Bilger Personen weichen, die Vernunft walten lassen dürfen. Auch hoffe ich, dass der von der Regierungskoalition geforderte Ergänzungskopfbahnhof eine Weichenstellung bedeutet hin zum Erhalt der ganzen 16 Gleise. Unsere steten Warnungen vor dem fehlenden Rettungskonzept könnten jetzt fruchten und zur Erkenntnis führen, dass die Tunnel aus Sicherheitsgründen nur einseitig befahren werden dürfen, weil immer ein Tunnel als Rettungsstollen frei bleiben muss. Dann müssen 16 Kopfbahnhofgleise bleiben. Dann kann Jesus Christus als Diener der Allgemeinheit in die Herzen der Verantwortlichen einziehen und den Götzen Mammon der Immobilienspekulanten daraus vertreiben.  Amen.

Parkgebet am 11.3.2021 mit Pfr.i.R. Friedrich Gehring

Die Lieder und Texte zum – weiterhin nur digital stattfindenden – Parkgebet sind dieses Mal ab 18.15 Uhr zu finden unter dem folgenden Link:

(bitte hier klicken!)

Wir wünschen allen Hörer*innen und Leser*innen in diesen schwierigen Krisenzeiten ein klein wenig Verbundenheit untereinander und gewinnbringende Anregungen durch die Texte und Lieder.

Online-Parkgebet am 11. Februar 2021 von Pfr.i.R. Friedrich Gehring zu Markus 10, 15-16

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(und hier alle Lieder und Texte dieses Parkgebets)

Ansprache für das Online-Parkgebet am 11.2.2021 zu Mk 10, 15-16    Friedrich Gehring

Wahrlich, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht annimmt wie ein Kind, wird nicht hineinkommen. Und er umarmte und segnete sie, indem er ihnen die Hände auflegte.

Ich habe diesen Text ausgesucht, weil mir dieser Tage eine ehemalige Klassenkameradin mailte, es wäre ihr hilfreich, sich „eine Gelegenheit vorzustellen, wo Jesus lächelt oder lacht“. Es erscheint mir nicht zufällig, dass sie danach fragt in der Pandemie, in der viele wenig zu lachen oder zu lächeln haben. Am besten kann ich mir Jesus lächelnd vorstellen bei der Kindersegnung. Die Kinder werden nicht krank oder mit schweren Schmerzen zu ihm gebracht, sondern um von ihm gesegnet zu werden. Ich gehe deshalb davon aus, dass Jesus nicht sorgenvoll auf sie geblickt hat, sondern freudig lächelnd. Er spricht dabei vom Annehmen eines Kindes im Sinne einer Adoption. Und dann zeigt er, wie wir Kindern unbedingtes Angenommensein vermitteln können, indem wir sie zärtlich in die Arme schließen. Auch Erwachsene erfahren so, dass sie geliebt sind. Und diese Urerfahrung macht Jesus zum Inbegriff des Lebens im Reich seines barmherzigen Vaters. Es gehört zu den besonderen Belastungen unter der Pandemie, dass solches gegenseitiges Annehmen durch Umarmungen allenfalls mit FFP2-Masken als ungefährlich erscheint. So müssen Umarmungen ersetzt werden durch andere Zeichen des Annehmens. Dazu gehört, dass wir einander zulächeln. So kommt heute Interesse auf, auch Jesus lächeln zu sehen.

Das mag vordergründig als schwacher Trost erscheinen. Deshalb gebe ich eine authentische Erfahrung zu bedenken: Nach der Scheidung der Eltern sind drei Töchter dem neuen Freund der Mutter ausgeliefert, der mit großer Strenge erzieht und außerdem übergriffig wird. Besonders die mittlere Tochter hat es schwer bei ihm, da sie einen Freund hat. Sie vertraut ihre Not ihrem Tagebuch an. Der Täter reißt die betreffenden Seiten heraus und droht ihr, falls sie etwas ausplaudere. Von der Verlobten ihres älteren Bruders, die Mitglied einer Freikirche ist, erfährt sie, dass Jesus uns schützt. Daraufhin wagt sie es, sich brieflich der Partnerin des Bruders anzuvertrauen. Der Bruder wendet sich an die Kriminalpolizei. Während die Mutter an Silvester in der Wohnung des Freundes ist, gelingt den Mädchen die Flucht. Der Täter kommt vor Gericht.

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Ansprache zum Parkgebet am 10.9.20 zu Joh 16,32-33 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir. … In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden. (Joh 16,32-33 (Ausschnitt)

Johannes überliefert uns diese Worte Jesu im Rahmen der Abschiedsrede Jesu. Das setzt voraus, dass Jesus sehr wohl ahnt, was ihm bevorsteht. Seine Predigt vom Reich Gottes steht im totalen Gegensatz zum römischen Kaiserreich. Es droht ihm das Schicksal aller Kritiker von totalitären Regimen wie jüngst im Fall Nawalny. In einer solchen Welt ist Angst angesagt. Die totalitären Herrscher tun alles dafür. Jesus lässt sich keine Angst machen vom Kaiser und seinen Statthaltern. Er lebt mit seinem barmherzigen Vater in einer anderen Welt. Wenn er sterben muss, kehrt er ganz zu seinem Vater zurück. Damit hat er die Gewaltwelt des Kaisers überwunden.

Ich habe diese Worte ausgewählt, weil ein Neffe von John F. Kennedy am 28.8. in Berlin an das Motto von Hermann Göring erinnert hat, ein Volk sei am einfachsten zu regieren, wenn man ihm genügend Angst mache, egal ob im Sozialismus oder Kapitalismus, in der Diktatur oder der Demokratie. Am selben Tag fiel mir in der Südwestpresse die Überschrift auf: „Behörde warnt vor hoher Dunkelziffer“. Die vermutete Dunkelziffer von Infizierten, aber nicht Erkrankten, ist logischerweise kein Grund für eine Warnung, sondern für eine Entwarnung. Es wurde berichtet: „nach dem vergangenen Wochenende … meldete das Gesundheitsamt Stuttgart 225 Patienten und insgesamt 67 Verstorbene“. Dies wirkte so, als seien am Wochenende 67 Coronatote gezählt worden, weil der Zusatz fehlte, dass diese 67 seit März in den Zusammenhang mit Virus gebracht werden. Es fehlte auch der Hinweis, dass von Juli bis Ende August die gesamtdeutsche Coronasterberate von täglich 7 auf 4 gefallen ist und dass zum Vergleich täglich 82 bis 109 Patienten in deutschen Kliniken an resistenten Krankenhauskeimen sterben oder über 100 an Luftverschmutzung. Es werden täglich positiv Getestete gezählt, aber unterschlagen, wie viele davon gar nicht krank werden. Die viel realistischere Angst vor Krankenhauskeimen oder Luftverschmutzung wird nicht durch Statistiken geschürt, denn dann müssten die privatisierten Klinikkonzerne Profit einbüßen, um den Hygienestand etwa von Holland zu erreichen. Die Massentierhalter wären am Ende, weil ihr Antibiotikamissbrauch verboten werden müsste. Und es müsste mehr gegen Luftverschmutzung unternommen werden. Vor solchen Einbußen schützen sich Konzerne durch heimlichen Lobbyismus, deswegen darf es kein transparentes Lobbyregister bei uns geben. Die Abgeordneten haben ein offenes Ohr für die Lobbyisten, denn die Konzerne können gut dotierte Posten vergeben. Der Fall Amthor ist ein kleiner Fisch. Der deutsche Bankenverband schaffte es, den Cum/Ex-Steuerraub erst richtig in Schwung zu bringen, indem er durch seinen Trojaner im Finanzministerium erreichte, dass ausländische Finanzinstitute ausgenommen wurden und im Jahressteuergesetz 2007 Aktien mehrere Besitzer haben durften, obwohl Warnungen aus zwei Bundesländern kamen. Es geht um etwa 10 Milliarden Euro. Wir sollen aber keine Angst vor Lobbyisten haben, lieber vor Coronaviren. Wir sollen lieber Angst haben vor Nachbarn und nach dem Willen unseres Innenministers wie einstige Blockwarte diese denunzieren, obwohl sich diejenigen, die sich nicht schützen, doch vor allem selbst gefährden. In einem geängsteten Volk ist Teilen und Herrschen besonders leicht.

In dieser Welt wird euch Angst gemacht, sagt Jesus, aber seid zuversichtlich, ich habe diese Angstwelt überwunden, und ihr könnt das auch. Wir müssen nicht mehr wie Jesus mit der Kreuzigung rechnen, wir leben zum Glück nicht in Russland oder als Farbige in den Südstaaten der USA. Wir müssen nur mit schwarzen Donnerstagen rechnen, die nach 5 Jahren als rechtswidrig erkannt werden, oder mit der Beobachtung durch den Verfassungsschutz, der nicht die Verfassung, sondern die Konzerninteressen schützt. Deshalb können wir es leichter wagen, den ersten Schritt aus der Angstwelt heraus zu tun und falsche von realistischen Ängsten unterscheiden.
So stellen wir fest: Die Coronaängstiger sind am Zurückrudern. Es wird eingeräumt: Die Angesteckten sind nur wenige Tage ansteckend, die Quarantäne kann europaweit verkürzt werden. Die Bedeutung der Tests wird erheblich relativiert. Immer mehr Fachleute wagen auszusprechen, das Virus könne zu einer harmloseren Variante mutiert sein. Wir können uns den realistischeren Ängsten zuwenden: In Neckarwestheim sind die Dampferzeugerrohre rissig. In Büchel werden Atomwaffen modernisiert, die uns zur Zielscheibe und zu Kanonenfutter machen. Ackergifte bedrohen die Bienen und viele andere Tierarten, Düngemittel das Trinkwasser, der Klimawandel unsere Wälder sowie Landwirte und Gärtnereien. Und die Tunnel von Stuttgart 21 das Leben der Bahnreisenden. Nicht unsere Nachbarn sind dann unsere Gegner, sondern die gierigen Betreiber von Kernkraftwerken und Kliniken, verantwortungslose Landwirte, Massentierhalter und Bauspekulanten sowie deren Beschützer in den Parlamenten und Regierungen, die neoliberal verblendet meinen, wenn die großen Konzerne viel Gewinne machen, sei das heilsam für alle.

Das ist, wie gesagt, der erste Schritt aus der Welt der falschen Ängste. Der größere ist die Überwindung der Todesangst, wie Jesus sie vorgelebt hat. Das bedeutet zugleich, dass wir die Grenzen unserer Möglichkeiten akzeptieren. Es mag sein, dass wir die Fertigstellung der schrägen Haltestelle nicht verhindern können, auch nicht den weiteren Tunnelwahnsinn, der jetzt angedacht wird, um den Unsinn von S 21 zu kaschieren. Es mag sein, dass wir als die Verlierer da stehen wie der gekreuzigte Jesus. Aber der Einsatz gegen die Angstwelt und für das Reich des barmherzigen Gottes ist damit nicht zu Ende wie das Kreuz Jesu nicht das Ende war, sondern ein Anfang. Das Blut der christlichen Märtyrer wurde zum Samen der Kirche.

Jesus konnte diesen Kampf kämpfen, weil er nicht alleine war: Der Vater war bei ihm. So sind auch wir nicht alleine. Ein Leben mit diesem barmherzigen Vater schützt nicht vor Niederlagen, es ist aber am Ende ein Gewinn, weil wir angstfrei zu ihm heimkehren können in unserer letzten Stunde. Amen.

Ansprache zum Parkgebet am 30.7.20 zu Joh 9,2-3 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Seine Jünger fragten ihn: Rabbi, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren worden ist? Jesus antwortete: Weder dieser hat gesündigt, noch seine Eltern, sondern die Werke Gottes sollen an ihm offenbar werden.

Die Jüngerfrage nach der Schuld am Unglück des Blinden bringt auf die sichere Seite: Die Frager haben mit der Sache nichts zu tun. Jesus erklärt aber, dass sie sehr wohl damit zu tun bekommen. Denn an dem Blinden soll das Werk des barmherzigen Gottes erfahrbar werden und die Jünger sollen zu Gottes barmherzigen Händen an dem Blinden werden. Es passiert auch heute noch, dass Passanten einen Menschen mit Behinderung in einem Rollstuhl begaffen, wenn sie aber an einer Treppe um Hilfe gebeten werden, ergreifen sie die Flucht. Diesen Fluchtweg schneidet Jesus ab. Er heilt den Blinden auf wunderbare Weise mit Speichel, den er mit Erde vermischt hat. Heute müssen wir nicht auf solche Wunder warten, es reicht eine Spende bei einer Blindenhilfsorganisation, die in einem armen Land durch Medikamente oder Operationen vor Blindheit rettet oder Unheilbaren zu einer beruflichen Existenz verhilft. So bauen Menschen am Reich des barmherzigen Gottes.

Schon seit jeher ist die Erzählung von dieser Blindenheilung auch im übertragenen Sinn verstanden worden: In der Begegnung mit Jesus wird auch geistige und seelische Blindheit geheilt. Als Jesus bei dem Steuereintreiber Zachäus einkehrt, sieht dieser plötzlich, wonach er bisher gestrebt hat und welches Glück ein Leben unter dem barmherzigen Gott bedeutet. So heißt es in dem Lied „Amazing grace“: „I was blind, but now I see“, ich war blind, aber nun sehe ich. Der Autor John Newton schrieb dieses Lied, nachdem er 1748 als Kapitän eines Sklavenschiffes aus schwerer Seenot gerettet worden war. Er war von da an menschlicher zu Sklaven, gab schließlich seinen Beruf auf, wurde Geistlicher und kämpfte gegen die Sklaverei. Er konnte plötzlich sehen, dass die geschundenen Sklaven eine Herausforderung waren, ein Werkzeug des barmherzigen Gottes zu werden und an seinem Reich mit zu bauen.

Jesu Heilung von geistig-seelischer Blindheit bekommt für mich heute besondere Aktualität angesichts der weltweit verbreiteten neoliberalen Verblendung, alles würde gut, wenn wir nur die mächtigen Konzerne in freien Märkten wirken ließen. Jesus nennt diese Ideologie einen Dienst am Götzen Mammon, der mit dem Glauben an den barmherzigen Gott unvereinbar ist (Mt 6,24). Papst Franziskus bringt es auf den kurzen Nenner: „Diese Wirtschaft tötet!“ Wenn uns Jesus dafür die Augen öffnet, kann es nur noch eine Umkehr geben wie bei Zachäus.

Am brutalsten ist uns das vor Augen geführt worden in der Coronakrise. Eine auf den Mammon fixierte Gesundheitsfürsorge kam nicht auf die Idee, Schutzmasken und Schutzkleidung vor zu halten, obwohl die Pandemie von Fachleuten schon 2013 vorausgesagt wurde. So blieben die Risikogruppen ungeschützt, unabhängig vom Shutdown. Der schwedische Chefvirologe, der auf Herdenimmunität setzte, musste am Ende kleinlaut eingestehen, dass die Gefährdeten nicht geschützt werden konnten. Deutsche Häme darüber ist unangebracht: Im bayrischen Kreis Tirschenreuth, dem Ort des strengsten bayrischen Lockdowns, war die Todesrate vier Mal höher als im schwedischen Durchschnitt, weil für die Beschäftigten in den Pflegeheimen keinerlei Schutzausrüstung zur Verfügung stand und die Betreuten so zwangsläufig angesteckt wurden.

Zugleich wurde uns in der Krise vor Augen geführt, dass besonders Klima schädliche Branchen wie Fernflug- oder Kreuzfahrtreisen überflüssig sind. Auch ständig neue Autos zu kaufen war plötzlich verzichtbar. Die von der Mammonsgier geprägte weltweite Verlagerung von Produktionen in Billiglohnländer brachte plötzlich schmerzhafte Lieferengpässe. Die nach dem Mammon gierenden Schlachtfabrikbesitzer, die Billigarbeitskräften unsägliche Bedingungen zumuten, wurden als Risiko für die Gesamtbevölkerung bewusst. Andererseits wurde offensichtlich, dass die lebensnotwendigen Branchen wie der Lebensmitteleinzelhandel, die Arbeit in Kliniken oder Pflegeheimen gegenüber den Klima schädlichen Industrien unterbezahlt sind.
Für uns Gegner des Projekts Stuttgart 21 sind solche Einsichten in die neoliberale Mammonsgier nicht ganz neu. Hier ist seit 10 Jahren die neoliberale Verblendung besonders mit Händen zu greifen. Die katastrophale Fehleinschätzung der Kanzlerin, an diesem Projekt hinge die Zukunft der deutschen Wirtschaft – gemeint war wohl die Zukunft ihrer neoliberalen Politik, der verhängnisvolle Verzicht auf die Klärung des Katastrophenschutzes und die maßlose Geldverschwendung bei gleichzeitiger Verschlechterung des Bahnverkehrs, all dies setzte voraus, dass die Verantwortlichen nicht nur auf einem, sondern auf beiden Augen blind waren für die Unsinnigkeiten und Gefahren dieses neoliberalen Schlüsselprojekts. Auf kirchlicher Seite fehlte die Sensibilität zu erkennen, dass hier die Warnung Jesu vor dem Mammon zu beherzigen gewesen wäre. Von unserer Kirchenleitung war zu hören, es sei doch nur ein Bahnhof, ohne zu bemerken, dass nur eine schräge Haltestelle gebaut wird, weil das Projekt einer vom Mammon geleiteten Grundstücksspekulation entsprang.

Wir wollen aber nicht beim Jammern stehen bleiben. Wir lassen uns von Jesus die Augen immer wieder öffnen und teilen unserer Umwelt mit, was wir da sehen gelernt haben. Wir haben uns durch den schwarzen Donnerstag nicht einschüchtern lassen und wir lassen uns auch nicht blenden durch die triumphierend gefeierten Baufortschritte. Wir sehen ab, dass das dicke Ende noch nachkommt. Wir müssen keine Angst davor haben, denn wir kennen die Alternative, den Umstieg 21 und lassen die Hoffnung nicht fahren, dass der Mehrheit im Land doch noch die Augen aufgehen. Amen.

Ansprache zum Parkgebet am 18.6.2020 zu Apg 4, 34-35 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Es war keiner unter ihnen, der Mangel hatte; denn wer von ihnen Land oder Häuser hatte, verkaufte sie und brachte das Geld für das Verkaufte und legte es den Aposteln zu Füßen; und man gab einem jeden, was er nötig hatte.

Da teilen also die Begüterten tatsächlich mit den Ärmeren, wie das im Reich des barmherzigen Gottes Jesu sein soll. Niemand leidet mehr Not, es funktioniert, was wir heute die bedingungslose Grundversorgung nennen. Als es bei den Essensausgaben, den damaligen Vesperkirchen, Probleme gibt, werden Spezialisten wie Stephanus beauftragt, für gerechte Verteilung zu sorgen. Die ersten Christen in Jerusalem bekommen verständlicher Weise enormen Zulauf. Wir können freilich heute im Rückblick nicht unterschlagen, dass dieser Urkommunismus nicht lange gut ging. In Apg 5, 1-11 erfahren wir vom Sündenfall der Urgemeinde: Die Eheleute Ananias und Saphira verkaufen zwar einen ihrer Äcker, geben aber nur einen Teil des Erlöses der Gemeinde und leugnen dann auch noch, dass sie privat vorsorgen. Von Paulus erfahren wir, dass die Gemeinde in Jerusalem völlig verarmt ist und Spenden anderer Gemeinden benötigt (Röm 15,26). Aus heutiger Sicht war das gut gemeinte Experiment nicht nachhaltig. Verkaufte Äcker bringen so wenig dauerhaften Ertrag wie verkaufte Kühe Milch. Auch Verantwortliche in Vesperkirchen mahnen regelmäßig, dass ihre Arbeit nicht notwendig sein sollte in einem so reichen Land wie dem unseren, weil Vesperkirchen Symptome kurieren, aber nicht die Ursachen der Not bekämpfen können. Dafür müsste eine neue Sozialpolitik sorgen.

Den Entwurf einer solchen neuen Sozialpolitik bietet Jesus im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-15). Faires Teilen entscheidet sich am Arbeitsmarkt. Wenn dies dort nicht gelingt, werden Vesperkirchen zur Sisyphosarbeit, die in Erschöpfung endet. Deshalb wendet der Weinbergbesitzer im Gleichnis vom Reich Gottes einen Trick an: Er zahlt den Vollzeit- und den Kurzarbeitern denselben Lohn. Da regen sich die Vollzeitarbeiter natürlich auf, aber der Arbeitgeber bleibt hart. Er rechnet damit, dass sie am nächsten Tag schlauer sind. Wenn sowieso alle den gleichen Lohn bekommen, dann können sie schon am Morgen auch die Arbeit gleich verteilen. Denn am Morgen sind natürlich die jungen und gesunden, also die stärksten Arbeiter von den Arbeitgebern gedungen worden und haben in der Konkurrenz mit den Schwächeren gesiegt. Damit auch die Schwächeren und ihre Familien das Brot für den morgigen Tag haben, müssen sie eine Chance am Arbeitsmarkt bekommen. Darauf will das Gleichnis Jesu hinaus und damit gewinnt es Aktualität für heute.

Als nach dem Autoboom der deutschen Vereinigung die Branche 1993 in die Krise geriet, wurde zB bei VW diese faire Idee umgesetzt. Statt 20 % der Mitarbeitenden zu entlassen, arbeiteten alle nur 80 %. Auch ohne das Kurzarbeitsgeld aus der Arbeitslosenversicherung hätten alle überleben können. In der Banken- und Wirtschaftskrise von 2008 kam Deutschland durch das Instrument des Kurzarbeitsgelds wesentlich besser zurecht als andere Länder wie die USA. Dort wird sehr schnell wieder entlassen nach dem berüchtigten Motto „hire and fire“, einstellen und wieder feuern. Auch in der gegenwärtigen Krise bewährt sich der deutsche solidarische Weg.
Die derzeitige Krise ist aber härter als 2008 oder 1993. Denn zum einen trifft sie ganze Branchen wie Fremdenverkehr, Gastronomie und Unterhaltung viel härter. Zum anderen fällt sie zusammen mit überfälligen notwendigen Veränderungen etwa in der Auto- und Luftfahrtbranche. Dort rächt sich jetzt, dass eine frühere Umwandlung der Klima schädlichen Geschäftsmodelle versäumt wurde. Eine drastische Besteuerung Spritfressern, Flügen und Kreuzfahrten hätte rechtzeitig einen Wandel gefördert weg von Klima schädlicher Mobilität zu einer Klima schonenden, wenn gleichzeitig der Schienenverkehr gefördert worden wäre. Nun kommt der Wandel schlagartig und drastisch. Eine Kaufprämie wie 2008 für Verbrenner war der Wählerschaft heute zurecht nicht mehr zu vermitteln. Auch die teure Lufthansarettung kann wohl große Arbeitsplatzverluste nicht mehr verhindern. Umso schneller müssen Luftfahrtbeschäftigte auf Bahnarbeitsplätze umgeschult werden. Wir kommen hier beim Parkgebet zusammen, weil wir für einen erweiterten Bahnverkehr eintreten.
Deshalb fordern wir den Erhalt des leistungsfähigen Kopfbahnhofs. Dabei könnte uns jetzt eine überraschende Entscheidung ausgerechnet von Donald Trump zu Hilfe kommen. Er will US-Stützpunkte aus Deutschland abziehen, auch Eucom und Africom hier in Stuttgart sind im Gespräch. Dort unterstützen wir logistisch die US-Drohnenlynchmorde, bei denen die zivilen Opfer als „Kollateralschäden“ verharmlost werden sollen und neuer Terrorismus gezüchtet wird. Durch den US-Abzug würde viel mehr und auch bezahlbarer Wohnungsbau ermöglicht als beim Abriss des Gleisfelds im und vor dem Kopfbahnhof. Das Immobilienprojekt Stuttgart 21, das uns die Katastrophenhaltestelle beschert, würde überflüssig. Dies gilt es jetzt an die große Glocke zu hängen und dem Projekt seine ursprüngliche Triebfeder weg zu nehmen. Denn diese Immobilienspekulation sollte nach dem Willen der Kanzlerin zum Schlüsselprojekt einer neoliberalen deutschen Zukunft werden. Hoffentlich bleibt der sprunghafte Präsident Trump bei seiner Ankündigung. So könnten wir uns der mörderischen Militärpolitik entziehen und zugleich die schädliche neoliberale Wohnungsbau- und Verkehrspolitik überwinden.

Gerade die Christen in unserem Land haben Grund, dieser Politik zu widerstehen und sie abzulösen nach außen durch eine internationale Friedenspolitik und nach innen zu einer Sozialpolitik, die nicht mehr von unten nach oben, sondern von oben nach unten umverteilt. Beim Versuch des fairen Teilens ist der Neoliberalismus unser Hauptgegner, denn er steht für das, was Jesus den ungerechten Mammon nennt (Lk 16,9). Diesem können wir nicht dienen, wenn wir gehorsam sein wollen gegenüber dem barmherzigen Gott Jesu (Mt 6,24). Unser auferstandener und gegenwärtiger Herr schenke uns den Mut, dem Mammon zu widerstehen und fair zu teilen. Amen.

Pfingstgottesdienst am 1.6.2020, mit Pfr.i.R. Friedrich Gehring

Liebe Freundinnen und Freunde des Parkgebets,

hier kommt der digitale Pfingsgtottesdienst
– mit einer Ansprache von Pfr.i.R. Friedrich Gehring.

Der Link zum Video lautet:

Und hier ist die Ansprache zum Nachlesen:

Pfingstmontagspredigt für den 1.6.2020 zu Apg 2, 1-7 (Ausschnitt) von Pfr. i. R. F. Gehring

Pfingstmontagspredigt für den 1.6.2020 zu Apg 2, 1-7 (Ausschnitt) von Pfr. i. R. F. Gehring

(hier als pdf-Datei)

Als der Tag der Pfingsten erfüllt war, waren sie alle beieinander an einem Ort. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel … und sie wurden voll des heiligen Geistes und fingen an zu predigen … . Es waren aber Juden da auf dem Weg nach Jerusalem … , gottesfürchtige Männer aus allerlei Volk, … die verwunderten sich und sprachen: „Sind nicht alle, die da reden, Galiläer? Wie kommt es, dass wir sie alle in hebräischer Schriftsprache hören?“

Pfingsten gilt als der Geburtstag der christlichen Kirche, deren Ausbreitung die Grenzen Israels überschreitet und weltumspannend wird. Sinnenfällig wird dies durch das Sprachwunder. Juden aus verschiedensten Ländern, die durch Galiläa nach Jerusalem pilgern, können sich mit Galiläern auf Hebräisch verständigen. Diese waren für sie bisher sprachlich und kulturell fremd und religiös nicht koscher. Aber der barmherzige Gott, den Jesus seine Jünger lehrt, ist nicht nur ein Gott der Israeliten, sondern aller Menschenkinder. Propheten wie Amos (9,7) und Jesaja (2,1-5) hatten schon 750 Jahre zuvor darauf hingewiesen, nun wird dies in der Überwindung der Sprachgrenzen erfahrbar: Der Fluch der babylonischen Sprachverwirrung ist aufgehoben. Der barmherzige Gott will die Menschen nicht mehr an solidarischer Zusammenarbeit hindern, indem er aus Angst vor der Macht der Menschen diese trennt und beherrscht. Er begleitet menschliches Wirken voll Vertrauen, auch wenn dabei Fehler gemacht werden. Denn er kann vergeben und nach Versagen neu anfangen. Dies traut er auch den Menschenkindern untereinander zu.

Wir hören diese Botschaft an diesem Pfingstfest 2020 in einer Weltlage, in der es ganz besonders darauf ankommt, dass internationale Solidarität gelingt. Die Pandemiekrise kann zu verschärftem nationalem Egoismus führen oder zu globalem Zusammenhalt. Wir in Deutschland müssen dankbar bekennen, dass wir im weltweiten Vergleich bisher noch glimpflich davon gekommen sind. Aus dieser Dankbarkeit muss solidarische Hilfsbereitschaft erwachsen mit denen, die schwerer getroffen sind. Dies kann nicht nur in Europa gelten, es muss weltweit geschehen. Dabei müssen die Sünden, die gerade wir als hoch industrialisiertes Land in der Vergangenheit auf uns geladen haben, beim Namen genannt werden, um neue Verhältnisse zu schaffen. Das Infektionsgeschehen unter den ausländischen Beschäftigten in Großschlächtereien hat in den Blickpunkt gerückt, welcher Ausbeutung und welch unsäglichen Lebensbedingungen wir billiges Fleisch in unseren Läden verdanken. Hinzu kommt, wie an den Tieren in der Massentierhaltung gesündigt wird um des schnöden Mammons willen. Diese Sünden bei der Tierhaltung rächen sich beim Missbrauch von Antibiotika: Resistente Keime werden gezüchtet, die in unseren Krankenhäusern jährlich geschätzt über 30.000 Tote fordern. Um mit Papst Franziskus zu sprechen: Diese Wirtschaft tötet. Sie tötet auch dort, wo in armen Ländern für uns Kleidung und andere Konsumgüter hergestellt werden zu Hungerlöhnen und unter fatalen Bedingungen. Dies sollte uns auffallen nicht erst, wenn Atemmasken oder Medikamente fehlen, deren Produktion aus Profitsucht ausgelagert wurde. Die tötende Wirtschaft zeigt sich auch dort, wo Rohstoffgewinnung für unsere Handys und E-Autos die Ärmsten noch weiter ins Elend stürzt. Unsere Waffenexporte bilden die Spitze des Skandals.

Die Pandemiekrise ruft uns zur Umkehr. Im Inland erleben wir, wie Millionen wirtschaftlichen Ruin erleiden. Die Schwarze Null ist Geschichte, mit riesiger Verschuldung soll schwer Getroffenen über die Runden geholfen werden. Bei der Schuldentilgung sind Megareiche endlich angemessen heran zu ziehen. Ein Promille der Deutschen, das sind etwa 80.000, besitzen ein Viertel des deutschen Privatvermögens, nämlich 1.500 Milliarden €. So viel etwa wird im Bundeshaushalt in 4-5 Jahren ausgegeben. Ein Lastenausgleich von nur 30 Prozent dieses Vermögens kann innerhalb von 10 Jahren 450 Milliarden € umverteilen. Dieses Geld in den Händen der Ärmeren wird sehr schnell wieder ausgegeben. Dies kurbelt die Wirtschaft schnell an. Dabei ist sehr darauf zu achten, dass der notwendige Wandel gelingt weg von militärischer und umweltschädlicher Produktion hin zu Waren und Dienstleistungen, die die Welt wirklich braucht und die den Klimawandel bremsen. Auch eine erhöhte Erbschaftssteuer und höhere Steuerprogression sind für die Wirtschaftstransformation nötig.
Staatliche Hilfen müssen an klare Kriterien gebunden werden, auch bei der staatseigenen Bahn. Vor weiteren Hilfen muss die Bahn ihre aufgekauften Unternehmen wieder abstoßen, die mit dem Bahnverkehr, der Kernaufgabe, nichts zu tun haben. Zudem muss das unrentable und gefährliche Projekt Stuttgart 21 dem Umstieg 21 weichen. Nie war dies dringlicher als jetzt. Weil das Geld fehlt und riesige Brandkatastrophen drohen, muss ein schnelles Ende einen Schrecken ohne Ende verhindern. Unser entschlossener und ausdauernder Widerstand ist jetzt besonders gefordert, da die bisherigen Selbstverständlichkeiten neoliberaler Politik ins Wanken geraten. Für diese Politik gilt Stuttgart 21 nach Aussage unserer Kanzlerin als Schlüsselprojekt. Aber nicht an der Fertigstellung, sondern am Ende dieses Projekts und dieser Politik entscheidet sich, ob Deutschland Zukunft hat. Deutschland braucht keine Prämien für Spritfresser, sondern Fördergelder für Schienenverkehr.

Wenn wir im Inland diese Umkehr einleiten, dann werden wir auch Sorge tragen müssen dafür, dass in der globalen Wirtschaft ein neuer Geist einzieht. Handelsabkommen, die internationale Großkonzerne zu den neuen Feudalherren und die Armen zu den neuen Sklaven machen, sind zu kündigen. Lieferketten dürfen nicht mehr auf freiwilliger Basis überprüft werden, sondern sind unabhängigen Kontrolleuren zu unterwerfen, um faire Löhne und Arbeitsbedingungen zu gewährleisten. Statt Waffen zu liefern müssen Hilfen finanziert werden für eine gewaltfreie Konfliktregulierung, die Söldner zu Bauern macht. Alle Entwicklung muss dazu dienen, den Klimawandel auf zu halten und Gottes Schöpfung zu bewahren. Möge das Pfingstfest 2020 diesen neuen Geist in möglichst vielen Menschen wecken und zu einem heilsamen Wandel helfen. Amen.

Anhang: Mail an Winfried Kretschmann zum Autogipfel am 2.6.2020

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kretschmann,

das Drängen der Autoländer auf Kaufprämien für Spritfresser ist der Wählerschaft nicht mehr zu vermitteln. Gerade Sie als grüner Verantwortlicher sollten deshalb für die Autokonzerne folgende Rettung propagieren:

1. Für PS-starke Spritfresser wird eine zeitlich gestaffelte Luxus- und Umweltstrafsteuer erhoben: Je länger die Kaufentscheidungen aufgeschoben werden, umso teurer werden die Fahrzeuge. Dies hilft jetzt schnell, den Stau produzierter Fahrzeuge aufzulösen. Diese Autos können gar nicht teuer genug werden, da sie weniger Fahrzeuge sind als vielmehr Statussymbole: Je teurer sie werden, um so mehr erfüllen sie den Zweck, mit Reichtum zu protzen.  

2. Den Konzernen wird die Ankündigung empfohlen, die Herstellung von Spritfressern werde zunehmend abgebaut wegen der kommenden EU-Strafzahlungen. Wer noch haben wolle, müsse sich beeilen. Auch dies wird die Konjunktur ankurbeln.

3. Kaufprämien werden den Konzernen – entsprechend dem Verfahren bei Hartz IV – ausschließlich bei Nachweis der Bedürftigkeit gewährt (Verbrauch der Rücklagen, Verzicht auf Dividenden und Boni für Managment und Mitarbeiterschaft), und zwar ausschließlich für besonders sparsame Fahrzeuge, zB kleine 6d Temp-Diesel-Hybride, getriebelos mit rekuperierenden Radnabenmotoren und ausreichend Kofferraum für Familien wie der erste Honda Jazz ab 2002. Die vielen Teile erhalten Arbeitsplätze, der Verbrauchsrückgang bremst den Klimawandel, während zugleich zunehmend Verkehr auf die Schiene kommen muss, etwa durch den Umstieg 21 statt Stuttgart 21.

Mit freundlichen Grüßen

Friedrich Gehring
Am Krähenhorst 8
71522 Backnang

Parkgebet am 14. Mai 2020 zu Apg 5,29 von Pfr.i.R. Friedrich Gehring

Liebe Freundinnen und Freunde des Parkgebets,

hier kommt das dritte Parkgebet digital mit einer Ansprache von Pfr.i.R. Friedrich Gehring.

Hier ist der Link zum ganzen Parkgebet mit allen Text- und Musikteilen:
https://c.web.de/@823176437937739474/Bsyu-Y-oRaKYkf0LP63enQ
Ihr könnt Euch durch das Parkgebet durchklicken. Und gerne könnt Ihr bei Euren Rundmails zum Besuch des virtuellen Parkgebets einladen 😉

Und hier ist die Ansprache: (hier die Ansprache als pdf-Datei)

Ansprache zum Parkgebet am 14.5.20 zu Apostelgeschichte 5, Vers 29 von Pfr.i.R. Friedrich Gehring.

Wenige Tage nach dem 8. Mai 2020, dem 75. Jahrestag der Befreiung vom Naziregime, biete ich unserem Nachdenken einen Satz aus Apg 5,29 an: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.

Vor dem 8. Mai 1945 galt es in Deutschland 12 Jahre lang, einem Menschen mehr zu gehorchen als dem barmherzigen Gott. Viele Christen hatten dabei kein Problem, weil der Irrglaube weit verbreitet war, alle Obrigkeit sei von Gott eingesetzt (Röm 13,1-7), auch der umjubelte Führer. Ihm zu gehorchen hieß demnach Gott gehorchen. Nur wenige Christen bemerkten, dass sie keinem Menschen, auch nicht dem Führer, einen Treueeid schwören können. Mit dem Kriegsende war das noch keineswegs allen klar. Es war ein Prozess der Entnazifizierung nötig. Dieser Prozess wurde unter Adenauer teilweise rückgängig gemacht, als er den Naziintensivtäter Globke zu seiner rechten Hand machte und als erste Aufgabe ihn ein Amnestiegesetz verfassen ließ. So kamen viele alte Nazis wieder in Amt und Würden.

Am 2. Juni 1967 beim Mord an Benno Ohnesorg und erst recht nach dem Freispruch seines Mörders wurde  mir und vielen anderen klar, wie dringend es immer noch war, dem barmherzigen Gott mehr zu  gehorchen als den Machthabern, auch den demokratisch legitimierten. Trotz der Veränderungen, die der 1968er-Generation bei der weiteren Entnazifizierung gelangen, kam es zu den Morden der RAF wie der Neonazis und Deutschland trat gegen Verfassung und Völkerrecht in den Balkankrieg ein. Auch der schwarze Donnerstag und die Beobachtung unseres Parkgebets durch den Verfassungsschutz markieren einen Rückfall in die Diktatur. Deshalb halten wir auch in der Coronakrise das Parkgebet, nur eben in anderer Form.

Dies ist derzeit umso dringender, als die Ingenieure 22 dankenswerterweise die Einsichtnahme in die Brandschutzunterlagen für den Fildertunnel gerichtlich erzwingen konnten. Bei der Lektüre sind äußerst grobe Fehleinschätzungen entdeckt worden, die verheimlichen wollen, dass so gut wie niemand einen Tunnelbrand überleben wird. Um nur einige zu benennen: Es wurde der günstigste Fall eine Brandhalts angenommen. Ein echtes Brandschutzkonzept muss aber zwingend für den schlimmsten Fall vorsorgen. Es wurde mit völlig unrealistisch hohen Fluchtgeschwindigkeiten gerechnet. Es wurde mit keinem Wort erwähnt, dass der Rauch viel schneller sein wird als die Fahrgäste, die nahezu alle auf der Flucht ersticken werden. Der Tunnel wird zur Gaskammer, ein Bild wie in Grafeneck oder in den Konzentrationslagern.

Warum wird bei diesem Projekt der Tod von bis zu 1700 Menschen bewusst in Kauf genommen und das ganze noch durch falsche Gutachten verschleiert? Die Antwort hängt eng mit der Kostenlüge zusammen. Die Tunnel mussten mit Ausnahmegenehmigung eng dimensioniert werden und es musste auf einen Rettungsstollen mit Fluchttüren in geringen Abständen verzichtet werden, um geringe Kosten vorgaukeln zu können und die Unwirtschaftlichkeit des Projekts zu verdecken. Sonst hätte es nie begonnen werden dürfen. Das neoliberale Bodenspekulationsprojekt hätte von vorneherein seine mangelnde Rentabilität und verkehrliche Unsinnigkeit offenbart. Nun zeigt es sich auch noch, dass für die mammonsfixierten  Profiteure über Leichen gegangen wird. Die geltende Tunnelrichtlinie bestimmt aus nachvollziehbarem Grund ausdrücklich, dass die Einzelheiten des Rettungskonzepts vor Einleitung der Planfeststellung festgelegt sein müssen. Was jedem Laien unmittelbar einleuchtet, ist allerdings in unserem Land vor Gericht sehr schwer durchsetzbar. Ein neuer juristischer Versuch wird jetzt dennoch unternommen.

Dietrich Bonhoeffer hat im April 1933 das Bild geprägt, Christen müssten bei eklatantem Versagen der Regierung „dem Rad in die Speichen fallen“. Als er damit ernst machte und dem Widerstand beitrat, wurde er von der Fürbitteliste der bekennenden Kirche gestrichen. Zu sehr waren auch die bekennenden Christen dem falschen Menschengehorsam verhaftet. Dies darf sich nicht mehr wiederholen. Deshalb halten wir weiter das Parkgebet. Es gilt, dem barmherzigen Gott mehr zu gehorchen als Menschen, die um des Mammons willen über Leichen gehen. Der barmherzige Gott schenke uns Mut und Ausdauer, im gewaltfreien Widerstand nicht nach zu lassen. Amen.

Ostergottesdienst-digital, am Ostermontag, 13.4.2020 mit Friedrich Gehring, Pfr.i.R.

Dieser Gottesdienst wurde von den Beteiligten – mit ausreichendem Abstand – in einzelnen Teilen (von Jürgen Gangl, dem wir sehr danken) aufgezeichnet und ist hier als Zusamamenschnitt zu sehen:

Für die musikalischen Beiträge herzlichen Dank an Ulrich Ebert von Parkblech!

Die folgende Ansprache zu Lk 24,30-31 von Pfr.i.R. Friedrich Gehring ist hier als pdf zu öffnen.

Als der Mann mit ihnen zu Tische saß, brach er das Brot, sprach das Dankgebet darüber, brach es und gab es ihnen. Da wurden ihnen die Augen aufgetan und sie erkannten Jesus.

Nach den furchtbaren Erfahrungen der Kreuzigung Jesu verkrochen sich die Jünger. Aber nach dem Sabbat wagen sich die ersten wieder hinaus. Zwei von ihnen wandern in das Dorf Emmaus, treffen einen Fremden, essen mit ihm und erkennen in ihm plötzlich den Auferstandenen. Von da an wird ihnen klar, dass ihnen in allen Notleidenden Jesus selbst begegnet (Mt 25,40). Wenn sie sich ihnen barmherzig zuwenden und ihr Brot mit ihnen teilen, dann bauen sie am Reich Gottes und Jesus ist als der Auferstandene mitten unter ihnen. Mit dieser Kultur des Dienens treten sie in kritische Distanz zum Machtmissbrauch des Kaisers und seiner Statthalter, die Kritiker am Kreuz verstummen lassen wollen (Mk 10, 42-44). 300 Jahre lang werden die Christen eine bisweilen blutig verfolgte Opposition. Sie fallen nicht vor Kaiserbildern nieder  und verweigern den Kriegsdienst für Rom.

Auch unsere Kritik an der Haltestelle Stuttgart 21 hatte ihre Karfreitagserlebnisse, etwa am schwarzen Donnerstag oder bei der verlogenen Volksabstimmung. Nicht wenige haben sich danach verkrochen, aber andere sind doch immer wieder hinausgegangen zu den montäglichen Demonstrationen, zur Mahnwache oder zu den Parkgebeten und haben Widerstand geleistet mit Publikationen oder juristischen Mitteln. So hatte auch unsere Bewegung ihre Ostererlebnisse, etwa als die Gesetzwidrigkeit des Polizeieinsatzes am schwarzen Donnerstag gerichtlich festgestellt wurde. Bei unserem bald zehnjährigen Widerstand mussten wir erkennen, dass wir wie die ersten Christen einem systematischen Machtmissbrauch gegenüberstehen. Es wird zwar nicht mehr an Kreuzen zu Tode gefoltert wie einst, aber unsere neoliberal globalisierte Wirtschaft tötet auf vielfältige Weise, wie Papst Franziskus zurecht anklagt. Und wer die Nachrichten über den Umgang mit dem Widerständler Julian Assange wahrnimmt, ist durchaus an Todesfolter erinnert. Wenn der Machtmissbrauch der Wirtschafts- und Militärmacht USA samt ihrer Vasallen wie Großbritannien öffentlich angeprangert wird, geht man über Leichen wie einst Rom. Weiterlesen

Parkgebet-digital am 2.4.2020 zu Psalm 90,12 von Pf. i. R. Friedrich Gehring

(hier die Ansprache als pdf-Datei)

Liebe Freundinnen und Freunde des Parkgebets,

hier kommt das zweite Parkgebet digital mit Ansprache von Pfarrer i.R. Friedrich Gehring und von Ulriche Ebert zusammengestellter Musik.

Hier ist der Link zum ganzen Parkgebet mit allen Text- und Musikteilen:
https://c.web.de/@823176437937739474/TgbUbuceQMylXOT7OIHa7g

Ihr könnt Euch durch das Parkgebet durchklicken. Und gerne könnt Ihr bei Euren Rundmails zum Besuch des virtuellen Parkgebets einladen 😉

Und hier ist die Ansprache:

Bibeltext:„Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“.(Ps90,12)

Das Stuttgarter Kirchentagsmotto „auf dass wir klug werden“ blendete den Tod aus und nahm der Botschaft ihre gesellschaftliche Bedeutung. Mit unserem politischen Motto „Klug werden aus Stuttgart 21“ waren wir Projektgegner die Exoten. Dem lutherischen Protestantismus ist kritisches politisches Engagement fremd. Uns nicht! Wer das Leiden und Sterben Jesu bedenkt, wird den Tod
nicht mehr tabuieren, sondern kann genau hinsehen. Die Wegsehenden entgehen dem Tod nicht, sie machen alles nur noch schlimmer, bei Stuttgart 21 wie in der Coronakrise.

Bereits 2013 machte eine Bundestagsdrucksache die Coronagefahr bekannt. In der Grippesaison 2017/18 starben bei uns 25.100 Menschen, an 3 Tagen so viele wie an Corona bis Ende März. Hinsehen hätte bedeutet, genügend gute Schutzmasken für alle zu produzieren. Jetzt sind sie sogar für Pflegepersonal knapp. Die starke Verbreitung des Virus im Elsass geht auf ein Kirchentreffen zurück. Gute Masken, von dem Virologen Kekulé früh gefordert, hätten die Ansteckung besonders der Risikogruppen verhindert und Kontaktverbote ersetzt, die jetzt Existenzen ruinieren. Nach versäumter Produktion von Masken fordert Minister Strobel Nachbarnbespitzelung wie zu Blockwartszeiten und bedient die Sehnsucht nach starken Führern. Wer ihr bisheriges Wegschauen sieht, erkennt ihre Schwäche. Wir müssen aber nicht in ohnmächtiger Klage verharren. Weiterlesen

Ansprache beim Parkgebet am 6.2.2020 zu 1. Mose 20,12 von Pf. i. R. Friedrich Gehring

Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass Du lange lebest im Lande, das Dir der Herr, dein Gott, geben wird.

Die Evangelischen unter uns haben wohl bei ihrer Konfirmation die Erklärung Luthers aufsagen müssen: „..dass wir unsere Eltern und Herren nicht verachten noch erzürnen, sondern sie in Ehren halten, ihnen dienen, gehorchen, sie lieb und wert halten“. Da kommen plötzlich zu den Eltern die Feudalherren hinzu, und es geht um Gehorsam. Das Gebot meint aber ursprünglich etwas ganz anderes: Pflegebedürftige Eltern sollen gut versorgt werden, damit die Versorgenden ihren Kinder ein Vorbild sind und später von der nächsten Generation ebenso umsorgt werden und lange leben im gelobten Land. Die Brüder Grimm erzählen von einem gebrechlichen Großvater, der Suppe verschüttet und deshalb hinter dem Ofen aus einem hölzernen Schüsselchen essen muss. Der Enkel sammelt Holz für ein Schüsselchen, aus dem die Eltern später einmal essen sollen. Darauf wird der Senior wieder an den Tisch gebeten. Das Märchen weiß besser als Luther, was das vierte Gebot meint. Luther vollzieht diese krasse Fehldeutung 1520, weil er seit 1518 im Konflikt mit Kaiser und Papst auf seinen Landesherren angewiesen ist und bei ihm gut Wetter machen muss. Im Bauernkrieg ergreift Luther Partei für die Feudalherren, seine Reformation wird endgültig zur Untertanenreligion.

Luther konnte sich für diese Untertanenreligion auf Römer 13 berufen: „Seid untertan der Obrigkeit, die Gewalt über euch hat, denn sie ist von Gott eingesetzt“. Diese Vergottung menschlicher Gewalt passt sprachlich nicht zu Paulus, wirkt im Zusammenhangs des Briefs sachlich als Einschub und ist vermutlich etwa 100 Jahre nach Paulus von fremder Hand eingefügt worden. Auch wenn das zu Luthers Zeiten noch nicht so genau unterschieden wurde, so hätte Luther doch den heftigen Gegensatz zur Position Jesu erkennen müssen. Jesus nimmt den Mächtigen seiner Zeit gegenüber kein Blatt vor den Mund, er sagt: „Ihr wisst, dass die weltlichen Fürsten ihre Völker nieder halten, und ihre Mächtigen missbrauchen ihre Macht. Aber so soll es nicht sein unter euch; sondern wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener, und wer unter euch der Erste sein will, der sei euer Knecht“ (Mk 10,42-44). Das griechische Wort für „Macht missbrauchen“ kommt nur im Neuen Testament vor, es fehlt im profanen Griechisch. Es ist eine christliche Spezialität. Das hätte Luther bemerken müssen, als er das Neue Testament übersetzte.

Es wird Zeit, dass wir die Fehlentwicklung des Christentum zur Untertanenreligion, angefangen von Römer 13 über die Konstantinische Wende bis hin zu zu Luther rückgängig machen und unsere Kirche zu einer Gemeinschaft wahrhaft freier Christenmenschen umgestalten. Wir müssen mit Jesus den militärischen, politischen und wirtschaftlichen Machtmissbrauch beim Namen nennen. Wie in neutestamentlicher Zeit muss die Kritik des Machtmissbrauchs zum Erkennungsmerkmal der christlichen Kirchen werden. Wir dürfen nicht müde werden, von den Herrschenden den Dienst an der Allgemeinheit zu fordern. Nur dazu gibt der barmherzige Gott ihnen die Macht. Die Alten zu ehren ist so etwas wie die Nagelprobe darauf, ob der Allgemeinheit gedient wird oder nicht.

Gerade an dieser Frage haben sich die Macher von Stuttgart 21 früh entlarvt. Unter den Senioren nehmen natürlicherweise Einschränkungen der Mobilität zu. Wir Gegner haben früh auf die drangvolle Enge in er unterirdischen schrägen Haltestelle hingewiesen. Im Katastrophenfall entstehen besondere Gefahren für mobilitätseingeschränkte Reisende. Technikvorstand Kefer brachte dazu den zynischen Vorschlag, man werde durch Lautsprecherdurchsagen die mobileren Reisenden dazu aufrufen, sich um die weniger mobilen zu kümmern. Die himmelschreiende menschenverachtende Planung hätte nicht deutlicher zum Ausdruck kommen können. Denn wie das Bergbahnunglück in Kaprun erwies und wie verschiedene Zugbrände der jüngeren Vergangenheit zeigen, werden sich auch die mobileren Reisenden im Brandfall nicht mehr retten können. Schon allein dieser Aspekt von S 21 verrät, dass hier nicht an den Dienst an der Allgemeinheit gedacht, sondern Macht missbraucht wird. Christen in der Nachfolge Jesu können dazu nicht schweigen, sondern müssen immer wieder den Finger in die Wunde legen.
Im Jahr 2014 reichte ich deshalb eine Fachaufsichtsbeschwerde gegen das Eisenbahnbundesamt ein wegen der Baugenehmigung trotz ungeklärtem Katastrophenschutz. Verkehrsminister Dobrindt ließ mir antworten, man werde den Katastrophenschutz im Rahmen der Inbetriebnahme berücksichtigen, als ob es die Berliner Flughafenprobleme nie gegeben hätte. Man nimmt also wissentlich in Kauf, dass das Milliardenprojekt zwar gebaut, aber nie in Betrieb gehen wird. Für den BER sucht man jetzt, etwa zehn Jahre nach der geplanten Eröffnung, 20.000 Komparsen für eine probeweise Inbetriebnahme. Das lässt sich auf S 21 hochrechnen. Selbst wenn die Fertigstellung bis 2026 gelänge, könnte es bis zur Inbetriebnahme noch weitere Jahre dauern. Die Stuttgarter haben dasselbe Recht wie die Berliner, Probeläufe mit Komparsen zu fordern. Dabei muss heraus kommen, was von den Ingenieuren schon vor Baubeginn mit dem Engpassmodell vor geführt wurde. Die Haltestelle ist nicht für einen wachsenden Bahnverkehr, sondern für mehr Baugelände konzipiert. Die Konsequenz muss sein, dass die engen Bahnsteige im Betrieb etwa nur einseitig mit Zügen belegt werden dürfen und der Kopfbahnhof bleiben muss.Wenn die Inbetriebnahme sich immer mehr verzögert, kann der Deutschlandtakt schon vorher im Kopfbahnhof vorgeführt werden, damit alle Welt erleben kann: S 21 wird dazu gar nicht benötigt. Der Kopfbahnhof kann, was die schräge Haltestelle nie können wird. Dann könnte es gehen wie beim Kernkraftwerk Kalkar, das ab 1970 für Milliarden gebaut wurde, aber auf Beschluss von 1991 nie in Betrieb ging. Heute ist das dortige Gelände ein Vergnügungspark. S 21 mit seinen schönen Kelchen kann Konsumtempel werden. Dafür ist das Ding geeignet. Genügend Investoren werden bereit sein, das Schnäppchen zu machen. Einst hatte der anhaltende Widerstand gegen den schnellen Brüter Erfolg, weil die Betreiber schließlich doch die Risiken dieser Technik nach Tschernobyl nicht mehr leugnen und deshalb auch selbst nicht mehr tragen konnten. Warum soll das nicht auch bei S 21 passieren?

Wir wollen deshalb nicht müde werden, die Risiken von S 21 ständig neu bewusst zu machen. Ein Auschwitz Überlebender sagte anlässlich der 75-jährigen Wiederkehr der Befreiung von Auschwitz-Birkenau, es müsse als 11. Gebot eingeführt werden, du sollst nicht gleichgültig sein, denn das Schweigen diene der Gewalt. Wir werden zum Machtmissbrauch nicht schweigen. Amen.

Anhang:

Aus dem Schreiben des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur vom 11.03.2014:

„Im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens werden, soweit es für das Verfahren selbst relevant ist, selbstverständlich die anerkannten Regeln der Technik berücksichtigt … . … zu beachten ist die EBA-Tunnelrichtlinie, die von Fachleuten aus den Bundesländern, der Deutschen Bahn AG, des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen und des Eisenbahn-Bundesamts erarbeitet wurde und Anforderungen des Brand- und Katastrophenschutzes an Planung, Bau und Betrieb von Schienenwegen nach dem Allgemeinen Eisanbahngesetz (AEG) enthält.

Soweit diese Regeln noch nicht im Rahmen der Planfeststellung Berücksichtigung finden konnten, ist deren Einhaltung über das Verfahren zur Inbetriebnahme einer neu erstellen Eisenbahninfrastruktur gewährleistet. … Insofern kann ich keinen Verstoß gegen den von Ihnen zitierten § 315a Abs. 1 Nr. 2 StGB erkennen. Die von Ihnen vorgebrachte Fachaufsichtsbeschwerde muss ich insofern zurückweisen.“

§ 315a Abs. 1 Nr. 2 StGB
„Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer … als … für die Sicherheit Verantwortlicher durch grob pflichtwidriges Verhalten gegen Rechtsvorschriften zur Sicherung des Schienenbahn- … verkehrs verstößt und dadurch Leib und Leben eines anderen … gefährdet.“

Ansprache beim Parkgebet am 23.1.2020 zu Lk 19,26 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Jedem, der hat, wird gegeben werden; dem aber, der nicht hat, wird auch das genommen werden, was er hat.

Dieser Satz ist uns von Jesus überliefert im Gleichnis von den anvertrauten Pfunden: Ein reicher Mann gibt seinen Knechten Geld, damit sie in seiner Abwesenheit dieses Geld für ihn vermehren. Die viel anvertraut bekommen, machen einen guten Job, der am wenigsten bekommen hat, lässt das Geld liegen, ohne mehr daraus zu machen. Die angeblich guten Verwalter bekommen schließlich noch mehr anvertraut, dem schlechten Verwalter wird das zunächst anvertraute wieder weg genommen. So machen es noch heute reiche Anleger.

Bei Matthäus wird das Gleichnis moralisierend verwendet: Der unnütze Knecht wird verstoßen, denn er hat sich wenig bemüht, seinem Herrn zu dienen. Christen sollen sich bemühen, aus dem, was Gott ihnen anvertraut hat, möglichst viel zu machen. Bei Lukas wird der wohl ursprüngliche Sinn des Gleichnisses aus dem Mund Jesu deutlich. Jesus erzählt das Gleichnis, weil seine Jünger meinen, das Reich Gottes werde mit dem Einzug Jesu in Jerusalem sofort anbrechen. Das Gleichnis hat deshalb im Munde Jesu eine desillusionierende Funktion: So funktioniert die Welt der wirtschaftlich Mächtigen. Es wird nicht so ganz einfach sein, sie zu bekehren, wie bei Zachäus, von dem Lukas unmittelbar vor diesem Gleichnis berichtet. Der Reiche im Gleichnis ist bei Jesus nicht der barmherzige Gott, sondern ein Vertreter seines Gegenspielers, des Götzen Mammon, der zerstörerischen Gier des Kapitals.

Es gehört zur Tragik der Kirchengeschichte, dass die ursprüngliche Kapitalismuskritik Jesu durch moralisierende Kritik an den kleinen Leuten überlagert wurde. Auch der Reformator Luther hat sich früh auf die Seite der Herren geschlagen und die geschundenen versklavten Bauern im Stich gelassen. So wurde auch die ausgebeutete Arbeiterschaft im 19. Jahrhundert von den lutherischen Kirchen in ihrem Elend allein gelassen ebenso wie Sozialdemokraten und Kommunisten, als Hitler diese im 20. Jahrhundert verfolgte. So schwieg auch unsere württembergische lutherische Landeskirche, als die Gegner von Stuttgart 21 bei ihrem friedlichen Protest am schwarzen Donnerstag die rohe Gewalt der Staatsmacht traf, die sich auf die Seite der wirtschaftlich mächtigen Mammonsjünger schlug. In der neuesten Ausgabe der Predigttexte unserer Kirche wird das Gleichnis von den anvertrauen Pfunden bei Matthäus gegen den Urtext zum Reichsgottesgleichnis gemacht. Der treue Dienst gegenüber dem Ausbeuter soll Urbild des Reiches des barmherzigen Gottes sein, eine totale Verdrehung der Botschaft Jesu.

Es ist höchste Zeit, dass wir den Satz Jesu wieder als Satz des Protests verstehen lernen: Jedem, der hat, wird gegeben werden; dem aber, der nicht hat, wird auch das genommen werden, was er hat. Erich Kästner bringt den Protest zum Ausdruck in seinem Weihnachtsgedicht: „Morgen, KInder, wird’s nichts geben, nur, wer hat, kriegt was geschenkt.“ Die allein erziehende Hartz IV-Empfängerin, die ständig ihre Bedürftigkeit nachweisen muss, wird gezwungen, über die erneuerbare Energien-Abgabe auf ihrer Stromrechnung Aluminiumkonzerne zu subventionieren, die ohne Prüfung ihrer Bedürftigkeit von der Abgabe befreit sind. Sie wird sanktioniert, wenn sie einen Termin versäumt, megareiche Anleger durften durch ihre Lobbyisten Schlupflöcher in Gesetze schreiben lassen, damit sie durch hütchenspielerisches Verschieben von Aktien jahrelang in Milliardenhöhe Steuern zurückfordern konnten, die sie nie bezahlt hatten. Erst nach vielen Jahren kommen nun Ermittlungen und Gerichtsurteile zustande, die diese cum-cum- und cum-ex-Geschäfte kriminalisieren. Gleichzeitig bekommen Kleingewerbetreibende penible Betriebsprüfungen und sinnlose Kassenbons für Brötchen sollen Steuerhinterziehung in Bäckereien verhindern. Während bei Hartz IV verfassungswidrig bis in die Obdachlosigkeit sanktioniert werden konnte, wurden den Tunnelbohrern bei S 21 sinnlose Milliardenaufträge in den Rachen geworfen. Die reiche Bahn soll 85 Mrd. Steuergelder der kleinen Leute sowie von Kunden bekommen, um pünktlich zu werden. Sie sollte besser dieses Geld durch Verkauf ihrer weltweiten Tochterfirmen flüssig machen, die sie durch Sparen am Bahnverkehr gekauft hat und die irrsinniger Weise die Hälfte ihres Geschäfts ausmachen. In einer Kirche Jesu müsste es ständig Aufschreie des Protestes geben.

Deshalb stehen wir auch als kleiner Kreis immer noch hier regelmäßig im Schlossgarten und gleichen aus, was unsere Kirchenleitung und ein großer Teil der Pfarrerinnen und Pfarrer versäumt. Wir wollen uns nicht entmutigen lassen. Auch die Friedensgebetsgruppe in der Leipziger Nicolaikirche war zeitweise eine Gruppe von 6 Menschen, wobei einer von der Stasi war. Auch wir gelten als ähnlich gefährlich, denn wir stehen unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes. Dieser schützt aber weniger das Grundgesetz als vielmehr die ungeschriebene kapitalistische Verfassung. Diese nennt Jesus beim Namen: Den Reichen ist zu geben, den Armen wird genommen. Diese heimliche ungeschriebene Verfassung hat unser Land erobert spätestens mit der Machtergreifung des globalen Neoliberalismus nach dem Ende des kalten Kriegs.

Aber was begonnen hat, kann auch wieder beendet werden. Die SPD könnte begriffen haben, dass sie sich mit ihrer Neoliberalisierung das eigene Grab geschaufelt hat. Zumindest die Parteibasis scheint dies bei der Wahl der Vorsitzenden bemerkt zu haben. Auch die Wählerverluste der Union zeigen, dass immer mehr Menschen der neoliberalen Ideologie überdrüssig werden. In Berlin kommt ein wirksamer Mietendeckel gegen neoliberalen Wucher. In Thüringen ist der Mut zu einer linken Minderheitsregierung gewachsen. Diese zwingt bei der ständig neuen Suche nach Mehrheiten auch die AfD, konkret Farbe zu bekennen und ihren ultraneoliberalen Kurs zu offenbaren. Dabei wird ihr ihr die Maske der scheinbaren Menschenfreundlichkeit vom Gesicht fallen und die abgehängten AfD-Sympathisanten werden erkennen, dass sie mit der AfD vom Regen in die Traufe kommen. Insbesondere das neoliberale Pilotprojekt S 21 wird dazu beitragen, durch seine vielen Unsinnigkeiten den Unmut über die neoliberale Politik zu verstärken. Die Kanzlerin hat S 21 als Erkennungsmerkmal einer erfolgreichen Zukunft Deutschlands ausgerufen, es muss ihr lebenslang um die Ohren fliegen als Symbol für neoliberalen Irrsinn.

Unser Herr Jesus Christus schenke uns die Ausdauer, die heimliche ungeschriebene neoliberale Verfassung immer wieder ans Licht zu zerren, damit Barmherzigkeit die Massen ergreift und der Lobgesang der Maria wahr wird: Den Ausbeutern wird wieder genommen, was sie den Armen geraubt haben, und es wird den Armen wieder zurück gegeben. Amen.

Ansprache beim Parkgebet am 5.12.2019 zu Joh 12,13-14 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Sie nahmen Palmzweige, zogen Jesus entgegen und riefen: „Hosianna, gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn“, der König von Israel. Jesus aber fand einen jungen Esel und setzte sich darauf, wie geschrieben seht: „Fürchte dich nicht, Tochter Zion! Siehe, dein König kommt, reitend auf einem jungen Esel“

Im Advent erinnern wir uns an den Einzug Jesu in Jerusalem. Das Volk schreit seine Hoffnung laut hinaus und streut Palmzweige wie bei der Heimkehr eines siegreichen Feldherrn. Doch Jesus zeigt mit einer ebenso deutlichen Geste, dass er keinen militärischen Aufstand anführen wird gegen die römischen Besatzer. Feldherrn kommen auf Pferden daher, Jesus auf einem jungen schwachen Esel. Jesus empfiehlt einen anderen Umgang mit den römischen Feinden als die militaristischen Heißsporne seiner Zeit. Er predigt und lebt den gewaltfreien zivilen Widerstand durch Boykott des römischen Geldes, das wegen des kaiserlichen Götzenbilds darauf für Juden tabu ist (Mk 12,13-17; /2. Mose 20, 3-4). Dieser Boykott hätte freilich zu einem bescheidenen Leben gezwungen. Heute nennt man das einen kleinen ökologischen Fußabdruck. Was bedeutet das für uns?

Die Weltmacht USA hat heute die Stellung der damaligen Weltmacht Rom. Der Dollar als Weltwährung gibt den USA die Möglichkeit, sich beliebig zu verschulden und neues Geld zu drucken. Wer mit dem Gedanken spielt, den Dollar zu boykottieren und etwa den Euro zur Leitwährung zu machen, dem ergeht es wie Saddam Hussein. Er war einst guter Freund der USA gegen den Erzfeind Iran, obwohl er seine eigene Bevölkerung gelegentlich mit Giftgas mordete. Als er für sein Öl nicht mehr Dollar, sondern Euro haben wollte, wurde er zum US-Feind und mit einem verlogenen Krieg überzogen. Als er gefangen genommen war, bekam er in einem kurzen Prozess die Todesstrafe, damit seine verbrecherische Kumpanei mit den USA nicht bekannt wurde.

Wenn Deutschland heute zu wenig in den USA kauft, folgen Strafzölle auf deutsche Exporte in die USA für diesen unerlaubten Boykott. Gleichzeitig werden von uns mehr Militärausgaben verlangt, um als treue Vasallen dem US-Feudalherren in seinen verlogenen Kriegen um Öl oder andere Rohstoffe beizustehen. Ministerin Kramp-Karrenbauer gibt die treue Vasallin und propagiert eine deutsche Rüstungsindustrie sowie mehr so genannte Verantwortung, d.h. mehr militärische Vasallentreue gegenüber Kaiser Trump. Vergessen scheint der Eselritt Jesu, das C passt tatsächlich nicht mehr zur Leuchtschrift auf der Berliner CDU-Zentrale.

Von einer Partei, die sich christlich nennt, ist zuallererst zu erwarten, dass sie die Atomwaffen aus Büchel ersatzlos wegschaffen lässt, sich in der Nato nur noch an nicht militärischer Konfliktlösung beteiligt und die Bundeswehr zu einer zivilen, allenfalls polizeilichen Entwicklungshilfeorganisation umgestaltet. Ein solcher Umgestaltungsplan ist in der badischen Landeskirche entworfen worden. Im Konflikt zwischen den USA und dem Iran um atomare Bewaffnung muss Deutschland gegen das US-Verbot weiter den Handel mit dem Iran aufrechterhalten, auch wenn die USA deshalb deutsche Firmen beim Handel bestraft. Wie einst zur Zeit Jesu muss beim gewaltfreien zivilen Widerstand ein kleinerer ökologischer Fußabdruck in Kauf genommen werden. Dem Klima wird dies gut tun. Und wir werden die Verheißung Jesu erfahren, dass weniges zu teilen glücklicher macht als vieles zu raffen (Mk 6,30-44).

Ein Konsumboykott im Sinne Jesu kann auch die Konzernherren entmachten, die in der Pyramide der Macht noch über dem plumpen Kaiser Trump stehen. Sie dürfen durch ihre Lobbyisten die Gesetze so schreiben lassen, dass für sie der optimale Profit entsteht. Durch Handelsverträge wie Ceta mit dubiosen Schiedsgerichten wird ihnen ermöglicht, von uns Steuer Zahlenden zusätzlichen Profit zu holen, falls ein Gesetz doch ihre Geschäfte beschneiden sollte. Sie dürfen das alles, weil ihnen in neoliberaler Verblendung die messianische Kompetenz zuerkannt wird, für ständig wachsenden allgemeinen Wohlstand zu sorgen. Wenn wir aber massenhaft mit weniger glücklicher werden, verlieren die mammonshörigen Konzernlenker ihre Macht und die Maske der Wohltäter, weil sie trotz immer mehr digitaler Werbung keinen weiteren sinnlosen Konsum erreichen.
Solche Konsequenzen aus dem Eselritt und dem zivilen Widerstand Jesu haben auch Bedeutung für den Kampf gegen das zerstörerische Unsinnsprojekt Stuttgart 21. Winfried Wolf hat immer wieder akribisch nachgewiesen, wie Autokonzernlenker das Projekt S 21 forciert haben, weil schlechterer Bahnverkehrs angeblich die Autobranche stärkt, die scheinbar für unseren Wohlstand sorgt. Aber in Wirklichkeit macht diese autogerechte Verkehrspolitik mehr Staus und schlechtere Luft. Die jüngere Generation zieht die Konsequenzen: Sie boykottiert zunehmend das Auto, es ist nicht mehr Statussymbol, in der Stadt wird es zum Klotz am Bein, auch das E-Auto. Die SUV-Begeisterung wird mit den älteren SUV-Fans aussterben. Wenn die Auto-Region Stuttgart nicht das Schicksal von Detroit erleiden soll, dann müssen die Autokonzerne und ihre Zulieferer neben den Autos neue Produkte entwickeln, die die Welt wirklich braucht, etwa Bewässerungsanlagen für Dürregebiete, die mit erneuerbaren Energien funktionieren. Statt mit autonomem Fahren für wenige megareiche Kunden muss die Autobranche ihr Geld künftig verdienen etwa mit alternativer Energiegewinnung.

Anders als zur Zeit Jesu können wir solches Umdenken heute nicht nur durch Konsumboykott fördern, sondern auch bei Wahlen. Die neoliberal verblendete große Koalition hat dies bezüglich ja schon einiges Fett ab bekommen. Durch die mutige Wahl der SPD-Basis kann die SPD wieder sozialdemokratisch werden aus der Groko aussteigen und linke Bündnisse suchen. Das deutsche Problem ist freilich, dass aus traditioneller Linkenangst neoliberal Geschädigte nicht selten rechts wählen statt links. Die Thüringer haben nun ein hilfreiches Zeichen gesetzt: Links kann vernünftig regieren. Der rechten Wählerschaft ist nun geduldig zu vermitteln, dass die AfD zwar schreit „Merkel muss weg“, aber dann die neoliberale Politik der Kanzlerin extrem verschärft, wenn sie etwa die Abschaffung der Erbschaftssteuer fordert. Auch wenn es derzeit nicht nach dem Umstieg 21 aussieht, wir müssen unsere Hoffnung nicht aufgeben, dass die Mehrheit im Land der neoliberalen Politik überdrüssig wird, gerade am Beispiel S 21, und bei Wahlen umsteigt. Amen.

Ansprache beim Parkgebet am 10.10.19 zu Mk 12,14-17 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Sie kommen und sagen zu ihm: … Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu geben, oder nicht? Sollen wir sie geben oder nicht geben? … Er sprach zu ihnen: … Bringet mir einen Denar, damit ich ihn sehe! Da brachten sie einen. Und er sagte zu ihnen: Wessen ist dieses Bild und die Aufschrift? Sie antworteten ihm: Des Kaisers. Da sprach Jesus zu ihnen: Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist!

Diese Antwort Jesu wird traditionell so verstanden, dass die Juden dem Kaiser Steuern schuldig sind, weil ja auch sein Bild und Name draufsteht. Dies ist aber ein krasses Missverständnis. Jeder fromme Jude hat damals genau verstanden, warum Jesus sich das Bild auf der Münze zeigen lässt: Der Kaiser will als Gott verehrt werden, Juden dürfen aber nach dem 1. und 2. Gebot Moses (2. Mose 20, 3-4) keinen anderen Gott verehren und keine Götzenbilder haben. Das bedeutet: Die Fragenden dürfen das Kaisergeld gar nicht benutzen. Im Tempel hat man daraus die Konsequenz gezogen: Die Wechsler mussten römisches in jüdisches Geld wechseln, sonst wären die gekauften Opfertiere nicht koscher gewesen (Mk 11,15-18). Jesus gebietet also den Boykott des Kaisergelds.

Das hätte zweierlei Wirkung gehabt: Der Kaiser hätte schwerer Steuern einziehen können. Auf jüdisches Steuergeld sich einzulassen hätte den Verlust seiner Göttlichkeit bedeutet, so wären nur noch Natuaralabgaben zu nehmen gewesen. Umgekehrt hätten die Juden mit ihrem Geld eine weiche Währung gehabt, mit der sie römische Waren, vor allem Luxus, kaum hätten kaufen können. Eine gewisse Leidensfähigkeit wäre für die begüterten Juden bei dem Boykott nötig gewesen. Aber der Boykott hätte als ziviler Ungehorsam gewirkt, ungefährlicher als ein militärischer Aufstand.

Ich habe diesen Text ausgewählt, weil vor zwei Wochen im Ev. Gemeindeblatt für Württemberg von Martin Luther King berichtet wurde, er habe die Gewaltfreiheit von Jesus und den zivilen Ungehorsam von Gandhi übernommen. Warum weiß auch jemand wie King nichts mehr vom zivilen Widerstand Jesu? Der Grund ist: Schon bei Paulus (Röm 13,1-7) heißt es, alle Herrscher seien von Gott eingesetzt. Erst recht als das Chrsitentum Staatsreligion wurde, war ein Gegensatz zwischen der weltlichen Herrschaft und Gott nicht mehr denkbar. Unser Reformator Luther bezog sich ganz einseitig auf Paulus, obwohl er hätte davon wissen können, dass Jesus den weltlichen Herrschern Machtmissbrauch vorwirft und stattdessen eine Kultur des Dienens fordert (Mk 10,42-44). So ist das Chrsitentum insgesamt und speziell unsere lutherische Kirche zu einer Kirche der Untertanen verkommen, in der ein Aufmucken gegen Herrscher Gotteslästerung bedeutet hat.

Deshalb gab es von Seiten der Kirchen leitenden Personen rund um Stuttgart keinen Widerstand gegen das Projekt Stuttgart 21. Es gilt: Die Kirche soll sich aus der Politik heraushalten. Das habe ich zu hören bekommen, seit ich vor 50 Jahren in den Kirchendienst getreten bin. Die das forderten, haben dabei verdrängt, dass die Kirchen, speziell die lutherischen, von Anfang an von politischen Rücksichten geprägt und deshalb hoch politisch waren. Die württembergischen Herzöge und Könige waren bis 1918 unsere Landesbischöfe. Der Kadavergehorsam gegen die Herrscher bestand weiter und auch die bekennende Kirche verehrte Hitler als von Gott gesandten Führer, um mit ihm in den Vernichtungskrieg zu ziehen und das Leben für Gott und Vaterland zu lassen.

Es wird höchste Zeit, dass wir uns wieder an Jesus orientieren und an seiner aktiven Kritik am Machtmissbrauch der Mächtigen. Dies wird unsere Augen öffnen für das, was um uns herum wirklich geschieht. Die wahrhaft Mächtigen sind die Konzernherren, die durch ihre Lobbyisten die Gesetze schreiben dürfen, weil das Heil der Arbeitsplätze und des Wohlstands angeblich von ihnen kommt. Dieser neoliberale Aberglaube in weiten Teilen der Bevölkerung macht sie so mächtig. Je mehr Menschen sich von diesem Aberglauben abwenden, wird ihre Macht schwinden. Ein Anfang sind Sammelklagen gegen Autokonzerne in Sachen Dieselbetrug. Das wird nicht reichen.Es kommt darauf an, dass wir die gewisse Leidensfähigeit aufbringen, um uns von dem verschwenderischen Lebensstil zu trennen, der den Klimawandel verschärft. Es braucht wirksamen Konsumboykott.
Wir können hoffen, dass die Bewegung Fridays for future einen wachsenden Teil der Bevölkerung auf diesem Weg mitnimmt, damit immer mehr sich darauf besinnen, was wir wirklich brauchen und was nicht.

Ein exemplarisches besonders heftiges Beispiel für Verschwendung ist das Projekt S 21. Die Kanzlerin erklärte in ihrer neoliberalen Verblendung diesen Unsinn als Schlüsselprojekt für die Zukunft Deutschlands. Sie wird wohl noch erleben müssen, dass es das Schlüsselprojekt für die Entzauberung des Neoliberalismus wird. Die unbelehrbare Starrköpfigkeit der Befürworter geht derzeit immer schmerzhafter ans Geld. Und das Sprichwort sagt ja: Beim Geld hört der Spaß auf. Der neoliberale Aberglaube an unbegrenztes Wachstum und immer mehr Wohlstand durch immer mehr Verschwendung kommt speziell bei S 21 zunehmend ins Wanken. Seriöse Institutionen wie der Bundesrechnungshof und der Rechnungsprüfungsausschuss des Bundestags werden immer lauter und sind immer schwerer zu überhören. Die Leistungslügen bekommen ständig kürzere Beine. Die Verzögerungen werden immer offensichtlicher. Selbst wenn die schräge Untergrundhaltestelle jemals in Betrieb ginge, so würde sie ein bleibendes Mahnmal gegen den Aberglauben des Neoliberalismus zur Warnung für künftige Generationen. Auch das Kernkraftwerk Kalkar wurde für Milliarden fertiggestellt, ging aber nie in Betrieb.

Deshalb ist es wichtig, dass wir nicht nachlassen, die Finger in die Wunden zu legen und den Leidensdruck bei den Befürwortern zu erhöhen. Das klingt hart, aber auch bei uneinsichtigen Alkoholsüchtigen muss gelegentlich der Leidensdruck erhöht werden, damit sich die Süchtigen in ihrem eigenen Interesse zu einer Umkehr motiviert fühlen. Auch die zerstörerische neoliberale Gier hat Suchtcharakter. Es gilt deshalb, mit gewaltfreiem zivilem Widerstand in der Nachfolge Jesu diese Gier als zerstörerische Krankheit bewusst zu machen, die verlogenen Heilsversprechen zu entlarven und zu entzaubern und die heilsame Umkehr anzubieten. Es ist immer noch nicht zu spät für einen Umstieg 21. Amen.

Ansprache beim Parkgebet am 12.9.19 zu Lk 19,41-44 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Und als er näher kam und die Stadt sah, weinte er über sie und sprach: Wenn doch auch du an diesem Tag erkannt hättest, was zu deinem Frieden dient! Jetzt aber ist es vor deinen Augen verborgen. Denn es werden Tage über dich kommen, da werden deine Feinde einen Wall gegen dich aufwerfen und dich ringsum einschließen und dich von allen Seiten bedrängen und dich dem Erdboden gleich machen.

Als Jesus sich Jerusalem nähert, spürt er in prophetischer Weise, dass die Heißsporne, die einen militärischen Aufstand gegen die römische Besatzung von ihm erwarten, auf den Untergang der Stadt hin arbeiten. Bei der Kritik des römischen Machtmissbrauchs nimmt Jesus kein Blatt vor den Mund, aber er empfiehlt keine Gegengewalt, sondern eine Gegenkultur des Dienens (Mk 10, 42-44). Allenfalls befürwortet Jesus gewaltfreien zivilen Widerstand, etwa durch eine Boykott römischen Geldes (Mk 12,13-17), weil die Kaiserbilder auf den Münzen Götzenbilder sind. Jesus wünscht der Stadt auch nicht Feuer vom Himmel, sondern weint über sie, als er das Unheil voraussagt.

Ich bin auf diesen Text gekommen, als ich im Fernsehen den Tübinger Landrat sagen hörte, er habe kein Verständnis dafür, dass der Landesverkehrsminister das Projekt Stuttgart 21 so schlecht rede. Er lese doch von Seiten der Bahn, dass mit S 21 der integrale Deutschlandtakt vollständig möglich sei. Er macht sich damit blind für das Unheil, das mit S 21 auf uns zu kommen kann, wie einst die Eliten in Jerusalem nicht sehen wollten, was sie mit einer militärischen Erhebung anrichten würden. Die Katastrophe trat 40 Jahre später ein: Jerusalem wurde zerstört. Gewiss war das insgesamt schlimmer als das, was uns mit S 21 erwartet, aber immerhin werden auch bei S 21 Menschenleben gefährdet. Dass die Region Stuttgart durch die schräge Untergrundhaltestelle bahntechnisch abgehängt wird, mag demgegenüber weniger wichtig zu sein, aber dass ein CDU-Landrat von Tübingen den verlogenen Heilspropheten der DB AG derart unkritisch glaubt statt sich selbst zu informieren, erscheint mir doch ein Symptom eines noch größeren Unheils.

In den vergangenen Wochen entstand im industriellen Norden unseres Planeten große Empörung über die Brandstifter im Regenwald des Amazonasgebiets. Nur wenige Stimmen machten darauf aufmerksam, dass Europa selbst damit zu tun hat. Durch das Handelsabkommen Mercosur versucht Europa für bessere Absatzmärkte in Südamerika zu sorgen, umgekehrt soll mehr Fleisch von dort in Europa verkauft werden. Das ermutigt, den Regenwald für Rinderzucht und Tierfutter zu nutzen. Die dortigen Fleischkonzerne opfern den Wald und das Klima für ihre Profite. Schlimm. Aber genau das machen auch unsere Konzerne, die immer mehr spritfressende Autos und Flugreisen für mehr Gewinn anbieten, und die Kunden machen mit. Sie machen sich blind für die Klimafolgen wie der Tübinger Landrat für die Folgen von S 21.

Nun sind erfreulicherweise junge Leute zu Freitagsdemonstranten geworden und rütteln Politiker wach. Die Jugendlichen wollen nicht mehr die Augen so zu machen wie die Politiker, die in vorlaufendem Gehorsam von den Profit orientierten Konzernlobbyisten die Gesetze formulieren lassen. Gewiss können diese jungen Leute nicht gleich die Lösungen präsentieren, um die sich selbst ernannte Fachleute wie der FDP-Chef Lindner bisher nicht gekümmert haben. Aber der Erfolg oder das Erlahmen der Bewegung Fridays for Future wird davon abhängen, ob sie rettende Visionen entwickeln sowie Mittel und Wege aufzeigen können, beim Klimawandel gegenzusteuern. Es wird nicht ausreichen sich zu beklagen, dass irgendwer ihnen ihre Zukunft klaut. Nicht nur sie, wir alle, müssen weltweit anschauen, was unterlassen werden muss und was neu anzupacken ist. Dabei werden diese Kinder des reichen Nordens und wir alle gestehen müssen, dass wir verstrickt sind in ein Wirtschaftssystem, das dem Götzen Mammon folgt und nicht dem Gott der Barmherzigkeit. Nur wenn wir global dem Götzen absagen und in unserem Denken und Handeln dem barmherzigen Gott dienen lernen, ist auch für das Klima Rettung in Sicht.
Wenn wir bejammern, dass unser Klima in Mitteleuropa mittelmeerischen Charakter bekommt, dann wirkt das wehleidig, denn in den verdorrenden Gegenden Afrikas uns Asiens steigen die Temperaturen auf 40-50 Grad Celsius. In den kommenden Jahrzehnten werden 700 Millionen Menschen vor dem Verdursten aus den verdorrenden Regionen fliehen müssen, um das nackte Leben zu retten. Der reiche industrielle Norden mit seinen Möglichkeiten muss jetzt dort für ein auskömmliches Leben sorgen. Statt Waffen und luxuriöse Spritfresser zu bauen und den Flugverkehr auszuweiten müssen Bewässerungssysteme entwickelt und gebaut werden, damit z.B. die Sahara fruchtbar und bewaldet wird. Ich stelle mir Windräder vor den leer gefischten Küsten Afrikas vor, die Meerwasser ins Landesinnere pumpen. Dort kann sich die Bevölkerung selbst mit einfachen Mitteln Entsalzungsanlagen bauen, um Trinkwasser zu produzieren, Felder zu bewässern und Wälder aufzuforsten. Preiswerte Parabolrinnen mit wenig Ressourcenverbrauch liefern solaren Strom nach Europa und ersetzen dort fossile Energieträger. Die Jugend im Norden wird dann Arbeitsplätze besetzen, die nicht mehr zerstörend, sondern rettend und barmherzig wirken.

Ein Mosaikstein wird dabei ein Bahnverkehr sein, der Autos weitgehend überflüssig macht. Deshalb muss hier in Stuttgart das Konzept Umstieg 21 verwirklicht werden, damit wir beim Anblick der Stadt künftig nicht mehr weinen müssen wie einst Jesus über Jerusalem. Amen.

Ansprache beim Parkgebet am 13. Juni 2019 zu Mt 7, 17-21 (in Ausschnitten) von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Jeder gute Baum bringt gute Früchte, der faule Baum aber bringt schlechte Früchte. … Also werdet ihr sie an ihren Früchten erkennen. Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr! wird in das Reich der Himmel kommen, sondern wer den Willen meines Vaters in den Himmeln tut.

Dieser Vergleich Jesu aus der Landwirtschaft ist unter uns sprichwörtlich geworden: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Das bedeutet übertragen auf das menschliche Zusammenleben, dass es weniger auf die großen Worte ankommt als vielmehr auf die Taten. Mit Worten mag sich ein Mensch noch verstellen können, mit seinen Taten verrät er seinen wahren Charakter. Ich habe diesen Text ausgewählt, weil unsere Bundeskanzlerin so großen Beifall erhalten hat, als sie in den USA bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde davon sprach, die Wahrheit dürfe nicht Lüge und die Lüge nicht Wahrheit genannt werden. Ich habe ihr deshalb geschrieben:

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel,
zu Ihrer mutigen Aussage aus Anlass der Verleihung der Ehrendoktorwürde in den USA, wir dürften die Lüge nicht Wahrheit und die Wahrheit nicht Lüge nennen, möchte ich Sie beglückwünschen. Diese Äußerung ist allgemein als Kritik an Präsident Trump verstanden worden. Mir fiel dabei das drastische Bildwort Jesu aus Mt 7,1-5 ein: Ziehe zuerst den Balken aus deinem Auge, dann magst du zusehen, den Splitter aus deines Bruders Auge zu ziehen. Es reicht nicht aus, die Wahrheit von der Lüge zu unterscheiden. Es kommt vielmehr darauf an, dass wir nach dieser Unterscheidung konsequent der Wahrheit dienen und nicht der Lüge. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie auf das Projekt Stuttgart 21 ansprechen. Wenn wir bei diesem Projekt Lüge und Wahrheit sauber trennen, dann sind zumindest zwei Lügen beim Namen zu nennen: Die vielfachen Kostenlügen und die vielfach wiederholte Leistungslüge. Ich setzte voraus, dass Sie über beide hinreichend informiert sind.
Spätestens seit der Aussage von Thilo Sarrazin im Juni 2018 vor dem Verkehrsausschuss des Bundestags ist unbestreitbar, dass die Unrentabilität des Projekts bereits 2001 bekannt war. Deshalb ist Ihre Einschätzung vom September 2010 hinfällig, von der Durchführung dieses Projekts hinge die Zukunftsfähigkeit Deutschlands ab. Vielmehr ist eine zukunftsfähige Bahninfrastruktur im Großraum Stuttgart nur möglich durch die Ertüchtigung des Kopfbahnhofs, der zu den genialsten Bahnhöfen Deutschlands zählt. Er ermöglicht im Gegensatz zu der schrägen Untergrundhaltestelle Stuttgart 21 den integralen Taktfahrplan. Diesem gehört nach Auskunft aller Fachleute die Zukunft. Seit 2016 liegt der Plan „Umstieg 21“ vor, bei dem der Kopfbahnhof erneuert und die Baugrube von Stuttgart 21 produktiv genutzt wird als Busbahnhof und Parkplatz für Taxis und Fahrräder. Dadurch kann anders als bei S 21 mehr Autoverkehr auf die Schiene kommen zur Erreichung der Klimaziele.

Sie haben in den USA Hermann Hesse zitiert, der einst aus verkrusteten Strukturen ausgebrochen ist zu neuen Anfängen. Der Zauber, den er dabei erlebte, war ein solcher von Neuanfängen, durchaus auch in der Form von Umkehr, wie sie einst Jesus propagierte (Mk 1,15). Sie haben die Chance, noch vor dem absehbaren Endes Ihrer Amtszeit als Kanzlerin diesen Zauber der Umkehr erneut zu erleben, indem Sie beim Projekt Stuttgart 21 der Wahrheit folgen und nicht den Lügen.

Wie ich aus gut unterrichteten Kreisen erfahren habe, fühlen sich die derzeitigen Verantwortlichen bei der Deutschen Bahn AG von der Politik behindert, das Projekt abzubrechen, um dadurch dem Vorwurf der strafbaren Untreue zu entgehen. Die Herren Grube und Lutz haben offen gesagt, sie würden aus heutiger Sicht das Projekt nicht mehr beginnen. Es liegt also an Ihnen, kraft Ihrer Richtlinienkompetenz den strafbaren Weiterbau des Projekts zu beenden und damit die Bahnführung vor drohender Strafverfolgung zu bewahren. Und nicht nur dies. Ihr Einsatz für das Projekt zu Beginn des Jahres 2013, als der Weiterbau auf der Kippe stand, könnte auch für Sie selbst bedrohlich werden. Sie könnten im Ruhestand der Anstiftung zur Untreue angeklagt werden.
Aber auch wenn die Staatsanwaltschaft davor zurückschrecken sollte, gegen Sie zu ermitteln, droht ihr politischer Lebensabend vom Projekt Stuttgart 21 überschattet zu werden. So erging es Helmut Kohl, nachdem er durch das unehrenhafte angebliche Ehrenwort nicht der Wahrheit gedient hatte, sondern der Lüge, wie durch Wolfgang Schäuble zu erfahren war. Wollen Sie sich entsprechendes antun?
Das Problem des Katastrophenschutzes bei Stuttgart 21 soll im Rahmen des Verfahrens der Inbetriebnahme gelöst werden. Dies ist mir aus dem Verkehrsministerium unter Minister Dobrindt schriftlich mitgeteilt worden. So wurde auch beim Flughafen BER verfahren. Dort ist der Termin der Fertigstellung immer noch offen. Beim Tiefbau Stuttgart 21 sind Änderungen aber nicht so einfach wie beim oberirdischen Flughafen BER. Dies bedeutet, dass Stuttgart 21 dem Schicksal des schnellen Brüters in Kalkar entgegen gehen kann. Dieser kostete viele Milliarden DM, ging aber nie ans Netz. Der internationale Spott über Stuttgart 21 kann den über den Flughafen BER um ein vielfaches übersteigen und für den Rest Ihres Lebens mit Ihrem Namen verbunden sein. Erst recht wird man sich an Ihre Befürwortung von Stuttgart 21 erinnern, wenn Gipskeuperquellungen den Bahnverkehr im Raum Stuttgart lahm legen und zu einer wirtschaftlichen Katastrophe führen.

Sie haben in verschiedenen Entscheidungen, ganz besonders beim Atomausstieg, bewiesen, dass Sie von Vernunft und Verantwortung geleitet umkehren können. Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass Ihnen auch in Sachen Stuttgart 21 eine solche vernünftige und verantwortliche Umkehr gelingt und Sie im Ruhestand den Zauber des Neuanfangs im Stuttgarter Bahnverkehr erleben können.
Hochachtungsvoll
Friedrich Gehring, Pfr. i. R.
Ich bin mir natürlich nicht sicher, dass ich als einzelner daher gelaufener Ruhestandspfarrer bei der Kanzlerin etwas ausrichten kann. Deshalb habe ich auch noch einen entsprechenden Leserbrief an die Frankfurter Rundschau geschickt. Denn als Nachfolger Jesu kann ich die Hoffnung auf die menschliche Umkehrfähigkeit nicht aufgeben. Amen.

Leserbrief (Frankfurter Rundschau, 13.6.2019, S. 18)
Stuttgart 21 als Prüfstein für Merkel
Arno Widmanns Analyse von Angela Merkels Harvardrede trifft den Kern der Misere, dass sie zwar die nach dem Rezo-Video nötigen Fragen stellt, aber sich um Antworten drückt. Vor Trumpkritikern zu sagen, Lüge dürfe nicht Wahrheit und Wahrheit nicht Lüge genannt werden, bringt ihr wohlfeilen Beifall, noch bevor klar ist, ob sie der Lüge oder der Wahrheit dient. Als prägnantester Prüfstein dafür darf das Projekt Stuttgart 21 gelten. Von dessen Durchführung machte sie 2010 die Zukunftsfähigkeit Deutschlands abhängig. Inzwischen sind die Kostenlügen und die Leistungslügen hinreichend entlarvt. Thilo Sarrazin hat im Juni 2018 erklärt, dass das Projekt bereits 2001 als ein krasses Verlustgeschäft erkannt war. Nicht erst durch späteres Wissen, wie die Bahnchefs Grube und Lutz versicherten, sondern von Anfang an war der Bau wegen Unrentabilität nach Aktienrecht strafbare Untreue. Die Kanzlerin setzte dennoch nachweislich anfangs 2013 den strittigen Weiterbau durch. Sie wird wohl kaum im Ruhestand wegen Anstiftung zur Untreue angeklagt werden, aber das Projekt kann ihren politischen Lebensabend verdüstern wie Helmut Kohl den seinen durch sein unehrenhaftes angebliches Ehrenwort.
Angela Merkel hat noch kurze Zeit, von Vernunft geleitet umzukehren wie etwa beim Atomausstieg. Seit 2016 liegt das Konzept „Umstieg 21“ vor, das die Baugruben des Untreueprojekts S 21 nutzt für Bus-,Taxi- und Fahrradverkehr, den genialen Kopfbahnhof verbessert und gegenüber S 21 Milliarden einspart. So kann Autoverkehr zur Klimarettung vermehrt auf die Schiene kommen samt integriertem Taktfahrplan, den alle Fachleute empfehlen, der aber mit dem Engpass der schrägen Untergrundhaltestelle S 21 nicht geht. Die noch ungelösten Probleme des Katastrophenschutzes werden wie beim Flughafen BER eine Inbetriebnahme gewaltig verzögern oder dazu führen, dass S 21 endet wie der schnelle Brüter in Kalkar, der zwar fertig gebaut wurde, aber nie ans Netz ging. Aus gut unterrichteten Kreisen verlautet, dass die Bahnführung sich von der Politik an vernünftigen Lösungen gehindert sieht. Es liegt also an der Kanzlerin. Im Wahlkampf 2014 sagte sie: „Sie kennen mich, uns allen geht es gut“. Aber an ihren Früchten werden wir sie nun erst richtig kennen lernen.
Friedrich Gehring, Backnang

Ansprache beim Parkgebet am 2. Mai 2019 zu Jer 28,5-9 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Da sprach der Prophet Jeremia zum Propheten Hananja vor den Priestern und allen Leuten, die im Hause des Herrn standen: … So sei es! Möchte der Herr das tun! Möchte der Herr deine Worte, die du geweissagt hast, erfüllen, und die Geräte des Hauses des Herrn und die Verbannten alle von Babel an diesen Ort zurück bringen. Nur höre dieses Wort, das ich dir und allem Volke zu sagen habe: Die Propheten, die vor mir und vor dir gewesen sind von alters her, die haben über viele Länder und Königreiche geweissagt von Krieg und Unheil und Pest. Wenn aber ein Prophet von Frieden weissagt, so wird man daran, dass sein Wort eintrifft, erkennen, dass in Wahrheit der Herr diesen Propheten gesandt hat.

Da kam es also zum Streit der Propheten. Hananja bietet die Heilsbotschaft, die das Volk gerne hört. Die große Schmach der Niederlage gegen die Babylonier, die Wegführung der israelischen Eliten nach Babel und der Raub der heiligen Geräte des Tempels im Jahr 597 v. Chr., das soll in Kürze alles wieder gut werden. Dazu braucht es natürlich einen neuen Krieg. Davor warnt Jeremia eindringlich und rät, sich mit der Herrschaft der Babylonier zu arrangieren statt durch einen militärischen Aufstand alles noch schlimmer zu machen. Die Situation erinnert mich an die Jahre nach 1945, als nicht wenige unbelehrbare Deutsche auf einen neuen Krieg hofften, bei dem sie sich dann auf der Seite der Sieger phantasierten. Als ob die riesigen Kriegsschäden noch nicht genug waren.
Jeremia tritt dem populistischen Heilspropheten mit einem hölzernen Joch auf den Schultern öffentlich entgegen. Er drückt damit aus: Der Gott Israels lädt euch das Joch Babels auf. Er kündigt zugleich dem Hananja an, dass er daran gemessen wird, ob seine Heilsweissagungen eintreffen. Daraufhin nimmt Hananja in einem spektakulären Akt das Joch von Jeremias Schultern und zerschmettert es. Auch nach 2600 Jahren können wir uns leicht vorstellen, wie die Menge gejohlt haben mag und wie Jeremia wie ein begossener Pudel nach Hause geschlichen ist.

Ich habe diesen Bericht für unser heutiges Parkgebet ausgewählt, weil ich von Michael Pradel, dem Bauleiter für Stuttgart 21 den Satz gelesen habe: „Die Leute, die heute noch zur Elbphilharmonie nach Hamburg pilgern, kommen dann in den Stuttgarter Hauptbahnhof, um die Architektur zu begutachten und sich daran zu erfreuen.“ Da hätte ich gerne mit Jeremia gesagt: „Dein Wort in Gottes Ohr. Es wird sich noch zeigen, ob deine Heilsweissagung eintrifft“. Der Vergleich mit der Hamburger Elbphilharmonie erschöpft sich darin, dass das Bauwerk auch um ein Vielfaches teurer wurde als geplant. Das Ziel war dort eine gute Akustik, die scheint gelungen. Das Ziel bei Stuttgart 21 ist gelingender Bahnverkehr. Danach sieht es aber nun wirklich nicht aus. Selbst in Hamburg ist noch nicht aller Tage Abend. Ich erinnere an die Berliner Kongresshalle, die wegen ihres genial geschwungenen Dachs von den Berliner „schwangere Auster“ genannt wurde. Sie hatte auch eine tolle Akustik, ich konnte das selbst 1960 kurz testen. 1980 brach das Dach ohne Vorwarnung ein. Danach wurden die statischen Planungsfehler erkannt. Ich will kein Unheilsprophet für Hamburg sein und möchte deshalb noch nicht daran denken, dass die Elbphilharmonie einmal durch den Klimawandel im Wasser stehen wird.

Aber für S 21 bleibt mir zunächst nur die Rolle des Unheilspropheten Jeremia. Ich muss Michael Pradel und anderen S 21-Fans den Vergleich mit dem Berliner Flughafen vorhalten. Er sollte 2012 in Betrieb gehen, der Brandschutz ist bis heute noch nicht fertig. Bei S 21 will man die Brandschutzprobleme im Rahmen der Inbetriebnahme lösen. Während man in Berlin manches neu bauen konnte, wird man bei S 21 die Tunnel oder die Untergrundhaltestelle nicht mehr verbreitern können, um den Anforderungen des Brandschutzes zu genügen. S 21 geht dem Schicksal des schnellen Brüters in Kalkar am Niederrhein entgegen, der Milliarden DM verschlang und dann nie ans Netz ging. Heute ist dort ein Vergnügungspark. Der Vergleich mit diesem Projekt könnte Michael Pradel recht geben. Vielleicht wird aus einem Teil der Untergrundhaltestelle noch eine Markthalle, in der die Einkaufenden die Kelchstützen begutachten können als Mahnmal gegen die neoliberale Verblendung, in der diese Haltestelle einmal als Deutschlands goldene Zukunft galt.

Ich will nicht verschweigen, dass das Schicksal des Jeremia nicht besonders ermutigend erscheint. Er sollte recht behalten. Der Aufstand der populistischen und militaristischen Elite um den König endete in der Katastrophe. Das hat aber vermutlich Jeremia nicht geholfen. Wahrscheinlich haben ihn seine Gegner nach Ägypten verschleppt, wo sich seine Spur im Dunkel der Geschichte verliert. Ich will aber in dieser nachösterlichen Zeit nicht ins Schwarzmalen verfallen. Das Geschick des Jeremia muss sich heute nicht wiederholen. Je länger sich der Bau von S 21 hinzieht, umso mehr wird seine Unsinnigkeit in breiten Bevölkerungsschichten bewusst und umso mehr werden die Bahnverantwortlichen selbst unter dem Projekt leiden. Diesen Eindruck haben die Vertreter des Aktionsbündnisses in den Gesprächen mit den Bahnvorständen. Insbesondere die Kosten werden mehr und mehr schmerzen. Irgendwann wird auch die Bundesregierung bei Wahlen den politischen Preis bezahlen müssen für das Unsinnsprojekt, das sinnvollem Bahnverkehrsausbau im Wege steht. Und umso länger bleibt der Kopfbahnhof erhalten und kann seine Überlegenheit und Zukunftsfähigkeit unter Beweis stellen.

Es mag sein, dass die Älteren unter uns den Meinungsumschwung der Verantwortlichen nicht mehr erleben werden. Aber deshalb sind wir eine Bewegung, die länger bestehen wird als die Einzelnen. Ich denke dabei an eine Szene aus Bert Brechts „Die Tage der Commune“. Als sich die Protagonisten einer neuen sozial vorbildlichen Pariser Gesellschaft angesichts des feindlichen Geschützfeuers ihrem nahen Ende konfrontiert sehen, sagt Genevieve zu Jean: Nun Jean, wir lernen. Da antwortet Jean: Das wird uns viel nützen, wenn wir ins Gras beißen. Da erwidert sie: Ich sagte wir, das sind mehr als du und ich. Tatsächlich haben sich die kühnen Vorstellungen der Pariser Commune 100 Jahre später in der europäischen Sozialgesetzgebung durchgesetzt.

Ich sehe darin etwas vom unerschütterlichen nachösterlichen Vertrauen der Jüngerschaft Jesu. Lassen wir uns auch in unseren Tagen anstecken von dieser österlichen Zuversicht. Amen.

Ansprache beim Parkgebet am 18.4.2019 zu Mt 26, 47-52 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Und während er noch redete, siehe, da kam Judas, einer der Zwölf, und mit ihm eine große Schar mit Schwertern und Stöcken von den Hohenpriestern und Ältesten des Volkes her. Der aber, der ihn verraten wollte, hatte ihnen ein Zeichen gegeben, und gesagt: Der, den ich küssen werde, der ist’s, nehmet ihn fest. Und alsbald trat er auf Jesus zu und sagte: Sei gegrüßt, Rabbi! Und küsste ihn. Jesus aber sprach zu ihm: Freund, wozu bist du hier? Da traten sie hinzu, legten Hand an Jesus und nahmen ihn fest. Und siehe, einer von denen, die bei Jesus waren, streckte die Hand aus, zog sein Schwert, schlug nach dem Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm das Ohr ab. Da sagt Jesus zu ihm: Stecke dein Schwert an seinen Ort! Denn alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen.

Am Gründonnerstag erinnern wir uns als Christen an die Nacht der Gefangennahme Jesu, der am Karfreitag seine Kreuzigung folgen wird. In diesem Augenblick wird seine tödliche Bedrohung konkret, nachdem seine Gegner schon zuvor Mordpläne geschmiedet hatten (Mk 3, 6). Die Evangelisten betonen den Konflikt Jesu mit den politischen und religiösen Autoritäten in Israel, denen Jesus die Geschäftemacherei im Tempel als Räuberei vorgeworfen hatte. Der Konflikt mit den römischen Besatzern tritt dahinter zurück. Jesus hatte den Machtmissbrauch der herrschenden Römer gebrandmarkt (Mk 10, 42-44) und zu einem Boykott römischer Währung aufgerufen (Mk 12,13-17). Der Satz: Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört, war ursprünglich ein Hinweis, dass Juden das Bild des Kaisers auf den römischen Münzen als Götzenbilder nicht bei sich tragen durften. Ein Boykott römischen Geldes hätte die römische Ausbeutung der Juden zumindest erheblich erschwert. Deshalb ist Jesus auch eine Gefahr für die Römer und wird nicht von Juden gesteinigt, sondern von Römern gekreuzigt.

Die Szene der Gefangennahme hat eine besondere Bedeutung deshalb, weil auch in der tödlichen Bedrohung durch die bewaffneten Gegnern Jesus konsequent an der Gewaltlosigkeit festhält. Für seine Botschaft von der Feindesliebe und dem Frieden stiften besteht er hier die härteste Bewährungsprobe, die einem Menschen abverlangt kann. In diesem Augenblick opfert sich Jesus tatsächlich für seine Jünger, sodass Johannes ihn sagen lassen kann: „Wenn ihr also mich sucht, so lasset diese gehen“(Joh 18,8). Das bedeutet nicht, dass Jesus für die Sünden der Welt stirbt als Opferlamm, sondern dass er die Sünden der Welt verringert. Die Römer können ihn zwar töten, aber seine Botschaft nicht ausrotten. Die Botschaft vom barmherzigen und Frieden stiftenden Gott lebt weiter. Die ersten Christen praktizieren das faire Teilen und über Jahrhunderte verweigern Christen den Kriegsdienst, weil sie im Loyaltätskonflikt zwischen der römischen Staatsmacht und dem barmherzigen Friedensgott nach der Maxime leben: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“(Apg. 5,29).

Was bedeutet das für uns als Nachfolger Jesu? Ende des 18. Jahrhunderts haben Stuttgarter Pietisten eine Wehrübung auf dem Wasen verweigert und gesagt, lieber würden sie selbst sterben als dass sie im Krieg andere töten. So viel ich weiß, kamen sie ungeschoren davon. Nach zwei Weltkriegen wurde 1949 in unserem Grundgesetz das Recht auf Kriegsdienstverweigerung verbrieft. Nachdem immer mehr verweigerten wurde schließlich vor Jahren die allgemeine Wehrpflicht ausgesetzt und die Bundeswehr hat Nachwuchssorgen.

Auch für uns Christen, die wir gegen das Projekt Stuttgart 21 eintreten, spielt die Gewaltlosigkeit Jesu eine bedeutende Rolle. Am „Schwarzen Donnerstag“ wurde zwar versucht, den Demonstranten Steinewerferei anzuhängen, der Vorwurf wurde aber zum blamablen Bumerang. Die Gewaltlosigkeit der Demonstrierenden wurde zur Macht: Selten vorher und nachher wurde die neoliberale Politik, die Stuttgart 21 als ihr zentrales Schlüsselprojekt darstellte, derart öffentlich blamiert. Die Maske der allgemeinen Wohltätigkeit wurde abgerissen und die brutale Fratze des Mammon dahinter bloßgestellt. Die Szene erinnerte an Vorgänge im Istanbuler Gezipark und an die türkischen Machthaber, von denen man sich hierzulande gerne überheblich distanzieren möchte.
Auch wenn es fünf Jahre dauerte, so wurde am Ende doch klar, dass dieser Polizeieinsatz gesetzwidrig war und gut zu einer Diktatur passt, nämlich zu der Diktatur der Lobbyisten. Diese funktioniert, wenn die Parlamentarier ihnen um des Mammons willen in vorlaufendem Gehorsam untertan sind. Die Demonstranten konnten zwar verletzt, aber nicht besiegt werden, und unser Widerstand geht weiter.

Die Warnung Jesu: Wer zum Schwert greift, wird durchs Schwert umkommen, gilt allerdings auch für uns als Gegner von S 21. Ich denke an die Besetzung des Grundwassermanagements. Die Gewaltanwendung fand zwar auf einer niedrigen Ebene statt, dennoch haben diejenigen, die meinten, so ihre Stadt verteidigen zu müssen, zum Teil einen sehr hohen Preis bezahlt. Die Warnung Jesu hätte in diese Situation hinein übersetzt bedeutet: Wer den Gegnern in die Falle läuft und Bauzäune einreißt oder gar Fahrzeuge beschädigt, wird in unserem Land die ganze Härte der Gerichte spüren, die bisweilen auf der Seite der Mächtigen stehen. Ich sehe im Rückblick diesen Abend als eine gezielte Falle, die uns gestellt wurde, um uns kriminalisieren zu können. In eine solche sollten wir nicht mehr tappen.

Auch auf verbale Gewalt, auf Kraftworte, kann die Warnung Jesu bezogen werden. Im Schwäbischen gibt es ja den Begriff der „Schwertgosch“. Ich muss da ganz persönlich immer wieder auf mich achten. Auch mit gesprochenem oder geschriebenem Wort können wir Konflikte so eskalieren, dass dies auf uns selbst zurückfällt. Diese Sorge muss uns nicht zu Duckmäusern machen. Wir dürfen und müssen in der Nachfolge Jesu das Unrecht immer wieder beim Namen nennen. Es gilt dabei aber, Person und Sache zu trennen, nicht Personen als ganze zu verureilen, sondern nur das beanstandete Verhalten. Ich habe in kritischen Situationen die Erfahrung machen können, dass den Gegnern einen Ausweg zu lassen mir selbst genützt hat.

Der Barmherzige Gott und Vater Jesu schenke uns, dass wir beim Kampf gegen Unrecht und Machtmissbrauch die Botschaft von der Feindes- und Friedensliebe nicht verraten. Amen.

Ansprache beim Parkgebet am 21.3.2019 zu Jer 38,14-17 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Der König Zedekia aber sandte hin und ließ den Propheten Jeremia zu sich holen … . Und der König sprach zu Jeremia: Ich will dich etwas fragen, verhehle mir nichts. Jeremia antwortete … : Wenn ich es dir sage, wirst du mich da nicht töten lassen? Und wenn ich dir rate, so hörst du ja doch nicht auf mich! Da schwur ihm der König einen Eid: … Ich werde dich nicht töten und dich nicht in die Hände der Männer geben, die dir nach dem Leben trachten. Nun sprach Jeremia zu ihm: So spricht der Herr …: Wenn du dich den Fürsten des Königs von Babel ergibst, so bleibt dein Leben erhalten, und diese Stadt wird nicht verbrannt, und du bleibst mit den Deinen am Leben.

Der König ist hin und her gerissen: Seine kriegslüsternen Berater wollen seinen Aufstand gegen den König von Babel, Jeremia prophezeit die Niederlage mit furchtbaren Konsequenzen. Da sucht der König heimlich das Gespräch mit Jeremia, um von ihm ein Wort des Herrn zu erfahren. Jeremia sagt ihm ehrlich, was er von ihm hält. Trotzdem ist der König so sehr auf ein Wort des Herrn angewiesen, dass er auch im Fall einer unangenehmen Botschaft freies Geleit verspricht.

Ich habe diese biblische Episode ausgewählt, weil ich kürzlich erfahren habe: Der Bahnvorstand führt Gespräche mit dem Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21. Könnte es sein, dass die Bahnchefs ähnlich hin und her gerissen sind wie einst Zedekia? Einerseits hält die Regierung am Weiterbau des Projekts fest, andererseits häufen sich die Katastrophenmeldungen. Es wird alles noch teurer, es geht vieles noch langsamer als geplant wie beim völlig unerwarteten Wassereinbruch bei Obertürkheim, das veruntreute Geld fehlt, um pünktlicher zu werden, die Verschuldung steigt bedrohlich. Das hoch gelobte Signalsystem, das für S 21 unumgänglich ist, macht die Züge noch teurer und lässt noch weniger Verkehr in der Untergrundhaltestelle zu. Die alten Probleme wie der Brandschutz bleiben weiter ungelöst. Und schließlich: Die Staatsanwaltschaft neigt immer mehr dazu, wegen Untreue zu ermitteln. Wie bei Zedekia wird es auch persönlich bedrohlich für die Vorstände. Es ist zwar kein „Wort des Herrn“, das die Vorstände erwarten, vielleicht wollen sie in den Gesprächen auch nur die Gefahren ausloten, die ihnen drohen, aber einen Rat haben die Gesprächsteilnehmer vom Aktionsbündnis schon für sie. Und der heißt: Umstieg 21. Das wäre jedenfalls mein „Wort des Herrn“ für ihre Rettung.

Wie schon Jeremia Zweifel hat, ob Zedekia auf ihn hören wird, so müssen auch wir Zweifel haben, ob die Bahnvorstände für unseren Rat wirklich offen sind. Zedekia wurde einst für seinen Beratungsresistenz schwer bestraft: Nachdem er seine Militärs hat Krieg führen lassen, werden Stadt und Tempel zerstört, er selbst geblendet in die Gefangenschaft nach Babel geführt. Als Befürworter des Umstiegs 21 können wir kein Interesse an der Bestrafung der Beratungsresistenz der Bahnchefs haben, aber gerade deshalb müssen wir ihnen die Konsequenzen besonders deutlich vor Augen führen. Deshalb sind diese Gespräche wichtig, auch falls der Berliner Justizsenator der Staatsanwaltschaft kraft seiner Weisungsbefugnis die Ermittlungen gegen die Vorstände verbietet. Wir müssen weiter warnen vor den Gefahren des ungelösten Katastrophenschutzes, vor den Risiken des Gipskeupers, vor der Bedrohung durch Überschwemmungen und vor den Folgen des Rückbaus des Bahnverkehrs für den wachsenden Autoverkehr.

Genauso müssen wir natürlich auch Überzeugungsarbeit leisten bei beratungsresistenten Politikern. Als Beispiel möchte ich heute den Vorsitzenden des Bundesverkehrsausschusses, Cem Özdemir herausgreifen. Am 11. Februar veröffentlichte die Frankfurter Rundschau ein Interview mit ihm. Seine Aussage, „wir brauchen keine Retroverkehrspolitik“ wurde als Schlagzeile abgedruckt. Er sagte, er wolle nichts vorschreiben, aber es müssten „bessere Angebote“ gemacht werden im Sinne von „Alternativen zum Auto“. Ich nahm die Gelegenheit beim Schopf und erinnerte in einem Leserbrief an Özdemirs feiges Ausweichen in der Sitzung des Verkehrsausschusses, in der Thilo Sarrazin als ehemaliger Finanzvorstand der Bahn aussagte, er habe schon 2001 vor der erkennbaren Unwirtschaftlichkeit des Projekts Stuttgart 21 gewarnt. Ich hielt Özdemir seinen Satz vor:
„Jetzt isch d’Katz scho da Baum nuf“. Er befürwortete damit den Weiterbau, obwohl er das Konzept Umstieg 21 kennen musste. Ich warf ihm vor, den Bahnvorstand nicht gefragt zu haben, wie die Berechnung der Ausstiegskosten aussieht, nach der der Ausstieg teurer werden soll als die Fertigstellung von S 21. Er hätte dabei erfahren können, dass unsinnigerweise ein Rückbau der Strecke Wendlingen – Ulm veranschlagt wurde, den niemand fordert, auch nicht die Erfinder des Umstiegs 21. Er hätte dann bemerken können, dass die Katze noch keineswegs auf dem Baum ist bzw. durchaus heruntergeholt werden kann. Nach dem Abdruck des Leserbriefs mailte ich den Text an Özdemir mit der Versicherung, ich würde den Vorwurf der Feigheit sofort zurücknehmen, wenn er der Ausstiegskostenfrage nachgehe und die Konsequenzen daraus ziehe.

Zwischenzeitlich habe ich erfahren, dass Eisenhart von Loeper die Herausgabe der Berechnung der Ausstiegskosten gerichtlich betreibt. Da könnte sich Özdemir verbünden. Außerdem kam mir zu Ohren, dass der Bahnvorstand zwar kein „Wort des Herrn“, aber ein Wort des Aktionsbündnisses zur Wendlinger Kurve erbeten hat. Ich gehe davon aus, dass es hierbei auch um das Problem geht, was zu tun ist, wenn die Strecke Wendlingen-Ulm Jahre vor der schrägen Untergrundhaltestelle fertig wird. Dann müssen dort für teures Geld leere Züge die Tunnel belüften. Ein Anschluss über Plochingen an den Kopfbahnhof könnte durch normalen Zugverkehr die Lüftung besorgen und wäre eine gute Erfahrung auf dem Weg zum Umstieg 21. Die Bahn hatte die Streckenführung über Plochingen geplant. Es war die Politik im Ländle, die gegen den Bahnwiderstand den Weg über den Flughafen durchdrückte. Mit einer geschickten Wendlinger Kurve käme die ursprüngliche sinnvolle Bahnplanung doch noch zum Zug.

Bei aller Vorsicht hinsichtlich der Motivation der Bahn bei den Gesprächen mit dem Aktionsbündnis besteht Hoffnung, dass die bisherige Beratungsresistenz aus eigenem Bahninteresse überwindbar ist. Als Christen geben wir jedenfalls den Glauben an die Umkehrfähigkeit der Verantwortlichen nicht auf. Amen.

Ansprache beim Parkgebet am 10.1.2019 zu 1. Tim 6,9-11 von Pfr. i.R. Friedrich Gehring

Denn die da reich werden wollen, die fallen in Versuchung und Stricke und viel törichte und schädliche Begierden, welche die Menschen versinken lassen in Verderben und Verdammnis. Denn Habsucht ist eine Wurzel alles Übels; wie etliche gelüstet hat und sind vom Glauben abgeirrt und machen sich selbst viel Schmerzen.

Diese Sätze klingen zunächst wie ein „Wehe den Reichen“. Aber die Rede ist von denen, „die reich werden wollen“, also noch arm sind, sich aber nach Reichtum sehnen. Warum müssen solche Menschen gewarnt werden? Ich denke dabei an den Bettler mit Abitur am Backnanger Bahnhof, der mich auf dem Weg zu einem Weihnachtsgottesdienst hierher ansprach. Als er erfuhr, dass ich als Kritiker von Stuttgart 21 einen Gottesdienst halten wolle, sagte er erstaunt, Stuttgart 21 bringe doch Kaufkraft in die Region. Als ich fragte, wer dort wohl arbeiten werde, meinte er: „Ha, Ausländer“. Da fiel bei ihm fast hörbar der Groschen und er stelle erschrocken fest, das müsse er erst mal verarbeiten. Als ich davon im Gottesdienst erzählte, entstand lautes Gelächter. Ich konnte nicht lachen. Denn seit langer Zeit fällt mir auf, dass manchmal gerade die Ärmeren am lautesten gegen höhere Steuern für Reiche schreien, obwohl dabei für sie mehr übrig bliebe. Das finde ich tragisch. Ich erkläre mir diese Tragik so: Nicht wenige Armen wollen reich werden und identifizieren sich deshalb mit den Reichen, und wenn sie einmal reich wären, dann wollten sie nicht davon abgeben müssen. Das neue Testament nennt dies eine Versuchung, einen Fallstrick, der Verderben und Verdammnis bereitet.

Ich halte diese Warnung für hochaktuell. Die gegenwärtig herrschende neoliberale Ideologie will uns solche Fallstricke als Heilsversprechen verkaufen. Auch bettelarme Menschen können darauf hereinfallen und bei Stuttgart 21 von Kaufkraft träumen, die nie die ihre wird. Der Neoliberalismus ist so stark, weil viele dem Versprechen glauben, wenn die Reichen noch reicher würden, dann gehe es allen besser. Aber der Reichtum der Reichen beruht in Wahrheit auf der Armut vieler. Schon vor langer Zeit sagte Verkehrsminister Ramsauer, wenn das Land Baden-Württemberg nicht für Stuttgart 21 bezahlen würde, dann müssten es eben die Bahnkunden tun. Als Christen stehen wir den Verlierern zur Seite, die die Zeche zahlen sollen, und prangern die Lügen der Neoliberalen an. Und wir weisen auf die Schmerzen hin, die Habgier verursacht, wie es im Timotheusbrief heißt.

Uns überrascht es nicht, dass bei Stuttgart 21 jetzt nicht nur für uns Gegner, sondern auch für die Befürworter die Schmerzen kommen. Selbst die Lokalpresse, die sich bisher mit Kritik am Projekt sehr zurückhielt, sieht sich zu schmerzhaften Nachrichten genötigt. Der S-Bahn-Verkehr zum Flughafen wird mindestens ein Jahr empfindlich gestört. Die Verkehrsbeschränkungen für mehrere Jahre am Autobahntunnel unter dem Engelberg bei Leonberg werfen schmerzliche Fragen auf zum Anhydritproblem bei S 21. Selbst Ministerpräsident Kretschmann, dem in der Demokratie die Mehrheit wichtiger ist als die Wahrheit, wird jetzt in der Lokalpresse zitiert mit der Erinnerung, dass er vor seiner Regierungsübernahme all die Probleme angeprangert hat, die jetzt eintreten. S 21 frisst in den nächsten Jahren 3,3 Mrd. €, bis zu 20 % der jährlichen Bahn-Investitionen, die derzeit dringend an vielen Stellen nötig wären. Wichtige Vorhaben anderswo müssen zurückgestellt werden. Die zu großen Schulden steigen noch dramatisch weiter. Bahnchef Lutz, der im Herbst 2018 noch seine Mitarbeiter anspornte, sich Problemlösungen einfallen zu lassen, wird jetzt von der Regierung aufgefordert, selbst einen Plan vorzulegen zum Schuldenproblem und dem schlechten Reiseservice. Wenigstens die überregionale Presse wie etwa die Frankfurter Rundschau zieht daraus den Schluss, dass endlich die Umstiegspläne ernsthaft geprüft werden müssen.

Man darf gespannt sein, ob Bahnchef Lutz diesen Schluss zu ziehen bereit ist. Er könnte den Schwarzen Peter, den er seinen Mitarbeitern zuschieben wollte, nun der Regierung zurück geben, denn von dort kommt er ja. Die Kanzlerin selbst muss sich aus der neoliberalen Verblendung lösen, in der sie meinte, von der Vollendung des Projekts S 21 hänge die Zukunft Deutschlands ab. Sie muss endlich sehen, dass eine vernünftige Bahnzukunft von der Beendigung des Projekts abhängt.
Noch mehr: Die neoliberale Ideologie, die vorgaukeln will, wenn den Reichen immer noch mehr gegeben werde, ginge es auch den Armen besser, muss in ihrer Verlogenheit schonungslos entlarvt werden. Aus dieser Ideologie ist S 21 als Vorzeigeprojekt entsprungen. Nun kommt dieses Projekt zunehmend in die Krise kann letztlich umgekehrt zur Krise dieser Ideologie beitragen. Der neoliberalen großen Koalition muss immer wieder klar gemacht werden, dass ihre sinkenden Umfragewerte eben mit dieser Ideologie zu tun haben und dass die Beendigung von S 21 ein glaubwürdiges Zeichen wäre, sich von dieser Ideologie zu verabschieden. Die Kanzlerin hat immer ein gutes Gespür für die Stimmungen in der Bevölkerung gezeigt, etwa bei der Wehrpflicht oder beim Atomausstieg. Bei anderen würde man von Populismus sprechen. Es kommt also darauf an, was das Wahlvolk denkt und sagt. Eine große Verantwortung hat dabei die vierte Gewalt, die Presse. Deshalb ist es so wichtig, dass vom Journalismus her dem Projekt zunehmend der Wind ins Gesicht bläst.
Unser Parkgebet ist genau dafür da, dass wir immer wieder richtig Luft holen können, um in diese Richtung zu blasen. Wir wollen unseren barmherzigen Gott bitten, er möge uns helfen, dass uns die Puste gegen das Schmerz erregende Projekt S 21 nicht ausgeht. Amen.

Ansprache beim Parkgebet am 25.10.2018 zu Lk 14, 28-32 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Denn wer von euch, der einen Turm bauen will, setzt sich nicht zuerst hin und berechnet die Kosten, ob er genug habe zur Ausführung? Damit nicht etwa, wenn er den Grund gelegt hat und es nicht zu vollenden vermag, alle Zuschauer anfangen zu spotten: Dieser Mensch fing an zu bauen und vermochte es nicht zu vollenden. Oder welcher König, der ausziehen will, um mit einem anderen König Krieg zu führen, wird sich nicht zuerst hinsetzen und Rat halten, ob er imstande sei, mit 10.000 dem entgegen zu treten, der mit 20.000 gegen ihn anrückt? Wenn aber nicht, so schickt er, während jener noch fern ist, eine Gesandtschaft und bittet um Frieden.

Jesus rechnet hier offenbar mit der vernünftigen Folgenabschätzung der Menschen. Er spricht hier im Zusammenhang der Frage, ob die Jünger imstande sein werden, in der Nachfolge durchzuhalten, auch wenn sie dabei auf einiges verzichten müssen oder Verfolgung erleiden. Es könnte also vordergründig ein Appell zur Selbstprüfung sein, ob wir uns zutrauen, die Auseinandersetzung mit den Befürwortern des Projekts Stuttgart 21 durch zu stehen, auch wenn es uns Nachteile bringt. Ich denke, die Frage wird dadurch beantwortet, dass wir nun seit über 8 Jahren den Widerstand durchhalten. Natürlich kann niemand die Hand dafür ins Feuer legen, dass wir das noch weitere Jahre schaffen. Aber wichtig ist mir an den Worten Jesu, dass er seinen Jüngern und damit allen Menschen grundsätzlich eine vernünftige Folgenabschätzung im Blick auf ihr Handeln zutraut. Nur wenn wir Jesus in diesem Vertrauen auf die Vernunftbegabung der Menschen folgen, macht unser Widerstand Sinn. Denn wir weisen ja auf die Folgen des Projekts Stuttgart 21 unbeirrt hin in der Erwartung, dass die Verantwortlichen und die Bevölkerung auf diese Hinweise vernünftig reagieren.

Nun ist freilich besonders bei diesem Haltestellenprojekt der Glaube an die menschliche Vernunft in besonderer Weise angefochten. Zu viele Unsinnigkeiten sind bereits eingestanden worden, ohne dass die vernünftigen Konsequenzen gezogen wurden. Gerade hier wird die Erwartung Jesu an die menschliche Vernünftigkeit konterkariert: Es wurden eben nicht zuerst die Kosten veranschlagt wie bei einem vernünftigen Turmbau, auch nicht die Risiken des Unternehmens realistisch berechnet. Die gezielten Falschinformationen ließen dann auch keine vernünftige Entscheidung bei der Volksabstimmung zu. Ich denke, auch Jesus wusste von solchen menschlichen Unvernünftigkeiten. Aber er resignierte deshalb nicht. So meine ich, auch wir müssen nicht resignieren, sondern können mutig und geduldig an die Vernunft appellieren, auch wenn sich der gewünschte Erfolg nicht so schnell einstellt wie erhofft. Was darf uns Mut machen?

Da ist zunächst zu erwähnen, dass aus unterrichteten Kreisen durchsickert, es werde möglicherweise doch auf die Kombilösung hinauslaufen, neben der unzureichenden Haltestelle zumindest Teile des Kopfbahnhofs zu erhalten. Wir müssen dabei nicht untätig zuschauend schweigen. Nachdem das Bundesverkehrsministerium kürzlich die Vision des Deutschlandtaktes stolz ankündigte, ist es unsere Aufgabe, nachhaltig daran zu erinnern, dass dieser Takt mit dem Engpass der schrägen Haltestelle nicht zu machen ist und deshalb der Kopfbahnhof bleiben muss. Natürlich ist der Deutschlandtakt nicht so ganz einfach zu erklären und zu verstehen, aber da kommt es eben auf unser Geschick an deutlich zu machen, wie unsere Region mit der alleinigen Haltestelle bahntechnisch abgehängt werden würde.

Ein weiteres Ereignis gibt macht uns Mut, an die Vernunft zu appellieren: Der ICE-Brand zwischen Köln und Frankfurt hat zum Glück keine Schwerverletzten oder gar Tote gefordert, weil er nicht in einem Tunnel ausbrach. Zwar ist die Unvernunft der Verantwortlichen gerade in dieser Hinsicht besonders erschreckend. Als ich 2014 in einer Dienstaufsichtbeschwerde gegen das Eisenbahnbundesamt beim Verkehrsministerium darauf hinwies, dass ohne gesicherten Brandschutz drauflos gebaut werde, bekam ich die scheinbar beruhigende Antwort, die Fragen des Katastrophenschutzes würden im Rahmen des Verfahrens der Inbetriebnahme geklärt, als ob sich dieses Vorgehen nach den Erfahrungen mit den Berliner Flughafen nicht absolut verbieten würde.
Aber nun sind die Bilder des ICE-Brandes doch so oft in den Medien gewesen, dass wenigstens die Bevölkerung für die Frage des Brandschutzes in den S 21-Tunneln sensibilisierbar wird, auch schon vor der Fertigstellung. Dass unvernünftige Regierende bei Wahlen nicht so ohne weiteres an der Vernunft der Wählerschaft vorbeikommen, dürfte die Wahl in Bayern gezeigt haben. Darin liegt die Chance unserer hartnäckigen Aufklärungsarbeit. Irgendwann muss die krasse Fehleinschätzung der Kanzlerin, an der Durchsetzung von S 21 entscheide sich der künftige wirtschaftliche Erfolg Deutschlands, ihr selbst auf die Füße fallen. Jesus geht davon aus, dass ein unvernünftiger Turmbauer dem Spott der Zuschauer anheimfallen wird. Wir brauchen nicht zu Spöttern werden, es reichen unsere vernünftigen Argumente. Vor allem wird es darauf ankommen, dass wir den neoliberalen, auf den Mammon fixierten Irrglauben aufklären, die großen Wirtschaftskonzerne müssten gehätschelt werden, weil sie immer für unser Wohl sorgen. Der Dieselskandal ist ein vorzügliches Beispiel, genauso der neoliberal verblendete Umgang der Regierenden damit. Der Druck der öffentlichen Meinung und die Wahlergebnisse sorgen nun aber dieser Tage dafür, dass selbst der CSU-Verkehrsminister Scheuer seine bescheuerte Abwehr der Hardware-Nachrüstungen aufgeben muss.

Zusätzlich besteht noch die Möglichkeit, dass das Haltestellenprojekt an sich selbst scheitert, dass etwa der Anschluss an die Strecke über das Filstal nach Ulm bei Untertürkheim nicht gelingt und die Bauarbeiter von dem vielfachen Glück, das sie immer wieder hatten, so verlassen werden wie die Kollegen bei Rastatt. Auch kann der Gipskeuper noch vor Fertigstellung einen Strich durch die unvernünftige Planung machen oder ein Hochwasser in der Stadtmitte. Wir müssen das nicht herbei reden, sondern nur vernünftig zu bedenken geben. Wir können dabei auf die Vernunftbegabung der Menschen vertrauen wie Jesus. Er hält das Volk nicht für dumm, deshalb dürfen auch wir darauf vertrauen, dass das Volk sich nicht auf Dauer für dumm verkaufen lässt. Amen.

Ansprache beim Parkgebet am 28.6.18 zu Röm 13, 1-2 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

„Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott. Wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet. Wer sich nun der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt der Anordnung Gottes. Die ihr aber widerstreben, ziehen sich selbst das Urteil zu.“

Dieser Text ist der krasseste Beleg für die Anpassung der christlichen Kirche an die römische Gewaltherrschaft. Wohl aus Angst vor Christenverfolgungen soll gut Wetter mit dem Kaiser und seinen Statthaltern gemacht werden. Der Demokratie zum Trotz wirkt diese Untertanentheologie bis heute in Kirchen. So wurde Hitler als von Gott gesandter Führer bejubelt, selbst von der „Bekennenden Kirche“. Nach dem „Schwarzen Donnerstag“ hier im Schlosspark haben wir erlebt, dass von kirchlicher Seite so gut wie keine Kritik kam, obwohl die Bilder an Verhältnisse in Diktaturen erinnerten. Ich sehe darin eine Auswirkung der Theologie von Römer 13. Auch das Schweigen der Mehrheit zu den inzwischen zu Tage getretenen Unsäglichkeiten des Projekts S 21 führe ich darauf zurück, dass wir uns hierzulande sehr schwer tun, das gesetzwidrige Verhalten von Regierenden zu brandmarken oder das der Wirtschaftsmächtigen, die mit Lobbyisten die Regierenden wie Marionetten steuern. Die Inhaftierung des Audichefs Stadler erscheint als Ausnahme von der Regel. So lagen große Hoffnungen auf der Sitzung des Verkehrsausschusses des Bundestags am 11. Juni, denn das Konzept Umstieg 21 durfte dort vorgetragen werden.

Leider bekamen die S 21-Befürworter mehr Raum als die Gegner und die Fragen von Abgeordneten ließen erkennen, dass viele noch nicht bereit sind, sich gegen dieses Regierungsprojekt kritisch zu positionieren. Untertanengeist und Fraktionszwänge verhindern dies bei vielen. Aber immerhin hat Thilo Sarrazin im Auftrag der AfD die Ausrede durchkreuzt, man hätte damals noch nichts gewusst. Noch mehr Rückgrat hätte er bewiesen durch ein Plädoyer für den Umstieg. Da müssten nun die Abgeordneten der AfD selbst ran. Einer von ihnen hat im Ausschuss wenigstens gefragt, wer am Ende die Zeche zahlen soll. Wenn es der AfD ernst ist mit dem Slogan „Merkel muss weg“, dann könnte sie jetzt den traditionellen Untertanengeist überwinden und Strafantrag gegen die Kanzlerin stellen wegen Anstiftung zur Untreue nach §§ 26 und 266 StGB. Das wäre konstruktive Arbeit als Opposition, die nicht nur wohlfeil schreit, die Kanzlerin müsse weg, sondern die wirksam die neoliberale Politik der Kanzlerin bekämpft. Auf keinem anderen Gebiet ist die Kanzlerin besser vor zu führen und die Dummheit ihrer neoliberalen Politik leichter nach zu weisen. Man muss nur die Rolle des Kindes in dem Märchen von des Kaisers neuen Kleidern übernehmen und den neoliberalen Speichelleckern der Kanzlerin zurufen, dass sie nackt ist. Das Kind im Märchen hat noch keinen Untertanengeist eingeübt.

Christen in der Nachfolge Jesu können diesen Untertanengeist ablegen. Denn Jesus hat in aller Schärfe die religiösen und weltlichen Autoritäten seiner Zeit kritisiert. Im Tempel randalierte er gegen die Geschäfte der Tempelpriester mit den Opfern, indem er sie als Räuberei bloßstellte (Mk 11, 15-17). Dem Kaiser in Rom und seinen Statthaltern warf er Machtmissbrauch vor und forderte eine Kultur des Dienens (Mk 10,42-44). Das muss uns Mut machen, offen das Unrecht, den Unsinn und den Machtmissbrauch auszusprechen, auch wenn Personen der demokratisch gewählten Obrigkeit die Täter sind.

Wenn uns also Obrigkeitsgläubige vorwerfen, wir hätten eben am „Schwarzen Donnerstag“ wegbleiben sollen von der Demonstration gegen dieses Projekt der guten demokratisch gewählten Obrigkeit, dann werden wir nicht müde zu erwidern, dass demokratische Rechte, die nicht genutzt werden, verloren gehen, wie Muskeln schwinden, die zu wenig eingesetzt werden. Wenn jemand wie Ministerpräsident Kretschmann immer wieder mit der Mehrheit bei der Volksabstimmung kommt, weisen wir nicht nur darauf hin, dass das Quorum nicht erreicht wurde, sondern dass auch die Mehrheit auf Irrwege kommen kann wie in der NS-Zeit. Wenn der Gipskeuper quillt, schützt eine Mehrheit nicht vor der Strafe für verantwortungsloses Bauen. Und wenn jemand wie Cem Özdemir von Entschuldigung für S 21 spricht, um dann zu behaupten, für den Ausstieg sei die Katze nun leider schon den Baum rauf, dann geht das bei uns nicht durch. Ich weiß zwar nicht, was im Islam zur Vergebung gelehrt wird, aber auch ein Imam dürfte Özdemir dafür kaum loben.
Wenn jemand in einer Partnerschaft sagt: Schatz, ich bin fremd gegangen, aber ich entschuldige mich, jetzt musst du halt damit leben, dass ich nicht treu sein kann, die Katz ist jetzt schon den Baum rauf, dann wird sehr schnell ersichtlich, dass es so nicht geht und Vergebung eine Umkehr voraussetzt. Meine Schulklassen haben es an diesem Beispiel immer begriffen, dass Vergebung so nicht gelingen kann, dann wird es auch Cem Özdemir begreifen können. Aber wir müssen ihn eben aktiv konfrontieren mit seinem scheinheiligen Gerede von Entschuldigung. Wir nehmen das Argument vom 11. Juni nicht hin, das kriminelle Veruntreuungsprojekt müsse fertig gebaut werden, weil der nicht kriminelle Umstieg zu lange dauern würde.

Die Umkehr bei S 21 ist immer noch möglich, das können nun alle Parteien im Bundestag wissen ebenso wie die Öffentlichkeit in ganz Deutschland. Die Frankfurter Rundschau titelte am 12. Juni:
„Bitte umsteigen! Gegner von Stuttgart 21 haben im Bundesverkehrsausschuss eine Alternative vorgelegt“. Auch wenn die Sitzung des Verkehrsausschusses nicht unsere Erwartungen erfüllt hat, der publizistische Erfolg macht Mut. Die Stimmung in der Presse wird zunehmend kritischer, das haben wir ja sehr lange vermisst. Das frech fortgesetzte Lügen der Befürworter wird in der Öffentlichkeit immer weiter entlarvt. Die Gefahren der Gleisneigung, der Brandkatastrophen, der Überflutung und der Gipskeuperquellung dringen immer mehr ins öffentliche Bewusstsein, dazu die Milliarden schwere Veruntreuung öffentlicher Gelder bei gleichzeitiger Verschlechterung des Bahnverkehrs. Wie beim Dieselskandal bewahrheitet sich das Sprichwort: Der Krug geht so lange zum Brunnen bis er bricht. Oder: Lügen haben kurze Beine!

Auch wenn unser Parkgebet nun bald acht Jahre alt wird, es gibt keinen Grund aufzugeben. Im Gegenteil: Die jüngste Entwicklung gibt uns Mut zum Weitermachen. Amen.

Die Wahrheit wird euch frei machen: Ansprache beim Parkgebet am 3.5.2018 zu Joh 8, 31f

„Jesus sprach zu den Juden, die zum Glauben an ihn gekommen waren: Wenn ihr in meinem Worte bleibt, seid ihr in Wahrheit meine Jünger, und ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen.“

Jesus wirft den jüdischen religiösen Eliten seiner Zeit vor, dass sie den wahren Willen des Gottes Israels verdrehen. So haben sie aus dem dritten Gebot „Du sollst den Feiertag heiligen“, einer ursprünglichen Arbeitsschutzbestimmung für abhängig Beschäftigte, viele Verbote abgeleitet, was man am Sabbat alles nicht tun darf. Dem stellt Jesus den ursprünglichen Gotteswillen gegenüber: „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen“ (Mk 2,28). Deshalb verspricht Jesus den Juden, die ihm nachfolgen wollen: Die Wahrheit wird euch frei machen.

Es ist eine alte seelsorgerliche Erfahrung, dass wer lügt und deshalb die Wahrheit verdrängen muss, für den Bau und Erhalt der Lügengebäude viel Energie aufzuwenden hat. Die Beendigung des Lügens und das Bekenntnis zur Wahrheit befreit deshalb von der anstrengenden Verstrickung in die Lüge. Denn die Wahrheit drängt bisweilen mit großer Kraft ans Licht wie Löwenzahn aus dem Asphalt. Eine solche Erfahrung können wir derzeit beim Projekt S 21 machen.

Am 18. April hat Bahnchef Lutz zusammen mit seinem Vize Pofalla vor dem Verkehrsausschuss des Bundestags in nicht öffentlicher Anhörung erstmals das Ausmaß der Unwirtschaftlichkeit des Projekts eingestanden. Die Bahn muss mehr als 4 Milliarden € Eigenmittel verbrennen und kann aus dem Gleisfeldverkauf nur 1,15 Mrd. € erlösen. Bei geringfügigen Projekteffekten bleiben über 2 Milliarden Planverlust. Das nicht öffentliche Eingeständnis ist inzwischen öffentlich in der Presse zu lesen. Lutz wiederholt, was wir von seinem Vorgänger Grube schon kennen: Wenn das alles 2009 schon bekannt gewesen wäre, hätte man eine andere Entscheidung getroffen. Nun aber legten die beiden Vorstände ein Papier vor, wonach der Projektabbruch mehr als 7 Milliarden € kosten würde. Man will sich also doch nicht so recht von der Wahrheit befreien lassen. Der Berliner Wirtschaftsprofessor Christian Böttger fordert laut Südwestpresse vom 21.4.18, die tatsächlichen Abbruchkosten unabhängig ermitteln zu lassen und alternative und günstigere Lösungen ohne Scheuklappen zu prüfen. Man darf gespannt sein, ob Verkehrsausschuss und Regierung dieser Forderung aus Fachkreisen folgen wird. Das Aktienrecht, das unwirtschaftliche Projekte verbietet, müsste eigentlich dazu zwingen.

Auch unser Ministerpräsident könnte sich das Wort Jesu zu Herzen nehmen und sich von der Wahrheit befreien lassen. In seiner Antwort auf Peymanns Kritik an S 21 hat sich Kretschmann laut Südwestpresse vom 3. März 2018 zu der Lüge verstiegen, Stadt und Land seien laut Verfassung an die Volksabstimmung gebunden. Ich habe ihm deshalb als Nachfolger Jesu brieflich die befreiende Wirkung des Bekenntnisses zur Wahrheit empfohlen:

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kretschmann,

auf Ihre Behauptung vom 27.11.2012, in der Demokratie entscheide die Mehrheit, nicht die Wahrheit, habe ich Ihnen am 2.6.2014 vorgeworfen, dass Sie damit die Lüge in der Politik hoffähig machen, weil nach dem Eingeständnis der Kostensteigerung keine neue Volksabstimmung folgte. Sie haben dies am 19.8.2014 entschieden zurückweisen lassen, weil die Kostensteigerung als Argument der S 21-Gegner vor der Abstimmung bekannt gewesen sei. Dieses Argument ändert nichts daran, dass die Kostenlüge der Befürworter erfolgreich war, weil – anders als in einer Demokratie wie der Schweiz – eine zweite Abstimmung über die Wahrheit unterblieb.

Nun haben Sie auf die Kritik von Claus Peymann laut Presseberichten vom 3.3.2018 erwidert, an die Volksabstimmung vom November 2011 seien Land und Stadt laut Verfassung gebunden.

Sie verzichten dabei auf einen Beleg, wo dies in der Verfassung steht. Denn Sie wissen ganz genau, dass bei der Volksabstimmung vom November 2011 das Quorum nicht erreicht wurde und deshalb das Abstimmungsergebnis keinerlei verfassungsrechtliche Bindungswirkung entfalten konnte, wie die Landeswahlleiterin damals unmissverständlich festgestellt hat. Sie setzen damit eine Lüge als Instrument ein, um die Kritik an dem Projekt Stuttgart 21 niederzuhalten, das immer mehr die Verantwortungslosigkeit seiner Befürworter offenbart, nachdem die Bahnchefs Lutz und Pofalla die Unwirtschaftlichkeit am 18.4.2018 vor dem Verkehrsausschuss des Bundestags eingestanden haben.

Wären Sie als Christ der Wahrheit verpflichtet, müssten sie eingestehen, dass der Volksabstimmung lediglich das Gewicht einer Meinungsumfrage zukommt, die allerdings ohne professionelle Beachtung der Repräsentativität durchgeführt wurde. Sie kam zudem unter der irreführenden Sprachregelung zustande, bei Stuttgart 21 handle es sich um den Bau eines Bahnhofs. In Wirklichkeit soll hier nach der gesetzlichen Definition für Bahnhöfe allenfalls eine Haltestelle mit der Steigung einer Hochgebirgsbahn unterhalb des Grundwasserspiegels entstehen.

Ich fordere Sie deshalb auf, als profilierter katholischer Christ der Verheißung Jesu zu folgen: „Die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh 8, 32). Stehen Sie zu Ihrem Versprechen, das Projekt S 21 kritisch zu begleiten und unterstützen Sie Fachleute wie den Berliner Wirtschaftsprofessor Böttger, der eine unabhängige Ermittlung der Abbruchkosten und eine scheuklappenfreie Prüfung von alternativen und günstigeren Lösungen fordert.

Mit freundlichen Grüßen

Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Wir wollen die Hoffnung nicht aufgeben, dass unser Ministerpräsident sich von der Wahrheit befreien lassen wird. Amen.

Ansprache beim Parkgebet am 8.3.18 zu Mt 23,23 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

„Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler, dass ihr die Minze und den Anis und den Kümmel verzehntet und die gewichtigeren Stücke des Gesetzes außer acht gelassen habt: das Recht und die Barmherzigkeit und die Treue.“

Jesus prangert die Heuchelei an, die auf Geringfügiges, z.B. Abgaben auf Kräuter, gewissenhaft achtet, aber das Wesentliche, Recht, Barmherzigkeit und Treue, vernachlässigt. So etwas ist auch heute noch politische Praxis. Allein Erziehende Empfängerinnen von Hartz IV müssen über ihre Stromrechnung die Kosten für die Umstellung auf erneuerbare Energien zahlen, damit z. B. die Investoren für ihre Windräder Geld bekommen, auch wenn diese wegen Stromüberangebot abgeschaltet werden müssen. Große Aluminiumkonzerne sind von der Umlage befreit, sie würden sonst angeblich nicht mehr konkurrenzfähig. Wenn die Armen ihre Stromrechnung nicht mehr bezahlen können, wird ihnen der Strom abgestellt. Das betrifft 300.000 Haushalte in Deutschland. Da ist man in unserer Gesellschaft sehr gewissenhaft.

Wenn umgekehrt die Deutsche Bank Verluste schreibt und ihren Investmentbankern, also denen von der Zockerabteilung, eine Milliarde € Boni zahlt, da sagt man: „Das Geld muss man denen lassen, denn sonst wandern diese großartigen Mitarbeiter ab“. Da fehlt es der herrschenden neoliberalen
Politik an der Gewissenhaftigkeit, diese Einkommen so hoch zu besteuern, dass sich die Gier nicht mehr lohnt. Denn wer dreist nimmt, dem soll auch dreist genommen werden, um davon den Armen zu geben, damit sie zu leben haben. Das wäre nicht mehr als recht und billig. Aber bei Gerechtigkeit und Barmherzigkeit ist unsere neoliberale Politik nicht mehr gewissenhaft.

Wenn das Kindergeld erhöht wird, dann wird die Erhöhung bei den ärmsten Familien gleich beim Hartz IV-Bezug wieder abgezogen. Da sind wir sehr gewissenhaft, obwohl die Kinder nichts dafür können, dass ihre Eltern arm sind. Die reichen Familien bekommen dafür viel mehr als das Kindergeld, denn sie machen bei der Steuererklärung Kinderfreibeträge geltend, die bei höherem Steuersatz viel mehr als das Kindergeld ausmachen. Die Barmherzigkeit bleibt auf der Strecke. Die Idee einer Kindergrundsicherung kommt in keinen Koalitionsvertrag. Die neoliberale Doktrin sagt: Barmherzigkeit ist zu teuer, die können wir uns nicht mehr leisten. So erweist sich, was schon Jesus brandmarkt: „Wer da hat, dem wird gegeben, und wer da nicht hat, dem wird auch noch genommen, was er hat.“ (Lk 19,26).

So kann es auch bei S 21 nicht anders sein, dem neoliberalen Schlüsselprojekt schlechthin, von dem die Kanzlerin immer noch weiß, dass es über die Zukunft Deutschlands entscheidet, genauer gesagt, über die Zukunft des Neoliberalismus in Deutschland. In ihrer neoliberalen Verblendung verdrängt sie, dass, wenn S 21 tatsächlich fertig und zur Katastrophe für die Region würde, es als Mahnmal dastünde gegen den Neoliberalismus wie die Kriegerdenkmäler gegen den Krieg. Das kann für uns Gegner des Projekts kein Trost sein. Deshalb machen wir die Augen auf und sagen, was wir sehen.

Schon Verkehrsminister Ramsauer hat im Wissen um die verheimlichten wahren Kosten erklärt, wenn sich die Stuttgarter und baden-württembergischen Steuerzahler nicht an diesen beteiligen, werde man die vergeudeten Milliarden eben von den Bahnkunden holen. Wenn ein Karlsruher meint, in Stuttgart könne man wie in Karlsruhe seine Fahrkarte im Zug lösen, zahlt er als Schwarzfahrer oder kommt ins Gefängnis, weil Unwissenheit nicht vor Strafe schützt. Wenn Bahnaufsichtsräte die selbst gesetzte Grenze der Projektrentabilität von 4,5 Mrd. € um 2 Mrd. € überschreiten, sagt die Berliner Staatsanwaltschaft, sie hätten die Untreue nicht erkennen können. Hier schützt plötzlich Dummheit vor Strafe. Auch hier zeigt sich die Gewissenhaftigkeit im Kleinen und die Gewissenlosigkeit im Großen.

Nun sind dem schlechten Geld bei S 21 noch weitere Milliarden gutes Geld nachgeworfen worden. Das gilt allgemein als die Todsünde der Betriebswirtschaft. Die Berliner Staatsanwaltschaft sieht aber immer noch keine konkrete „Überschreitung des unternehmerischen Handlungsspielraums“. Ob man S 21 oder den Umstieg favorisiere, sei Meinungssache. Die warnenden Gutachten stellten die Annahmen der Aufsichtsräte nicht in Frage, auf die sie ihre Entscheidung gründen. Der Strafanzeige wird Pauschalität vorgeworfen, die Begründung der Einstellung der Ermittlungen ist aber selbst ist an Pauschalität nicht zu überbieten. Es wird die allgemeine Lebenserfahrung bemüht, dass „hoch komplexe Vorhaben“ wie S 21 eben „kontrovers diskutiert werden“.

Eisenhart von Loeper und Dieter Reicherter werden das so nicht durchgehen lassen und die allgemeine Lebenserfahrung anführen, dass komplexe Vorhaben auch komplex geplant und berechnet werden müssen und erst gebaut werden dürfen, wenn sie vollständig genehmigt sind. Wer ohne wichtige Genehmigungen losbaut, kann sich nicht auf unternehmerischen Ermessensspielraum berufen, sondern riskiert bewusst Veruntreuung. Wer hunderte Risiken kennt, aber nur zum Teil in die Kostenrechnung einfließen lässt, um auf der Basis der fehlerhafte Berechnung den Weiterbau zu beschließen, überschreitet konkret den Handlungsspielraum bei der Betreuung fremden Vermögens. Wer sich weigert, Alternativen zur Kenntnis zu nehmen und ernsthaft vergleichend zu berechnen, macht sich der Veruntreuung öffentlicher Gelder schuldig.

Wir werden nicht schweigend hinnehmen, dass bei den kleinen Verfehlungen gewissenhaft bestraft und bei den großen gewissenlose Langmut an den Tag gelegt wird. Wie Jesus die religiösen Autoritäten seiner Zeit mit ihrer Heuchelei konfrontiert, werden wir die neoliberalen Politiker und ihre Helfeshelfer in der Justiz damit konfrontieren, dass sie einerseits neoliberal verblendet für die Profite großer Konzerne Partei nehmen und andererseits unbarmherzig und treulos gegen die Bürgerschaft handeln. Wehe ihnen! Amen.

Weihnachtspredigt zu Joh 3,17+19-21 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring am 26.12.2017 im Stuttgarter Schlossgarten

Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde. … Darin aber besteht Gerechtigkeit, dass das Licht in die Welt gekommen ist. … Denn jeder, der Böses tut, hasst das Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden. Wer aber die Wahrheit tut, kommt zum Licht, damit seine Werke offenbar werden, dass sie in Gott getan sind.

In unseren Advents- und Weihnachtsliedern besingen wir wie eben in dem Lied „Tochter Zion“ das Kind in der Krippe als den sehnlich erwarteten Friedefürsten. Er wird regieren in Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Er wird die bösen Werke, die das Licht des Tages scheuen, mit seinem Licht beleuchten und sichtbar machen, um sie zu verhindern. Wie geschieht dies konkret?

Als das Krippenkind erwachsen geworden ist und durch Jericho zieht, beleuchtet Jesus die Werke des Zachäus. Er wird sich seiner Ausbeuterei und Betrügerei bewusst. Das Licht hilft dem Zachäus, sich von seinen bösen Werken loszusagen und ein Leben in Gerechtigkeit und Barmherzigkeit zu wagen. So wird er aus seiner Gier und aus seiner Isolierung in der Bevölkerung gerettet (Lk 19,1-10). Als Jesus danach in Jerusalem einzieht und in die finsteren Geschäfte mit den Schuldgefühlen der Menschen im Tempel leuchtet, gelingt zwar die Rettung der Profiteure nicht, aber die auf den barmherzigen Gott vertrauen, müssen sich nun von den Profiteuren nicht mehr ausbeuten lassen. Sie wissen, dass der barmherzige Gott keine Opfer braucht (Lk 15,11-24). Das Licht Jesu rettet sie vor der Räuberhöhle, zu der der Tempel geworden ist (Mk 11,15-17).

In welche Räuberhöhlen würde Jesus heute bei uns leuchten? Der ausbeuterischen Weltmacht Rom zur Zeit Jesu entspricht heute die Weltmacht USA. Sie sichert ihre wirtschaftlichen Interessen mit hunderten von Militärstützpunkten überall auf der Welt, auch hier in Stuttgart. In Möhringen befindet sich die US-Drohnenleitstelle Afrikom, von der aus in Afrika die völkerrechtswidrigen Dohnenlynchmorde organisiert werden. Ihnen fallen immer wieder als sog. Kollateralschäden Zivilisten, auch Kinder, zum Opfer. In Vaihingen befindet sich das US-Atomkriegskommando. Von hier aus bedroht die USA alle Nationen, sofern sie gegen den Machtanspruch von „Gods own Country“ aufbegehren. Stuttgart wird also eine aktive Rolle spielen, wenn die zwei Machos Trump und Kim Jong Un die Welt in atomare Asche legen werden. Licht in diese finsteren Machenschaften zu bringen heißt, unablässig auf diesen Wahnsinn militärischer Logik hinzuweisen und ihn öffentlich zu brandmarken.

Wir stehen hier ganz nahe an einem Ort, der mit die schlimmste Konzentration von Autoabgasen in Deutschland bietet. Mit verantwortlich sind die Manager der großen Autokonzerne, die in ihrer Gier an der Abgasreinigung von Dieselfahrzeugen sparen und mit betrügerischen Motormanipulationen viele Todesopfer in Kauf nehmen. Sie haben rechtzeitig gezielte Lobbyarbeit betrieben und können jetzt behaupten, dass ihre Manipulationen legal sind, weil sie die Gesetze entsprechend formulieren durften. Die einzelnen betrogenen Autokäufer können nur sehr schwer gegen die Betrügereien klagen, weil in Deutschland Sammelklagen gesetzlich nicht vorgesehen sind. Weihnachtliches Licht in die finsteren Machenschaften der Autokonzerne zu bringen heißt, politischen Druck aufzubauen, der die Konzerne zwingt, Dieselmotoren wirksam nachzurüsten, auch wenn das die saftigen Gewinne etwas schmälert.

Wir stehen hier außerdem in unmittelbarer Nähe eines gut funktionierenden Bahnhofs, der auf dem Altar gieriger Tunnelbauer sinnlos geopfert werden soll. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG will diesen verschwenderischen Rückbau des Bahnverkehrs „finster entschlossen“ zu Ende führen. Seine Wortwahl nach seiner Einsetzung in den Chefposten der Bahn ist verräterisch. Um dieses fatale Projekt zu Ende zu bauen braucht es viel Finsternis. Es muss im Dunkel bleiben, was es schließlich kosten wird. Es muss verschleiert werden, dass es einen Engpass darstellt, der den öffentlichen Bahnverkehr massiv behindern wird, von dem wir zur Luftreinhaltung viel mehr bräuchten. Es muss vertuscht werden, dass die Tunnel im Gipskeuper ein unbeherrschbares Risiko darstellen und Brände unter der Erde ungleich gefährlicher sein werden als unter freiem Himmel.
All dieses und noch viel mehr braucht Finsternis. Als Architekt Ingenhoven die Finanzierungslügen beleuchtete, warfen ihm die Bahnchefs Inkompetenz vor. Tatsächlich fehlt im die Kompetenz zur Verschleierung, die bei der Bahn reichlich vorhanden ist, aber am Ende nicht ausreichen wird.
Das rettende Weihnachtslicht wird auch in die Räuberhöhle Stuttgart 21 hinein leuchten und das schändliche Raffen anprangern, um es schließlich zu beenden. Unsere Geduld und Ausdauer wird dabei auf eine harte Probe gestellt. Fünf Jahre hat es gedauert, bis der schändliche Polizeieinsatz am „Schwarzen Donnerstag“ gerichtlich als gesetzwidrig ans Licht der Wahrheit gezerrt war. Aber unsere Beharrlichkeit hat gesiegt, auch wenn der Skandal noch nicht gänzlich aufgearbeitet ist und z. B. Staatsanwalt in Ruhe Häussler noch zur Verantwortung zu ziehen ist.

Auch die Ermittlungen wegen Veruntreuung kamen zunächst gar nicht in Gang, weil die Berliner Staatsanwaltschaft an die Grenze der Strafvereitelung im Amt ging. Sie behauptete, die Bahn-Aufsichtsräte hätten zwar objektiv veruntreut, dies aber subjektiv nicht erkennen können. Das beharrliche Insistieren auf Fakten hat aber nun doch zu Ermittlungen gegen die Hauptbeschuldigten geführt, auch wenn Kanzlerin Merkel mit ihrer Anstiftung zur Untreue noch nicht ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten ist. Aber auch sie wird nun von dem rettenden Licht erfasst: Das Bundesverfassungsgericht hat das parlamentarische Auskunftsrecht gestärkt. Merkel kann jetzt nicht mehr behaupten, das Betriebsgeheimnis der DB AG wahren zu müssen, wenn sie deren finstere Werke verschleiern will.

Auch wenn die Fortschritte zäh errungen werden müssen, wir werden weiterhin der rettenden Kraft des Lichtes Jesu vertrauen und in seiner Nachfolge Licht ins Dunkel finsterer Machenschaften tragen. Amen.

Ansprache beim Parkgebet am 7.12.17 zu Mt 10, 34-35 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Meinet nicht, dass ich gekommen sei, Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, einen Menschen mit seinem Vater zu entzweien und eine Tochter mit ihrer Mutter.

Jesus hat im Garten Gethsemane entschlossen abgelehnt, zu seiner Verteidigung das Schwert einzusetzen. „Wer zum Schwert greift, der wird durchs Schwert umkommen“ (Mt 26,52), sagt er dem Petrus, der noch nicht begreift, dass sein Schwert mehr gefährdet als schützt. Jesus ist auch bewusst auf einem Esel in Jerusalem eingeritten: Er will nicht der Anführer eines Aufstandes gegen die römische Besatzung sein. Ein Heerführer reitet auf einem Pferd, auf einem Esel macht er sich lächerlich.

Jesus redet hier vom Schwert im übertragenen Sinne. Er spricht von der Auseinandersetzung um den rechten Weg. Auch der Keimzelle des gesellschaftlichen Lebens, der Familie, kann dieser Streit nicht erspart bleiben. Auch unter Familienangehörigen werden Entscheidungen für oder gegen das von Jesus verkündete Reich Gottes fallen. Es werden Familienangehörige sich für das faire Teilen entscheiden und andere für das gierige Raffen. Da werden auch unter nahen Menschen sich die Wege gelegentlich trennen.

Dies von Jesus zu hören ist hart, gerade in der Advents- und Weihnachtszeit, in der die Familie für jung und alt so etwas wie der letzte bleibende Ort der Geborgenheit darstellt. Die Hochschätzung der familiären Geborgenheit führt nicht selten zu einer Konfliktscheu, die diese heile Welt nicht gefährden will. Aber erfahrungsgemäß rettet Konfliktscheu den Familienfrieden eben nicht, sondern sorgt nur dafür, dass Konflikte unter den Teppich gekehrt werden. So entstehen Konfliktberge, die am Ende zu Trennungen zwingen, weil zu lange zu viele Verletzungen ertragen wurden um eines scheinbaren Friedens willen. Seit Jahrzehnten verschenke ich zu Trauungen das Buch mit dem Titel: „Streiten verbindet“. Und im Religionsunterricht habe ich zum Thema „Konfliktaustrag in Partnerschaften“ 10 Regeln für fairen Streit entwickelt. Denn die Stabilität von familiären Beziehungen hängt vorrangig von vernünftigem Konfliktaustrag ab, der faire Kompromisse sucht. Wenn diese nicht gelingen, sind getrennte Wege oft besser als ein fauler Frieden.

Jesus ist nicht das konfliktscheue Lamm, das sich ohne Widerworte zur Schlachtbank führen lässt. Er kann hin stehen und Konflikte aushalten. Das hat er in der eigenen Familie praktiziert, schon als 12-Jähriger im Jerusalemer Tempel (Lk 2, 41-50) und auch als junger Mann. Da erklärten ihn seine Verwandten für verrückt (Mk 3,21) und er distanzierte sich von ihnen, weil sie in seinen Augen nicht den Willen Gottes taten (Mk 4,31-34). Das war nur die eine Seite: Auch im Konflikt mit der römischen Besatzungsmacht war Jesus ein Widerständler. Es war – wie gesagt – kein militärischer Widerstand, sondern ein gewaltfreier. Das ist sehr bald nach Jesus unter den Tisch gefallen, weil man meinte, sich mit der römischen Gewaltherrschaft arrangieren zu müssen. Als das Christentum schließlich um 400 n. Chr. zur Staatsreligion im römischen Reich aufgestiegen war, blieb keinerlei Bewusstsein vom Widerständler Jesus zurück. Aber wie die Archäologie durch das Abheben von Erdschichten Ursprüngliches freilegen kann, so kann die Theologie in der Bibel das verschüttete Widerständlertum Jesu wieder sichtbar machen.

„Wer dich auf den rechten Backen schlägt, dem biete auch den andern dar.“ Dieser Satz ist zum Inbegriff für totale konfliktscheue Unterwerfung geworden, meint aber ursprünglich das Gegenteil: Wenn ein Sklave von seinem Sklavenhalter auf die rechte Wange geschlagen wurde, war das noch nicht strafbar in Israel. Wenn der aber mit der Rückhand auf die andere Wange schlug, konnte er vor Gericht gestellt werden. Das Anbieten der anderen Wange war also alles andere als eine Unterwerfung, sondern ein Hinweis auf die Eingrenzung der Gewalt des Sklavenhalters. Ein von Eltern geohrfeigtes Kind, das dann die andere Wange hinhält, werden wir als aufmüpfig empfinden. Es lässt sich nicht einschüchtern.

Dazu gehört natürlich Leidensfähigkeit. Mahatma Gandhi und Martin Luther-King haben die Leidensfähigkeit der Unterdrückten als politisches Kampfmittel erfolgreich eingesetzt. Gandhi hat bei der Besetzung des Salzwerks an der indischen Küste einen Reporter engagiert, der die brutale Gewalt der Besatzungsmacht weltweit angeprangert und sie damit schwer blamiert hat. Luther-King hat für die Farbigen in den USA große Erfolge errungen.

„Wer dich nötigt, eine Meile weit zu gehen, mit dem gehe zwei“. Auch dies klingt zunächst nach zuvorkommender Konfliktscheu. Aber Jesus spielt dabei darauf an, dass römische Besatzer von der Bevölkerung Gepäcktransporte äußerstenfalls für eine Meile verlangen konnten. Wer darüber hinaus Leistungen in Anspruch nahm, konnte angezeigt werden. Auch hier handelt es sich um eine Einhegung der Macht, diesmal gegenüber den Besatzern. Jesus ist also nicht für einen faulen Frieden, der auf militärischer Unterwerfung beruht. Er stellt sich gegen den sog. „römischen Frieden“, der sagt: „Si pacem vis, bellum infer“. (Wenn Du Frieden willst, trag Krieg ins Land). So machen es die Römer. Sie überfallen fremde Völker, unterdrücken sie mit harter Hand, bis jeder Widerstand gebrochen ist, dann ist Frieden, wie ihn Rom wünscht. Jesus skandalisiert diese Sorte Frieden.

Der heutige neoliberale Friede ist von derselben Sorte. Spätestens seit dem „Schwarzen Donnerstag“ wissen wir Kritiker des Projekts S 21 davon. Dies hat unsere Leidensfähigkeit auf eine harte Probe gestellt. Aber wir haben schließlich doch den neoliberalen Friedensbringern juristisch nachgewiesen, dass der Polizeieinsatz rechtswidrig war, und damit die neoliberalen Regierenden blamiert. Unsere Kirchenleitung hat sich angesichts des begangenen Unrechts weitgehend zurückgehalten und in traditioneller lutherischer Konfliktscheu schon früh auf die Seite der faulen Friedensbringer geschlagen. Wir aber werden in der Nachfolge Jesu nicht nachlassen, die sinnlose Veruntreuung von Milliarden anzuprangern, bis auch deren Rechtswidrigkeit gerichtlich festgestellt ist. Amen.

Ansprache beim Parkgebet am 9.11.2017 zu Lk 16,9 von Pfr. i.R. Friedrich Gehring

„Ich Sage euch: Machet euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit sie, wenn er euch ausgeht, euch aufnehmen in die ewigen Hütten.“
Jesus rät dies seinen Jüngern, nachdem er ihnen eine lebensnahe Begebenheit geschildert hat: Ein Gutsverwalter hat seinem Gutsbesitzer Geld verschleudert, muss nun seine Machenschaften offenlegen und wird gekündigt. Der Verwalter nutzt nun die letzte Gelegenheit, seine Zukunft zu sichern und lässt die Schuldscheine der Schuldner seines Herrn zu deren Gunsten fälschen, um für die Zeit seiner Arbeitslosigkeit von den Begünstigten unterstützt zu werden. Jesus lobt die Schläue des veruntreuenden Verwalters.

Seit Jahrzehnten bekomme ich auf Predigten zu diesem Text gerade von frommen, gewissenhaften Christen entrüstete Reaktionen: Wie kann Jesus einen solchen Kriminellen als Vorbild hinstellen? Diese Entrüstung ist verständlich aus der Froschperspektive von Familie, Freundeskreis, Verein oder Handwerksbetrieb. Da erscheint solches Verhalten tatsächlich asozial. Aber Jesus als genialer Wirtschaftswissenschaftler weitet unseren Blick. Er sieht, was der Mammon weltweit anrichtet. Er weiß vom „Mammon der Ungerechtigkeit“. Er sieht das System des Mammon, das von unten nach oben verteilt. Brecht bringt es entsprechend in der Dreigroschenoper auf den Punkt mit der Frage: Was ist schon ein Banküberfall gegenüber der Gründung einer Bank. Allein die Deutsche Bank hat über 6000 Gerichtsverfahren am Hals, dies illustriert das Urteil von Jesus wie das von Brecht.

Schauen wir also mit Jesus einmal genauer hin: Einer Kassiererin, die einen Pfandbon für 0,3 € veruntreut, darf fristlos gekündigt werden. Auch höchste deutsche Gerichte muten einem Chef nicht zu, mit einer solchen Mitarbeiterin weiter zusammenzuarbeiten. Der Airberlin-Chef Thomas Winkelmann hat sich im Februar 2017 ein jährliches Gehalt von 950000 € bis 2021 vertraglich gesichert. Er sorgt wie der veruntreuende Verwalter im Beispiel Jesu auf fremde Kosten für die Zeit seiner absehbaren Arbeitslosigkeit vor, und dies enorm dreist. Aber selbst der Kommentator einer so kritischen Zeitung wie der Frankfurter Rundschau findet das gut. Er sagt: Sonst bekäme man ja für insolvenzbedrohte Firmen keine Chefs mehr. Hier fehlt genau jene Empörung, die in der Froschperspektive des Pfandbons gegenüber der Kassiererin auch höchstrichterlich sofort entsteht. Diese doppelte Moral und diese Umverteilung von unten nach oben prangert Jesus als „ungerechten Mammon“ an. Die wirtschaftlich Mächtigen sind selbst das Gesetz. Im weltweiten Neoliberalismus geben ihnen gewählte Abgeordnete und Richter die Freiheiten und Schlupflöcher, durch die sie ihren Profit steigern und ihre Gewinne vor dem Fiskus in Steueroasen verstecken können. Nach den „Panamapapers“ sind nun die „Paradisepapers“ bekannt. Der Verwalter im Beispiel Jesu dagegen verteilt von oben nach unten. Er hofft auf die Verheißung: „Glücklich sein werden die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erfahren“ (Mt5,7). Dafür lobt ihn Jesus.

Das Projekt Stuttgart 21 bietet eine besonders delikate Anschauung für Ungerechtigkeit des Mammon. Als Anfang 2013 die Unwirtschaftlichkeit des Projekts offensichtlich wurde und eine Weiterführung nach Aktienrecht als Veruntreuung der Gelder der DB-AG gelten musste, befand die Berliner Staatsanwaltschaft unter der Weisungsgebundenheit eines CDU-Justizsenators, es handle sich beim Weiterbau tatsächlich um Untreue, das hätten die Aufsichtsräte aber nicht erkennen können. Damit wurde ihnen bescheinigt, für die Führung der DB-AG zu dumm zu sein, aber dass der Grundsatz: „Dummheit schützt vor Strafe nicht“ für sie nicht gilt. Wenn es um Milliarden für Bauaufträge geht, ist das natürlich etwas ganz anderes als bei einem Pfandbon. Deshalb spricht Jesus vom „Mammon der Ungerechtigkeit“. Die Kleinen werden gehängt, die Großen lässt man laufen

Wir sind natürlich als S 21-Umstiegsbefürworter sehr gespannt, was unter dem grünen Berliner Justizsenator mit den Ermittlungen wegen Untreue in Sachen S 21 wird. Die Luft für die dummen Veruntreuer wird dünner. Roland Pofalla, der nachweislich im Auftrag der Kanzlerin zur Untreue angestiftet hat, lässt nun den Schlamassel S 21 erneut prüfen. Vertuschen wird schwieriger: Das Bundesverfassungsgericht hat jüngst das Auskunftsrecht des Parlaments im Blick auf S 21 gestärkt.
Es hat ausdrücklich festgestellt, dass die Regierung Auskunft geben muss über die Rentabilität von S 21. Möge die Luft für Pofalla noch dünner werden, wenn die Grünen in den Verhandlungen um eine Jamaikakoalition erfolgreich für eine vernünftige Verkehrspolitik eintreten, wie es unser Mitstreiter Martin Poguntke in seiner jüngsten Petition fordert. Und möge der Stuhl für die Kanzlerin heißer werden, die ja als Hauptanstifterin zur Untreue in Sachen ihres Lieblingsprojekts S 21 gelten darf. Anstiftung zur Untreue ist ein eigener Straftatbestand (§ 266 in Verbindung mit § 26 StGb) und wird bestraft wie die Untreuehandlung selbst.

Wenn wir uns von Jesus den Blick weiten lassen auf die Ungerechtigkeiten des Mammon, werden wir weiter unverdrossen diese Ungerechtigkeiten skandalisieren. Vor allem aber werden wir nicht den Heilspropheten des Mammon auf den Leim gehen, die uns vorgaukeln, wenn wir nur den Mammon ungezügelt walten lassen, dann würden wir alle davon profitieren. Wir werden nicht müde, Stück für Stück nachzuweisen, dass die Gewinne der Mammonsjünger von den Armen geholt werden. Die Exporterfolge der deutschen Wirtschaft sind erkauft durch das Lohndumping der Agenda 2010 und die unweigerlich folgende Altersarmut. Die Gewinne von stromfressenden Konzernen werden subventioniert durch die Umlage für erneuerbare Energien auf der Stromrechnung von allein erziehenden Hartz-IV-Empfängerinnen, die deren Kinder noch ärmer macht. Die Gewinne der Autokonzerne werden erwirtschaftet auf Kosten der Gesundheit der Bevölkerung. Die sinnlosen Bauaufträge bei S 21 werden bezahlt von den Bahnkunden oder den Steuerzahlern. Wir werden in der Nachfolge Jesu nicht aufhören, den neoliberalen Heilspropheten die Maske der Menschenfreundlichkeit herunterzureißen und die Fratze der zerstörerischen Gier sichtbar zu machen. Amen.