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Weihnachtsgottesdienst im Park

Herzliche Einladung…

…auf den 2. Weihnachtsfeiertag, 26.12.2023 um 11 Uhr in den Schlossgarten!
Auch dieses Jahr findet der Weihnachtsgottesdienst im Mittleren Schlossgarten, östlich der 21-Baustelle, in der Nähe von Lusthausruine und Biergarten statt. 

Das bewährte Parkgebets-Team um Jutta Radicke hat den Gottesdienst auch dieses Jahr vorbereitet. Wie gewohnt können wir uns auch wieder auf die musikalische Begleitung durch das „Parkblech“ freuen. Die Ansprache hält dieses Jahr Pfarrer i.R. Martin Poguntke.

Die Probleme und Betrügereien rund um Stuttgart 21 werden zurzeit immer deutlicher. Um darauf mit gewohnt engagiertem Widerstand zu reagieren, braucht es weiterhin wache und einsatzfreudige S21-Gegner*innen.

Herzliche Einladung deshalb, neue Kraft zu schöpfen für den Widerstand gegen das zerstörerische Projekt S21 – auch im neuen Jahr und noch viele, viele Jahre… 

Parkgebetsansprache am 17.3.2022 von Pfr.i.R. Martin Poguntke

(hier als pdf-Datei)

(Leider konnte diese Ansprache aus Krankheitsgründen nicht „live“ im Schlossgarten gehalten werden, sondern kann nur hiermit schriftlich zur Verfügung gestellt werden.)

Liebe Parkgebetsgemeinde,

„Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt.“

Dieser Ausspruch von Bert Brecht liegt einem in diesen Tagen und Wochen des Ukraine-Kriegs wieder einmal schrecklich nahe. Wie könnte ich heute, im Parkgebet über Bäume und Züge und Gleise reden – und schweigen über den Krieg und das namenlose Elend, das die Menschen in der Ukraine seit dem 24. Februar erleiden müssen! Ich schalte manchmal die Nachrichten aus, weil ich es nicht mehr ertragen kann, zu hören und zu sehen, was die russischen Soldaten da in den Städten und Dörfern der Ukraine an Verbrecherischem anrichten.

„Gib Frieden, Herr, gib Frieden!“ möchte man mit dem Liedtext schreien. Aber so einfach ist es nicht, denn Gottes einzige Hände sind unsere Hände. Was nicht durch uns oder andere geschieht, geschieht gar nicht.

Und da frage ich mich: Aber was soll denn, was kann denn, was muss denn geschehen, damit dieses Elend so schnell wie möglich aufhört? Und es fällt mir so wenig ein, was jetzt noch hilft, nachdem die Dinge seit Jahrzehnten schon in die falsche Richtung gelaufen sind und jetzt erst im Grunde die angehäuften Fehler explodieren.

In Kriegszeiten sehnen sich die Menschen verstärkt nach klaren Wahrheiten, habe ich dieser Tage gelesen. Kriegszeiten scheinen nicht die richtigen Zeiten zu sein für Differenzierungen, für kritisches Beleuchten von allen Seiten – auch nicht für kritisches In-den-Spiegel-Schauen.

Wenn ein Mörder den Abzug der Pistole betätigt oder ein Präsident einen Krieg befiehlt, ist sofort klar, wer der Täter ist. Und es reicht scheinbar, zu wissen, wer letzten Endes das Böse getan hat. Aber Wahrheit ist mehr; Wahrheit ist das ganze Bild; zur Wahrheit gehört die ganze Geschichte, die zu dem heutigen Punkt geführt hat.

Ein Bekannter von mir sagte neulich, als ich eine unerfreuliche Geschichte über einen gemeinsamen Bekannten erzählte: „Zu jeder Geschichte gibt es mindestens eine zweite.“ Und er wollte damit deutlich machen: Glaube nicht, du wärst einem Ereignis oder gar einem Menschen bereits gerecht geworden, wenn du eine Geschichte von ihm erlebt hast. Diese eine Geschichte wird nicht unwahr, wenn es eine zweite gibt oder eine dritte, vierte, die ein ganz anderes Bild zeichnen. Keine einzelne Geschichte ist die Wahrheit, sondern nur alle gemeinsam. Und diese Wahrheit ist voller Spannungen und Widersprüche – das gilt es auszuhalten und nicht zu glätten, zu harmonisieren, zu banalisieren.

Ich glaube, von Max Frisch stammt, sinngemäß, der Ausspruch: „Sobald ich mir ein Bild von einem Menschen gemacht habe, ist die Liebe tot.“ Die Wahrheit über einen Menschen ist immer viel, viel mehr als das, was ich an ihm sehe. Und mehr als die ganze Familie und Nachbarschaft und die ganze Stadt sehen. Die Wahrheit ist die ganze Geschichte, auch die Geschichte der Eltern und Vorfahren und Urahnen. Ohne alles das miteinzubeziehen, gehe ich an der Wahrheit vorbei.

Liebe Parkgebetsgemeinde, da frage ich mich nun: Ist dann nicht alles aussichtslos? Ich mag dann viele kleine Wahrheiten über einen Menschen oder ein Ereignis wahrnehmen und in mein Denken einbeziehen – aber „die“ Wahrheit werde ich nicht finden.

Im Johannesevangelium lässt Johannes Jesus sagen: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“ Johannes hat Jesus diesen Satz in den Mund gelegt als eigenes Glaubensbekenntnis. Johannes will damit sagen: In dir, Jesus, sehe ich Gott. In dir, Jesus, spüre ich das, was nur Gott sein kann: das allumfassende Leben, der Weg zu wirklichem Leben und eben: die Wahrheit, die ganze Wahrheit, die hinter der ganzen Menschengeschichte steckt und die allein Mensch und Welt gerecht wird.

Wenn das so ist, dass wir die Wahrheit selbst nicht erkennen können, dann müssen wir mit den Wahrheiten(!), die wir nur erkennen können, anders umgehen: demütiger, bescheidener.

Seien wir demütig, hüten wir uns vor zu schnellem Urteil, gegenüber Menschen, vielleicht sogar vor jedem Urteil. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass es angemessen ist, ist meist ausgesprochen gering.

Demütiger und bescheidener muss das sein, was wir an Urteilen aussprechen – und selbstkritisch. Denn wenn die Wahrheit nur die ganze Wahrheit sein kann, dann sind auch wir selbst immer Teil der Wahrheit. Sprich: Ich sollte immer fragen: Was ist denn mein eigener Anteil an der aktuellen Situation? Was habe denn ich dazu beigetragen oder unterlassen, dass es dazu gekommen ist? Wie sehr bin ich selbst denn verwickelt auch in das Leben der Menschen, über die ich so schnelle Urteile fälle?

Demütig und selbstkritisch muss das sein, was wir an Urteilen aussprechen – und liebevoll. Denn wenn die Wahrheit Gott ist, von dem ich mir Vergebung meiner Verfehlungen erhoffe – dann muss dieser Gott und diese Wahrheit eine liebevolle sein: eine Wahrheit, die liebevoll mein eigenes Leben beurteilt und wegen der auch ich liebevoll das Leben anderer beurteile – und es damit gar nicht beurteile, sondern liebevoll unbeurteilt so stehenlasse, wie es ist.

„Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet!“ Das ist die direkte Konsequenz aus der Erkenntnis, dass wir die Wahrheit nicht haben, sondern dass die Wahrheit das für uns nicht erkennbare und erreichbare Ganze ist, das wir so mutig und ahnungslos „Gott“ nennen.

Scheinbar sind wir nun ganz weit weg von dem Krieg in der Ukraine gelandet, aber nur scheinbar. Denn auch für die Beurteilung dessen, was dort geschieht, gilt: Wir erkennen nur Teilwahrheiten, die ganze Wahrheit bleibt uns unerreichbar. Und deshalb sollten wir auch über diesen Krieg demütig, selbstkritisch und liebevoll urteilen.

Ich denke: Wir (die Friedensbewegung, zu der ich mich rechne) müssen zurzeit sehr aufpassen, dass wir drei Fehler nicht machen: 1. nicht zu Falken werden, sondern demütig unablässig Wege zur Deeskalation suchen, statt die Rüstungsspirale anzukurbeln, 2. selbstkritisch unsere eigene Verflochtenheit nicht ausblenden, 3. den „Gegner“ nicht zu dämonisieren, sondern – liebevoll – darum bemüht bleiben, auch im „Gegner“ einen Menschen zu sehen – vielleicht einen gefährlichen, brutalen Menschen, aber einen Menschen.

Ich würde mich überschätzen und übernehmen, wenn ich hier jetzt hinstehen würde und fertige Friedens-Konzepte oder -Rezepte vorstellen würde. Das habe ich natürlich nicht; was ich sage, ist nur Stückwerk, nur ein Teil dessen, was gesagt gehört. Aber was ich habe und sagen möchte, ist eine Richtung: die Richtung, dass wir auch den Russen die Hände reichen, dass wir Brücken auch zu ihnen bauen, dass wir Vertrauen wieder herzustellen versuchen – Vertrauen, das die NATO in den letzten Jahrzehnten mutwillig zertrampelt hat.

Nicht dass wir naiv übersehen sollten oder auch nur übersehen dürften, welche Fehler und bösartigen Entwicklungen Russland in den letzten Jahrzehnten gemacht hat. Aber dass wir demütig, selbstkritisch und liebevoll erkennen, was auch auf unserer Seite an Fehlern und bösartigen Entwicklungen geschehen ist. Und vor allem: dass wir aufhören, in den Kategorien von Freund und Feind zu denken.

So nähern wir uns dem, dass die Wahrheit, das Ganze ist, indem unsere Sorge und Fürsorge dem Ganzen zu gelten hat: der ganzen Welt, dem ganzen Leben, allen Menschen, die alle Teil der großen Wahrheit sind.

Und dann macht es auch wieder Sinn, über Bäume und Züge und Gleise zu reden: weil ein pfleglicher Umgang mit der Schöpfung auf geradem Weg zu einem pfleglichen Umgang mit denen führt, die man uns zu „Feinden“ zu machen versucht. Auch unser Engagement für einen klimafreundlichen Bahnhof und einen klimafreundlichen Zugverkehr in einer klimafreundlichen Stadt, Land, Welt ist ein Beitrag zum Frieden. Nicht nur, weil wir dann nicht mehr von den Rohstoffen von Diktatoren abhängig sind, sondern weil wir dann den weltweit immer bedrohlicher werdenden Streit um Ressourcen entschärfen.

Woher wir die Kraft nehmen sollen für dieses Engagement? – Meine Erfahrung ist: Wenn man sich gemeinschaftlich, wie wir das z.B. im Parkgebet immer wieder tun, mit Gott, dem Ganzen, der Wahrheit verbunden fühlt, dann erwächst einem daraus Kraft, ganz erstaunliche Kraft zum Brückenbauen. Eine Kraft, die übrigens auch in vielen gar nicht bewusst christlich motivierten Friedens- und Ökologie-Gruppen sichtbar wird. Eine Kraft, die aus dem Ganzen kommt, das man keineswegs „Gott“ nennen muss – aber „Gott“ nennen darf.

Diese Kraft wünsche ich Ihnen und mir immer neu. Amen.

Herzliche Einladung zum digitalen Weihnachtsgottesdienst am 26.12.21

Kran, Klimakiller, Weihnachtsllichter

Mit diesem Bild vom frühen Samstagmorgen, dem 18. Dezember 2021 in der Stuttgarter Königstraße, grüßen wir Sie zu Weihnachten:
Klimaaktivist*innen der Gruppe Extinction Rebellion (XR) hatten ein Banner auf dem Züblin-Kran angebracht: „S21 = KLIMAKILLER“

Am zweiten Weihnachtsfeiertag feiern wir wieder um 11 Uhr einen Gottesdienst. Allerdings sind wir schweren Herzens zur Überzeugung gekommen, dass wir keine analoge Ansammlung von Menschen im Schlossgarten verantworten können und wollen. Deshalb findet der Gottesdienst hier auf unserer Homepage statt.

Am Sonntag, 26. Dezember finden Sie ab 11 Uhr hier auf der Seite die Texte und Lieder zum Gottesdienst, sodass Sie von sich zuhause und von überall aus zusammen mit der Bewegung gegen Stuttgart 21 einen weihnachtlichen Gottesdienst feiern können.

Das Vorbereitungs-Team – Jutta Radicke, Ulrich Ebert und Martin Poguntke – freut sich, am 2. Weihnachtstag auf diese Weise mit Ihnen verbunden zu sein.

Parkgebet am 15.7.2021 von Pfr.i.R Martin Poguntke zu „Geh aus mein Herz und suche Freud“

Ansprache zum Parkgebet am 15. Juli 2021 über Aussagen des Liedes „Geh aus mein Herz“

(hier als pdf-Datei)

Lied: Geh aus mein Herz (Evangelisches Gesangbuch Nr. 503), Strophen 1 bis 3

Liebe Parkgebetsgemeinde!

Wie schön, sich mal wieder von Angesicht zu Angesicht zu sehen! Das ist doch etwas ganz Anderes. Hoffen wir, dass die Corona-Situation sich nicht so schnell wieder verschlechtert.

Schön aber auch, sich hier draußen, in der freien Natur zu treffen, „in dieser lieben Sommerzeit“ und sich an „unsres Gottes Gaben“ zu erfreuen. Auch wenn hier im Schlossgarten diese Gaben Gottes durch die Riesenbaustelle arg zugrunde gerichtet worden sind – Einiges ist doch noch sehr schön zu genießen hier.

Das Lied, von dem wir eben drei Strophen gesungen haben, ist ja regelrecht ansteckend. Wie es unsere staunende Aufmerksamkeit auf immer neue Details in der Natur um uns her richtet. Z.B. die Lerche, von der wir eben gesungen haben: Sie „schwingt“ sich ja nicht einfach nur in die Luft – wie es im Lied heißt –, sondern sie schraubt sich unablässig trillernd und flatternd höher und immer höher in den Himmel, wo sie noch lange zu hören – oft gar nicht mehr zu sehen – ist, um dann urplötzlich zu verstummen und wie ein Stein sich zur Erde fallen zu lassen, zur Erde, auf der sie aber sanft ankommt, weil sie kurz vorher ihre Flügel aufspannt, um sich mit ihnen abzufangen und ganz dicht über dem Boden weiterzugleiten bis zum Nest mit ihren Jungen. – Sie lässt sich ja nicht direkt über ihrem Nest fallen, sondern ein Stück davon entfernt, um es nicht zu verraten und so ihren Nachwuchs zu gefährden.

Das führt uns, liebe Umwelt-Freundinnen und -Freunde, mitten in unserer fast überschwänglichen Bewunderung an einen Punkt, der die Idylle ein wenig stört. Wir hätten in unserem Staunen fast vergessen, dass die scheinbar so ausgelassenen Tiere ja ständig auf der Hut sein müssen, nicht von größeren gefressen zu werden. Was uns als Außenstehende so verspielt und harmlos erscheinen mag, ist in jedem Detail Ausdruck des Überlebenskampfes aller Arten.

Jedes Tier muss mit allerlei Tricks versuchen, sich der stärkeren zu erwehren, und zugleich, sich schwächere zu schnappen. Wir kommen nicht umhin: Bei näherem Hinsehen und Überlegen erkennen wir in der ganzen Natur nichts als ein riesiges Feld von Bedrohung, Kampf und Konkurrenz.

Ist es dann also ein großer Irrtum, dass wir staunen über die Natur und sie bewundern? Sind wir bloß hereingefallen auf den schönen Schein?

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Ansprache beim Parkgebet am 1.7.2021 zu Mt 28,18-20 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Und Jesus trat hinzu, redete mit ihnen und sprach: Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet alle Völker zu Jüngern und taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes, und lehret sie alles halten, was ich euch befohlen habe! Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.

Wenige Tage nach der schmählichen Kreuzigung erscheint Jesus den Jüngern und erklärt, dass er alle Gewalt im Himmel und auf Erden innehat. Wie kann das sein nach dieser grauenhaften Ohnmachtserfahrung und Demütigung durch die römische Staatsmacht? Die Antwort gibt mir der Blick in den griechischen Urtext. Der Begriff, der traditionell mit Gewalt übersetzt wird, meint zunächst die Freiheit, selbstbestimmt handeln zu können, in diesem Sinne dann auch Vollmacht und Autorität. Diese muss nicht gewalttätig ausgelebt werden wie im römischen Reich. Der Kaiser beansprucht Göttlichkeit und leitet daraus das Recht ab, seine Macht willkürlich zu gebrauchen, indem ausbeutet und alle kreuzigt, die ihn in Frage stellen. Insofern leistet die traditionelle Übersetzung, Jesus habe alle Gewalt im Himmel und auf Erden, einem schweren Missverständnis Vorschub. Jesus will das genaue Gegenteil der kaiserlichen Gewalt verwirklichen, er will ein Diener aller sein. Seine Autorität und Vollmacht gewinnt er gewaltfrei in den Herzen derer, die umkehren und ihm nachfolgen wollen.

Es gehört zur Tragik der Kirchengeschichte, dass schon sehr früh diese Unterscheidung in Vergessenheit geriet. Paulus ersetzt die Botschaft Jesu vom Reich seines barmherzigen Vaters mit ihren gesellschaftlichen Konsequenzen durch die individualisierende Rechtfertigungslehre: Wer nur das richtige glaubt, muss nicht mehr von der Unbarmherzigkeit zur Barmherzigkeit umkehren. Paulus will dem Sklavenhalter Philemon den Schaden ersetzen, den dieser durch das Entlaufen des Sklaven Onesimus erlitten hat, statt diesen frei zu kaufen (Philemon 18). Er bemerkt nicht, was er damit einem der „geringsten Geschwister“ Jesu verweigert (Mt 25,45). So passt er als privilegierter römischer Bürger (Apg 25, 11-12) die Kirche an den sklavenhalterischen römischen Machtmissbrauch an, den Jesus noch deutlich brandmarkt (Mk 10, 42-44). Obwohl der Gott Israels ein Sklavenbefreier ist, macht der Jude Paulus aus der Armenkirche Jesu eine Sklavenhalterkirche.

Im Gefolge dieser fatalen Wende konnten sich die spanischen Eroberer genau auf die missdeutete weltumspannende Macht Jesu berufen: Der Papst als Statthalter des Weltherrschers Jesus erlaube ihnen, die Länder der Völker Lateinamerikas in Besitz zu nehmen sowie die Bevölkerung zu unterwerfen und auszubeuten. Diese jesuswidrige Ideologie hat auch die Gräuel in den kirchlichen Kinderheimen Kanadas ermöglicht, an deren Massengräbern wir dieser Tage erschrecken, Zeichen kolonialen kirchlichen Machtmissbrauchs.

Leider hat auch Luther sich nicht an Jesus, sondern an Paulus orientiert und wie dieser die versklavten Bauern im Stich gelassen, als er seine Kirche an den Feudalismus anpasste und sich auf die Seite der gewalttätigen Herren schlug. Die Vergottung auch brutaler Herrschaft als von Gott eingesetzt in Römer 13 wurde zum heimlichen Artikel 1 lutherischer Kirchenverfassung. Sie hat Jahrhunderte später dazu geführt, dass auch die bekennende Kirche in der NS-Zeit begeistert in der mörderischen Krieg des angeblich von Gott gesandten Führers zog. Das Stuttgarter Schuldbekenntnis vom Oktober 1945 hat diesen Krieg nur als Schuld des Volkes, nicht als Schuld der Kirche und der Theologie bekannt. So konnte der württembergische Bischof von Keler noch 1983 vor der Landessynode den Atomkrieg rechtfertigen, ohne einen Sturm der Entrüstung zu entfachen. Die Blindheit gegenüber dem Machtmissbrauch der Herrschenden hat schließlich auch dazu geführt, dass zu lange verdrängt wurde, wie kirchliche Missbraucher Kinder versklavten, nicht nur in der katholischen Kirche. Ein Patensohn meiner Eltern wurde in „heilig Korntal“ zum Opfer.

Der kirchliche Publizist Andreas Koch, uns Kritikern von Stuttgart 21 noch erinnerlich als profilierter kirchlicher Verteidiger des Projekts, schreibt in der letzten Ausgabe des Evangelischen Gemeindeblatts für Württemberg (S. 10), um nicht zu sterben müsse unsere Kirche sich „der Zeit und den Gegebenheiten anpassen“. Es ist keinerlei Bewusstsein erkennbar, dass dies schon seit knapp zwei Jahrtausenden in verhängnisvoller Weise geschieht und nur eine Umkehr retten kann.

Auch bei Stuttgart 21 hat sich unsere Kirche den gegebenen Machtverhältnissen perfekt angepasst. Ich erinnere mich nicht, dass unsere Kirchenleitung sich mit auffälliger Kritik am Polizeieinsatz am „Schwarzen Donnerstag“ profiliert hätte. Das wird verständlich auf dem Hintergrund der Ideologie von Römer 13: Die Staatsmacht hat von Gott das Schwert, die Bösen zu strafen, die sich der Anordnung der Obrigkeit durch die Polizei widersetzen, die Demonstration gefälligst zu verlassen. Wie schon beim Turmbau zu Babel muss der gute Potentat das böse Volk auseinander treiben. Undenkbar erscheint, dass das gute Volk böse Machtmissbraucher in Schach halten muss. Logisch ist dann auch, dass wir beim Parkgebet vom Verfassungsschutz beobachtet werden müssen, weil wir uns unserer gütigen Obrigkeit widersetzen und dieses großartige Geschenk einer total überteuerten, unnützen und gefährlichen Untergrundhaltestelle nicht annehmen wollen. Natürlich wird dabei nicht unsere tatsächliche Verfassung geschützt, sondern die religiös verbrämte Untertanenideologie von Römer 13, auf die ein christlicher Politiker wie Mappus sich offenbar verlassen wollte. Es gereicht unserer Kirchenleitung nicht zum Ruhm, dass sie es der weltlichen Gerichtsbarkeit überlassen hat festzustellen, dass der Polizeieinsatz widerrechtlich war.

Wir kommen zum Parkgebet zusammen, weil wir uns mit unserer Macht angepassten Kirche nicht einfach abfinden. Wir halten fest, dass diese Anpassung eine Fehlentwicklung ist, die nur geheilt werden kann, wenn wir uns auf die Kritik Jesu am Machtmissbrauch zurück besinnen. Er schenke uns die Ausdauer und den Mut, darin laut zu bleiben. Wo zwei oder drei sich versammeln in seinem Namen, ist er bei uns alle Tage bis an das Ende der Welt. Amen.

Digitales Parkgebet am 22.4.2021 von Pf.i.R. Friedrich Gehring

(hier als pdf-Datei)
(und hier alle Lieder und Texte zum Lesen und Hören)

In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden. (Joh 16,33 )

Die Botschaft von Ostern ist, dass die römischen Machthaber Jesus zwar töten konnten, nicht aber seine Botschaft. Das Blut Jesu wurde zum Samen der Kirche. Der Foltermord an Jesus hat nicht Angst und das Verstummen erzeugt wie vom Kaiser erwartet. Der Mut Jesu sprang auf die Jünger über. Jesus hatte mutig provoziert und kein Blatt vor den Mund genommen. Zuerst reitet er auf einem Esel in Jerusalem ein (Mk 11,1-7) und brüskiert alle, die von ihm erwarten, er werde zum Führer einer gewaltsamen Erhebung gegen das römische Joch. Ein solcher müsste auf einem Pferd reiten. Aus Enttäuschung wird bald Wut, aus dem Hosianna der Schrei „Kreuzige ihn!“ Dann geht Jesus in den Tempel und stört die Fleischgeschäfte der Priester. Er wirft ihnen vor, den Tempel, ein Bethaus, in eine Räuberhöhle zu verwandeln. Die Geschäftemacher wollen ihn „ins Verderben bringen“ (Mk 11, 15-18). Dann legt er sich mit einer weiteren mächtigen Gruppe an, den Pharisäern. Er wirft ihnen Wichtigtuerei, Scheinheiligkeit und fromme Drückebergerei vor (Mt 23,1-36). Als sie ihn mit der Frage des Steuerzahlens an den Kaiser aufs Glatteis führen wollen, macht er ihnen klar, dass sie Götzendienst betreiben, wenn sie mit Kaisergeld umgehen, und dass sie deshalb auf den Luxus verzichten müssen, den sie mit dieser harten Währung einkaufen (Mk 12,13-17).

Jesus stellt sich damit in die Tradition der alttestamentlichen Propheten, die im Namen des Gottes Israels gesellschaftliche Missstände angeprangert haben. Es muss ihm dabei bewusst gewesen sein, welchen Gefahren er sich damit aussetzte. Jeremia  etwa wurde wegen seiner mutigen Warnungen vor militärischen Abenteuern tödlich bedroht, er entkam knapp dem Ertrinken in einer Zisterne   (Jer 38,6). Aber Jesus lässt sich davon nicht abschrecken, die Missstände beim Namen zu nennen. Auch den Kaiser und seine Statthalter bezichtigt er des Machtmissbrauchs (Mk 10,42-44). Nur wenige Menschen tun sich das an, sehr viele vermeiden die offene Kritik an den Mächtigen und Einflussreichen, weil sie deren Zorn und Rache fürchten. Jesus fasst dies zusammen in dem Satz: In dieser Welt der Machtmissbraucher habt ihr Angst. Aber er tröstet zugleich und macht Mut mit dem Nachsatz: Ich habe diese Welt überwunden, das bedeutet: Er hat die Angst vor den mächtigen Priestern, den Pharisäern, den Schriftgelehrten, den Sadduzäern, ja selbst die Angst vor dem Kaiser und seinen Statthaltern überwunden. Er ist bereit, die Leiden auf sich zu nehmen, die sie ihm zufügen können.

 

Dies ist in der Christenheit bald zugeschüttet worden dadurch, dass die priesterliche Opfertheologie den Tod Jesu aus politischen Zusammenhang gerissen und als Opfer für die Sünden der Welt gedeutet hat (Joh 1,29). Ausgerechnet Jesus, der die priesterlichen Opfer so heftig angegriffen hatte, wurde als Opferlamm hingestellt. Tragischerweise ist diese Vorstellung in der Geschichte der Kirche dominant geworden. Es war dem Nichtchristen Gandhi vorbehalten, den politischen Zusammenhang zwischen Leidensbereitschaft und politischem gewaltfreiem Widerstand erneut ins Bewusstsein zu heben. Er bestand darauf, dass Salz aus indischem Meerwasser den Indern und nicht den britischen Kolonialherren gehörte. Er ließ unbewaffnete indische Männer provokativ auf das Salzwerk zu marschieren. Sie wurden brutal niedergeknüppelt. Aber ein US-Fotoreporter machte die Brutalität weltweit bekannt. Die britische Kolonialmacht war schwer blamiert. Dies war ein enorm wichtiger Schritt auf dem Weg zur Befreiung Indiens, auch wenn bis dahin noch viele Jahre vergingen.

Martin Luther King hat dann als Christ den Zusammenhang wischen der gewaltfreien Leidensfähigkeit und der der politischen Befreiung von rassistischer Benachteiligung aufgegriffen und zum Programm erhoben. Ganz entscheidend ist dabei, dass das Leiden öffentlich gemacht wird und die Verursacher angeprangert werden. So hat 2015 das Bild eines toten Kleinkinds an einem Mittelmeerstrand eine Wende im Bewusstsein der Europäer erwirkt, die mindestens eine Zeit lang in der Flüchtlingspolitik wirksam wurde. Und ein ganz bestimmtes Bild vom „Schwarzen Donnerstag“ hat schlagartig ein breites Bewusstsein von der Skrupellosigkeit geschaffen, mit der das Projekt S 21 von der Regierung Mappus durchgedrückt werden sollte. Mappus bezahlte dafür.

So wurde die Leidensfähigkeit derer, die sich gewaltfrei den Wasserwerfern entgegen stellten, zur politischen Kraft der Veränderung. Weil die Angst vor der Welt eines Ministerpräsidenten Mappus überwunden war und das von ihr verursachte Leiden öffentlich wurde, kam es zum Machtwechsel.

 

Wir erkennen im Rückblick, dass der Machtwechsel zu einer Enttäuschung wurde, weil die Welt Kretschmanns der von Mappus zu ähnlich war. Ein Leiden wie am „Schwarzen Donnertsag“ hat sich zwar nicht wiederholen können, aber wir leiden weiter an dieser unsinnigen und gefährlichen Untergrundhaltestelle. Wir werden als Steuerzahler oder Bahnkunden alle dafür bezahlen, manche vielleicht mit dem Leben. Unser Leiden an diesem Unsinn ist oft ein heimliches und deshalb wenig wirksam. Aber gerade deshalb stehen wir hier öffentlich zusammen, um immer wieder den Finger in die Wunde zu legen und die Gefahren öffentlich zu machen. Am 30.3.21 wurde gemeldet: Die Bahn hat ein Entfluchtungsszenario ohne Feuer als Katastrophenschutznachweis ausgegeben. Der Tag wird kommen, an dem wie beim BER mit Komparsen real kontrolliert wird, ob Fluchtwege funktionieren. Ich habe deshalb eine erneute Fachaufsichtbeschwerde gegen das Eisenbahnbundesamt bei Minister Scheuer eingereicht wegen der Baugenehmigung für S 21 trotz fehlendem Rettungskonzept. Dieses geht auch an Ministerpräsident Kretschmann mit dem Hinweis, dass der Käs noch nicht gegessen ist und eine angebliche Mehrheit nicht über die Wahrheit des fehlenden Rettungskonzepts bestimmen kann. Auch Dr. Nopper warne ich vor, dass er noch als OB erleben wird, wie S 21 am Rettungskonzept scheitert. Auch hoffe ich, dass Report Mainz das Thema weiter aufgreift.

Mut macht mir, dass nach dem Scheitern des Widerstandes gegen die atomare Natonachrüstung in der Leipziger Nikolaikirche ein paar Friedenstiftende weiter gebetet haben. Sie wurden zum Kristallisationspunkt des Widerstandes, der das DDR-Regime beendete. Auch das Projekt S 21 wird seine Unsinnigkeit und Gefährlichkeit von Jahr zu Jahr weniger vertuschen können. Wir werden unseren Teil dazu beitragen, dass die Öffentlichkeit und die Politik immer weniger wegsehen können, indem wir unser Leiden an diesem neoliberalen Irrsinn immer wieder laut werden lassen. Wir geben nicht auf. Amen.

Ansprache für das online-Parkgebet am 11.3.2021 zu Jes 28, 14-15 von Pfr. i.R. Friedrich Gehring

So höret nun des Herrn Wort, ihr Spötter, die ihr herrschet über das Volk… . Ihr sprecht: Wir haben Lüge zu unserer Zuflucht und Trug zu unserem Schutz gemacht.

Dieses Prophetenwort habe ich für das heutige Parkgebet ausgewählt, weil am kommenden Sonntag Winfried Kretschmann erneut zum Landesvater gewählt werden will, nachdem er 2014 uns Kritikern des Projekts Stuttgart 21 im Blick auf die Volksabstimmung vom 27.11.2012 gesagt hat, „in einer Demokratie entscheidet die Mehrheit und nicht die ‚Wahrheit’“. Ich warf ihm daraufhin vor, er mache die Lüge in unserem demokratischen Gemeinwesen hoffähig. Er ließ dies vehement zurückweisen. Als er 2018 behauptete, das Land sei an die Volksabstimmung laut Verfassung gebunden, wies ich in einem offenen Brief darauf hin, dass laut Landeswahlleiterin die Abstimmung keinerlei verfassungsrechtliche Bindungswirkung habe, weil das Quorum nicht erreicht wurde. Er ließ mir dann mitteilen, auf offene Briefe werde nicht geantwortet. So deckt er mit der Lüge über die Volksabstimmung die Lügen zu Kosten und Leistung bei S 21. Im Jahr 2018 hätte er schon daran erschrecken müssen, wie sein Motto des Vorrangs der Mehrheit vor der Wahrheit von Donald Trump perfekt umgesetzt wurde. Dieser gewann mit Hilfe eines Journalismus vom Schlage der Fox-News durch Sprachregelungen wie „alternative Fakten“ die Mehrheit der Republikaner und beinahe die der gesamten USA. Kretschmann vergisst auch, dass Nazipropaganda die Mehrheit glauben machte, die Juden seien an allem schuld und Deutschland brauche einen 2. Weltkrieg.

Verlogene Sprachregelungen finden sich auch bei S 21: Die Untergrundhaltestelle wird als Bahnhof oder gar moderne Bahninfrastruktur verkauft. Der Bergriff Bahnprojekt soll verschleiern, dass es sich in Wahrheit um ein Immobilienprojekt handelt, ersonnen von einigen Verschwörern in einem Hubschrauber und einem Weinberghäuschen. Wenn es vor 10 Jahren schon das Totschlagargument der Verschwörungstheorie gegeben hätte, wäre es uns Kritikern damals sicher um die Ohren gehauen worden, um sich der Sachdebatte zu entziehen.

Jesus sagt zu seinen jüdischen Zuhörern: „Wenn ihr in meinem Worte bleibt, seid ihr in Wahrheit meine Jünger, und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh 8,31f). Im Blick auf Jesajas prophetische Anklage erscheint das Wort Jesu über die Machthaber von Bedeutung: „Die als Fürsten der Völker gelten, knechten sie, und die Großen missbrauchen ihre Macht“ (Mk 10, 42). Wir haben das ja besonders schmerzlich erfahren am „Schwarzen Donnerstag“, aber auch in all den Situationen, in denen wir gewarnt haben vor den Gefahren des Projekts und dann das arrogante Wegsehen der Verantwortlichen ertragen mussten. Wenn wir Jesus folgen in seiner politischen Analyse der Macht, dann können wir erkennen, dass Kretschmanns Vorrang der Mehrheit vor der Wahrheit nur verschleiern soll, dass er die Wahrheit über S 21, die er vor Wahl 2011 sehr wohl kannte, geopfert hat auf dem Altar der Koalition mit einer neoliberalisierten SPD, um Regierungschef zu werden. Dieses Amt entschied über die Wahrheit. Aber selbst in diesem Amt hätte er der Wahrheit die Ehre geben und nach dem Erweis der Unrentabilität des Projekts aus dem Vertrag aussteigen können. Dass er diesen Weg nicht ging, kann ich mir nur erklären aus seiner falschen Sorge um den Verlust der Macht.

Nicht nur bei S 21, auch in anderen Bereichen sehe ich Jesu Warnung vor den Mächtigen berechtigt. Wolfgang Schäuble, der Bundestagspräsident, sprach Mitte Juli 2020 Jens Spahn die Fähigkeit zur Führung der CDU und der Bundesregierung zu, weil er „den Willen zur Macht“ besitze. Wenn sich Schäuble an Jesus orientieren würde, müsste er Politiker suchen, die der Wille zum Dienen auszeichnet, denn Jesus fordert von seinen Jüngern: „Wer unter euch groß sein will, sei der Knecht aller“ (Mk 10,44). Spahn nutzt seit Jahren seine Macht als Gesundheitsminister entgegen höchstrichterlicher Urteile, um schwerst Leidenden ein selbstbestimmtes Sterben zu verweigern. Er profiliert sich damit nicht als Diener, sondern als Herr über Leben und Tod. Hier erkenne ich als Nachfolger Jesu den Willen zum Machtmissbrauch des Ministers, der auch noch durch das Infektionsschutzgesetz mit der Vollmacht ausgestattet wird, Grundrechte einzuschränken.

Deshalb sehe ich mich als Jünger Jesu gezwungen, hier besonders genau hinzuschauen. Eine Juristengruppe erstritt gerichtlich die Einsicht in einen Mailwechsel von Bundesinnenministerium und RKI. Daraus geht hervor, dass das Ministerium um drastische Pandemieprognosen bat, um drastische Maßnahmen plausibel zu machen. Das RKI lieferte daraufhin scheinbar unabhängig die Prognose von 1 Million Toten ohne Lockdown (https://www.youtube.com/watch?v=ZfTy1VlPd3Y). Dies wäre wissenschaftlich nur durch einen Versuch mit Kontrollgruppe ohne Lockdown nach zu weisen. Laut RKI Stand Februar 2021 hat die lockdownfreie Kontrollgruppe Schweden (klimatisch für das Virus günstiger) 116 Coronatote auf 100000 Bewohner zu beklagen, Italien, Spanien, Frankreich und Deutschland zusammen genommen 114 (FR 9.3.21, S. 26). Es werden irreführende Sprachregelungen eingesetzt: Mit dem Drostentest positiv Getestete werden als „Erkrankte“ bezeichnet, obwohl der Test auch bei toten Virenpartikeln positiv reagiert, die nicht krank machen können. Hinzu kommt die Sprachregelung der „asymptomatisch Erkrankten“. Bisher galt wissenschaftlich, dass, wer keine Grippesymptome zeigt, auch nicht an Grippe erkrankt ist. Die Verzerrung der Wahrheit wird zusammengefasst in der Sprachregelung „Inzidenz“, bei der nicht berücksichtigt wird, dass mehr Tests eine höhere „Fallzahl“ ergeben, ohne dass die Erkrankungsrate prozentual und damit die Gefährdung steigt. Das Pandemiegeschehen wird durch diese Sprachregelungen aufgebläht und die irreführenden Inzidenzzahlen sowie die Todesrate, bei der auch mit gezählt wird, wer nicht an, sondern nur mit dem Virus stirbt, machen übertriebene Angst. Diese beschert Politikern mit dem Willen zur Macht hohe Umfragewerte. Nach der politischen Analyse Jesu ist hier Machtmissbrauch erkennbar durch Vernebeln der Wahrheit.

Jens Spahn als gelernter Kaufmann hätte dienen können bei der rechtzeitigen Beschaffung von wirksamen FFP2-Masken. Seine späte übereilte Ausschreibung machte die Beschaffung zum Desaster (https://www.daserste.de/information/wirtschaft-boerse/plusminus/sendung/swr/masken-debakel-100.html), bei dem noch viel mehr Geld verschleudert wurde als durch Scheuer bei der PKW-Maut. Die jetzt bekannt gewordenen Maskengeschäfte von Unionsabgeordneten sind nur die Spitze des Eisbergs. Die Kanzlerin hätte dienen können, indem sie Sorge für den Schutz der Vulnerablen getragen hätte wie in Tübingen. Aber die Umfrageergebnisse für Regierende wie Söder machten die Einschränkungen der Grundrechte für den Machtzuwachs der Union interessanter, ebenso die dazu gehörige übertriebene Panikmache.

Jesus verheißt seinen Nachfolgern: Die Wahrheit wird euch frei machen. Sie wird uns nicht von allen Ängsten befreien, aber sie kann uns helfen, realistische von unnötigen Ängsten zu unterscheiden und zu erkennen, was wirklich hilft. Amen.

Anmerkung zur Auseinandersetzung um das selbstbestimmte Sterben: Das Evangelische Gemeindeblatt für Württemberg hat in Ausgabe 8/2021, S. 13, meinen folgenden Leserbrief abgedruckt (Kürzung in Klammer)

Theologische Argumentation

In der kirchlichen Debatte um selbstbestimmtes Sterben vermisse ich theologische Gründe. Das traditionelle Argument „Gott allein ist Herr über Leben und Tod“ ließ im Spätmittelalter viele glauben, ärztliche Lebensverlängerung sei Blasphemie. Heute müssen wir uns mit Patientenverfügungen gegen die Medizin als Herrin über Leben und Tod wehren. Mein Gottesverhältnis ist geprägt durch Lk 15, 11 ff. Als der Sohn sich (aus unerträglichem Leben) zur Heimkehr entschließt, wird er mit offenen Armen liebend empfangen und nicht mit dem erhobenen Zeigefinger des Vaters: „Ich bestimme, wann du heimkehren darfst.“

Ich bin gerne bereit zu diskutieren, von welcher theologischen Position, das heißt, von welcher Gottesvorstellung aus der Münsteraner Katholik Jens Spahn und evangelische Christen das vom Bundesverfassungsgericht zum Grundrecht erklärte Recht auf selbstbestimmtes Sterben den schwerst Leidenden verweigern wollen.

Die Liturgie des Online-Parkgebets vom 25.2.2021 ist zu finden unter folgendem Link:

https://c.web.de/@823176437937739474/n35baRuCRkuBOYY5UoEXtg

Ansprache zum online-Parkgebet am 25.2.2021 zu Lk 9,62 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht tauglich für das Reich Gottes.

Es ist Wahljahr. Es geht aber jetzt nicht nur um Regierungsbildungen in Baden-Württemberg oder im Herbst in der gesamten Republik. Es geht um Zukunftsgestaltung weit darüber hinaus. Immer mehr junge Menschen wollen eine Politik, die ihnen eine Existenz bis in ihr Alter sichert. Da geht es um den Klimawandel, aber auch um Jobs und eine Absicherung im Alter. Der politische Mainstream wirbt um Stimmen bei der Wählerschaft, indem eine Versöhnung von Ökologie und Ökonomie versprochen wird. Bei der schwachen Lobby für die Ökologie und der starken für die Ökonomie kommen oft Kompromisse heraus wie der durch die Intervention der Kanzlerin in Brüssel erreichte, dass schwere SUVs als klimafreundlich eingestuft werden, weil sie bezogen auf ihr Gewicht überraschend wenig Sprit fressen. Dazu fiel mir die Warnung Jesu ein mit dem Bild vom rückwärts gewandten Pflügenden. Wenn wir die Warnung Jesu ernst nehmen, müssen wir fragen: Wo wird bei uns heute rückwärts gewandt mit den Problemlösungen von gestern die Zukunft gestaltet?

Als erstes fällt mir da der Schrei in der angeblich christlichen Union nach Atomkampfbombern und Kampfdrohnen für die Bundeswehr ein. Schon die Lagerung von Atombomben ist seit 22. Januar völkerrechtlich ein Verbrechen. Wer auf den Schutz durch Atombomben vertraut, riskiert das Auslöschen unserer Lebensgrundlagen, als ob diese durch die Klimakrise nicht schon genug bedroht wären. Unsere Verteidigungsministerin, Vorsitzende einer angeblich christlichen Partei, propagierte im vergangenen Oktober Kampfdrohnen zum Schutz unserer Soldaten ausgerechnet im afghanischen Kundus. Dort tötete 2009 der deutsche Oberst Klein in der Absicht, Taliban zu töten, durch seinen Bombardierungsbefehl über 100 Zivilisten, auch Kinder. Kampfdrohnen töten regelmäßig auch Zivilisten, was dann klein geredet wird als so genannte Kollateralschäden. Die Tötung von Feinden fördert deren Rache. Vergessen wird die Warnung Jesu: Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen (Mt 26,52). Kampfdrohnen gefährden unsere Soldaten. Wahrer Friede kommt nicht durch Waffen. Die Bundeswehr ist zur Hilfsorganisation umzubauen. Den Anfang erleben wir jetzt in der Pandemie: Soldaten werden zu Gesundheitshelfern wie „Schwerter zu Pflugscharen“ (Jes 2,4). Die badische Landeskirche fordert seit Jahren diesen Umbau mit ihrem Konzept „Sicherheit neu denken“ (Snd). Dies ist ein Beispiel, die Hand an den Pflug zu legen und im Sinne Jesu nach vorne zu schauen. Die Aufrüstung mit Atombombern und Kampfdrohnen blickt zurück auf das Sicherheitskonzept, das im 20. Jahrhundert zwei Weltkriege hervorbrachte.

Als zweites fällt mir die neoliberale Wirtschaftsdoktrin ein, die sich brüstet, wenn wir die fettesten Pferde gut füttern, dann würden für den Rest der Welt ordentlich Rossäpfel abfallen. Papst Franziskus spricht etwas weniger sarkastisch von der „Trickle-down-Theorie“, nach der vom Reichtum der Megareichen immer auch etwas für die Armen herabtropft. Solche Sprachregelungen verschleiern, dass im neoliberalen Wirtschaftssystem die Reichen immer reicher werden, nicht zum Wohl der Armen, sondern auf deren Kosten und zu deren Schaden. In der gegenwärtigen Pandemie wird diese Umverteilung nach oben noch verschärft. Einer der größten Skandale wird derzeit vorbereitet beim Durchdrücken des Wirtschaftsabkommens CETA. Dieses gibt großen Firmen in Europa und Kanada, aber auch US-Konzernen mit Niederlassungen in Kanada, freie Hand, die Daseinsvorsorge durch Kliniken, Pflegeheime, Wasser- und Elektrizitätswerke und natürlich auch Verkehrsbetriebe und Straßen zu privatisieren, um damit sichere Profite zu machen. Was einmal privatisiert sein wird, kann danach kaum mehr in öffentliche Hände zurück übereignet werden. Wenn etwa Klimaschutz die Gewinne der Investoren schmälert, steht diesen Schadensersatz durch uns Steuerzahler zu. Schon jetzt fordern Energieriesen Milliarden an Schadensersatz für den Atomausstieg aufgrund des Energiechartavertrags (ECT), der so schlimm ist wie CETA. Um solche Zahlungen zu vermeiden, müssen künftig Regierungen bei der Gesetzgebung darauf achten, dass der Profit der Investoren nicht leidet. So werden diese zu den neuen Feudalherren und die Parlamente entmachtet. Die politischen Verantwortlichen, die solche Handelsabkommen abnicken, weil sie sich davon wirtschaftliches Wachstum versprechen, sind Pflügenden gleich, die dabei tief ins Mittelalter zurück schauen.

Eine Versöhnung von Ökologie und Ökonomie, die nach vorne schaut, muss sich verabschieden von einer Klima schädigenden Wachstumsideologie und Verschwendungswirtschaft. Sie muss neue Produktionen finden, die unsere Welt wirklich braucht, etwa Bewässerungsmöglichkeiten für Dürregebiete, effiziente Solarenergie für die Sahara und andere Wüsten, effektives Recycling statt unersättlichem Ressourcenverbrauch. Die so entstehenden neuen Arbeitsplätze können die aus der alten Verschwendungswirtschaft ersetzen. In diesem Transformationsprozess ist Arbeitslosigkeit zu verhindern durch die Teilung von Arbeit und Lohn. Die Kosten des Wandels sind auf die Schultern der wirtschaftlich Stärksten zu legen.

Für uns Kritiker:innen des Projekts S 21 gehört dazu die Abkehr vom verschwenderischen und zerstörerischen Individualverkehr, der zunehmend auf die Schiene zu verlagern ist. Nicht, wie die Kanzlerin im September 2010 meinte, in der Fertigstellung von S 21, liegt die Zukunft Deutschlands, sondern in dessen Aufgabe. Wer verkehrspolitisch seine Hand an den Pflug legt und nach vorne schaut, wird den Umstieg 21 wagen.

Jesus warnt mit dem Bild des rückwärts gewandten Pflügenden ursprünglich Menschen, die dem Ruf in die Nachfolge ausweichen, weil sie noch Geschäfte abzuschließen haben oder abwarten wollen, was bei der Erbschaft herauskommt – das wird im Orient verschleiert mit dem Redewendung „den Vater begraben“. Nur wenn wir die Fixierung auf den Mammon überwinden, können wir vorausschauend für das Reich des barmherzigen Vaters Jesu pflügen. Amen.

Parkgebet digital am 28. Januar 2021 von Pfr.i.R. Michael Harr über Lukas 6, 36

(hier als pdf-Datei)
(und hier alle Lieder und Texte dieses Parkgebets)

Jesus Christus spricht.
„Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“
Lukas 6, Vers 36

Ich möchte noch einen Text von Wolf Biermann anfügen, der uns wohl allen bekannt ist.

Du, lass dich nicht verhärten
In dieser harten Zeit.
Die allzu hart sind, brechen
Die allzu spitz sind, stechen
Und brechen ab sogleich
Und brechen ab sogleich

 

Die Auseinandersetzungen um Stuttgart 21 haben uns verändert. Ich will wahrlich nicht so weit gehen zu sagen, dass sie uns zu anderen Menschen gemacht haben, aber sie haben doch das Leben vieler von uns verändert. Das alles ist an unserem Seelenleben nicht spurlos vorübergegangen.

Wir haben vielleicht neu gemerkt, wie sehr wir andere Menschen brauchen – gerade auch dann, wenn wir dem Unrecht und der Korruption entgegentreten wollen. Wir haben an vielen Punkten gemerkt, dass wir gar nicht so machtlos und gegenüber den Mächtigen so hilflos sind, wie wir vielleicht immer dachten. Wir haben neue Freundschaften geschlossen und alte wiederbelebt.

Wir haben auf der anderen Seite auch Gefühle von Wut, Enttäuschung und Verbitterung in uns gespürt. Wir mussten durch dunkle Stunden wie nach der Volksabstimmung und durch Resignation hindurch.

Wir haben gemerkt und erfahren, dass es wahrlich nicht nur um einen Bahnhof geht, sondern auch um unseren Platz in der Stadt, in dieser Welt und wie wir mit den Zuständen in Politik und Gesellschaft umgehen. Und wir haben eben auch gespürt, dass das an unserem Seelenleben nicht spurlos vorübergeht.

Darum wollen wir am Beginn dieses neuen Jahres auf das Bibelwort hören, das uns als Jahreslosung für dieses Jahr gegeben ist. Es ist ein Wort, das uns in der Bergpredigt des Lukas-Evangeliums überliefert ist. Jesus sagt hier: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“

Ich sehe da erst einmal ein Problem, eine Schwierigkeit. Jesus gibt hier eine Anweisung: Seid barmherzig!, aber geht das denn? Kann man das anordnen? Man kann sagen: Tu dieses oder tu jenes! Hol den Krankenwagen! Spende Geld! Man kann anweisen, dass etwas getan wird, aber kann man auch anweisen, dass sich das Herz ändert? Kann man das so anordnen, dass wir nicht nur anders handeln, sondern auch zu anderen Menschen werden? Da bin ich sicher: „Man“ kann das nicht. Das geht nicht, aber Jesus hat etwas Neues in die Welt gebracht. Das ist sein Geist, das ist das Vorbild seiner Güte und vor allem ist das diese Botschaft, dieses Evangelium: Gott, euer Vater und eure Mutter, ist barmherzig, ist die Liebe, hat ein weites Herz.

Nicht Befehle und Anweisungen oder gar Drohungen und angsteinflößendes Reden von Gott verändern uns, sondern diese Kraft zum Neuen ist in dieser Verkündigung, die Jesus gebracht hat. Er stellt uns Gott neu vor und das kann uns verändern – uns und auch die anderen.

Man hat uns oft als „Wutbürger“ bezeichnet. Sicher nicht immer zu Unrecht! Wie oft haben wir eine Stinkwut gehabt. Als damals der schwarze Donnerstag war, war ich gerade in Berlin, bekam einen Anruf und hörte so, was in Stuttgart lief. Ich stand dann am Zaun vor dem Bundeskanzleramt und habe meine Wut hinausgeschrien. Ich hätte das vorher nicht für möglich gehalten, dass ich so meinen Zorn herauslassen könnte. Ich möchte aber betonen: Wir haben unserer Wut nicht freien Lauf gelassen, auch wenn Provokateure uns genau dazu verleiten sollten.

Wir hatten den langen Atem zum Widerstand gegen Stuttgart 21 nicht aus Wut heraus, sondern weil wir gute Gefühle, weil wir Verantwortung in unseren Herzen haben und hatten. Und das hoffe ich weiterhin, dass weder Wut noch Resignation unsere Herzen erfüllen, sondern der Geist Gottes, der barmherzige und gute Gedanken in uns lebendig werden lässt.

Jesus stellt uns das Vorbild Gottes vor Augen. Vor allem dazu hat er uns seine Gleichnisse wie das vom verlorenen Sohn und von dessen Bruder und Vater erzählt. Er stellt uns Bilder vor Augen, die unsere Herzen bewegen und ansprechen können – unsere Herzen und die Herzen auch der anderen, die Herzen auch derer, die diesen Irrsinn von Stuttgart 21 zu verantworten haben und so vieles andere, was in dieser Welt schlecht und böse läuft.

Vor einigen Tagen kam mir der Gedanke, wie es Donald Trump, dieser Zwittergestalt aus Despoten und Hofnarr, jetzt wohl gehe. Ich hoffe und will dafür beten, dass ihm Gedanken von Einsicht und Reue kommen.

Darum wollen wir bitten für uns und die anderen und auch die, die uns fremd und feindlich sind, dass wir der Kraft der Liebe Gottes vertrauen können – auch in diesem Jahr. Dann kann es für uns ein gesegnetes Jahr mit unserem Gott werden.

Weihnachtspredigt 2020 zu Lk 2, 10 von Pfr. i.R. Friedrich Gehring

Der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet Euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.

Armen kleinen Leuten wird ein Kind geboren, und das soll zum Retter der armen kleinen Leute werden. Das ist die Weihnachtsbotschaft. Wie wird dieser Knabe „alles Volk“ retten, wenn er erwachsen geworden und von Gott zum Retter gesalbt ist? Die Evangelisten berichten, dass er nach dem Einzug in Jerusalem im Tempel der Priesterkaste vorwirft, das Haus Gottes zur Räuberhöhle zu machen (Mk 11, 15-18), weil sie die Schuldgefühle der kleinen Leute schüren, um durch Tieropfer ein ausbeuterisches Geschäft zu machen. Die Priester beherrschten einerseits die damalige Fleischbranche wie heute Tönnies und Co., andererseits waren sie die Gesundheitspolizei, die echte und vermeintliche Aussätzige in Quarantäne oder Dauerisolation schickte. An die Stelle der priesterlichen ausbeuterischen Form der Schuldbewältigung setzt Jesus die Verkündigung der Vergebung durch seinen barmherzigen Vater, der keine Opfer braucht und kostenlose barmherzige Vergebung unter seinen Kindern will (Lk 15,11-32). So schützt Jesus die kleinen Leute vor ihren ausbeuterischen Landsleuten.

Aber auch vor der römischen Ausbeutung schützt Jesus das Volk. Er spricht den römischen Machtmissbrauch offen an und wirbt für eine Gegenkultur des Dienens, wodurch das Reich seines barmherzigen Vaters wächst (Mk 10, 42-44). Als gewaltfreien Widerstand empfiehlt er den Boykott römischen Geldes, weil für Juden das Kaiserbild auf den Münzen ein verbotenes Götzenbild ist (2. Mose 20,4; Mk 12,13-17). Dieser Boykott konnte die Ausbeutung zumindest erschweren. Deshalb musste Jesus, der Beschützer kleiner Leute, als römischer Staatsfeind am Kreuz sterben.

Wenn wir die Weihnachtsbotschaft so in den zeitgeschichtlichen Rahmen einordnen, wird sie heute politisch hoch aktuell. Wir stehen als Gegner des Projekts Stuttgart 21 zusammen, weil hier ein Paradebeispiel für die Ausbeutung der Mehrheit durch eine kleine Zahl von Profiteuren vorliegt. Die neueste zu erwartende Kostensteigerung von über einer Mrd. € werden wir alle durch Zuschüsse der öffentlichen Hände an die Bahn sowie durch Fahrpreiserhöhungen zahlen für den Profit von Immobilienspekulanten. Dazu hin zahlen wir noch mit einer Verschlechterung des Bahnverkehrs. Um diese Verschlechterung auszugleichen, sollen für ein zweites S 21 nochmals viele Milliarden draufgelegt werden, obwohl der Katastrophenschutz immer noch ungeklärt ist. Wer Widerstand leistet, wird zwar nicht mehr wie einst gekreuzigt, aber durch illegale Polizeieinsätze abgeschreckt oder wie das Parkgebet vom Verfassungsschutz beobachtet. Dieser schützt aber nicht die Verfassung, sondern die Profiteure und die willfährigen neoliberalen Wachstumspriester in den Parlamenten, die erlauben, dass die Deutsche Bahn im Ausland statt im Inland investiert.

Wenn wir uns von Jesus sensibilisieren lassen für Ausbeuterei, dann können wir auch bei der Gesundheitsfürsorge nicht wegschauen. Wenn Eckart von Hirschhausen feststellt: „Der Mammon hat die Medizin voll im Griff“(FR 30.10.17), dann könnte er auch vom neoliberalen Privatisierungs- und Wachstumswahn in der Medizin sprechen. Das vermeidet er. Denn wer heute Neoliberale anprangert, wird schnell der Verschwörungtheorie bezichtigt von Leugnern des Neoliberalismus, die sich rationaler Argumentation entziehen wollen. Davor schützt der biblische Begriff Mammon aus der Muttersprache Jesu, der die zerstörerische Kraft der Gier nach Geld und Kapital bezeichnet, denn Jesus kann man nicht so leicht eine Verschwörungstheorie vorwerfen. Den von Jesus Sensibilisierten fällt auf, dass Experten wie Lauterbach einerseits vor den Gefahren der Pandemie große Angst machen, andererseits nach wie vor das Schließen weiterer Kliniken befürworten, was die Arbeit nicht nur in privaten profitorientierten Kliniken enorm verdichtet. Der Profit- und Kostendruck lastet schwer auf dem Personal, sodass Pflegekräfte immer knapper werden und wir jetzt mangels Personal unbelegbare Intensivbetten haben, ein Beispiel für die zerstörerische Kraft des Mammon. Ganz besonders fällt mir auf, dass erst jetzt Mitte Dezember FFP2-Masken an die besonders Gefährdeten verteilt wurden, nachdem viele Wochen lang täglich Hunderte verstarben.

Ich wage eine Erklärung und bitte alle, die sie bezweifeln, um eine bessere. Eine frühere Verteilung hätte die Masken zu einer Impfkonkurrenz gemacht und damit das Impfgeschäft geschädigt. Wer auf das Impfen fixiert ist, braucht ein gewisses Maß an Bedrohung, um Impfbereitschaft zu erzeugen. Denn laut einer seriösen Umfrage will sich rund die Hälfte gerade des Pflegepersonals nicht impfen lassen aus Sorge wegen Langzeitfolgen (https://www.mdr.de/nachrichten/panorama/ticker-corona-virus-montag-vierter-januar-100.html) , wohl weil dort die spürbare Herrschaft des Mammon skeptisch macht. Den Pflegekräften fällt wohl auf, dass nicht sie, sondern hoch Betagte und Demente zuerst geimpft werden sollen, die einerseits lange Zeit mit Ausnahme von Tübingen zu wenig geschützt wurden und bei denen andererseits Spätfolgen kaum mehr auffallen dürften. Pflegekräfte wissen auch von der englischen Notzulassung, bei der die Haftung für Impfschäden von den Herstellern auf den Staat übergeht. Ich bin erinnert an die Klausel im S 21-Vertrag, dass die Bahn bei Schädigung der Heilquellen nicht haften muss. Ich sehe hier die alte kapitalistische Masche, Profite zu privatisieren und Verluste zu sozialisieren.

Das notwendige Maß der Bedrohung zugunsten des Impfgeschäfts erinnert mich an die neoliberale Regel, die Inflation müsse 2 Prozent betragen, damit die Leute schneller einkaufen aus Angst, bald werde alles teurer. Die Deflation, bei der mangels Nachfrage alles billiger wird, ist bei den neoliberalen Wachstumspriestern gefürchtet, weil Kaufentscheidungen aufgeschoben werden. Solche neoliberalen Maximen scheinen nun auch das Gesundheitswesen zu beherrschen. Die späte Verteilung von FFP2-Masken im Interesse einer impfgünstigen Bedrohungslage ist nun aus dem Ruder gelaufen. Es sterben gerade diejenigen, die wir durch den Lockdown schützen sollen, weil sie nicht geschützt wurden wie in Tübingen. Papst Franziskus ist bestätigt: „Diese Wirtschaft tötet“.

Ich wünsche uns deshalb an diesem Weihnachtsfest 2020 echt schützende Masken auch für alle armen kleinen Leute. Den Impfentwicklern wünsche ich Erfolg vor allem in den ärmeren Ländern, aber auch uns allen Fachleute, die das Impfen mit dem nötigen kritischen Blick begleiten. Denselben Erfolg wünsche ich den Entwicklern von Medikamenten gegen Coronaviren, die bisher kaum unterstützt werden. Und ich wünsche uns allen, dass, wenn unsere Lebensuhr abgelaufen ist und unser barmherziger Schöpfer uns heim ruft, wir frei von Todesangst zu ihm heimkehren können. Amen.

Anmerkung zur Wortwahl „Versuchskaninchen“ in der ursprünglichen Video-Predigtversion:

Frankfurter Rundschau vom 19.1.21, S. 8:

„An den weiterhin laufenden Studien sowohl für die mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna als auch für das in Großbritannien zugelassene Vektorvakzin von Astrazeneca nahmen und nehmen nur sehr wenige Menschen über 80 teil“. Es sind „nach Angaben der Nachrichtenagentur Blomberg Stand Sonntag in Norwegen 29 Menschen wenige Tage nach ihrer ersten Covid-Impfung gestorben; alle waren älter als 75, hatten schwere Grunderkrankungen und lebten in Pflegeheimen. Die norwegische Arzneibehörde … rät jetzt zur Vorsicht bei sehr alten kranken Menschen.“

Die in den Studien offenbar gemiedene Impfung Hochbetagter wird nun bei der massenhaften Impfung der über 80-Jährigen nachgeholt. Die Toten sind offensichtlich späte Versuchskaninchen gewesen.

Ansprache beim Parkgebet am 5.11.20 zu Jer 25,2-3 (Ausschnitt) von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Jeremia sprach zu dem ganzen Volk… : 23 Jahre lang habe ich euch immer wieder gepredigt, aber ihr habt nie hören wollen.

Eine niederschmetternde Zusammenfassung seines Wirkens bietet Jeremia mit diesen Worten. Er hat den Mächtigen im Land vorgehalten, dass sie das Blut der Armen und Unschuldigen an ihren Kleidern tragen (Jer 2,34) und Gewalt üben gegen Fremdlinge, Waisen und Witwen (7,6). Er zog sich die Feindschaft der Tempelpriester zu mit dem Vorwurf, sie würden den Machtmissbrauchern zu falscher Heilsgewissheit verhelfen. Durch die Prophezeiung von Unheil als Strafe für Gottlosigkeit zog er den Zorn des Königs auf sich. Seine Gegner warfen ihn schließlich in eine Zisterne, wo er nur knapp dem Tod entkam (38). Sein Misserfolg und die Bedrohung durch mächtige und skrupellose Feinde stürzte ihn zeitweise in tiefe Depressionen. Er verflucht den Tag seiner Geburt und wirft seinem Gott vor, er habe ihn beschwatzt zu Botschaften, die ihm nur Hohn uns Spott brächten. Er will nicht mehr im Namen Gottes predigen, aber dann wird die nicht verkündete Botschaft wie unerträgliches brennendes Feuer in seinem Herzen (20,7ff).

Das ist über 2600 Jahre her und doch hoch aktuell. Auch heute klebt das Blut der Armen und der unschuldigen Opfer von Kriegen um Rohstoffe und Macht an den Kleidern der Mächtigen. Reiche Länder liefern Waffen für Kriege. Wenn die Kriegsflüchtlingen als Fremdlinge zu den Waffenlieferanten kommen, werden sie zurückgestoßen in den Tod oder in unsäglichen Lagern eingesperrt. Die Witwen und Waisen von damals sind heute die Alleinerziehenden in Hartz IV und die Rentnerinnen in der Grundsicherung, die in Coronazeiten keine Tafeln und Vesperkirchen mehr finden. Den Mitfühlenden geht es wie Jeremia: „So oft ich rede, muss ich schreien: ‚Unrecht! Gewalttat!’“ (20,8) Damals wie heute entstehen dabei depressive Gefühle der Ohnmacht. Gerade auch im Widerstand gegen das gefährliche und schädliche Projekt Stuttgart 21 müssen wir immer wieder aufschreien, nicht nur im Blick auf den illegalen Polizeieinsatz am schwarzen Donnerstag, an dem das Demonstrationsrecht mit Wasserwerfern abgeschafft werden sollte. Ähnliche Grundrechtseinschränkungen ohne Parlamentsbeschlüsse erleben wir jetzt in der Pandemie. Der diktatorisch bevollmächtigte Jens Spahn verweigert seit Jahren schwerst Leidenden das Grundrecht, ihr Leiden selbstbestimmt zu beenden. Nicht uns, sondern ihn müsste der Verfassungsschutz beobachten, ebenso die Kanzlerin und den kleinen Kreis um sie, der am Parlament vorbei Panik machende Mediziner benutzt, um sich mit harten Maßnahmen hohe Umfragewerte zu sichern. Die Parlamente werden über Beschlüsse des Hofstaats im Nachhinein informiert statt die offene Parlamentsdebatte vor den Entscheidungen zu führen. Zum Glück funktionieren noch die Gerichte, die unsinnige Hofstaatsbeschlüsse wie das Beherbergungsverbot kippen. Und zum Glück gibt es noch Linke wie Ramelow, der in Thüringen wieder das Parlament diskutieren und entscheiden lässt.

Bei all solchen niederdrückenden Nachrichten machen wir immer wieder auch die Erfahrung des Jeremia: Wenn wir resignierend schweigen wollen zu Unrecht und Gewalt, dann brennt es in unseren Herzen (20,9), dass wir nicht mehr still halten können. Ich denke, das ist der Grund, warum wir auch nach 10 Jahren mit dem Parkgebet immer noch nicht aufhören und uns nicht abfinden mit der Behauptung, ein Umstieg sei nicht mehr möglich. Der Berliner Flughafen wurde mit 9 Jahren Verspätung eröffnet und es werden Stimmen laut, die sagen: Nachdem der Flugbetrieb jetzt funktioniert, wird wie beim Skandal um die Hamburger Elbphilharmonie alles Schlimme vergessen sein. So würde es auch bei S 21 kommen. Wir lassen uns von solcher Verharmlosung nicht beeindrucken. Die Leistungslügen werden unweigerlich auf den Tisch kommen. Beim BER wurden monatelang mit Tausenden Komparsen die Abläufe kritisch überprüft. Wenn in der Tiefbahnhaltestelle tatsächlich einmal real durch geprobt wird, wie Fahrgäste bei Doppelbelegung der 8 Gleise mit Doppelstockzügen in der Stoßzeit umsteigen sollen, wird sich nicht mehr leugnen lassen, dass an den Treppen so gut wie nichts mehr geht. Je näher diese Zeit rückt, werden wohl alle Heilspropheten von S 21 das sinkenden Schiff verlassen haben wie die Herren Kefer und Grube.
Und wenn gar die Katastrophenschutzmaßnahmen praktisch überprüft werden, wird man nicht mehr wie in den bisherigen Simulationen von Doppelstock-ICEs ausgehen können, die im Tunnel ohne Bestuhlung entfluchtet werden. Jeremia hat einst vor dem militärischen Abenteuer gewarnt, den Aufstand gegen die babylonische Herrschaft zu wagen. Er wurde nicht gehört. Die Unbelehrbaren zahlten mit zwei Deportationen und der Zerstörung Jerusalems sowie der Entweihung des Tempels, auf dessen Schutz die Abenteurer gesetzt hatten. An den Wassern Babels ergingen sie sich weinend in ohnmächtigen Rachegelüsten (Ps 137). Auch die unbelehrbaren abenteuerlichen Bauspekulanten, die S 21 auf dem Gewissen haben, werden von der Realität eingeholt werden, dass die Lösung der Stuttgarter Wohnungsprobleme nicht auf dem spekulativ überteuerten Grund im Talkessel liegt und dass die Stuttgarter Verkehrsprobleme nicht mit der Verkleinerung des Bahnhofs auf eine schräge Haltestelle bewältigt werden. Der hauptsächliche politische Spekulantenknecht Mappus sitzt ja schon seit 2011 weinend an den Wassern Babels. Es wird darauf ankommen, dass wir nicht nachlassen, die Finger in die Wunden des Projekts zu legen und die verheerende neoliberale Politik zu skandalisieren, die solche Großprojekte hervorbringt.
Entsprechende Aufmerksamkeit müssen wir auch dem Pandemiemanagement widmen. Eckart von Hirschhausen schrieb im Reformationsjubiläumsjahr in der Frankfurter Rundschau an Martin Luther: „Die Medizin ist fest im Griff des Mammon“. Ich war so frei, ihm als Martin Luther zu antworten: „Nicht nur die Medizin“. Jesusnachfolge bedeutet, dem Mammon zu widerstehen (Mt 6,24) und darauf zu achten, wo Impflobbyisten ihr Geschäft mit unrealistischer Panikmache suchen und Coronakönige wie Söder daraus politisches Kapital schlagen, um Politik zu betreiben wie bei der Ausländermaut oder Stuttgart 21.

Ich will nicht unterschlagen, wie es Jeremia am Ende erging. Er wurde wohl von seinen Feinden nach Ägypten entführt. Dort verliert sich seine Spur im Dunkel der Geschichte. Obwohl er mit seinen Warnungen recht behielt, wirkt das nicht wie eine Erfolgsgeschichte. Manche, vielleicht auch viele von uns werden nicht mehr erleben, wie es mit S 21 zu Ende gehen wird. Aber auch wenn unsere Gegner vorübergehend frohlocken, wir werden dennoch unser Vertrauen nicht auf den Mammon, sondern auf unseren barmherzigen Gott setzen, wie wir eingangs im Ps 25 gebetet haben.
Amen.

Parkgebet an der Lusthausriune am 5. Nov. 2020 um 18.15 Uhr

Nach einer Umfrage hat sich ergeben, dass ein großer Teil der bisherigen Interessierten das Risiko für genügend gering hält, um sich unter den bisherigen Hygienebedingungen im Park an gewohnter Stelle zu treffen. Das Parkgebet ist als Versammlung gemäß dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG von den Einschränkungen ab 2. Nov. 2020 ausgenommen. Jutta Radicke und Friedrich Gehring warten also am 5. Nov. 2020 um 18.15 wie gewohnt im Park auf Interessierte.

Ansprache beim Pargebet am 22.10.2020 zu 1. Mose 2,4a–25 von Pf.i.R. Martin Poguntke

Liebe Parkgebets-Gemeinde,

die S21-Baustelle wächst und wächst, und die Erkenntnisse werden immer klarer, wie zerstörerisch das Bauen selbst und vor allem danach die Wirkung des viel zu kleinen Kellerbahnhöfles sein wird. Da fragt man sich: Darf denn der Mensch so tief in die Schöpfung eingreifen? Müssen wir Menschen nicht demütiger sein, uns viel unmerklicher anpassen an diese Schöpfung, damit wir möglichst wenig an ihr verändern?

Ich habe kürzlich in meiner Heimatgemeinde – dem Weltdorf Zizishausen – eine Predigt gehalten (https://www.youtube.com/watch?v=ZfjAKcikdRc), von der ich dachte: Das wäre auch fürs Parkgebet interessant, denn da ist auch diese Frage drin angesprochen. Erlauben Sie mir, dass ich diese Predigt – gekürzt und natürlich schon an einigen Stellen sehr verändert und auf unsere S21-Situation bezogen – heute hier noch einmal vortrage.

Es ist eine Predigt über die sogenannte „zweite Schöpfungserzählung“. Sie steht im 1. Buch Mose, dort ab Kapitel 2, Vers 4b. Die sogenannte „erste“ Schöpfungserzählung steht im Kapitel davor, im 1. Kapitel, ganz am Anfang der Bibel.

In keiner der beiden Geschichten geht es übrigens darum, wie die Welt erschaffen wurde. Sondern in beiden wird anhand einer ausgedachten(!) Erzählung von der Erschaffung der Welt etwas über das Verhältnis zwischen Gott und Mensch gesagt, wie die Autoren es glauben.

Vordergründig erzählt der Text von einer ganz, ganz fernen Vergangenheit, „als Gott der HERR Erde und Himmel machte“. In Wahrheit aber spricht er von der Gegenwart, von unserer Gegenwart, von der Schöpfung, in der wir leben, und von „dem“ Menschen, von uns. Weiterlesen

Ansprache zum Parkgebet am 10.9.20 zu Joh 16,32-33 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir. … In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden. (Joh 16,32-33 (Ausschnitt)

Johannes überliefert uns diese Worte Jesu im Rahmen der Abschiedsrede Jesu. Das setzt voraus, dass Jesus sehr wohl ahnt, was ihm bevorsteht. Seine Predigt vom Reich Gottes steht im totalen Gegensatz zum römischen Kaiserreich. Es droht ihm das Schicksal aller Kritiker von totalitären Regimen wie jüngst im Fall Nawalny. In einer solchen Welt ist Angst angesagt. Die totalitären Herrscher tun alles dafür. Jesus lässt sich keine Angst machen vom Kaiser und seinen Statthaltern. Er lebt mit seinem barmherzigen Vater in einer anderen Welt. Wenn er sterben muss, kehrt er ganz zu seinem Vater zurück. Damit hat er die Gewaltwelt des Kaisers überwunden.

Ich habe diese Worte ausgewählt, weil ein Neffe von John F. Kennedy am 28.8. in Berlin an das Motto von Hermann Göring erinnert hat, ein Volk sei am einfachsten zu regieren, wenn man ihm genügend Angst mache, egal ob im Sozialismus oder Kapitalismus, in der Diktatur oder der Demokratie. Am selben Tag fiel mir in der Südwestpresse die Überschrift auf: „Behörde warnt vor hoher Dunkelziffer“. Die vermutete Dunkelziffer von Infizierten, aber nicht Erkrankten, ist logischerweise kein Grund für eine Warnung, sondern für eine Entwarnung. Es wurde berichtet: „nach dem vergangenen Wochenende … meldete das Gesundheitsamt Stuttgart 225 Patienten und insgesamt 67 Verstorbene“. Dies wirkte so, als seien am Wochenende 67 Coronatote gezählt worden, weil der Zusatz fehlte, dass diese 67 seit März in den Zusammenhang mit Virus gebracht werden. Es fehlte auch der Hinweis, dass von Juli bis Ende August die gesamtdeutsche Coronasterberate von täglich 7 auf 4 gefallen ist und dass zum Vergleich täglich 82 bis 109 Patienten in deutschen Kliniken an resistenten Krankenhauskeimen sterben oder über 100 an Luftverschmutzung. Es werden täglich positiv Getestete gezählt, aber unterschlagen, wie viele davon gar nicht krank werden. Die viel realistischere Angst vor Krankenhauskeimen oder Luftverschmutzung wird nicht durch Statistiken geschürt, denn dann müssten die privatisierten Klinikkonzerne Profit einbüßen, um den Hygienestand etwa von Holland zu erreichen. Die Massentierhalter wären am Ende, weil ihr Antibiotikamissbrauch verboten werden müsste. Und es müsste mehr gegen Luftverschmutzung unternommen werden. Vor solchen Einbußen schützen sich Konzerne durch heimlichen Lobbyismus, deswegen darf es kein transparentes Lobbyregister bei uns geben. Die Abgeordneten haben ein offenes Ohr für die Lobbyisten, denn die Konzerne können gut dotierte Posten vergeben. Der Fall Amthor ist ein kleiner Fisch. Der deutsche Bankenverband schaffte es, den Cum/Ex-Steuerraub erst richtig in Schwung zu bringen, indem er durch seinen Trojaner im Finanzministerium erreichte, dass ausländische Finanzinstitute ausgenommen wurden und im Jahressteuergesetz 2007 Aktien mehrere Besitzer haben durften, obwohl Warnungen aus zwei Bundesländern kamen. Es geht um etwa 10 Milliarden Euro. Wir sollen aber keine Angst vor Lobbyisten haben, lieber vor Coronaviren. Wir sollen lieber Angst haben vor Nachbarn und nach dem Willen unseres Innenministers wie einstige Blockwarte diese denunzieren, obwohl sich diejenigen, die sich nicht schützen, doch vor allem selbst gefährden. In einem geängsteten Volk ist Teilen und Herrschen besonders leicht.

In dieser Welt wird euch Angst gemacht, sagt Jesus, aber seid zuversichtlich, ich habe diese Angstwelt überwunden, und ihr könnt das auch. Wir müssen nicht mehr wie Jesus mit der Kreuzigung rechnen, wir leben zum Glück nicht in Russland oder als Farbige in den Südstaaten der USA. Wir müssen nur mit schwarzen Donnerstagen rechnen, die nach 5 Jahren als rechtswidrig erkannt werden, oder mit der Beobachtung durch den Verfassungsschutz, der nicht die Verfassung, sondern die Konzerninteressen schützt. Deshalb können wir es leichter wagen, den ersten Schritt aus der Angstwelt heraus zu tun und falsche von realistischen Ängsten unterscheiden.
So stellen wir fest: Die Coronaängstiger sind am Zurückrudern. Es wird eingeräumt: Die Angesteckten sind nur wenige Tage ansteckend, die Quarantäne kann europaweit verkürzt werden. Die Bedeutung der Tests wird erheblich relativiert. Immer mehr Fachleute wagen auszusprechen, das Virus könne zu einer harmloseren Variante mutiert sein. Wir können uns den realistischeren Ängsten zuwenden: In Neckarwestheim sind die Dampferzeugerrohre rissig. In Büchel werden Atomwaffen modernisiert, die uns zur Zielscheibe und zu Kanonenfutter machen. Ackergifte bedrohen die Bienen und viele andere Tierarten, Düngemittel das Trinkwasser, der Klimawandel unsere Wälder sowie Landwirte und Gärtnereien. Und die Tunnel von Stuttgart 21 das Leben der Bahnreisenden. Nicht unsere Nachbarn sind dann unsere Gegner, sondern die gierigen Betreiber von Kernkraftwerken und Kliniken, verantwortungslose Landwirte, Massentierhalter und Bauspekulanten sowie deren Beschützer in den Parlamenten und Regierungen, die neoliberal verblendet meinen, wenn die großen Konzerne viel Gewinne machen, sei das heilsam für alle.

Das ist, wie gesagt, der erste Schritt aus der Welt der falschen Ängste. Der größere ist die Überwindung der Todesangst, wie Jesus sie vorgelebt hat. Das bedeutet zugleich, dass wir die Grenzen unserer Möglichkeiten akzeptieren. Es mag sein, dass wir die Fertigstellung der schrägen Haltestelle nicht verhindern können, auch nicht den weiteren Tunnelwahnsinn, der jetzt angedacht wird, um den Unsinn von S 21 zu kaschieren. Es mag sein, dass wir als die Verlierer da stehen wie der gekreuzigte Jesus. Aber der Einsatz gegen die Angstwelt und für das Reich des barmherzigen Gottes ist damit nicht zu Ende wie das Kreuz Jesu nicht das Ende war, sondern ein Anfang. Das Blut der christlichen Märtyrer wurde zum Samen der Kirche.

Jesus konnte diesen Kampf kämpfen, weil er nicht alleine war: Der Vater war bei ihm. So sind auch wir nicht alleine. Ein Leben mit diesem barmherzigen Vater schützt nicht vor Niederlagen, es ist aber am Ende ein Gewinn, weil wir angstfrei zu ihm heimkehren können in unserer letzten Stunde. Amen.

Ansprache zum Parkgebet am 30.7.20 zu Joh 9,2-3 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Seine Jünger fragten ihn: Rabbi, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren worden ist? Jesus antwortete: Weder dieser hat gesündigt, noch seine Eltern, sondern die Werke Gottes sollen an ihm offenbar werden.

Die Jüngerfrage nach der Schuld am Unglück des Blinden bringt auf die sichere Seite: Die Frager haben mit der Sache nichts zu tun. Jesus erklärt aber, dass sie sehr wohl damit zu tun bekommen. Denn an dem Blinden soll das Werk des barmherzigen Gottes erfahrbar werden und die Jünger sollen zu Gottes barmherzigen Händen an dem Blinden werden. Es passiert auch heute noch, dass Passanten einen Menschen mit Behinderung in einem Rollstuhl begaffen, wenn sie aber an einer Treppe um Hilfe gebeten werden, ergreifen sie die Flucht. Diesen Fluchtweg schneidet Jesus ab. Er heilt den Blinden auf wunderbare Weise mit Speichel, den er mit Erde vermischt hat. Heute müssen wir nicht auf solche Wunder warten, es reicht eine Spende bei einer Blindenhilfsorganisation, die in einem armen Land durch Medikamente oder Operationen vor Blindheit rettet oder Unheilbaren zu einer beruflichen Existenz verhilft. So bauen Menschen am Reich des barmherzigen Gottes.

Schon seit jeher ist die Erzählung von dieser Blindenheilung auch im übertragenen Sinn verstanden worden: In der Begegnung mit Jesus wird auch geistige und seelische Blindheit geheilt. Als Jesus bei dem Steuereintreiber Zachäus einkehrt, sieht dieser plötzlich, wonach er bisher gestrebt hat und welches Glück ein Leben unter dem barmherzigen Gott bedeutet. So heißt es in dem Lied „Amazing grace“: „I was blind, but now I see“, ich war blind, aber nun sehe ich. Der Autor John Newton schrieb dieses Lied, nachdem er 1748 als Kapitän eines Sklavenschiffes aus schwerer Seenot gerettet worden war. Er war von da an menschlicher zu Sklaven, gab schließlich seinen Beruf auf, wurde Geistlicher und kämpfte gegen die Sklaverei. Er konnte plötzlich sehen, dass die geschundenen Sklaven eine Herausforderung waren, ein Werkzeug des barmherzigen Gottes zu werden und an seinem Reich mit zu bauen.

Jesu Heilung von geistig-seelischer Blindheit bekommt für mich heute besondere Aktualität angesichts der weltweit verbreiteten neoliberalen Verblendung, alles würde gut, wenn wir nur die mächtigen Konzerne in freien Märkten wirken ließen. Jesus nennt diese Ideologie einen Dienst am Götzen Mammon, der mit dem Glauben an den barmherzigen Gott unvereinbar ist (Mt 6,24). Papst Franziskus bringt es auf den kurzen Nenner: „Diese Wirtschaft tötet!“ Wenn uns Jesus dafür die Augen öffnet, kann es nur noch eine Umkehr geben wie bei Zachäus.

Am brutalsten ist uns das vor Augen geführt worden in der Coronakrise. Eine auf den Mammon fixierte Gesundheitsfürsorge kam nicht auf die Idee, Schutzmasken und Schutzkleidung vor zu halten, obwohl die Pandemie von Fachleuten schon 2013 vorausgesagt wurde. So blieben die Risikogruppen ungeschützt, unabhängig vom Shutdown. Der schwedische Chefvirologe, der auf Herdenimmunität setzte, musste am Ende kleinlaut eingestehen, dass die Gefährdeten nicht geschützt werden konnten. Deutsche Häme darüber ist unangebracht: Im bayrischen Kreis Tirschenreuth, dem Ort des strengsten bayrischen Lockdowns, war die Todesrate vier Mal höher als im schwedischen Durchschnitt, weil für die Beschäftigten in den Pflegeheimen keinerlei Schutzausrüstung zur Verfügung stand und die Betreuten so zwangsläufig angesteckt wurden.

Zugleich wurde uns in der Krise vor Augen geführt, dass besonders Klima schädliche Branchen wie Fernflug- oder Kreuzfahrtreisen überflüssig sind. Auch ständig neue Autos zu kaufen war plötzlich verzichtbar. Die von der Mammonsgier geprägte weltweite Verlagerung von Produktionen in Billiglohnländer brachte plötzlich schmerzhafte Lieferengpässe. Die nach dem Mammon gierenden Schlachtfabrikbesitzer, die Billigarbeitskräften unsägliche Bedingungen zumuten, wurden als Risiko für die Gesamtbevölkerung bewusst. Andererseits wurde offensichtlich, dass die lebensnotwendigen Branchen wie der Lebensmitteleinzelhandel, die Arbeit in Kliniken oder Pflegeheimen gegenüber den Klima schädlichen Industrien unterbezahlt sind.
Für uns Gegner des Projekts Stuttgart 21 sind solche Einsichten in die neoliberale Mammonsgier nicht ganz neu. Hier ist seit 10 Jahren die neoliberale Verblendung besonders mit Händen zu greifen. Die katastrophale Fehleinschätzung der Kanzlerin, an diesem Projekt hinge die Zukunft der deutschen Wirtschaft – gemeint war wohl die Zukunft ihrer neoliberalen Politik, der verhängnisvolle Verzicht auf die Klärung des Katastrophenschutzes und die maßlose Geldverschwendung bei gleichzeitiger Verschlechterung des Bahnverkehrs, all dies setzte voraus, dass die Verantwortlichen nicht nur auf einem, sondern auf beiden Augen blind waren für die Unsinnigkeiten und Gefahren dieses neoliberalen Schlüsselprojekts. Auf kirchlicher Seite fehlte die Sensibilität zu erkennen, dass hier die Warnung Jesu vor dem Mammon zu beherzigen gewesen wäre. Von unserer Kirchenleitung war zu hören, es sei doch nur ein Bahnhof, ohne zu bemerken, dass nur eine schräge Haltestelle gebaut wird, weil das Projekt einer vom Mammon geleiteten Grundstücksspekulation entsprang.

Wir wollen aber nicht beim Jammern stehen bleiben. Wir lassen uns von Jesus die Augen immer wieder öffnen und teilen unserer Umwelt mit, was wir da sehen gelernt haben. Wir haben uns durch den schwarzen Donnerstag nicht einschüchtern lassen und wir lassen uns auch nicht blenden durch die triumphierend gefeierten Baufortschritte. Wir sehen ab, dass das dicke Ende noch nachkommt. Wir müssen keine Angst davor haben, denn wir kennen die Alternative, den Umstieg 21 und lassen die Hoffnung nicht fahren, dass der Mehrheit im Land doch noch die Augen aufgehen. Amen.

Ansprache zum Parkgebet am 18.6.2020 zu Apg 4, 34-35 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Es war keiner unter ihnen, der Mangel hatte; denn wer von ihnen Land oder Häuser hatte, verkaufte sie und brachte das Geld für das Verkaufte und legte es den Aposteln zu Füßen; und man gab einem jeden, was er nötig hatte.

Da teilen also die Begüterten tatsächlich mit den Ärmeren, wie das im Reich des barmherzigen Gottes Jesu sein soll. Niemand leidet mehr Not, es funktioniert, was wir heute die bedingungslose Grundversorgung nennen. Als es bei den Essensausgaben, den damaligen Vesperkirchen, Probleme gibt, werden Spezialisten wie Stephanus beauftragt, für gerechte Verteilung zu sorgen. Die ersten Christen in Jerusalem bekommen verständlicher Weise enormen Zulauf. Wir können freilich heute im Rückblick nicht unterschlagen, dass dieser Urkommunismus nicht lange gut ging. In Apg 5, 1-11 erfahren wir vom Sündenfall der Urgemeinde: Die Eheleute Ananias und Saphira verkaufen zwar einen ihrer Äcker, geben aber nur einen Teil des Erlöses der Gemeinde und leugnen dann auch noch, dass sie privat vorsorgen. Von Paulus erfahren wir, dass die Gemeinde in Jerusalem völlig verarmt ist und Spenden anderer Gemeinden benötigt (Röm 15,26). Aus heutiger Sicht war das gut gemeinte Experiment nicht nachhaltig. Verkaufte Äcker bringen so wenig dauerhaften Ertrag wie verkaufte Kühe Milch. Auch Verantwortliche in Vesperkirchen mahnen regelmäßig, dass ihre Arbeit nicht notwendig sein sollte in einem so reichen Land wie dem unseren, weil Vesperkirchen Symptome kurieren, aber nicht die Ursachen der Not bekämpfen können. Dafür müsste eine neue Sozialpolitik sorgen.

Den Entwurf einer solchen neuen Sozialpolitik bietet Jesus im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-15). Faires Teilen entscheidet sich am Arbeitsmarkt. Wenn dies dort nicht gelingt, werden Vesperkirchen zur Sisyphosarbeit, die in Erschöpfung endet. Deshalb wendet der Weinbergbesitzer im Gleichnis vom Reich Gottes einen Trick an: Er zahlt den Vollzeit- und den Kurzarbeitern denselben Lohn. Da regen sich die Vollzeitarbeiter natürlich auf, aber der Arbeitgeber bleibt hart. Er rechnet damit, dass sie am nächsten Tag schlauer sind. Wenn sowieso alle den gleichen Lohn bekommen, dann können sie schon am Morgen auch die Arbeit gleich verteilen. Denn am Morgen sind natürlich die jungen und gesunden, also die stärksten Arbeiter von den Arbeitgebern gedungen worden und haben in der Konkurrenz mit den Schwächeren gesiegt. Damit auch die Schwächeren und ihre Familien das Brot für den morgigen Tag haben, müssen sie eine Chance am Arbeitsmarkt bekommen. Darauf will das Gleichnis Jesu hinaus und damit gewinnt es Aktualität für heute.

Als nach dem Autoboom der deutschen Vereinigung die Branche 1993 in die Krise geriet, wurde zB bei VW diese faire Idee umgesetzt. Statt 20 % der Mitarbeitenden zu entlassen, arbeiteten alle nur 80 %. Auch ohne das Kurzarbeitsgeld aus der Arbeitslosenversicherung hätten alle überleben können. In der Banken- und Wirtschaftskrise von 2008 kam Deutschland durch das Instrument des Kurzarbeitsgelds wesentlich besser zurecht als andere Länder wie die USA. Dort wird sehr schnell wieder entlassen nach dem berüchtigten Motto „hire and fire“, einstellen und wieder feuern. Auch in der gegenwärtigen Krise bewährt sich der deutsche solidarische Weg.
Die derzeitige Krise ist aber härter als 2008 oder 1993. Denn zum einen trifft sie ganze Branchen wie Fremdenverkehr, Gastronomie und Unterhaltung viel härter. Zum anderen fällt sie zusammen mit überfälligen notwendigen Veränderungen etwa in der Auto- und Luftfahrtbranche. Dort rächt sich jetzt, dass eine frühere Umwandlung der Klima schädlichen Geschäftsmodelle versäumt wurde. Eine drastische Besteuerung Spritfressern, Flügen und Kreuzfahrten hätte rechtzeitig einen Wandel gefördert weg von Klima schädlicher Mobilität zu einer Klima schonenden, wenn gleichzeitig der Schienenverkehr gefördert worden wäre. Nun kommt der Wandel schlagartig und drastisch. Eine Kaufprämie wie 2008 für Verbrenner war der Wählerschaft heute zurecht nicht mehr zu vermitteln. Auch die teure Lufthansarettung kann wohl große Arbeitsplatzverluste nicht mehr verhindern. Umso schneller müssen Luftfahrtbeschäftigte auf Bahnarbeitsplätze umgeschult werden. Wir kommen hier beim Parkgebet zusammen, weil wir für einen erweiterten Bahnverkehr eintreten.
Deshalb fordern wir den Erhalt des leistungsfähigen Kopfbahnhofs. Dabei könnte uns jetzt eine überraschende Entscheidung ausgerechnet von Donald Trump zu Hilfe kommen. Er will US-Stützpunkte aus Deutschland abziehen, auch Eucom und Africom hier in Stuttgart sind im Gespräch. Dort unterstützen wir logistisch die US-Drohnenlynchmorde, bei denen die zivilen Opfer als „Kollateralschäden“ verharmlost werden sollen und neuer Terrorismus gezüchtet wird. Durch den US-Abzug würde viel mehr und auch bezahlbarer Wohnungsbau ermöglicht als beim Abriss des Gleisfelds im und vor dem Kopfbahnhof. Das Immobilienprojekt Stuttgart 21, das uns die Katastrophenhaltestelle beschert, würde überflüssig. Dies gilt es jetzt an die große Glocke zu hängen und dem Projekt seine ursprüngliche Triebfeder weg zu nehmen. Denn diese Immobilienspekulation sollte nach dem Willen der Kanzlerin zum Schlüsselprojekt einer neoliberalen deutschen Zukunft werden. Hoffentlich bleibt der sprunghafte Präsident Trump bei seiner Ankündigung. So könnten wir uns der mörderischen Militärpolitik entziehen und zugleich die schädliche neoliberale Wohnungsbau- und Verkehrspolitik überwinden.

Gerade die Christen in unserem Land haben Grund, dieser Politik zu widerstehen und sie abzulösen nach außen durch eine internationale Friedenspolitik und nach innen zu einer Sozialpolitik, die nicht mehr von unten nach oben, sondern von oben nach unten umverteilt. Beim Versuch des fairen Teilens ist der Neoliberalismus unser Hauptgegner, denn er steht für das, was Jesus den ungerechten Mammon nennt (Lk 16,9). Diesem können wir nicht dienen, wenn wir gehorsam sein wollen gegenüber dem barmherzigen Gott Jesu (Mt 6,24). Unser auferstandener und gegenwärtiger Herr schenke uns den Mut, dem Mammon zu widerstehen und fair zu teilen. Amen.

Herzliche Einladung zum ersten Parkgebet nach den strengen Kontaktbeschränkungen wieder im Park

Am Donnerstag, den 18. Juni 2020, um 18:15 Uhr findet das Parkgebet endlich wieder im Schlossgarten am gewohnten Platz bei der Lusthausruine statt, unter Einhaltung des Mindestabstands. Mund-Nasen-Bedeckung wird empfohlen.

Auch wenn es regnen sollte, wollen wir uns nicht davon abhalten lassen, uns leibhaftig wieder zu sehen.

Pfingstmontagspredigt für den 1.6.2020 zu Apg 2, 1-7 (Ausschnitt) von Pfr. i. R. F. Gehring

(hier als pdf-Datei)

Als der Tag der Pfingsten erfüllt war, waren sie alle beieinander an einem Ort. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel … und sie wurden voll des heiligen Geistes und fingen an zu predigen … . Es waren aber Juden da auf dem Weg nach Jerusalem … , gottesfürchtige Männer aus allerlei Volk, … die verwunderten sich und sprachen: „Sind nicht alle, die da reden, Galiläer? Wie kommt es, dass wir sie alle in hebräischer Schriftsprache hören?“

Pfingsten gilt als der Geburtstag der christlichen Kirche, deren Ausbreitung die Grenzen Israels überschreitet und weltumspannend wird. Sinnenfällig wird dies durch das Sprachwunder. Juden aus verschiedensten Ländern, die durch Galiläa nach Jerusalem pilgern, können sich mit Galiläern auf Hebräisch verständigen. Diese waren für sie bisher sprachlich und kulturell fremd und religiös nicht koscher. Aber der barmherzige Gott, den Jesus seine Jünger lehrt, ist nicht nur ein Gott der Israeliten, sondern aller Menschenkinder. Propheten wie Amos (9,7) und Jesaja (2,1-5) hatten schon 750 Jahre zuvor darauf hingewiesen, nun wird dies in der Überwindung der Sprachgrenzen erfahrbar: Der Fluch der babylonischen Sprachverwirrung ist aufgehoben. Der barmherzige Gott will die Menschen nicht mehr an solidarischer Zusammenarbeit hindern, indem er aus Angst vor der Macht der Menschen diese trennt und beherrscht. Er begleitet menschliches Wirken voll Vertrauen, auch wenn dabei Fehler gemacht werden. Denn er kann vergeben und nach Versagen neu anfangen. Dies traut er auch den Menschenkindern untereinander zu.

Wir hören diese Botschaft an diesem Pfingstfest 2020 in einer Weltlage, in der es ganz besonders darauf ankommt, dass internationale Solidarität gelingt. Die Pandemiekrise kann zu verschärftem nationalem Egoismus führen oder zu globalem Zusammenhalt. Wir in Deutschland müssen dankbar bekennen, dass wir im weltweiten Vergleich bisher noch glimpflich davon gekommen sind. Aus dieser Dankbarkeit muss solidarische Hilfsbereitschaft erwachsen mit denen, die schwerer getroffen sind. Dies kann nicht nur in Europa gelten, es muss weltweit geschehen. Dabei müssen die Sünden, die gerade wir als hoch industrialisiertes Land in der Vergangenheit auf uns geladen haben, beim Namen genannt werden, um neue Verhältnisse zu schaffen. Das Infektionsgeschehen unter den ausländischen Beschäftigten in Großschlächtereien hat in den Blickpunkt gerückt, welcher Ausbeutung und welch unsäglichen Lebensbedingungen wir billiges Fleisch in unseren Läden verdanken. Hinzu kommt, wie an den Tieren in der Massentierhaltung gesündigt wird um des schnöden Mammons willen. Diese Sünden bei der Tierhaltung rächen sich beim Missbrauch von Antibiotika: Resistente Keime werden gezüchtet, die in unseren Krankenhäusern jährlich geschätzt über 30.000 Tote fordern. Um mit Papst Franziskus zu sprechen: Diese Wirtschaft tötet. Sie tötet auch dort, wo in armen Ländern für uns Kleidung und andere Konsumgüter hergestellt werden zu Hungerlöhnen und unter fatalen Bedingungen. Dies sollte uns auffallen nicht erst, wenn Atemmasken oder Medikamente fehlen, deren Produktion aus Profitsucht ausgelagert wurde. Die tötende Wirtschaft zeigt sich auch dort, wo Rohstoffgewinnung für unsere Handys und E-Autos die Ärmsten noch weiter ins Elend stürzt. Unsere Waffenexporte bilden die Spitze des Skandals.

Die Pandemiekrise ruft uns zur Umkehr. Im Inland erleben wir, wie Millionen wirtschaftlichen Ruin erleiden. Die Schwarze Null ist Geschichte, mit riesiger Verschuldung soll schwer Getroffenen über die Runden geholfen werden. Bei der Schuldentilgung sind Megareiche endlich angemessen heran zu ziehen. Ein Promille der Deutschen, das sind etwa 80.000, besitzen ein Viertel des deutschen Privatvermögens, nämlich 1.500 Milliarden €. So viel etwa wird im Bundeshaushalt in 4-5 Jahren ausgegeben. Ein Lastenausgleich von nur 30 Prozent dieses Vermögens kann innerhalb von 10 Jahren 450 Milliarden € umverteilen. Dieses Geld in den Händen der Ärmeren wird sehr schnell wieder ausgegeben. Dies kurbelt die Wirtschaft schnell an. Dabei ist sehr darauf zu achten, dass der notwendige Wandel gelingt weg von militärischer und umweltschädlicher Produktion hin zu Waren und Dienstleistungen, die die Welt wirklich braucht und die den Klimawandel bremsen. Auch eine erhöhte Erbschaftssteuer und höhere Steuerprogression sind für die Wirtschaftstransformation nötig.
Staatliche Hilfen müssen an klare Kriterien gebunden werden, auch bei der staatseigenen Bahn. Vor weiteren Hilfen muss die Bahn ihre aufgekauften Unternehmen wieder abstoßen, die mit dem Bahnverkehr, der Kernaufgabe, nichts zu tun haben. Zudem muss das unrentable und gefährliche Projekt Stuttgart 21 dem Umstieg 21 weichen. Nie war dies dringlicher als jetzt. Weil das Geld fehlt und riesige Brandkatastrophen drohen, muss ein schnelles Ende einen Schrecken ohne Ende verhindern. Unser entschlossener und ausdauernder Widerstand ist jetzt besonders gefordert, da die bisherigen Selbstverständlichkeiten neoliberaler Politik ins Wanken geraten. Für diese Politik gilt Stuttgart 21 nach Aussage unserer Kanzlerin als Schlüsselprojekt. Aber nicht an der Fertigstellung, sondern am Ende dieses Projekts und dieser Politik entscheidet sich, ob Deutschland Zukunft hat. Deutschland braucht keine Prämien für Spritfresser, sondern Fördergelder für Schienenverkehr.

Wenn wir im Inland diese Umkehr einleiten, dann werden wir auch Sorge tragen müssen dafür, dass in der globalen Wirtschaft ein neuer Geist einzieht. Handelsabkommen, die internationale Großkonzerne zu den neuen Feudalherren und die Armen zu den neuen Sklaven machen, sind zu kündigen. Lieferketten dürfen nicht mehr auf freiwilliger Basis überprüft werden, sondern sind unabhängigen Kontrolleuren zu unterwerfen, um faire Löhne und Arbeitsbedingungen zu gewährleisten. Statt Waffen zu liefern müssen Hilfen finanziert werden für eine gewaltfreie Konfliktregulierung, die Söldner zu Bauern macht. Alle Entwicklung muss dazu dienen, den Klimawandel auf zu halten und Gottes Schöpfung zu bewahren. Möge das Pfingstfest 2020 diesen neuen Geist in möglichst vielen Menschen wecken und zu einem heilsamen Wandel helfen. Amen.

Anhang: Mail an Winfried Kretschmann zum Autogipfel am 2.6.2020

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kretschmann,

das Drängen der Autoländer auf Kaufprämien für Spritfresser ist der Wählerschaft nicht mehr zu vermitteln. Gerade Sie als grüner Verantwortlicher sollten deshalb für die Autokonzerne folgende Rettung propagieren:

1. Für PS-starke Spritfresser wird eine zeitlich gestaffelte Luxus- und Umweltstrafsteuer erhoben: Je länger die Kaufentscheidungen aufgeschoben werden, umso teurer werden die Fahrzeuge. Dies hilft jetzt schnell, den Stau produzierter Fahrzeuge aufzulösen. Diese Autos können gar nicht teuer genug werden, da sie weniger Fahrzeuge sind als vielmehr Statussymbole: Je teurer sie werden, um so mehr erfüllen sie den Zweck, mit Reichtum zu protzen.  

2. Den Konzernen wird die Ankündigung empfohlen, die Herstellung von Spritfressern werde zunehmend abgebaut wegen der kommenden EU-Strafzahlungen. Wer noch haben wolle, müsse sich beeilen. Auch dies wird die Konjunktur ankurbeln.

3. Kaufprämien werden den Konzernen – entsprechend dem Verfahren bei Hartz IV – ausschließlich bei Nachweis der Bedürftigkeit gewährt (Verbrauch der Rücklagen, Verzicht auf Dividenden und Boni für Managment und Mitarbeiterschaft), und zwar ausschließlich für besonders sparsame Fahrzeuge, zB kleine 6d Temp-Diesel-Hybride, getriebelos mit rekuperierenden Radnabenmotoren und ausreichend Kofferraum für Familien wie der erste Honda Jazz ab 2002. Die vielen Teile erhalten Arbeitsplätze, der Verbrauchsrückgang bremst den Klimawandel, während zugleich zunehmend Verkehr auf die Schiene kommen muss, etwa durch den Umstieg 21 statt Stuttgart 21.

Mit freundlichen Grüßen

Friedrich Gehring
Am Krähenhorst 8
71522 Backnang

Parkgebet-digital am 30.4.2020 zu Johannes 15,5 von Pf. i. R. Martin Poguntke

Vom verlorenen Vertrauen und den Lügen der Politik

Liebe Freundinnen und Freunde des Parkgebets,

hier kommt das zweite Parkgebet digital mit Ansprache von Pfarrer i.R. Martin Poguntke und von Ulrich Ebert zusammengestellter Musik.

Hier ist der Link zum ganzen Parkgebet mit allen Text- und Musikteilen:
https://c.web.de/@823176437937739474/Cvei9G8aS76lbLmVsFxJQQ

Ihr könnt Euch durch das Parkgebet durchklicken. Und gerne könnt Ihr bei Euren Rundmails zum Besuch des virtuellen Parkgebets einladen 😉

 

Und hier ist die Ansprache: (hier die Ansprache als pdf-Datei):

Ansprache zum Parkgebet-digital am 30. April 2020 von Pfr.i.R. Martin Poguntke

Christus spricht: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht.“, Johannes 15, Vers 5 (aus dem Predigttext vom kommenden Sonntag)

Liebe Parkgebetsgemeinde,

wie gerne hätte ich Sie alle direkt vor mir gesehen, wenn ich zum Einstieg meiner Ansprache meiner tiefen Sorge Ausdruck gegeben hätte, meiner Sorge auch um unsere gemeinsame Bewegung – aber in Coronazeiten ist das nicht zu verantworten.

Meine Sorge ist, dass ein Gift sich verbreitet, es die Herzen und Gehirne von immer mehr Menschen vergiftet. Und ich weiß überhaupt keine einfache Lösung dagegen. Auch der Satz aus dem Johannesevangelium, um den es heute gehen soll, ist keine einfache Lösung: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht.“ Denn: Wie macht man das „in ihm bleiben“?

Das Gift, das ich meine, ist das Gift des zerbrochenen Vertrauens. Wir Stuttgart 21-Gegner:innen haben über so viele Jahre miterleben müssen, wie wir und die ganze Gesellschaft unglaublich gründlich belogen wurden und es weiterhin werden. Unser Vertrauen in „die Politik“ hat schweren Schaden gelitten. Und immer mehr von uns denken deshalb inzwischen über Äußerungen und Entscheidungen von Politikern gar nicht mehr wirklich nach, sondern sagen reflexhaft: Ist doch eh alles Lüge und Betrug. Ganz absurde Behauptungen werden geglaubt – einfach, weil sie in unser festes Bild passen: Die Politiker belügen uns doch alle.

Ein wenig scheint es mir wie in einer Partnerschaftsbeziehung: Weiterlesen

Ansprache zum kontaktlosen Parkgebet am 2.4.2020 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Bibeltext:„Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“.(Ps90,12)

Das Stuttgarter Kirchentagsmotto „auf dass wir klug werden“ blendete den Tod aus und nahm der Botschaft ihre gesellschaftliche Bedeutung. Mit unserem politischen Motto „Klug werden aus Stuttgart 21“ waren wir Projektgegner die Exoten. Dem lutherischen Protestantismus ist kritisches politisches Engagement fremd. Uns nicht! Wer das Leiden und Sterben Jesu bedenkt, wird den Tod nicht mehr tabuieren, sondern kann genau hinsehen. Die Wegsehenden entgehen dem Tod nicht, sie machen alles nur noch schlimmer, bei Stuttgart 21 wie in der Coronakrise.

Bereits 2013 machte eine Bundestagsdrucksache die Coronagefahr bekannt. In der Grippesaison 2017/18 starben bei uns 25.100 Menschen, an 3 Tagen so viele wie an Corona bis Ende März. Hinsehen hätte bedeutet, genügend gute Schutzmasken für alle zu produzieren. Jetzt sind sie sogar für Pflegepersonal knapp. Die starke Verbreitung des Virus im Elsass geht auf ein Kirchentreffen zurück. Gute Masken, von dem Virologen Kekulé früh gefordert, hätten die Ansteckung besonders der Risikogruppen verhindert und Kontaktverbote ersetzt, die jetzt Existenzen ruinieren. Nach versäumter Produktion von Masken fordert Minister Strobel Nachbarnbespitzelung wie zu Blockwartszeiten und bedient die Sehnsucht nach starken Führern. Wer ihr bisheriges Wegschauen sieht, erkennt ihre Schwäche. Wir müssen aber nicht in ohnmächtiger Klage verharren.

Am 24. März gestand der Virologe Christian Drosten auf Nachfrage, auch laienhaft gebastelte Schutzmasken seien sinnvoll. Sie schützen zwar nicht perfekt vor Ansteckung durch andere. Sie verhindern aber das Ausbreiten der infektiösen Tröpfchen durch die Träger. Das hätte am Anfang der Krise gesagt werden müssen. Ende März endlich kam der Vorschlag, mit Masken einzukaufen. Unsere moderne Medizin schaut leider nur auf die eigenen Möglichkeiten, nicht auf die Hilfe zur Selbsthilfe. Sie ist fixiert auf Intensivpflegeplätze. Selbst gebastelte Masken könnten die Infektionskurve ebenso abflachen wie die Kontaktsperren. Zugleich wäre öffentliches Leben erlaubt wie in Südkorea, wirtschaftlicher Ruin von Millionen vermieden und die Suicidgefahr beschränkt. Der Tod von Hessens Minister Schärfer warnt, den Ruin von Millionen für alternativlos zu halten.

Wer ohne Panik hinschaut, kann Hysterie und Realität unterscheiden und die Statistiken entzaubern. Experten sehen eine Baseline Studie als nüchternes Mittel. Diese zählt nicht pauschal Coronafälle, sondern unterscheidet Infizierte von Erkrankten und zählt auch gesunde Infizierte. Auf dem Kreuzfahrtschiff „Diamond Princess“ war dies möglich. Der Stanford-Professor John Ioannidis fand dort unter positiv auf Corona Getesteten im Alter von 80-89 Jahren 48 Prozent gesund Gebliebene, unter denen im Alter von 70-79 Jahren 60 Prozent. In der überalterten Gästeschar starb 1 Prozent. Ioannidis rechnet herunter auf Jüngere und kommt auf eine Sterberate von 0,025 bis 0,625 Prozent, die bei Grippe üblich ist. Laut RKI lag die deutsche Corona-Sterberate am 27.3.20 bei 0,6 Prozent, ohne Berücksichtigung der ohnehin tödlich Vorerkrankten wie in Italien. Es ist unredlich, einen an Herzversagen Verstorbenen mit der tödlichen Lungenkrankheit COPD wie Jörn Kubicki als Coronatoten zu zählen. Sein Schicksal rechtfertigt keine Kontaktsperre. Die oft durch Rauchen an COPD Erkrankten wie er sehnen sich vielfach im Spätstadium nicht nach intensiver Verlängerung ihres Leidens, sondern nach palliativer Betreuung. Genaues Hinsehen überwindet Panik.

Die Grünen verlieren derzeit in der Wählergunst. Macht etwa der Niedergang der Flugbranche jetzt Angst vor den Einschränkungen zur Klimarettung? Ich rate zu einer anderen Sicht: Es ist offenbar viel Geld da für einen schonenden Umbau unserer tötenden Wirtschaft in eine rettende: Nahtourismus statt Fernflügen, Wasser für die Dürregebiete statt Waffen und SUVs, Entwicklungshilfe statt selbstfahrender Autos, Schienenverkehr statt Straßenverkehr, Kreuzfahrtschiffe für Geflohene, Alternativenergie statt Kohlekraft und vieles andere. Es gilt, den Tod zu bedenken statt ihn zu tabuieren. Der schnelle Brüter in Kalkar wurde nach Fertigstellung zum Vergnügungspark, weil der Atomtod nicht mehr tabuierbar war. Wir kämpfen dafür, dass der Tod in den S 21-Tunneln nicht mehr ausgeblendet wird. So kann der Umstieg21 kommen. Amen.

ABGESAGT: 501. MONTAGSDEMO AM 10. FEBRUAR

Weder die Deutsche Bahn, die Staatsgewalt oder die Grünen haben es je geschafft, eine Montagsdemo gegen Stuttgart21 zu verhindern. Das Orkantief Sabine schafft es leider morgen, am 10.2.2020:

DIE 501. MONTAGSDEMO GEGEN S21 AM 10.FEBRUAR WIRD ABGESAGT.
Bitte informiert unsere Mitstreiter*innen, die keine elektonischen Medien benutzen

Nachdem keiner der Wetterdienste für morgen Abend zuverlässig Entspannung und ein Ende der Orkanböen  vorhersagt, hat das Demo-Team sich entschlossen, die morgige Montagsdemo vorsorglich abzusagen.

Es gibt nur 3 Gründe, um   auf Montag als Demotag gegen S21 zu verzichten: (1) Montag= Feiertag. (2) schwere Unwetter gefährden Demonstrant*innen. (3)  Stuttgart21 ist  beendet. Nachdem letzteres nicht der Fall ist, findet  die 501. Montagsdemo am Montag, 17.2. um 18:00 auf dem Schlossplatz statt.

Ansprache beim Parkgebet am 6.2.2020 zu 1. Mose 20,12 von Pf. i. R. Friedrich Gehring

Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass Du lange lebest im Lande, das Dir der Herr, dein Gott, geben wird.

Die Evangelischen unter uns haben wohl bei ihrer Konfirmation die Erklärung Luthers aufsagen müssen: „..dass wir unsere Eltern und Herren nicht verachten noch erzürnen, sondern sie in Ehren halten, ihnen dienen, gehorchen, sie lieb und wert halten“. Da kommen plötzlich zu den Eltern die Feudalherren hinzu, und es geht um Gehorsam. Das Gebot meint aber ursprünglich etwas ganz anderes: Pflegebedürftige Eltern sollen gut versorgt werden, damit die Versorgenden ihren Kinder ein Vorbild sind und später von der nächsten Generation ebenso umsorgt werden und lange leben im gelobten Land. Die Brüder Grimm erzählen von einem gebrechlichen Großvater, der Suppe verschüttet und deshalb hinter dem Ofen aus einem hölzernen Schüsselchen essen muss. Der Enkel sammelt Holz für ein Schüsselchen, aus dem die Eltern später einmal essen sollen. Darauf wird der Senior wieder an den Tisch gebeten. Das Märchen weiß besser als Luther, was das vierte Gebot meint. Luther vollzieht diese krasse Fehldeutung 1520, weil er seit 1518 im Konflikt mit Kaiser und Papst auf seinen Landesherren angewiesen ist und bei ihm gut Wetter machen muss. Im Bauernkrieg ergreift Luther Partei für die Feudalherren, seine Reformation wird endgültig zur Untertanenreligion.

Luther konnte sich für diese Untertanenreligion auf Römer 13 berufen: „Seid untertan der Obrigkeit, die Gewalt über euch hat, denn sie ist von Gott eingesetzt“. Diese Vergottung menschlicher Gewalt passt sprachlich nicht zu Paulus, wirkt im Zusammenhangs des Briefs sachlich als Einschub und ist vermutlich etwa 100 Jahre nach Paulus von fremder Hand eingefügt worden. Auch wenn das zu Luthers Zeiten noch nicht so genau unterschieden wurde, so hätte Luther doch den heftigen Gegensatz zur Position Jesu erkennen müssen. Jesus nimmt den Mächtigen seiner Zeit gegenüber kein Blatt vor den Mund, er sagt: „Ihr wisst, dass die weltlichen Fürsten ihre Völker nieder halten, und ihre Mächtigen missbrauchen ihre Macht. Aber so soll es nicht sein unter euch; sondern wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener, und wer unter euch der Erste sein will, der sei euer Knecht“ (Mk 10,42-44). Das griechische Wort für „Macht missbrauchen“ kommt nur im Neuen Testament vor, es fehlt im profanen Griechisch. Es ist eine christliche Spezialität. Das hätte Luther bemerken müssen, als er das Neue Testament übersetzte.

Es wird Zeit, dass wir die Fehlentwicklung des Christentum zur Untertanenreligion, angefangen von Römer 13 über die Konstantinische Wende bis hin zu zu Luther rückgängig machen und unsere Kirche zu einer Gemeinschaft wahrhaft freier Christenmenschen umgestalten. Wir müssen mit Jesus den militärischen, politischen und wirtschaftlichen Machtmissbrauch beim Namen nennen. Wie in neutestamentlicher Zeit muss die Kritik des Machtmissbrauchs zum Erkennungsmerkmal der christlichen Kirchen werden. Wir dürfen nicht müde werden, von den Herrschenden den Dienst an der Allgemeinheit zu fordern. Nur dazu gibt der barmherzige Gott ihnen die Macht. Die Alten zu ehren ist so etwas wie die Nagelprobe darauf, ob der Allgemeinheit gedient wird oder nicht.

Gerade an dieser Frage haben sich die Macher von Stuttgart 21 früh entlarvt. Unter den Senioren nehmen natürlicherweise Einschränkungen der Mobilität zu. Wir Gegner haben früh auf die drangvolle Enge in er unterirdischen schrägen Haltestelle hingewiesen. Im Katastrophenfall entstehen besondere Gefahren für mobilitätseingeschränkte Reisende. Technikvorstand Kefer brachte dazu den zynischen Vorschlag, man werde durch Lautsprecherdurchsagen die mobileren Reisenden dazu aufrufen, sich um die weniger mobilen zu kümmern. Die himmelschreiende menschenverachtende Planung hätte nicht deutlicher zum Ausdruck kommen können. Denn wie das Bergbahnunglück in Kaprun erwies und wie verschiedene Zugbrände der jüngeren Vergangenheit zeigen, werden sich auch die mobileren Reisenden im Brandfall nicht mehr retten können. Schon allein dieser Aspekt von S 21 verrät, dass hier nicht an den Dienst an der Allgemeinheit gedacht, sondern Macht missbraucht wird. Christen in der Nachfolge Jesu können dazu nicht schweigen, sondern müssen immer wieder den Finger in die Wunde legen.
Im Jahr 2014 reichte ich deshalb eine Fachaufsichtsbeschwerde gegen das Eisenbahnbundesamt ein wegen der Baugenehmigung trotz ungeklärtem Katastrophenschutz. Verkehrsminister Dobrindt ließ mir antworten, man werde den Katastrophenschutz im Rahmen der Inbetriebnahme berücksichtigen, als ob es die Berliner Flughafenprobleme nie gegeben hätte. Man nimmt also wissentlich in Kauf, dass das Milliardenprojekt zwar gebaut, aber nie in Betrieb gehen wird. Für den BER sucht man jetzt, etwa zehn Jahre nach der geplanten Eröffnung, 20.000 Komparsen für eine probeweise Inbetriebnahme. Das lässt sich auf S 21 hochrechnen. Selbst wenn die Fertigstellung bis 2026 gelänge, könnte es bis zur Inbetriebnahme noch weitere Jahre dauern. Die Stuttgarter haben dasselbe Recht wie die Berliner, Probeläufe mit Komparsen zu fordern. Dabei muss heraus kommen, was von den Ingenieuren schon vor Baubeginn mit dem Engpassmodell vor geführt wurde. Die Haltestelle ist nicht für einen wachsenden Bahnverkehr, sondern für mehr Baugelände konzipiert. Die Konsequenz muss sein, dass die engen Bahnsteige im Betrieb etwa nur einseitig mit Zügen belegt werden dürfen und der Kopfbahnhof bleiben muss.Wenn die Inbetriebnahme sich immer mehr verzögert, kann der Deutschlandtakt schon vorher im Kopfbahnhof vorgeführt werden, damit alle Welt erleben kann: S 21 wird dazu gar nicht benötigt. Der Kopfbahnhof kann, was die schräge Haltestelle nie können wird. Dann könnte es gehen wie beim Kernkraftwerk Kalkar, das ab 1970 für Milliarden gebaut wurde, aber auf Beschluss von 1991 nie in Betrieb ging. Heute ist das dortige Gelände ein Vergnügungspark. S 21 mit seinen schönen Kelchen kann Konsumtempel werden. Dafür ist das Ding geeignet. Genügend Investoren werden bereit sein, das Schnäppchen zu machen. Einst hatte der anhaltende Widerstand gegen den schnellen Brüter Erfolg, weil die Betreiber schließlich doch die Risiken dieser Technik nach Tschernobyl nicht mehr leugnen und deshalb auch selbst nicht mehr tragen konnten. Warum soll das nicht auch bei S 21 passieren?

Wir wollen deshalb nicht müde werden, die Risiken von S 21 ständig neu bewusst zu machen. Ein Auschwitz Überlebender sagte anlässlich der 75-jährigen Wiederkehr der Befreiung von Auschwitz-Birkenau, es müsse als 11. Gebot eingeführt werden, du sollst nicht gleichgültig sein, denn das Schweigen diene der Gewalt. Wir werden zum Machtmissbrauch nicht schweigen. Amen.

Anhang:

Aus dem Schreiben des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur vom 11.03.2014:

„Im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens werden, soweit es für das Verfahren selbst relevant ist, selbstverständlich die anerkannten Regeln der Technik berücksichtigt … . … zu beachten ist die EBA-Tunnelrichtlinie, die von Fachleuten aus den Bundesländern, der Deutschen Bahn AG, des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen und des Eisenbahn-Bundesamts erarbeitet wurde und Anforderungen des Brand- und Katastrophenschutzes an Planung, Bau und Betrieb von Schienenwegen nach dem Allgemeinen Eisanbahngesetz (AEG) enthält.

Soweit diese Regeln noch nicht im Rahmen der Planfeststellung Berücksichtigung finden konnten, ist deren Einhaltung über das Verfahren zur Inbetriebnahme einer neu erstellen Eisenbahninfrastruktur gewährleistet. … Insofern kann ich keinen Verstoß gegen den von Ihnen zitierten § 315a Abs. 1 Nr. 2 StGB erkennen. Die von Ihnen vorgebrachte Fachaufsichtsbeschwerde muss ich insofern zurückweisen.“

§ 315a Abs. 1 Nr. 2 StGB
„Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer … als … für die Sicherheit Verantwortlicher durch grob pflichtwidriges Verhalten gegen Rechtsvorschriften zur Sicherung des Schienenbahn- … verkehrs verstößt und dadurch Leib und Leben eines anderen … gefährdet.“

Ansprache beim Parkgebet am 23.1.2020 zu Lk 19,26 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Jedem, der hat, wird gegeben werden; dem aber, der nicht hat, wird auch das genommen werden, was er hat.

Dieser Satz ist uns von Jesus überliefert im Gleichnis von den anvertrauten Pfunden: Ein reicher Mann gibt seinen Knechten Geld, damit sie in seiner Abwesenheit dieses Geld für ihn vermehren. Die viel anvertraut bekommen, machen einen guten Job, der am wenigsten bekommen hat, lässt das Geld liegen, ohne mehr daraus zu machen. Die angeblich guten Verwalter bekommen schließlich noch mehr anvertraut, dem schlechten Verwalter wird das zunächst anvertraute wieder weg genommen. So machen es noch heute reiche Anleger.

Bei Matthäus wird das Gleichnis moralisierend verwendet: Der unnütze Knecht wird verstoßen, denn er hat sich wenig bemüht, seinem Herrn zu dienen. Christen sollen sich bemühen, aus dem, was Gott ihnen anvertraut hat, möglichst viel zu machen. Bei Lukas wird der wohl ursprüngliche Sinn des Gleichnisses aus dem Mund Jesu deutlich. Jesus erzählt das Gleichnis, weil seine Jünger meinen, das Reich Gottes werde mit dem Einzug Jesu in Jerusalem sofort anbrechen. Das Gleichnis hat deshalb im Munde Jesu eine desillusionierende Funktion: So funktioniert die Welt der wirtschaftlich Mächtigen. Es wird nicht so ganz einfach sein, sie zu bekehren, wie bei Zachäus, von dem Lukas unmittelbar vor diesem Gleichnis berichtet. Der Reiche im Gleichnis ist bei Jesus nicht der barmherzige Gott, sondern ein Vertreter seines Gegenspielers, des Götzen Mammon, der zerstörerischen Gier des Kapitals.

Es gehört zur Tragik der Kirchengeschichte, dass die ursprüngliche Kapitalismuskritik Jesu durch moralisierende Kritik an den kleinen Leuten überlagert wurde. Auch der Reformator Luther hat sich früh auf die Seite der Herren geschlagen und die geschundenen versklavten Bauern im Stich gelassen. So wurde auch die ausgebeutete Arbeiterschaft im 19. Jahrhundert von den lutherischen Kirchen in ihrem Elend allein gelassen ebenso wie Sozialdemokraten und Kommunisten, als Hitler diese im 20. Jahrhundert verfolgte. So schwieg auch unsere württembergische lutherische Landeskirche, als die Gegner von Stuttgart 21 bei ihrem friedlichen Protest am schwarzen Donnerstag die rohe Gewalt der Staatsmacht traf, die sich auf die Seite der wirtschaftlich mächtigen Mammonsjünger schlug. In der neuesten Ausgabe der Predigttexte unserer Kirche wird das Gleichnis von den anvertrauen Pfunden bei Matthäus gegen den Urtext zum Reichsgottesgleichnis gemacht. Der treue Dienst gegenüber dem Ausbeuter soll Urbild des Reiches des barmherzigen Gottes sein, eine totale Verdrehung der Botschaft Jesu.

Es ist höchste Zeit, dass wir den Satz Jesu wieder als Satz des Protests verstehen lernen: Jedem, der hat, wird gegeben werden; dem aber, der nicht hat, wird auch das genommen werden, was er hat. Erich Kästner bringt den Protest zum Ausdruck in seinem Weihnachtsgedicht: „Morgen, KInder, wird’s nichts geben, nur, wer hat, kriegt was geschenkt.“ Die allein erziehende Hartz IV-Empfängerin, die ständig ihre Bedürftigkeit nachweisen muss, wird gezwungen, über die erneuerbare Energien-Abgabe auf ihrer Stromrechnung Aluminiumkonzerne zu subventionieren, die ohne Prüfung ihrer Bedürftigkeit von der Abgabe befreit sind. Sie wird sanktioniert, wenn sie einen Termin versäumt, megareiche Anleger durften durch ihre Lobbyisten Schlupflöcher in Gesetze schreiben lassen, damit sie durch hütchenspielerisches Verschieben von Aktien jahrelang in Milliardenhöhe Steuern zurückfordern konnten, die sie nie bezahlt hatten. Erst nach vielen Jahren kommen nun Ermittlungen und Gerichtsurteile zustande, die diese cum-cum- und cum-ex-Geschäfte kriminalisieren. Gleichzeitig bekommen Kleingewerbetreibende penible Betriebsprüfungen und sinnlose Kassenbons für Brötchen sollen Steuerhinterziehung in Bäckereien verhindern. Während bei Hartz IV verfassungswidrig bis in die Obdachlosigkeit sanktioniert werden konnte, wurden den Tunnelbohrern bei S 21 sinnlose Milliardenaufträge in den Rachen geworfen. Die reiche Bahn soll 85 Mrd. Steuergelder der kleinen Leute sowie von Kunden bekommen, um pünktlich zu werden. Sie sollte besser dieses Geld durch Verkauf ihrer weltweiten Tochterfirmen flüssig machen, die sie durch Sparen am Bahnverkehr gekauft hat und die irrsinniger Weise die Hälfte ihres Geschäfts ausmachen. In einer Kirche Jesu müsste es ständig Aufschreie des Protestes geben.

Deshalb stehen wir auch als kleiner Kreis immer noch hier regelmäßig im Schlossgarten und gleichen aus, was unsere Kirchenleitung und ein großer Teil der Pfarrerinnen und Pfarrer versäumt. Wir wollen uns nicht entmutigen lassen. Auch die Friedensgebetsgruppe in der Leipziger Nicolaikirche war zeitweise eine Gruppe von 6 Menschen, wobei einer von der Stasi war. Auch wir gelten als ähnlich gefährlich, denn wir stehen unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes. Dieser schützt aber weniger das Grundgesetz als vielmehr die ungeschriebene kapitalistische Verfassung. Diese nennt Jesus beim Namen: Den Reichen ist zu geben, den Armen wird genommen. Diese heimliche ungeschriebene Verfassung hat unser Land erobert spätestens mit der Machtergreifung des globalen Neoliberalismus nach dem Ende des kalten Kriegs.

Aber was begonnen hat, kann auch wieder beendet werden. Die SPD könnte begriffen haben, dass sie sich mit ihrer Neoliberalisierung das eigene Grab geschaufelt hat. Zumindest die Parteibasis scheint dies bei der Wahl der Vorsitzenden bemerkt zu haben. Auch die Wählerverluste der Union zeigen, dass immer mehr Menschen der neoliberalen Ideologie überdrüssig werden. In Berlin kommt ein wirksamer Mietendeckel gegen neoliberalen Wucher. In Thüringen ist der Mut zu einer linken Minderheitsregierung gewachsen. Diese zwingt bei der ständig neuen Suche nach Mehrheiten auch die AfD, konkret Farbe zu bekennen und ihren ultraneoliberalen Kurs zu offenbaren. Dabei wird ihr ihr die Maske der scheinbaren Menschenfreundlichkeit vom Gesicht fallen und die abgehängten AfD-Sympathisanten werden erkennen, dass sie mit der AfD vom Regen in die Traufe kommen. Insbesondere das neoliberale Pilotprojekt S 21 wird dazu beitragen, durch seine vielen Unsinnigkeiten den Unmut über die neoliberale Politik zu verstärken. Die Kanzlerin hat S 21 als Erkennungsmerkmal einer erfolgreichen Zukunft Deutschlands ausgerufen, es muss ihr lebenslang um die Ohren fliegen als Symbol für neoliberalen Irrsinn.

Unser Herr Jesus Christus schenke uns die Ausdauer, die heimliche ungeschriebene neoliberale Verfassung immer wieder ans Licht zu zerren, damit Barmherzigkeit die Massen ergreift und der Lobgesang der Maria wahr wird: Den Ausbeutern wird wieder genommen, was sie den Armen geraubt haben, und es wird den Armen wieder zurück gegeben. Amen.

Ansprache beim Parkgebet am 5.12.2019 zu Joh 12,13-14 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Sie nahmen Palmzweige, zogen Jesus entgegen und riefen: „Hosianna, gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn“, der König von Israel. Jesus aber fand einen jungen Esel und setzte sich darauf, wie geschrieben seht: „Fürchte dich nicht, Tochter Zion! Siehe, dein König kommt, reitend auf einem jungen Esel“

Im Advent erinnern wir uns an den Einzug Jesu in Jerusalem. Das Volk schreit seine Hoffnung laut hinaus und streut Palmzweige wie bei der Heimkehr eines siegreichen Feldherrn. Doch Jesus zeigt mit einer ebenso deutlichen Geste, dass er keinen militärischen Aufstand anführen wird gegen die römischen Besatzer. Feldherrn kommen auf Pferden daher, Jesus auf einem jungen schwachen Esel. Jesus empfiehlt einen anderen Umgang mit den römischen Feinden als die militaristischen Heißsporne seiner Zeit. Er predigt und lebt den gewaltfreien zivilen Widerstand durch Boykott des römischen Geldes, das wegen des kaiserlichen Götzenbilds darauf für Juden tabu ist (Mk 12,13-17; /2. Mose 20, 3-4). Dieser Boykott hätte freilich zu einem bescheidenen Leben gezwungen. Heute nennt man das einen kleinen ökologischen Fußabdruck. Was bedeutet das für uns?

Die Weltmacht USA hat heute die Stellung der damaligen Weltmacht Rom. Der Dollar als Weltwährung gibt den USA die Möglichkeit, sich beliebig zu verschulden und neues Geld zu drucken. Wer mit dem Gedanken spielt, den Dollar zu boykottieren und etwa den Euro zur Leitwährung zu machen, dem ergeht es wie Saddam Hussein. Er war einst guter Freund der USA gegen den Erzfeind Iran, obwohl er seine eigene Bevölkerung gelegentlich mit Giftgas mordete. Als er für sein Öl nicht mehr Dollar, sondern Euro haben wollte, wurde er zum US-Feind und mit einem verlogenen Krieg überzogen. Als er gefangen genommen war, bekam er in einem kurzen Prozess die Todesstrafe, damit seine verbrecherische Kumpanei mit den USA nicht bekannt wurde.

Wenn Deutschland heute zu wenig in den USA kauft, folgen Strafzölle auf deutsche Exporte in die USA für diesen unerlaubten Boykott. Gleichzeitig werden von uns mehr Militärausgaben verlangt, um als treue Vasallen dem US-Feudalherren in seinen verlogenen Kriegen um Öl oder andere Rohstoffe beizustehen. Ministerin Kramp-Karrenbauer gibt die treue Vasallin und propagiert eine deutsche Rüstungsindustrie sowie mehr so genannte Verantwortung, d.h. mehr militärische Vasallentreue gegenüber Kaiser Trump. Vergessen scheint der Eselritt Jesu, das C passt tatsächlich nicht mehr zur Leuchtschrift auf der Berliner CDU-Zentrale.

Von einer Partei, die sich christlich nennt, ist zuallererst zu erwarten, dass sie die Atomwaffen aus Büchel ersatzlos wegschaffen lässt, sich in der Nato nur noch an nicht militärischer Konfliktlösung beteiligt und die Bundeswehr zu einer zivilen, allenfalls polizeilichen Entwicklungshilfeorganisation umgestaltet. Ein solcher Umgestaltungsplan ist in der badischen Landeskirche entworfen worden. Im Konflikt zwischen den USA und dem Iran um atomare Bewaffnung muss Deutschland gegen das US-Verbot weiter den Handel mit dem Iran aufrechterhalten, auch wenn die USA deshalb deutsche Firmen beim Handel bestraft. Wie einst zur Zeit Jesu muss beim gewaltfreien zivilen Widerstand ein kleinerer ökologischer Fußabdruck in Kauf genommen werden. Dem Klima wird dies gut tun. Und wir werden die Verheißung Jesu erfahren, dass weniges zu teilen glücklicher macht als vieles zu raffen (Mk 6,30-44).

Ein Konsumboykott im Sinne Jesu kann auch die Konzernherren entmachten, die in der Pyramide der Macht noch über dem plumpen Kaiser Trump stehen. Sie dürfen durch ihre Lobbyisten die Gesetze so schreiben lassen, dass für sie der optimale Profit entsteht. Durch Handelsverträge wie Ceta mit dubiosen Schiedsgerichten wird ihnen ermöglicht, von uns Steuer Zahlenden zusätzlichen Profit zu holen, falls ein Gesetz doch ihre Geschäfte beschneiden sollte. Sie dürfen das alles, weil ihnen in neoliberaler Verblendung die messianische Kompetenz zuerkannt wird, für ständig wachsenden allgemeinen Wohlstand zu sorgen. Wenn wir aber massenhaft mit weniger glücklicher werden, verlieren die mammonshörigen Konzernlenker ihre Macht und die Maske der Wohltäter, weil sie trotz immer mehr digitaler Werbung keinen weiteren sinnlosen Konsum erreichen.
Solche Konsequenzen aus dem Eselritt und dem zivilen Widerstand Jesu haben auch Bedeutung für den Kampf gegen das zerstörerische Unsinnsprojekt Stuttgart 21. Winfried Wolf hat immer wieder akribisch nachgewiesen, wie Autokonzernlenker das Projekt S 21 forciert haben, weil schlechterer Bahnverkehrs angeblich die Autobranche stärkt, die scheinbar für unseren Wohlstand sorgt. Aber in Wirklichkeit macht diese autogerechte Verkehrspolitik mehr Staus und schlechtere Luft. Die jüngere Generation zieht die Konsequenzen: Sie boykottiert zunehmend das Auto, es ist nicht mehr Statussymbol, in der Stadt wird es zum Klotz am Bein, auch das E-Auto. Die SUV-Begeisterung wird mit den älteren SUV-Fans aussterben. Wenn die Auto-Region Stuttgart nicht das Schicksal von Detroit erleiden soll, dann müssen die Autokonzerne und ihre Zulieferer neben den Autos neue Produkte entwickeln, die die Welt wirklich braucht, etwa Bewässerungsanlagen für Dürregebiete, die mit erneuerbaren Energien funktionieren. Statt mit autonomem Fahren für wenige megareiche Kunden muss die Autobranche ihr Geld künftig verdienen etwa mit alternativer Energiegewinnung.

Anders als zur Zeit Jesu können wir solches Umdenken heute nicht nur durch Konsumboykott fördern, sondern auch bei Wahlen. Die neoliberal verblendete große Koalition hat dies bezüglich ja schon einiges Fett ab bekommen. Durch die mutige Wahl der SPD-Basis kann die SPD wieder sozialdemokratisch werden aus der Groko aussteigen und linke Bündnisse suchen. Das deutsche Problem ist freilich, dass aus traditioneller Linkenangst neoliberal Geschädigte nicht selten rechts wählen statt links. Die Thüringer haben nun ein hilfreiches Zeichen gesetzt: Links kann vernünftig regieren. Der rechten Wählerschaft ist nun geduldig zu vermitteln, dass die AfD zwar schreit „Merkel muss weg“, aber dann die neoliberale Politik der Kanzlerin extrem verschärft, wenn sie etwa die Abschaffung der Erbschaftssteuer fordert. Auch wenn es derzeit nicht nach dem Umstieg 21 aussieht, wir müssen unsere Hoffnung nicht aufgeben, dass die Mehrheit im Land der neoliberalen Politik überdrüssig wird, gerade am Beispiel S 21, und bei Wahlen umsteigt. Amen.

Ansprache beim Parkgebet am 10.10.19 zu Mk 12,14-17 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Sie kommen und sagen zu ihm: … Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu geben, oder nicht? Sollen wir sie geben oder nicht geben? … Er sprach zu ihnen: … Bringet mir einen Denar, damit ich ihn sehe! Da brachten sie einen. Und er sagte zu ihnen: Wessen ist dieses Bild und die Aufschrift? Sie antworteten ihm: Des Kaisers. Da sprach Jesus zu ihnen: Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist!

Diese Antwort Jesu wird traditionell so verstanden, dass die Juden dem Kaiser Steuern schuldig sind, weil ja auch sein Bild und Name draufsteht. Dies ist aber ein krasses Missverständnis. Jeder fromme Jude hat damals genau verstanden, warum Jesus sich das Bild auf der Münze zeigen lässt: Der Kaiser will als Gott verehrt werden, Juden dürfen aber nach dem 1. und 2. Gebot Moses (2. Mose 20, 3-4) keinen anderen Gott verehren und keine Götzenbilder haben. Das bedeutet: Die Fragenden dürfen das Kaisergeld gar nicht benutzen. Im Tempel hat man daraus die Konsequenz gezogen: Die Wechsler mussten römisches in jüdisches Geld wechseln, sonst wären die gekauften Opfertiere nicht koscher gewesen (Mk 11,15-18). Jesus gebietet also den Boykott des Kaisergelds.

Das hätte zweierlei Wirkung gehabt: Der Kaiser hätte schwerer Steuern einziehen können. Auf jüdisches Steuergeld sich einzulassen hätte den Verlust seiner Göttlichkeit bedeutet, so wären nur noch Natuaralabgaben zu nehmen gewesen. Umgekehrt hätten die Juden mit ihrem Geld eine weiche Währung gehabt, mit der sie römische Waren, vor allem Luxus, kaum hätten kaufen können. Eine gewisse Leidensfähigkeit wäre für die begüterten Juden bei dem Boykott nötig gewesen. Aber der Boykott hätte als ziviler Ungehorsam gewirkt, ungefährlicher als ein militärischer Aufstand.

Ich habe diesen Text ausgewählt, weil vor zwei Wochen im Ev. Gemeindeblatt für Württemberg von Martin Luther King berichtet wurde, er habe die Gewaltfreiheit von Jesus und den zivilen Ungehorsam von Gandhi übernommen. Warum weiß auch jemand wie King nichts mehr vom zivilen Widerstand Jesu? Der Grund ist: Schon bei Paulus (Röm 13,1-7) heißt es, alle Herrscher seien von Gott eingesetzt. Erst recht als das Chrsitentum Staatsreligion wurde, war ein Gegensatz zwischen der weltlichen Herrschaft und Gott nicht mehr denkbar. Unser Reformator Luther bezog sich ganz einseitig auf Paulus, obwohl er hätte davon wissen können, dass Jesus den weltlichen Herrschern Machtmissbrauch vorwirft und stattdessen eine Kultur des Dienens fordert (Mk 10,42-44). So ist das Chrsitentum insgesamt und speziell unsere lutherische Kirche zu einer Kirche der Untertanen verkommen, in der ein Aufmucken gegen Herrscher Gotteslästerung bedeutet hat.

Deshalb gab es von Seiten der Kirchen leitenden Personen rund um Stuttgart keinen Widerstand gegen das Projekt Stuttgart 21. Es gilt: Die Kirche soll sich aus der Politik heraushalten. Das habe ich zu hören bekommen, seit ich vor 50 Jahren in den Kirchendienst getreten bin. Die das forderten, haben dabei verdrängt, dass die Kirchen, speziell die lutherischen, von Anfang an von politischen Rücksichten geprägt und deshalb hoch politisch waren. Die württembergischen Herzöge und Könige waren bis 1918 unsere Landesbischöfe. Der Kadavergehorsam gegen die Herrscher bestand weiter und auch die bekennende Kirche verehrte Hitler als von Gott gesandten Führer, um mit ihm in den Vernichtungskrieg zu ziehen und das Leben für Gott und Vaterland zu lassen.

Es wird höchste Zeit, dass wir uns wieder an Jesus orientieren und an seiner aktiven Kritik am Machtmissbrauch der Mächtigen. Dies wird unsere Augen öffnen für das, was um uns herum wirklich geschieht. Die wahrhaft Mächtigen sind die Konzernherren, die durch ihre Lobbyisten die Gesetze schreiben dürfen, weil das Heil der Arbeitsplätze und des Wohlstands angeblich von ihnen kommt. Dieser neoliberale Aberglaube in weiten Teilen der Bevölkerung macht sie so mächtig. Je mehr Menschen sich von diesem Aberglauben abwenden, wird ihre Macht schwinden. Ein Anfang sind Sammelklagen gegen Autokonzerne in Sachen Dieselbetrug. Das wird nicht reichen.Es kommt darauf an, dass wir die gewisse Leidensfähigeit aufbringen, um uns von dem verschwenderischen Lebensstil zu trennen, der den Klimawandel verschärft. Es braucht wirksamen Konsumboykott.
Wir können hoffen, dass die Bewegung Fridays for future einen wachsenden Teil der Bevölkerung auf diesem Weg mitnimmt, damit immer mehr sich darauf besinnen, was wir wirklich brauchen und was nicht.

Ein exemplarisches besonders heftiges Beispiel für Verschwendung ist das Projekt S 21. Die Kanzlerin erklärte in ihrer neoliberalen Verblendung diesen Unsinn als Schlüsselprojekt für die Zukunft Deutschlands. Sie wird wohl noch erleben müssen, dass es das Schlüsselprojekt für die Entzauberung des Neoliberalismus wird. Die unbelehrbare Starrköpfigkeit der Befürworter geht derzeit immer schmerzhafter ans Geld. Und das Sprichwort sagt ja: Beim Geld hört der Spaß auf. Der neoliberale Aberglaube an unbegrenztes Wachstum und immer mehr Wohlstand durch immer mehr Verschwendung kommt speziell bei S 21 zunehmend ins Wanken. Seriöse Institutionen wie der Bundesrechnungshof und der Rechnungsprüfungsausschuss des Bundestags werden immer lauter und sind immer schwerer zu überhören. Die Leistungslügen bekommen ständig kürzere Beine. Die Verzögerungen werden immer offensichtlicher. Selbst wenn die schräge Untergrundhaltestelle jemals in Betrieb ginge, so würde sie ein bleibendes Mahnmal gegen den Aberglauben des Neoliberalismus zur Warnung für künftige Generationen. Auch das Kernkraftwerk Kalkar wurde für Milliarden fertiggestellt, ging aber nie in Betrieb.

Deshalb ist es wichtig, dass wir nicht nachlassen, die Finger in die Wunden zu legen und den Leidensdruck bei den Befürwortern zu erhöhen. Das klingt hart, aber auch bei uneinsichtigen Alkoholsüchtigen muss gelegentlich der Leidensdruck erhöht werden, damit sich die Süchtigen in ihrem eigenen Interesse zu einer Umkehr motiviert fühlen. Auch die zerstörerische neoliberale Gier hat Suchtcharakter. Es gilt deshalb, mit gewaltfreiem zivilem Widerstand in der Nachfolge Jesu diese Gier als zerstörerische Krankheit bewusst zu machen, die verlogenen Heilsversprechen zu entlarven und zu entzaubern und die heilsame Umkehr anzubieten. Es ist immer noch nicht zu spät für einen Umstieg 21. Amen.

Ansprache beim Parkgebet am 12.9.19 zu Lk 19,41-44 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Und als er näher kam und die Stadt sah, weinte er über sie und sprach: Wenn doch auch du an diesem Tag erkannt hättest, was zu deinem Frieden dient! Jetzt aber ist es vor deinen Augen verborgen. Denn es werden Tage über dich kommen, da werden deine Feinde einen Wall gegen dich aufwerfen und dich ringsum einschließen und dich von allen Seiten bedrängen und dich dem Erdboden gleich machen.

Als Jesus sich Jerusalem nähert, spürt er in prophetischer Weise, dass die Heißsporne, die einen militärischen Aufstand gegen die römische Besatzung von ihm erwarten, auf den Untergang der Stadt hin arbeiten. Bei der Kritik des römischen Machtmissbrauchs nimmt Jesus kein Blatt vor den Mund, aber er empfiehlt keine Gegengewalt, sondern eine Gegenkultur des Dienens (Mk 10, 42-44). Allenfalls befürwortet Jesus gewaltfreien zivilen Widerstand, etwa durch eine Boykott römischen Geldes (Mk 12,13-17), weil die Kaiserbilder auf den Münzen Götzenbilder sind. Jesus wünscht der Stadt auch nicht Feuer vom Himmel, sondern weint über sie, als er das Unheil voraussagt.

Ich bin auf diesen Text gekommen, als ich im Fernsehen den Tübinger Landrat sagen hörte, er habe kein Verständnis dafür, dass der Landesverkehrsminister das Projekt Stuttgart 21 so schlecht rede. Er lese doch von Seiten der Bahn, dass mit S 21 der integrale Deutschlandtakt vollständig möglich sei. Er macht sich damit blind für das Unheil, das mit S 21 auf uns zu kommen kann, wie einst die Eliten in Jerusalem nicht sehen wollten, was sie mit einer militärischen Erhebung anrichten würden. Die Katastrophe trat 40 Jahre später ein: Jerusalem wurde zerstört. Gewiss war das insgesamt schlimmer als das, was uns mit S 21 erwartet, aber immerhin werden auch bei S 21 Menschenleben gefährdet. Dass die Region Stuttgart durch die schräge Untergrundhaltestelle bahntechnisch abgehängt wird, mag demgegenüber weniger wichtig zu sein, aber dass ein CDU-Landrat von Tübingen den verlogenen Heilspropheten der DB AG derart unkritisch glaubt statt sich selbst zu informieren, erscheint mir doch ein Symptom eines noch größeren Unheils.

In den vergangenen Wochen entstand im industriellen Norden unseres Planeten große Empörung über die Brandstifter im Regenwald des Amazonasgebiets. Nur wenige Stimmen machten darauf aufmerksam, dass Europa selbst damit zu tun hat. Durch das Handelsabkommen Mercosur versucht Europa für bessere Absatzmärkte in Südamerika zu sorgen, umgekehrt soll mehr Fleisch von dort in Europa verkauft werden. Das ermutigt, den Regenwald für Rinderzucht und Tierfutter zu nutzen. Die dortigen Fleischkonzerne opfern den Wald und das Klima für ihre Profite. Schlimm. Aber genau das machen auch unsere Konzerne, die immer mehr spritfressende Autos und Flugreisen für mehr Gewinn anbieten, und die Kunden machen mit. Sie machen sich blind für die Klimafolgen wie der Tübinger Landrat für die Folgen von S 21.

Nun sind erfreulicherweise junge Leute zu Freitagsdemonstranten geworden und rütteln Politiker wach. Die Jugendlichen wollen nicht mehr die Augen so zu machen wie die Politiker, die in vorlaufendem Gehorsam von den Profit orientierten Konzernlobbyisten die Gesetze formulieren lassen. Gewiss können diese jungen Leute nicht gleich die Lösungen präsentieren, um die sich selbst ernannte Fachleute wie der FDP-Chef Lindner bisher nicht gekümmert haben. Aber der Erfolg oder das Erlahmen der Bewegung Fridays for Future wird davon abhängen, ob sie rettende Visionen entwickeln sowie Mittel und Wege aufzeigen können, beim Klimawandel gegenzusteuern. Es wird nicht ausreichen sich zu beklagen, dass irgendwer ihnen ihre Zukunft klaut. Nicht nur sie, wir alle, müssen weltweit anschauen, was unterlassen werden muss und was neu anzupacken ist. Dabei werden diese Kinder des reichen Nordens und wir alle gestehen müssen, dass wir verstrickt sind in ein Wirtschaftssystem, das dem Götzen Mammon folgt und nicht dem Gott der Barmherzigkeit. Nur wenn wir global dem Götzen absagen und in unserem Denken und Handeln dem barmherzigen Gott dienen lernen, ist auch für das Klima Rettung in Sicht.
Wenn wir bejammern, dass unser Klima in Mitteleuropa mittelmeerischen Charakter bekommt, dann wirkt das wehleidig, denn in den verdorrenden Gegenden Afrikas uns Asiens steigen die Temperaturen auf 40-50 Grad Celsius. In den kommenden Jahrzehnten werden 700 Millionen Menschen vor dem Verdursten aus den verdorrenden Regionen fliehen müssen, um das nackte Leben zu retten. Der reiche industrielle Norden mit seinen Möglichkeiten muss jetzt dort für ein auskömmliches Leben sorgen. Statt Waffen und luxuriöse Spritfresser zu bauen und den Flugverkehr auszuweiten müssen Bewässerungssysteme entwickelt und gebaut werden, damit z.B. die Sahara fruchtbar und bewaldet wird. Ich stelle mir Windräder vor den leer gefischten Küsten Afrikas vor, die Meerwasser ins Landesinnere pumpen. Dort kann sich die Bevölkerung selbst mit einfachen Mitteln Entsalzungsanlagen bauen, um Trinkwasser zu produzieren, Felder zu bewässern und Wälder aufzuforsten. Preiswerte Parabolrinnen mit wenig Ressourcenverbrauch liefern solaren Strom nach Europa und ersetzen dort fossile Energieträger. Die Jugend im Norden wird dann Arbeitsplätze besetzen, die nicht mehr zerstörend, sondern rettend und barmherzig wirken.

Ein Mosaikstein wird dabei ein Bahnverkehr sein, der Autos weitgehend überflüssig macht. Deshalb muss hier in Stuttgart das Konzept Umstieg 21 verwirklicht werden, damit wir beim Anblick der Stadt künftig nicht mehr weinen müssen wie einst Jesus über Jerusalem. Amen.

Das Parkgebet feiert seinen 9. Geburtstag!

Am Donnerstag, 8. August 2019 um 18.15 Uhr im Schlossgarten bei der Lusthausruine ist es so weit: Wir feiern den 9. Geburtstag!

Eigentlich ist es kein Grund zum Feiern: dass wir seit 9 Jahren gezwungen sind, auch durch Andacht und Gebet unsern Protest gegen das Staatsverbrechen Stuttgart 21 zu zeigen und zu stärken.

Und es ist kein Grund zum Feiern: dass Politik, Wirtschaft, Behörden, Medien und Justiz in opportunistischer Verbrüderung und mafiösem Korps-Geist ein Projekt am Laufen halten, von dem jeder Informierte weiß, dass es ein unermesslicher Schaden für die Bevölkerung ist.

Und es ist kein Grund zum Feiern: Dass das Parkgebet nicht von den Kirchen organisiert wird, sondern von Ehrenamtlichen mit teils bewundernswertem Einsatz – und dass die Kirchen stattdessen leisetreterisch, konfliktscheu und staatstreu dazu schweigen.

Aber dennoch haben wir Grund zum Feiern: dass auch heute noch – nach so vielen Jahren –jeden 2. Donnerstag mehr Leute zusammenkommen als sonntags in vielen Kirchen des Landes, um für die Stadt Stuttgart zu beten.

Dennoch ist es ein Grund zum Feiern, wenn auf diese Weise alle zwei Wochen deutlich wird: (Auch) für informierte ChristInnen ist das Projekt Stuttgart 21 ein Skandal.

Und dennoch ist es ein Grund zum Feiern: Wenn auf diese Weise – ganz wie bei den biblischen Propheten – Glaube und Protest sich verbinden, wenn Glauben sich nicht auf Herzensfrömmigkeit beschränkt, sondern Verantwortung für die Welt übernimmt – und zwar ganz konkret und missbilligt von den Mächtigen.

Und so feiert das Parkgebet gerne seinen 9. Geburtstag! Denn in den vergangenen 9 Jahren seit August 2010 haben im Schlossgarten wohl um die 250 Parkgebete stattgefunden – bei jedem Wetter und immer mit ansehnlicher Besucherzahl, um für das Wohl unserer Stadt zu beten und sich auszutauschen.

Herzliche Einladung zum Jubiläums-Parkgebet, das wieder Guntrun Müller-Enßlin und Sylvia Rados gestalten werden – unterstützt wie immer von den BläserInnen des unvergleichlichen „Parkblechs“.

Parkgebet 16. Mai 2019 Apg. 16, 23ff Paulus und Silas im Gefängnis Pfarrer i.R. Hans-Eberhard Dietrich

Liebe Parkgemeinde,

1. Sonntag Kantate und seine Bedeutung im Rhythmus des Kirchenjahres
„Da wo man singt, da lass dich ruhig nieder, denn böse Menschen haben keine Lieder“. Das stimmt zwar nicht ganz, warum sollen böse Menschen nicht auch auf ihre Art ihre Lieder singen. Der Satz stimmt aber, wenn wir ihn in dem Zusammenhang lesen, wie ihn der Dichter ursprünglich gemeint hat:
„Wo man singt, da lass dich ruhig nieder,
Ohne Furcht, was man im Lande glaubt;
Wo man singt, da wird kein Mensch beraubt;
Bösewichter haben keine Lieder.“ (Seume)

Damit haben wir das Thema heute angesprochen: Singen, so wie auch der nächste Sonntag heißt: Kantate, singt dem Herrn ein neues Lied.

Im Rhythmus des Kirchenjahres befinden wir uns in der Mitte zwischen Ostern und Pfingsten, zwischen der Auferstehung Jesu und der Ausgießung des Heiligen Geistes über seine Jüngerinnen und Jünger. Diese sechs Sonntage haben (wie auch die Sonntage vor Ostern) alle ihren Namen, natürlich auf lateinisch: Quasimodogeniti, Miserikordias Domini, Jubilate, Kantate, Rogate und Exaudi. Mit dem Namen ist jeweils ein eigenes Thema verbunden: Da werden immer neue Facetten beleuchtet von dem, was es heißt, wenn wir bekennen: Christus ist auferstanden.
Da geht es um die Taufe, ums Beten, Jesus als der gute Hirte usw. Und letztlich auch ums Singen. Kantate. Singt dem Herrn ein neues Lied.

2. Die Bedeutung des Singens, auch in unserer Bewegung
Nicht nur im Glauben spielt der Gesang eine wichtige Rolle. Wir alle erinnern uns sehr gut an die Anfänge unserer Protestbewegung, da wurde noch sehr viel gesungen, kreativ wurden Lieder gedichtet, bekannte Melodien umgeschrieben usw. usw. Das Singen und die Lieder als Ausdruck der Begeisterung und des Protests. „Mit Liedern gegen Stuttgart21“, so hatten die Kopf-Bahnhof-Singers 2015 ihr Liederbuch genannt. Und sie singen noch heute nach der Montags-Demo im Bahnhof.

Und wie steht es heute neun Jahre später? Irgendwie ist das fröhliche, unbeschwerte Singen bei den Demos verstummt. Ist uns das Singen vergangen, weil unser Protest schon so lange dauert? Wir wollen es nicht beklagen. Alles Ding hat seine Zeit. Vielleicht war dieses Singen ein starker Motor, der zu Beginn unseren Protest erst richtig in Schwung gebracht hat.

3. Das Singen setzte sich fort in Aufklärung über die eigentlichen Hintergründe des Projekts
Auf die Begeisterung des Anfangs folgte notwendig die kontinuierliche Aufklärung, Erforschung und Darstellung aller Facetten und Einzelheiten dieses Projektes, die gesellschaftliche Analyse der Hintergründe, das Aufzeigen der Auswirkungen auf Verkehr und Klima usw. usw. Ich meine, darin liegt die eigentliche Leistung und wenn man will der Erfolg unseres Protestes.
Da wird in der Politik in Stadt und Land ein Projekt als alternativlos, als fortschrittlich, als zukunftsweisend, als innovativ bezeichnet und wie die ganzen Schlagwörter hießen. Und da gibt es uns, die wir sagen: Nein, es gibt Alternativen. Eure ganzen Schlagworte sind verlogen.
Und kontinuierlich weisen wir seitdem auf den Rechtsbruch, auf die Geld- und Ressourcenverschwendung hin, auf die Umweltschäden und die Beschädigung der Rechtskultur. Mit unserem Protest machen wir deutlich: Wir machen nicht länger mit bei einem unnützen und menschenverachtenden Großprojekt.

4. Eine wichtige Erkenntnis: Großprojekte als Ausgeburt des Neokapitalismus
Eine ganz wichtige Erkenntnis, die ich im Laufe der Jahre gewonnen habe, und vielleicht ist es auch vielen von Euch so ergangen, ist die: Die Triebfeder solcher Großprojekte ist der Neokapitalismus. Und der hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte als der unumschränkte Souverän und Herrscher klammheimlich in unserer Gesellschaft breit gemacht. Diese Ideologie hat sich bis in die Alltagssprache und das Denken hinein verfestigt, so dass es die meisten Menschen gar nicht mehr merken.
Ich will ein paar solcher Schlagworte nennen: Wachstum, Qualitätssicherung, Fortschritt, Innovation. Es ist nicht schlimm, falsch oder gar verwerflich, solche Wörter zu gebrauchen. Schlimm ist es, dass man sie nicht mehr hinterfragt, z.B. Fortschritt, ja wohin? Wachstum, ja wohin, wozu? In der Medizin nennt man grenzenloses Wachstum Krebs.

Unser Protest macht deutlich: Wir spielen nicht mehr mit beim neoliberalen Kapitalismus, der bedenkenlos die Erde ausplündert und die Klimakatastrophe schulterzuckend hinnimmt mit den Argumenten: Wir machen doch schon so viel, wir können nur zusammen mit Europa handeln, und wie die Ausreden alles heißen.

5. Gotteslob im Gesang an einem ungewohnten Ort: Paulus und Silas im Gefängnis
Aber zurück zum Singen im Glauben. Wir hier im Parkgebet singen noch, das Parkblech spielt noch. Es gibt ein Gotteslob auch jenseits von Hochstimmung und Aussicht auf Erfolg.
Ein schönes Beispiel wird uns aus der Frühzeit der Kirche in der Apostelgeschichte Kap. 16 erzählt. Es ist der Predigttext des nächsten Sonntag Kantate. Der Text ist zum Vorlesen zu lange, so dass ich nur das Wichtigste erzählen will.

Paulus und Silas auf Missionsreise in Philippi, in Griechenland, eine Bezirkshauptstadt des römischen Reiches. Eine kleine Gemeinde hatte sich schon gebildet. Sie haben noch keine Kirche, noch nicht einmal einen eigenen Raum, wo sie sich versammeln könnten. Nein, draußen vor der Stadt, am Fluss, kommen sie zusammen. Gottesdienst im Grünen sozusagen, auch dem Wechsel des Wetters ausgesetzt. Von der sehr langen und wunderbaren Erzählung soll uns nur das eine beschäftigen.

Da hatten die beiden Zeugen durch ihre Predigt des menschenfreundlichen Christus einigen Sklavenhändlern das Geschäft verdorben. Sie hetzen den Mob auf die beiden Apostel, die Obrigkeit leiht ihnen willfährig ihre Macht, sie werden ausgepeitscht, gegen jedes Recht und Gesetz, und ins Gefängnis geworfen.
Es ist wie so oft in unserer Welt: Wo Geld und Macht die beherrschende Rolle spielen, da bleibt das Recht auf der Strecke. Dort sitzen sie, die Hände und Beine zwischen zwei Balken gepresst, bewegungslos und mit blutenden Rücken.
Was tun sie: Sie fluchen nicht, sie wünschen ihren Peinigern und den Rechtsbrechern auch nicht alles Böse an den Hals, sie klagen auch nicht Gott ihren Schmerz. Sie haben es sicherlich erraten, was sie tun:
Mitten in der Nacht fangen sie an zu singen, sie stimmen Gott ein Loblied an.
Sie singen aus der Tiefe ihrer Not heraus, gleichsam als die letzte Möglichkeit ihrer Verkündigung des Evangeliums vom Kreuz. Das neue Lied von Ostern. In menschlich auswegloser Lage erklingt das neue Lied. Es besingt hoffnungsstark die Erfüllung von Gottes Verheißung.

Man fragt sich: Wie kommen die Apostel, wie kommen überhaupt Menschen dazu, Gott zu loben? Mir ist dazu ein Text von Hanns Dieter Hüsch eingefallen. Viele von Euch kennen ihn vielleicht:

Was macht, dass ich so fröhlich bin?
Ich bin vergnügt, erlöst, befreit.
Gott nahm in seine Hände meine Zeit,
mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen,
mein Triumphieren und Verzagen,
das Elend und die Zärtlichkeit.

Was macht, dass ich so fröhlich bin
in meinem kleinen Reich?
Ich sing und tanze her und hin
vom Kindbett bis zur Leich.

Was macht, dass ich so furchtlos bin
an vielen dunklen Tagen?
Es kommt ein Geist in meinen Sinn,
will mich durchs Leben tragen.

Was macht, dass ich so unbeschwert
und mich kein Trübsinn hält?
Weil mich mein Gott das Lachen lehrt
wohl über alle Welt.

Ich bin vergnügt, erlöst, befreit.
Gott nahm in seine Hände meine Zeit,
mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen,
mein Triumphieren und Verzagen,
das Elend und die Zärtlichkeit.
Hanns Dieter Hüsch

6. Ein bewundernswerte Gelassenheit des Glaubens, einfach zum Nachahmen
Ich finde eine solche Gelassenheit, eine solche Zuversicht und Leichtigkeit des Lebens, wie es Hüsch hier singt, bewundernswert, einfach zum Nachahmen und Einstimmen.
Ich bin vergnügt, erlöst, befreit.
Gott nahm in seine Hände meine Zeit,

Ich könnte mir denken, dass die beiden Apostel Silas und Paulus im Gefängnis auch von dieser Zuversicht des Glaubens durchdrungen waren, dass sie einfach anfingen, mitten der Nacht ein Lied anstimmten,
Was macht, dass ich so furchtlos bin
an vielen dunklen Tagen?
Es kommt ein Geist in meinen Sinn,
will mich durchs Leben tragen.

7. Der Ausgang der Geschichte
Nun, liebe Parkgemeinde, Ihr wisst vielleicht, wie die Geschichte damals in Philippi ausgegangen ist. Die Geschichte hat ein Happyend. Die Apostel werden durch ein Erdbeben befreit, ja der Gefängniswärter ist so von dem Gesang und dem Erdbeben beeindruckt, dass er zum Glauben kommt, ein neuer Mensch wird. Ich kann mir bei ihm nicht vorstellen, dass er weiterhin ein willfähriger Handlanger der Herrschenden bleibt. Leider wird uns nichts von seinem Schicksal berichtet. Nur so viel, dass er und seine ganze Familie sich taufen lassen. Ein echter Glaube setzt aus sich gute Werke heraus, wie Luther nicht müde wird zu betonen. Und ich könnte mir gut denken, dass jetzt auch der Gefängniswärter samt seiner Familie, alle einstimmen in das neue Lied des Glaubens.

Ich bin vergnügt, erlöst, befreit.
Gott nahm in seine Hände meine Zeit,
mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen,
mein Triumphieren und Verzagen,
das Elend und die Zärtlichkeit.

Amen

Ansprache beim Parkgebet am 2. Mai 2019 zu Jer 28,5-9 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Da sprach der Prophet Jeremia zum Propheten Hananja vor den Priestern und allen Leuten, die im Hause des Herrn standen: … So sei es! Möchte der Herr das tun! Möchte der Herr deine Worte, die du geweissagt hast, erfüllen, und die Geräte des Hauses des Herrn und die Verbannten alle von Babel an diesen Ort zurück bringen. Nur höre dieses Wort, das ich dir und allem Volke zu sagen habe: Die Propheten, die vor mir und vor dir gewesen sind von alters her, die haben über viele Länder und Königreiche geweissagt von Krieg und Unheil und Pest. Wenn aber ein Prophet von Frieden weissagt, so wird man daran, dass sein Wort eintrifft, erkennen, dass in Wahrheit der Herr diesen Propheten gesandt hat.

Da kam es also zum Streit der Propheten. Hananja bietet die Heilsbotschaft, die das Volk gerne hört. Die große Schmach der Niederlage gegen die Babylonier, die Wegführung der israelischen Eliten nach Babel und der Raub der heiligen Geräte des Tempels im Jahr 597 v. Chr., das soll in Kürze alles wieder gut werden. Dazu braucht es natürlich einen neuen Krieg. Davor warnt Jeremia eindringlich und rät, sich mit der Herrschaft der Babylonier zu arrangieren statt durch einen militärischen Aufstand alles noch schlimmer zu machen. Die Situation erinnert mich an die Jahre nach 1945, als nicht wenige unbelehrbare Deutsche auf einen neuen Krieg hofften, bei dem sie sich dann auf der Seite der Sieger phantasierten. Als ob die riesigen Kriegsschäden noch nicht genug waren.
Jeremia tritt dem populistischen Heilspropheten mit einem hölzernen Joch auf den Schultern öffentlich entgegen. Er drückt damit aus: Der Gott Israels lädt euch das Joch Babels auf. Er kündigt zugleich dem Hananja an, dass er daran gemessen wird, ob seine Heilsweissagungen eintreffen. Daraufhin nimmt Hananja in einem spektakulären Akt das Joch von Jeremias Schultern und zerschmettert es. Auch nach 2600 Jahren können wir uns leicht vorstellen, wie die Menge gejohlt haben mag und wie Jeremia wie ein begossener Pudel nach Hause geschlichen ist.

Ich habe diesen Bericht für unser heutiges Parkgebet ausgewählt, weil ich von Michael Pradel, dem Bauleiter für Stuttgart 21 den Satz gelesen habe: „Die Leute, die heute noch zur Elbphilharmonie nach Hamburg pilgern, kommen dann in den Stuttgarter Hauptbahnhof, um die Architektur zu begutachten und sich daran zu erfreuen.“ Da hätte ich gerne mit Jeremia gesagt: „Dein Wort in Gottes Ohr. Es wird sich noch zeigen, ob deine Heilsweissagung eintrifft“. Der Vergleich mit der Hamburger Elbphilharmonie erschöpft sich darin, dass das Bauwerk auch um ein Vielfaches teurer wurde als geplant. Das Ziel war dort eine gute Akustik, die scheint gelungen. Das Ziel bei Stuttgart 21 ist gelingender Bahnverkehr. Danach sieht es aber nun wirklich nicht aus. Selbst in Hamburg ist noch nicht aller Tage Abend. Ich erinnere an die Berliner Kongresshalle, die wegen ihres genial geschwungenen Dachs von den Berliner „schwangere Auster“ genannt wurde. Sie hatte auch eine tolle Akustik, ich konnte das selbst 1960 kurz testen. 1980 brach das Dach ohne Vorwarnung ein. Danach wurden die statischen Planungsfehler erkannt. Ich will kein Unheilsprophet für Hamburg sein und möchte deshalb noch nicht daran denken, dass die Elbphilharmonie einmal durch den Klimawandel im Wasser stehen wird.

Aber für S 21 bleibt mir zunächst nur die Rolle des Unheilspropheten Jeremia. Ich muss Michael Pradel und anderen S 21-Fans den Vergleich mit dem Berliner Flughafen vorhalten. Er sollte 2012 in Betrieb gehen, der Brandschutz ist bis heute noch nicht fertig. Bei S 21 will man die Brandschutzprobleme im Rahmen der Inbetriebnahme lösen. Während man in Berlin manches neu bauen konnte, wird man bei S 21 die Tunnel oder die Untergrundhaltestelle nicht mehr verbreitern können, um den Anforderungen des Brandschutzes zu genügen. S 21 geht dem Schicksal des schnellen Brüters in Kalkar am Niederrhein entgegen, der Milliarden DM verschlang und dann nie ans Netz ging. Heute ist dort ein Vergnügungspark. Der Vergleich mit diesem Projekt könnte Michael Pradel recht geben. Vielleicht wird aus einem Teil der Untergrundhaltestelle noch eine Markthalle, in der die Einkaufenden die Kelchstützen begutachten können als Mahnmal gegen die neoliberale Verblendung, in der diese Haltestelle einmal als Deutschlands goldene Zukunft galt.

Ich will nicht verschweigen, dass das Schicksal des Jeremia nicht besonders ermutigend erscheint. Er sollte recht behalten. Der Aufstand der populistischen und militaristischen Elite um den König endete in der Katastrophe. Das hat aber vermutlich Jeremia nicht geholfen. Wahrscheinlich haben ihn seine Gegner nach Ägypten verschleppt, wo sich seine Spur im Dunkel der Geschichte verliert. Ich will aber in dieser nachösterlichen Zeit nicht ins Schwarzmalen verfallen. Das Geschick des Jeremia muss sich heute nicht wiederholen. Je länger sich der Bau von S 21 hinzieht, umso mehr wird seine Unsinnigkeit in breiten Bevölkerungsschichten bewusst und umso mehr werden die Bahnverantwortlichen selbst unter dem Projekt leiden. Diesen Eindruck haben die Vertreter des Aktionsbündnisses in den Gesprächen mit den Bahnvorständen. Insbesondere die Kosten werden mehr und mehr schmerzen. Irgendwann wird auch die Bundesregierung bei Wahlen den politischen Preis bezahlen müssen für das Unsinnsprojekt, das sinnvollem Bahnverkehrsausbau im Wege steht. Und umso länger bleibt der Kopfbahnhof erhalten und kann seine Überlegenheit und Zukunftsfähigkeit unter Beweis stellen.

Es mag sein, dass die Älteren unter uns den Meinungsumschwung der Verantwortlichen nicht mehr erleben werden. Aber deshalb sind wir eine Bewegung, die länger bestehen wird als die Einzelnen. Ich denke dabei an eine Szene aus Bert Brechts „Die Tage der Commune“. Als sich die Protagonisten einer neuen sozial vorbildlichen Pariser Gesellschaft angesichts des feindlichen Geschützfeuers ihrem nahen Ende konfrontiert sehen, sagt Genevieve zu Jean: Nun Jean, wir lernen. Da antwortet Jean: Das wird uns viel nützen, wenn wir ins Gras beißen. Da erwidert sie: Ich sagte wir, das sind mehr als du und ich. Tatsächlich haben sich die kühnen Vorstellungen der Pariser Commune 100 Jahre später in der europäischen Sozialgesetzgebung durchgesetzt.

Ich sehe darin etwas vom unerschütterlichen nachösterlichen Vertrauen der Jüngerschaft Jesu. Lassen wir uns auch in unseren Tagen anstecken von dieser österlichen Zuversicht. Amen.