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Ansprache beim Parkgebet am 27.7.2017 zu Amos 9,7 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

„Seid ihr Kinder Israel mir nicht gleichwie die Mohren?“ spricht der Herr. „Habe ich nicht Israel aus Ägyptenland geführt und die Philister aus Kaphtor und die Aramäer aus Kir?“

Diese schlichten Fragen aus dem Buch des Propheten Amos stellten 750 v. Chr. eine theologische Revolution dar. Amos nimmt die zentrale Gotteserfahrung der Israeliten auf, die Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei. Diese Erfahrung hatte in Israel zu dem Erwählungsglauben geführt, Gott gebe diesem Volk eine privilegierte Stellung in der Völkerwelt. Daraus hat sich dann der Anspruch entwickelt, andere Völker gering zu schätzen und unterdrücken zu dürfen. Wie auch andere Propheten musste Amos die Erwählungsgläubigen daran erinnern, dass Gott das versklavte Volk Israel befreit hatte mit dem Auftrag, niemals andere zu versklaven. Dass Gott auch andere versklavte Völker befreit und damit der Gott aller Völker ist, war für die Erwählungsgläubigen ein schwerer Schock. Ich denke, wir können das im Blick auf unsere deutsche Geschichte gut nachempfinden: So müssen sich alle, die „Deutschland über alles“ gesungen hatten, nach dem 8. Mai 1945 gefühlt haben.

Ich erinnere an diesen theologischen Wendepunkt im Alten Testament, um unseren Blick über die Probleme mit Stuttgart 21 hinaus auszuweiten. Verglichen mit der Not in den Kriegs- und Hungergebieten der gegenwärtigen Welt erscheint unsere Not mit Stuttgart 21 fast wehleidig. Gewiss gibt es einen Zusammenhang zwischen den Kräften, die Stuttgart 21 am schwarzen Donnerstag mit Mitteln einer Diktatur durchzusetzen versuchten, und den Kräften, die weltweit Krieg und Hunger verursachen. Die neoliberale Gier der Mächtigen in Wirtschaft und Politik hat einst die Polizeigewalt hier in den Schlosspark gebracht, aber noch viel mehr bringt diese Gier Elend und Tod in die Kriegs- und Hungergebiete der gesamten Welt. Jesus bezeichnet diese zerstörerische Macht als den Götzen Mammon. Wer diesem Götzen dient, kann nicht zugleich dem barmherzigen Gott Jesu dienen (Mt 6,24). Und wer dem Gott Jesu dienen will, muss dem Götzen Mammon Widerstand leisten.

Was können wir als kleine Gruppe von Parkgebetsleuten da ausrichten? Ich kann zu dieser Frage nur an die Handvoll Menschen beim Leipziger Friedensgebet nach dem Scheitern des Widerstands gegen die Natonachrüstung im Jahr 1984 erinnern. Aus dieser kleinen Zelle wuchs die christliche Bewegung, die den „Kalten Krieg“ im Zusammenwirken mit dem Atheisten Gorbatschow überwand. Auch wenn die Chancen dieser Entwicklung seit 1989 zu wenig genutzt wurden, so bleibt uns doch nichts anderes übrig, als wie die Handvoll der Betenden von Leipzig unbeirrt die Vision einer barmherzigen und friedlichen Welt festzuhalten, auch in Zeiten von Führungsfiguren wie Trump, Xi Jinping, Putin, Macron, May und Merkel.

Was lässt uns hoffen? Nachdem die lutherischen Kirchen fünf Jahrhunderte hindurch die Verweigerung des Kriegsdiensts verdammten und aktiv Kriegstreiberei begingen, haben sich nun in Württemberg Synode und Kirchenleitung wenigstens verpflichtet, gegen den Export von mörderischen Kleinwaffen und für die Umwandlung von Rüstungsproduktion in friedliche Produktion einzutreten. Ein kleiner Schritt, aber doch ein erstaunlicher, nachdem Württembergs Landesbischof von Keler noch 1983 vor der Landessynode Atomwaffen befürwortete, obwohl er im gleichen Atemzug eingestand, dass sie die Freiheit, die sie angeblich verteidigen, in Wirklichkeit zerstören. Und immerhin ist unsere Landeskirche damit schon etwas weiter als unsere Bundesregierung, die allenfalls Rüstungsausfuhren in die Türkei einschränken will. Unser Gebet muss ergänzt werden durch entschlossene politische Überzeugungsarbeit.

Ich war letzte Woche beim Tag der Schulen in einer Bruchsaler Kaserne. Es waren Schulklassen da, die hautnah Bundeswehr erleben sollten. Ich kam mit Soldaten ins Gespräch. Ich sehe ihre Entscheidung für den Militärdienst kritisch, aber noch kritischer stehe ich der Militärpolitik der Regierung gegenüber. So fragte ich Soldaten, ob sie sich nicht z. B. in Afghanistan verheizt fühlten in einem Krieg, der nicht zu gewinnen ist. Sie verneinten. Ich erinnerte an den Backnanger Gefreiten Menz, der sich dort als Entwicklungshelfer verstand und wenige Tage vor seiner Rückkehr von einem als Soldat verkleideten Terroristen beim Panzerreinigien erschossen wurde. Ich verwies auf Art. 24 (2) GG, dass Deutschland sich einem „System gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ anschließen darf, was 1949 nicht die Nato meinte, die nur Bündnispartner sichert durch brutales Faustrecht. „Kollektive Sicherheit“ denkt an alle möglichen Konfliktpartner, auch an die Taliban und den IS, verwirklicht also Feindesliebe. Dass die Leute vom IS zwar schlimm sind, aber nicht schlimmer als unsere Freunde in Saudi Arabien. Dass der Sieg über den IS im Irak und Syrien nur bedeutet, dass der asymmetrische Krieg der Terroristen nun noch mehr in unser Land kommt. Die Soldaten waren total überrascht von diesen Gedanken, wohl ebenso wie die Israeliten, die zur Zeit des Amos an ihre privilegierende Erwählung glaubten.

Einer rechtfertigte die Kriegseinsätze als demokratisch legitimiert. Ich wandte ein, dass die UNO eine Organisation von fünf Feudalherrschaften ist, die die Welt untereinander aufteilen und einander gewalttätig gewähren lassen. Demokratisch sei allenfalls der Beschluss der 122 Länder, die jüngst die Atomwaffen ächteten. Da fiel beim obersten Offizier für Öffentlichkeitsarbeit der Groschen: „Es müsste also die Vollversammlung entscheiden und nicht der Sicherheitsrat“. Ich bestätigte, dann könnten sie als Soldaten die Weltpolizei sein, die an Recht und Gesetz gebunden ist und die wir brauchen. Am Ende meinte der Offizier, wir sollten im Gespräch bleiben. Er hatte von der Zeit geschwärmt, als die afghanischen Kinder den deutschen Soldaten noch freudig zugewinkt hatten. Beim nächsten Gespräch werde ich versuchen mit ihm zu ergründen, warum sie schließlich nicht mehr gewinkt haben.

Diese kleinen Mühen in der Überzeugungsarbeit können natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass in den Kriegs- und Hungergebieten weiterhin unsäglich gelitten wird. Das Festhalten an der Vision einer gerechteren und friedlicheren Welt und der Einsatz für eine solche hilft aber, nicht in Resignation zu versinken. Der Gott des Friedens und der Barmherzigkeit schenke uns den Mut und die Ausdauer, in seinem Dienst nicht zu verzagen. Amen.

Ansprache beim Parkgebet am 29.6.2017 zu 1. Mose 11,1-8 (Ausschnitt) von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Die Menschen hatten damals noch eine einzige, allen gemeinsame Sprache. … Sie sagten: „Ans Werk! Wir bauen uns eine Stadt und einen Turm, der bis an den Himmel reicht! Dann werden wir in aller Welt berühmt. Dieser Bau wird uns zusammenhalten, sodass wir nicht über die ganze Welt zerstreut werden.“ Der Herr kam vom Himmel herab, um die Stadt und den Turm anzusehen, die sie bauten. Denn er sagte sich: „Wohin wird das noch führen? Sie sind ein einziges Volk und sprechen alle dieselbe Sprache. Wenn sie diesen Bau vollenden, wird ihnen nichts mehr unmöglich sein. Sie werden alles ausführen, was ihnen in den Sinn kommt. Ans Werk! Wir Steigen hinab, und verwirren ihre Sprache, damit keiner mehr den andern versteht!“ So zerstreute sie der Herr über die ganze Erde, und sie mussten ihre Pläne aufgeben.

Auch noch die Bibelübersetzung in heutigem Deutsch von 1982 setzt über die Turmbauerzählung die Überschrift: „Die Menschheit will es mit Gott aufnehmen“. Das ist die klassische Deutung der Erzählung: Die bösen Menschen müssen vom guten Gott in Schach gehalten werden, damit sie nicht allen Unsinn treiben können, der ihnen einfällt. Vor 46 Jahren bekam ich diesen Text zur Auslegung bei meiner Prüfungspredigt zum 2. Examen. Bei der Vorbereitung entdeckte ich, dass das so gar nicht dastand. Die Menschen wollen nicht Gott vom Thron stoßen, sie wollen nur für den Zusammenhalt ihrer Gemeinschaft miteinander bauen. Alle, die einmal an einem Privathaus, einem Vereinsheim oder einer Kirche gemeinsam gebaut haben, wissen, wie das zusammenschweißt. Das Problem sind hier nicht die solidarisch zusammenarbeitenden Menschen, sondern der sehr menschlich auf seine Macht bedachte Gott, dem die Menschen zu mächtig werden. Das für mich Erschreckende war, dass diese 3000 Jahre alte Gottesvorstellung in meiner gegenwärtigen Kirche die beherrschende war. Sie war seit alters die Rechtfertigung dafür, dass die gute Obrigkeit das böse Volk in Schach halten muss. Ich forderte deshalb die Gemeinde auf, diesem Gottesbild abzusagen und zum barmherzigen Gott Jesu zurückzukehren. Denn dieser hat keine Angst vor zusammen haltenden Menschen, er will ihre Solidarität, er hält sie nicht für grundsätzlich böse, sondern als seine guten Geschöpfe zum Guten fähig. Auch wenn sie gelegentlich Fehler machen, hält er sie für zur Umkehr fähig. Auf diese Predigt hin wurde ich an eine Sonderschule für Verhaltensgestörte versetzt, um dort alles zu unterrichten, nur nicht Religion – ein Beweis, welcher Gott in meiner Kirche herrschte, obwohl dies natürlich geleugnet wurde.

Es ist der Gott der Guten, die bei Rundflügen hoch am Himmel Tiefbahnhöfe beschließen und dann hernieder fahren, um mit Wasserwerfern und Tränengas das böse Volk auseinandertreiben, das solidarisch seine Interessen vertritt. Denn, so sagen sie, wenn es dem Volk gelingt, dieses Großprojekt zu verhindern, dann werden sie alle schönen Großprojekte zu Fall bringen, die ihren Interessen entgegen stehen. Das wäre das Ende unserer demokratisch verbrämten Lobbykratie. Ich will nicht verschweigen, dass diese meine Deutung auch heute noch in meiner Kirche umstritten ist.
Ich fordere aber auch heute noch dazu auf, die Überschrift und den Text der Turmbauerzählung genau zu vergleichen und daraus die Schlüsse für den Weg von uns Christen von heute zu ziehen, auch im Blick auf Projekte wie Stuttgart 21.

Ich mache darauf aufmerksam, dass die Idee für den Bau von Stadt und Turm nicht von einem Feudalherrn oder einem gewählten Stadtparlament ausgeht, sondern einen Basisbeschluss darstellt, der mit nichts als der blanken Kraft der Argumente vorgetragen wird und überzeugt. Weil die Bürger von Babel überzeugt sind, dass die Bauten ihren Interessen dienen, machen sie mit. Auf diese Weise ist die Idee vom Umstieg 21 entstanden: Fachleute aus dem Volk haben sich Gedanken gemacht, was der Bevölkerung von Stuttgart und Umgebung hilfreich sein könnte. Sie wenden sich an die Öffentlichkeit und an die Entscheidungsträger in der repräsentativen Demokratie und der Führung der Deutschen Bahn AG mit nichts als der blanken Macht der Argumente. Nachdem Politik und Bahn AG die hilfreichen Ideen ausgeschlagen haben, wenden sie sich nun an die Staatsanwaltschaft in Berlin und versuchen dort Überzeugungsarbeit zu leisten, um auf diese Weise die Entscheidungsträger in der Politik und der Bahnführung zur Einsicht zu bringen. Sie dienen damit nicht mehr dem Gott der angeblich guten Profiteure, die sich das Land wie Feudalherren unter den Nagel reißen und das böse widerstrebende Volk Mores lehren wollen, sondern dem Gott, der gewaltfrei dem Wohl der Allgemeinheit dienen will.

Indem wir dabei mitmachen, dienen wir dem barmherzigen Gott Jesu, der sehr wohl weiß, dass nicht nur das Volk böse sein kann, sondern auch die Herrschenden, die durch ihre Macht noch viel mehr Böses anrichten können. Das wird in unserer Kirche leider immer wieder vergessen, dass Jesus sagt: „Wie ihr wisst, unterdrücken die Herrscher ihre Völker, und die Großen missbrauchen ihre Macht. Aber so soll es bei euch nicht sein. Wer von Euch etwas Besonderes sein will, soll den anderen dienen, und wer von euch an der Spitze stehen will, soll sich allen unterordnen“ (Mk 10, 42-44). Parteien, die behaupten christlich zu sein, müssten das vor allem beherzigen. Es reicht eben nicht aus, wenn eine Kanzlerin einer sich als christlich bezeichnenden Partei einfach behauptet: „Sie kennen mich, uns allen geht es gut“, dann aber nicht nur in Griechenland, sondern auch im Inland eine Politik der Verarmung betreibt, die immer mehr Menschen betrifft. Auch bei ihrem Lieblingsprojekt Stuttgart 21 muss sie lernen zu fragen, was der Bevölkerung insgesamt dient und nicht nur wenigen Profiteuren. Wenn sie dies verweigert, dann muss die Staatsanwaltschaft angerufen werden, um sie wegen Anstiftung zur Untreue zu belangen. Und sie muss im Wahlkampf zu spüren bekommen, dass die Verschwendung öffentlicher Gelder für die Verschlechterung des Bahnverkehrs abgestraft wird. Wir lassen uns nicht beirren. Unser Glaube an den barmherzigen Gott ruft uns dazu, die Dinge beim Namen zu nennen und mit nichts als der blanken Macht der Argumente Überzeugungsarbeit zu leisten. Der barmherzige Gott schenke uns den Mut und die Kraft dazu. Amen.

Ansprache zum Parkgebet am 11.5.2017 zu Hes 34, 2-10 von Pfr. i.R. Friedrich Gehring

So spricht der Herr: Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden. Sollen die Hirten nicht die Herde weiden? … Siehe, ich will an die Hirten und will meine Herde von ihren Händen fordern. Ich will ein Ende machen, dass sie Hirten sind, und sie sollen nicht mehr sich selbst weiden. Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Rachen. (Hes 34,2-10 in Auswahl)

Diese Sätze des Propheten Hesekiel vor etwa 2500 Jahren wirken wie eine hochaktuelle Analyse der Verhältnisse unserer Tage. Es ist nur wenige Monate her, dass sich die baden-württembergischen Landtagsabgeordndeten besonders schöne Ruhegehälter beschlossen und sich damit selbst geweidet haben. Aber nur 14 Tage später ist, theologisch gesprochen, der Herr so an die Hirten gegangen, dass sie sich nicht mehr selbst weiden konnten, und das Selbtbedienungsgesetz wieder aufheben mussten. Wie hat der barmherzige Gott, der gute Hirte seiner Herde, dieses Wunder geschafft? Er hat unter seiner Herde eine solche öffentliche Empörung aufkommen lassen, dass die sich selbst weidenden Hirten sich auf ihre ursprüngliche Aufgabe zurück besinnen mussten, die Herde zu weiden.

Leider werden die selbstbezogenen Hirten unserer Tage nicht immer so schnell ausgebremst. Wir als Befürwortende des Umstiegs 21 denken hier insbesondere an Roland Pofalla, den ehemaligen Staatssekretär im Kanzleramt. Er hat als willfähriger Erfüllungsgehilfe der Bahnprivatisierung und der Profiteure von Stuttgart 21 der Kanzlerin geholfen, ihr völlig unrentables und vollkommen unsinniges Lieblingsprojekt vor dem Abbruch zu bewahren, indem er 2013 die Bahn-Aufsichtsräte beschwatzte, das Projekt gegen das Aktienrecht und auf die Gefahr der eigenen Schadenshaftung durchzuwinken. Solche Macht haben die selbstbezogenen Hirten aus der Bahnbaubranche, dass sie mit ihrem Lobbyismus die politische Führung auf ihren Kurs bringen und gegen Recht und Gesetz in ihre Tasche wirtschaften können. Das besonders schlimme daran ist, dass die politischen Hirten in vorlaufendem Gehorsam den Interessen dieser Bauhirten dienen, weil sie nach ihrer politischen Karriere von den Konzernhirten hochdotierte Posten erwarten können für ihren vorlaufenden Gehorsam. Das Vorgehen von Roland Pofalla ist ein Musterbeispiel dafür, auch wenn er kürzlich noch nicht gleich Bahnchef werden konnte.

Der barmherzige Gott sieht nicht nur die falschen Hirten in Politik und Wirtschaft, sondern auch die in der Justiz. Die verantwortlichen Staatsanwälte in Berlin, die der Veruntreuung der Bahnaufsichtsräte beim Projekt Stuttgart 21 entgegentreten müssten, weiden bisher nicht die Herde, sondern die Bahnbaukonzerne. Sie sagten zunächst: Die Aufsichtsräte sind zu dumm, um die Untreue zu bemerken. Warum sagen sie so etwas? Sie sind in ihren Herzen gefangen vom Götzen Mammon, der ihnen einflüstert: Wenn die Konzerne, die 30 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung erbringen, gute Geschäfte machen, dann sind auch eure Ruhegehälter als Staatsanwälte sicher. Das stimmt natürlich nicht. Ihre Gehälter wären auch dann sicher, wenn die Milliarden nicht bei Stuttgart 21 veruntreut, sondern vernünftig eingesetzt würden, z. B. für den Umstieg 21. Möglicherweise flüstert ihnen der Mammon auch ein: Wenn ihr euch unterwürfig der herrschenden Politik anpasst, dann steigen eure Aufstiegschancen. Das stimmt natürlich auch nicht, denn wenn sich alle unterwürfig anpassen, gibt es trotzdem nicht mehr höhere Posten. Die entscheidende Frage ist: Wie können die juristischen Hirten von den verlogenen Einflüsterungen des Götzen Mammon befreit werden?

Das ist natürlich nicht so einfach wie bei den Landtagsabgeordneten, die alle vier Jahre wenigstens die wählende Herde fürchten und entsprechende Rücksichten nehmen müssen. Aber auch gegenüber den juristischen Hirten geht es darum, dass die Herde sich nicht vom Götzen Mammon fangen lässt, sondern sein zerstörerisches Treiben skandalisiert und die Mehrheit der Herde überzeugt. So ist es bisher gelungen, beinahe eine Zweidrittelmehrheit zu gewinnen für die Prüfung des Konzepts Umstieg 21. Wir müssen daran erinnern, dass nicht nur die Konzerne selbst, sondern auch diejenigen, die die weiteren 70 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung erbringen, einen öffentlichen Nahverkehr brauchen, der die Mitarbeiter rechtzeitig an den Arbeitsplatz bringt. So kann den konzernhörigen Hirten in der Justiz klar gemacht werden, dass sie mit ihrer bisherigen Weigerung, wegen Untreue zu ermitteln, auch den Konzernen schaden. Nicht zuletzt muss an den Rest von Gewissen und Verstand appelliert werden, den die staatsanwaltlichen Verantwortlichen bei der Unterwerfung unter den Götzen Mammon noch bewahrt haben. Sie müssen durch beharrliche Strafanzeigen daran erinnert werden, wen sie zu weiden haben. Eisenhart von Loeper und Dieter Reicherter haben sich jüngst erneut darum verdient gemacht und die zuständige Staatsanwältin muss nun die Vorwürfe der Untreue gegen verschiedene Bahnverantwortliche prüfen, um sich nicht der Strafvereitelung im Amt schuldig zu machen.

Wir kommen hier regelmäßig zum Parkgebet zusammen, weil wir uns beharrlich weigern, den Einflüsterungen des Mammon zu folgen und damit sein zerstörerisches Werk zu unterstützen. Wir bestärken uns gegenseitig durch Gebete und durch das Hören auf die Botschaft des barmherzigen Gottes darin, die Alternative zum Mammon zu leben. Deshalb bestehen wir darauf, dass die Hirten im Lande der Herde und nicht dem Mammon zu dienen haben. Wenn wir zu verzagen drohen, weil unserem Bemühen wenig Erfolg vergönnt zu sein scheint, dann erinnern wir uns daran, dass schon vor über 2500 Jahren die Propheten Israels diesen Kampf gegen den Mammon gekämpft haben. So kann es auch heute lange währen, bis der barmherzige Gott, der wahre Hirte, zusammen mit der Herde an die falschen selbstbezogenen Hirten gehen wird. Der feste Glaube an den barmherzigen Gott schenke uns die Ausdauer, die falschen Hirten beim Namen zu nennen, ihr Treiben zu skandalisieren und darauf zu pochen, dass sie der Herde zu dienen haben. Amen.

Ansprache beim Parkgebet am 26.1.2017 zu Lk 18, 40-43 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Und Jesus fragte ihn: Was willst du, dass ich dir tun soll? Er antwortete: Herr, dass ich wider sehend werde. Und Jesus sprach zu ihm: Werde wieder sehend! Dein Glaube hat dich gerettet. Und sofort wurde er wieder sehend, und er folgte ihm nach und pries Gott.

Die Heilung des Blinden in Jericho wirkt auf uns heute beim ersten Hören fremd, denn wir wissen von der modernen Medizin, wie Menschen durch Operationen wieder sehen können. Erst beim zweiten Hinsehen wird die Aktualität der Erzählung deutlich. Jesus ist auf dem Weg nach Jerusalem, wo er nicht auf körperliche, sondern geistige Blindheit treffen wird. Unmittelbar nach der Heilung in Jericho besucht Jesus den Zachäus, der vor Gier blind ist und nicht sieht, dass er sich durch diese Gier selbst durch Isolierung im Ort bestraft. Durch die Begegnung mit Jesus wird er sehend, legt seine schädliche Gier ab und folgt Jesus nach auf dem Weg in das Reich Gottes des fairen Teilens. Aus diesem Blickwinkel wird die Wunderheilung in Jericho plötzlich hochaktuell, denn die schädliche Gier macht heute so blind wie damals und ist hartnäckig verbreitet. Ärztliche Kunst ist so machtlos dagegen, dass es einem Wunder gleichkommt, wenn Menschen davon befreit werden.
Die blinde Gier wurde bei uns epidemisch durch die Machtergreifung des Neoliberalismus. Angeregt durch ihre Heilspropheten Thatcher und Reagan ergriff sie auch unser Land mit der schwarz-gelben Revolte gegen Helmut Schmidt. Unterstützt von Roman Herzog, dem jetzt vielgerühmten Ruckpropagandisten, breitete sie sich weiter aus unter Gerhard Schröder und Angela Merkel, weil ihre großen Heilsversprechen geglaubt wurden. Wenn es den großen Konzernen gut geht, so wurde verkündet, dann wird es allen gut gehen, denn von ihrem Reichtum tropft wie in Sektkaskaden der Wohlstand auf breite Schichten der Bevölkerung herab. Deswegen müssen die fettesten Pferde gefüttert werden, damit für die armen Spatzen viele Rossäpfel abfallen. So wurden den Konzernen blind Opfer gebracht, so genannte zurückhaltende Lohnforderungen, Steuergeschenke, günstige Investitionsbedingungen aus der öffentlichen Hand und die Lobbyisten schrieben die Gesetze. So wurden Abgasmanipulationen gefördert und Bankbetrügereien und Anlagegeschäfte, bei denen nicht gezahlte Steuern erstattet wurden, und vieles anderes mehr. Wir Kritiker des Projekts Stuttgart 21 können die Liste noch stattlich verlängern, die aufzeigt, wie nicht nur die Wahrheit, sondern auch enorme öffentliche Ressourcen auf dem Altar der blinden Gier der Konzerne geopfert werden. Den Gipfel der Blindheit erleben wir derzeit darin, dass die überlegene Lösung des Umstiegskonzepts nicht gesehen werden kann. OB Kuhn sagt, der Umstieg werde noch teurer. OB scheint hier zu stehen für „Ober-Blind“.

Besonders verhängnisvoll wirkt sich aus, dass die wirtschaftswissenschaftlichen Lehrstühle an unseren Universitäten zu 90 % von neoliberal verblendeten Professoren besetzt sind. Eine Generation von ebenso erkrankten Wirtschaftsverantwortlichen wird so nachwachsen. Der US-Professor Roubini, der schon 2004 die Krise von 2008 voraussagte, wurde von der gesamten Zunft verspottet. Der Nobelpreisträger Robert Lucas verkündete dagegen 2003, das Crash-Problem sei für Jahrzehnte gelöst. Als der Crash dann eintrat, gab es kein Umdenken, keine Rückbesinnung auf die wichtigsten modernen Wirtschaftsfachleute wie Adam Smith, Karl Marx oder John Meynard Keynes. Die epidemische Blindheit blieb resistent gegen die erfahrbare Wirklichkeit.

Wir sind hier zum Parkgebet beisammen, weil wir uns nicht anstecken lassen. Deshalb müssen wir vom Verfassungsschutz beobachtet werden, der nicht unsere Verfassung, sondern die neoliberale Lobbykratie und mutmaßliche Mörder wie Böhnhardt und Mundlos oder vielleicht auch Amri schützt. Aber wir lassen uns nicht einschüchtern. Wir schauen weiter genau hin und nennen die Missstände und Fehlentwicklungen beim Namen. Wir lassen uns nicht beirren, wenn in den USA ein Präsident an die Macht kommt, der als Milliardär messianische Erwartungen auf sich zieht. Es wird sich sehr schnell herausstellen, dass er nicht wirklich helfen wird, sondern nur seinen Reichtum und den seiner Milliardärskollegen mehrt. Er hat die Mehrheit der Wahlmänner, nicht aber die des Volkes hinter sich. Vielleicht brauchen die USA einen Trump, um reif zu werden für einen Bernie Sanders und eine von christlicher Barmherzigkeit getragene friedliche Politik.
Wir jedenfalls wollen uns von Jesus die Augen öffnen lassen und schauen genau hin, wo die Selbstzerstörungskraft des blinden neoliberalen Mammons sichtbar wird. Wenn der großmäulige Milliardär und Präsident Trump von Strafzöllen spricht für Autobauer, die nicht genug Arbeitsplätze in den USA schaffen, kann der angeblich mächtigste Mann der Welt nicht verhindern, dass die Premiumautos weiterhin gekauft werden. Denn diese werden nicht bestellt, weil sie billig sind, sondern gerade weil sie teure Statussymbole darstellen. Dann werden diese Zölle zu Luxussteuern, die er gar nicht wollte, und der Maulheld entzaubert sich als blinder Stammtischredner. Bei seinem Stammtischhorizont ist er auch blind dafür, dass die Beendigung der Handelsabkommen die USA kleiner und dafür China größer macht.

Auch bei Stuttgart 21 schauen wir genau hin, wie die Projektpartner sich über dem Kostenstreit zerfleischen werden. Wir sind gespannt, ob sich Ministerpräsident Kretschmann schließlich doch noch gezwungen sieht, das Bundesverfassungsgericht anzurufen, um die Verfassungswidrigkeit des Schmiergeldes klären zu lassen. Das hat er ja einst auch großmäulig versprochen, um dann das Versprechen ganz schnell auf dem Altar der Macht zu opfern für die grünrote Koalition. Es kann sich also durchaus noch herausstellen, dass der Volksentscheid zwar Käse war, aber noch lange nicht gegessen, sondern allenfalls vergammelt ist.

Wir schauen also nicht auf die großmäuligen scheinbar Mächtigen wie das Kaninchen auf die Schlange. Wir lassen uns von dem Mammonskritiker Jesus den Blick schärfen, der uns für die blinden Blindenführer so gefährlich macht, dass sie den Verfassungsschutz auf uns ansetzen.
Im Blick auf unsere gegenwärtige Weltsituation fällt mir ein Lied ein, das Rudolf Alexander Schröder am Vorabend des 2. Weltkriegs im dunklen NS-Deutschland schrieb (EKG 378, 3+4):
Es mag sein, dass Frevel siegt, wo der Fromme niederliegt; doch nach jedem Unterliegen wirst du den Gerechten sehn lebend aus dem Feuer gehen, neue Kräfte kriegen.
Es mag sein – die Welt ist alt – , Missetat und Missgestalt, sind in ihr gemeine Plagen. Schau dir’s an und stehe fest: nur wer sich nicht schrecken lässt, darf die Krone tragen. Amen.

Predigt zu Lk 2, 1-14, 26.12.2016 im Stuttgarter Schlosspark von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Die himmlischen Scharen über dem Stall von Bethlehem verkünden Frieden. Wie soll das gehen? Die Hoffnung der alttestamentlichen Frommen lag auf dem erhofften Messias, dem von Gott gesalbten König, dessen Regentschaft Frieden bringen sollte. Das konnten die Regierten nur abwarten, selbst dazu beitragen konnten sie nichts. Jesus, das Kind in der Krippe, wird als Erwachsener mit dieser Hoffnung konfrontiert. Aber weder gibt er sich für eine militärische Erhebung gegen die römische Kolonialmacht her noch zaubert er den Frieden für das Volk herbei. Er sammelt Friedensstifter und verspricht ihnen: „Glücklich sein werden die Friedfertigen, denn sie werden Kinder des barmherzigen Gottes genannt werden“ (Mt 5,9). Wie das Reich Gottes nicht von außen in die Welt hereinbrechen wird, sondern aus der Mitte der Jüngerschar heraus wachsen wird (Lk 17,20-21), so kommt auch der Friede nicht wie der winterliche Schnee vom Himmel, sondern aus den Menschen, an denen der barmherzige Gott Wohlgefallen hat. So sagen es die Engel in der Weihnachtsgeschichte (Lk 2,14).

Die Frage, wie Frieden wird, fällt also auf uns, die Fragenden, zurück: Wie werden wir zu friedfertigen Menschen, die dem barmherzigen Gott wohlgefallen? Der Dreh- und Angelpunkt für die Antwort auf diese Frage liegt für mich in dem drastischen Bildwort Jesu vom Balken im eigenen Auge und dem Splitter im Auge des Bruders: „Was siehst du aber den Splitter im Auge deines Bruders, den Balken jedoch in deinem Auge nimmst du nicht wahr? … Ziehe zuerst den Balken aus deinem Auge, dann magst du zusehen, dass du den Splitter aus dem Auge deines Bruders ziehst.“ (Mt 7,1-5). Jesus durchkreuzt damit das allseits beliebte Gesellschaftsspiel, von eigenen Fehlern oder Bösartigkeiten abzulenken, indem auf die der anderen gezeigt wird. Verhängnisvoll ist dabei oft, dass das Böse der anderen die Aggression auf dieses Böse rechtfertigt. Je mehr das eigene Böse auf die anderen projiziert und dann noch gewalttätig abgestraft wird, umso mehr entsteht scheinbar gerechtfertigte Gewalttätigkeit. Diesem Unfrieden stiftenden Verhalten setzt Jesus den Bußruf entgegen, mit dem seine Wirksamkeit beginnt (Mk 1,15). Wenn alle zuerst vor der eigenen Türe kehren und sich dann bemühen, die alten Fehler nicht mehr zu begehen, werden sie auch mit den Fehlern der anderen gnädiger umgehen. Das führt zur Solidarität der Sünder, sie ist die Keimzelle für christliche Vergebung und gemeinsamen Neuanfang zum Besseren. So kann Frieden wachsen.

Nicht nur in unseren Familien, Nachbarschaften und Vereinen führt Selbstkritik zum Frieden untereinander, auch in der großen Weltpolitik. Eines der krassesten Negativbeispiele bot der fromme fundamentalistische Christ G.W. Bush. Als Präsident der USA, die große Mengen von Massenvernichtungswaffen besitzen und damit gelegentlich drohenden Gebrauch machen, ließ er verlogenerweise solche dem Irak andichten und nahm dies als Rechtfertigungsgrund, in den Irak einzumarschieren gemeinsam mit anderen willigen Nationen. Auch Deutschland leistete dabei logistische Unterstützung. Der Krieg forderte schätzungsweise eine Million Tote. Die entmachteten Sunniten wurden vom neuen schiitischen Regime so benachteiligt, dass die brutalen IS-Kämpfer leichtes Spiel hatten, als angebliche Retter der benachteiligten Sunniten große Territorien zu erobern und ihr Terrorregime zu installieren. Nun soll z. B. die Stadt Mossul durch gute Truppen von den bösen IS-Terroristen zurück erobert werden und es ist abzusehen, dass es gehen wird wie in Aleppo. So entsteht immer mehr Unfrieden, den wir oft erst bemerken, wenn immer mehr Flüchtlinge bei uns Asyl beantragen.

Auch in diesen furchtbaren Kriegen gilt der Bußruf Jesu, zuerst den Balken im eigenen Auge wahrzunehmen und diesen herauszuziehen. Statt über Flüchtlinge und Abschiebungen zu streiten sollten wir in Deutschland die enorme Waffenproduktion in friedliche Produktion umwandeln. Als Exportnation sollten wir uns eingestehen, wie viele Existenzen etwa unsere Geflügelabfälle in Westafrika vernichten oder wie unsere billigen Kleiderimporte Textilarbeiterinnen in Asien und Lateinamerika in Hunger und Elend treiben. Auch unsere Wirtschaftsmacht tötet, um Papst Franziskus zu zitieren. Statt Waffen sollten wir z.B. solar betriebe Anlagen exportieren, die Meerwasser zu Trinkwasser entsalzen, um in Dürregebieten das Überleben der Selbstversorger zu sichern. Dies könnte unser Beitrag zum Frieden auf Erden sein.
Wenn wir uns auf diese Weise in der Welt profiliert haben, dann können wir auch die so oft beschworene Verantwortung in Krisengebieten übernehmen, nicht mit Soldaten, die sowieso immer schwerer zu rekrutieren sind, sondern als nichtmilitärische humanitäre Vermittler. Frieden stiften ist möglich. So haben einige wenige Christen in Mosambik 1992 nach Jahrzehnten eines brutalen Bürgerkriegs mit einer Million Toten Friedensverhandlungen, einen Waffenstillstand und einen Friedensvertrag ermöglicht, weil sie keinerlei militärische oder wirtschaftliche Macht besaßen, aber auf beiden Seiten humanitäre Hilfe geleistet hatten. In ähnlicher Weise ist ein Friedensprozess in Kolumbien im Gang, weil auch dort eingestanden wird, dass nicht nur die Rebellen, sondern auch die Regierungstruppen mit furchtbarer Grausamkeit gewütet haben. Wenn es den Vermittlern gelingt, auf beiden Seiten die Balken in den eigenen Augen bewusst zu machen, kann Frieden werden.

Wie die Friedensstifter in Mosambik stehen auch wir als Gegner des zerstörerischen Projekts Stuttgart 21 ohne äußere Machtmittel da. Das war und ist bisweilen schmerzhaft, ganz besonders z. B. im Blick auf den „Schwarzen Donnerstag“. Nicht nur dort haben wir die Arroganz der Macht erfahren. Aber diese äußere Machtlosigkeit war die große Chance der Friedensstifter in Mosambik und das ist auch unsere große Chance. Wir stehen mit nichts da als der blanken Macht der Argumente und neuerdings auch mit der Überzeugungskraft der besseren Alternative. Wir vermitteln nicht zwischen Kriegsparteien, sondern zwischen Projektpartnern, die gegen einander prozessieren um höheres Schmiergeld zum Schaden der Bevölkerung. Wir bieten den Zerstrittenen wie in Mosambik die bessere Lösung an. Dies ist unser humanitärer Einsatz, weil unsere Alternative den Menschen in unserer Region wirklich dient. Auf diese gewaltlose Kraft können wir vertrauen. Das Kind in der Krippe ist der extreme Ausdruck von äußerer Machtlosigkeit, aber dieses Kind verändert die Welt, wenn immer mehr Menschen sich auf den Weg in seine Nachfolge machen, wenn sie nicht mehr die eigenen Fehler den anderen andichten und sie dann hassen, sondern umkehren und neu anfangen. So wird an einer besseren Welt, dem Reich des barmherzigen Gottes, gearbeitet. Lassen wir uns an diesem Weihnachtsfest neu Mut dazu machen. So wird Frieden. Amen.

Ansprache beim Parkgebet am 10.11.2016 zu Mk 10, 42-44 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Jesus sprach: Ihr wisst, dass diejenigen, die als Beherrscher der Völker gelten, sie gewaltsam unterwerfen und die Mächtigen ihnen gegenüber ihre Macht missbrauchen. Aber so soll es unter euch nicht sein; sondern wer groß sein will unter euch, der sei euer Diener, und wer unter euch der Erste sein will, der sei der Knecht aller.

Das griechische Wort für „Macht missbrauchen“ kommt nur im neutestamentlichen Griechisch vor, im übrigen griechischen Sprachraum fehlt das Bewusstsein dafür. Aber Jesus, der in der Tradition der gesellschaftskritischen Propheten Israels zu Hause ist, kann die Dinge beim Namen nennen. Der Kaiser in Rom lässt Widerständler am Kreuz zu Tode foltern wie Erdogan die Oppositionellen, und hätte der Kaiser Nagelbomben oder chemische Waffen gehabt wie Assad, er hätte sie eingesetzt. Die römische Politik lebt vom gewaltsamen Niederhalten, vom Machtmissbrauch. Diesem setzt Jesus den rechten Gebrauch der Macht gegenüber. Sie muss zum Dienst an allen genutzt werden.

Das ist eine klare Vorgabe für die Christenheit. Wie ist diese Vorgabe umgesetzt worden? Bis zur konstantinischen Wende, als das Christentum Staatsreligion wurde, durften die Christen in dem römischen Unterdrückerstaat nicht als Beamte oder Soldaten dienen. Als aber das Christentum in Rom an die Macht gekommen war, ging diese Vorgabe Jesu unter. Zwar prangerte Luther den Machtmissbrauch des Papstes am Beispiel des Ablasses an, deshalb feiern wir seit 11 Tagen das Reformationsjubiläum. Aber bereits 1520 missbrauchte Luther selbst das vierte Gebot zur Forderung nach Untertänigkeit im Feudalismus seiner Zeit. Das 4. Gebot fordert die Sorge um die alten Eltern, damit die Jungen später auch lange leben dürfen. Luther schreibt dazu 1520 im Kleinen Katechismus lapidar: „ williger Gehorsam, demütickeit, undertenickeit umb gottis wolgefallen willen“. 1524 missbraucht Luther seine Macht, indem er den anders denkenden Kollegen Karlstadt durch den Fürsten des Landes verweisen lässt, obwohl dessen Frau hochschwanger ist. Nach 1525 werden auf lutherisches Betreiben Mennoniten umgebracht, weil sie sich gegen den Kriegsdienst wehren. So wurden die lutherischen Kirchen zu Duckmäuserkirchen, in denen es unmöglich oder gar tödlich war, den Machtmissbrauch anzuprangern, wie Jesus das vorgelebt hat. Besonders verhängnisvoll wurde, dass die lutherische unausweichliche Forderung nach dem Kriegsdienst in den beiden Weltkriegen zur kirchlichen Kriegshetze geführt hat. Selbst die „Bekennende Kirche“ hat beim Erntedankfest 1939 nicht nur für die Ernte, sondern auch für den schnellen Sieg in Polen gedankt und beten lassen: „Und bitten dich droben, du Lenker der Schlachten, mögst stehen uns fernerhin bei“. Das „Stuttgarter Schuldbekenntnis“ vom Oktober 1945 sprach von der Schuld des deutschen Volkes, nicht von der der lutherischen Kirchen. Es wird höchste Zeit, am Erntedankfest des Jubiläumsjahrs einen Bußgottesdienst zu feiern, der zur Friedensbotschaft Jesu zurückführt. Das wäre die angemessene Reformation des Reformationsjubiläums.

Christen, die sich gegen Stuttgart 21 engagiert haben, waren von Anfang an schwer enttäuscht über die Haltung der Kirchenleitung der Württembergischen Ev. Landeskirche im Konflikt um dieses Großprojekt. Die Prägung der lutherischen Kirchen als Untertanenkirchen dürfte ein Hauptgrund sein für diese Unfähigkeit, den Machtmissbrauch im Rahmen der Durchsetzung dieses unsinnigen Projekts zu benennen. Nicht einmal der Schwarze Donnerstag hat hieran etwas geändert. Immerhin glichen die Szenen im Stuttgarter Schlosspark sehr stark denen im Gezipark von Istanbul. Dort wird in unserem Land von Presse und Regierung sehr wohl wahrgenommen, wie Erdogan seine Macht missbraucht in einer Weise, die dem Vorgehen Hitlers nach dem so genannten „Röhmputsch“ ähnelt. Immerhin bestellte Außenminister Steinmeier den türkischen Botschafter ein, nachdem Erdogan dieser Tage kritische Journalisten und Oppositionspolitiker verhaften ließ. Aber von Seiten lutherischer Kirchen war zum „Schwarzen Donnerstag“ keine nennenswerte Kritik am Machtmissbrauch hier im Schlossgarten zu hören, auch nicht, nachdem die Unrechtmäßigkeit gerichtlich festgestellt war.

Wir sind hier beim Parkgebet zusammen, weil wir nicht bereit sind, uns damit abzufinden. Wir beharren darauf, den Machtmissbrauch im Rahmen des Projekts Stuttgart 21 anzuprangern. Dabei geht es nicht nur um den „Schwarzen Donnerstag“. Die gesamte herrschende neoliberale Politik, für die Stuttgart 21 ein Schlüsselprojekt darstellt, missbraucht Macht, weil sie nicht mehr allen, sondern nur ein paar wenigen dient zum Schaden der großen Mehrheit. Wie Rom setzt die neoliberale Elite auf die Strategie „Brot und Spiele“. Das Zauberwort für Brot heißt „Arbeitsplätze“, die blutigen Spiele in den römischen Arenen sind ersetzt durch entsprechende Computerspiele, und eine hoch korrupte FIFA macht auch ihren Teil. Mit dem Versprechen von mehr Brot wird bei CETA und ähnlichen Projekten verschleiert, dass es um ein Ermächtigungsgesetz für Konzerne zu deren endgültiger Machtergreifung geht, um einen Staatsstreich. Der Widerstand gegen diese angeblichen Handelsverträge wird mit aller Macht von den Eliten klein geredet und eine Unterzeichnung inszeniert, als ob CETA nun in Kraft wäre. Das ist noch lange nicht ausgemacht. Der Widerstand gegen diesen Staatsstreich ist strukturell vergleichbar dem Widerstand gegen Stuttgart 21. Deshalb ermutigt es uns, dass nicht nur die Wallonen, sondern z. B. auch die Bundesverfassungsrichter erkannt haben, wie CETA unsere Demokratie gefährdet, und Forderungen aufstellen, die die Akteure im internationalen Handel, speziell die marktbeherrschenden Großkonzerne, demokratisch einhegen.

Wir sind durch Jesus selbst aufgerufen, unbeirrt zu fordern, dass die Mächtigen in Wirtschaft und Politik der Allgemeinheit zu dienen haben und nicht umgekehrt. Wir werden uns nicht ablenken lassen durch angebliches Brot und brutale oder sonstige Spiele. Wir sind nicht allein. Und vor allem, wir engagieren uns auf der richtigen Seite, auf der Seite Jesu und seines barmherzigen Vaters.
Amen.

Die Wahrheit wird euch frei machen. Ansprache zu Joh 8,31-32 beim Parkgebet am 23.6.2016 von Friedrich Gehring

Da sprach nun Jesus zu den Juden, die an ihn glaubten: Wenn ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seid ihr in Wahrheit meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.

An Jesus zu glauben heißt nicht, ihn einen lieben guten alten Religionsgründer sein zu lassen, sondern ihm als Jünger nachzufolgen im Kampf um eine gerechtere barmherzige Welt. Auf diesem Weg werden die Nachfolger Jesu die Lüge entlarven und die Wahrheit erkennen. Bezogen auf heute bedeutet dies: Die neoliberale Lüge, der wachsende Reichtum weniger werde zum Wohl aller führen, wird enttarnt als Ungerechtigkeit des Mammons (Lk 16,10) durch die Erkenntnis Jesu: Wer da hat, dem wird gegeben werden; von dem aber, der nicht hat, wird auch das genommen, was er hat (Lk 19,26). Die Erkenntnis dieser Wahrheit wird uns als Nachfolger Jesu frei machen, gerade auch im Blick auf das neoliberale Schlüsselprojekt Stuttgart 21.

Dieses Projekt war von Anfang an auf Lügen angewiesen. Es ist vor über 10 Jahren nur in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen worden, weil bewusst verlogene Kosten genannt wurden. Weitere Kosten- und Leistungslügen haben das Projekt gefördert, um reichen Baukonzernen zu geben und den Bahnkunden und Steuerzahlern zu nehmen. Die grün-rote Regierung hat die Wahrheit im Prospekt zur Volksabstimmung bewusst unterschlagen zugunsten des koalitionären Machterhalts. Und unser so beliebter Ministerpräsident, der jetzt sogar als künftiger Bundespräsident in Betracht kommt, hat als gelernter katholischer Ethiklehrer die Lüge noch hoffähig gemacht durch seine skandalöse Behauptung, in der Demokratie gehe Mehrheit vor Wahrheit. Die Wahrheit Jesu aber erkennt: In der neoliberal verblendeten Scheindemokratie gehen die Interessen von reichen Minderheiten vor dem Wohl der Mehrheit.

Nun zeigt sich allerdings seit einigen Wochen, dass auch die neoliberalen Lügen über Stuttgart 21 zu kurze Beine haben. Volker Kefer will abdanken und das sinkende Schiff verlassen. Er grinst nicht mehr und die Bahn-Aufsichtsräte tun nun plötzlich so, als seien sie von Kefer nicht genügend informiert worden. Das Gegenteil aber ist wahr. Kefer wollte seine Karriere dadurch bauen, dass er den neoliberalen Eliten das in die Tasche log, was sie hören wollten. Die Aufsichtsräte waren im März 2013 von uns Gegnern hinreichend darüber informiert, dass Stuttgart 21 unrentabel ist und nach Aktienrecht nicht weiter geführt werden durfte. Schon damals hätte die Wahrheit sie befreien können. Aber sie haben sich der Kanzlerin angepasst, die in völliger Verblendung immer noch in Stuttgart 21 die Zukunft Deutschlands sah. Nun müsste eigentlich auch ihr dämmern, dass Projekte wie Stuttgart 21 den Niedergang Deutschlands als Techniknation bedeuten. Sie bewundert die schwäbische Hausfrau, weil sie selbst keine ist. Die Wahrheit könnte sie jetzt dazu befreien, den schwäbischen Hausfrauen nachzueifern und als Vertreterin der Alleinaktionärin Bundesrepublik Deutschland das völlig unrentable Projekt so schnell wie möglich abzublasen, um nicht schlechtem Geld nicht noch eine Unmenge gutes nachzuwerfen, was der schwäbischen Hausfrau als klassische Todsünde der Betriebswirtschaft gilt.

Als Gipfel der Absurdität muss es erscheinen, wenn in der Südwestpresse darüber spekuliert wird, ausgerechnet Pofalla könnte Grube beerben. Grube hat sich immerhin schon 2009 beschwert, dass Stuttgart 21 kurz vor seinem Amtsantritt beschlossen wurde. Auch hat er 2013 sehr deutlich erklärt, dass er das Projekt mit dem aktuellen Wissen nicht angefangen hätte. Pofalla aber hat 2013 im Auftrag der Kanzlerin die Aufsichtsräte beschwatzt, gegen das Aktienrecht weitere Gelder in das Projekt zu verschwenden mit Rücksicht auf die Wahlchancen der Kanzlerin. Die Pofalla als Grubes Erben sehen wollen, verweisen darauf, dass er als Vorstand für Wirtschaft, Recht und Regulierung vom Desaster Stuttgart 21 unberührt sei. Das Gegenteil ist wahr. Gerade sofern er für das Recht zuständig ist, steckt er mit seiner Kanzleramtsvergangenheit ganz tief im Schlamassel Stuttgart 21. Wer etwas rachsüchtig eingestellt ist, könnte ihm geradezu gönnen, Grube nachzufolgen und die Suppe Stuttgart 21 auslöffeln zu müssen. Aber dazu wird es ja hoffentlich nicht kommen.

Die Bahnaufsichtsräte wollen sich ja in den nächsten Monaten der von Kefer unterschlagenen Wahrheit nähern. Das muss sie eigentlich frei machen, sich für die Pläne des Aktionsbündnisses zu öffnen, die aus der Katstrophe Stuttgart 21 retten können. Da leuchtet Licht auf am Ende des Tunnels. Das Ende der schrägen Tunnelhaltestelle kann aus dem jetzigen Baustand einen zukunftsfähigen Kopfbahnhof für integrierte Taktfahrpläne machen mit Busbahnhof und Parkplätzen für Fahrräder, Autos und Vermietstationen. Die Bahnverantwortlichen könnten sich als gute schwäbische Hausfrauen profilieren, die Geld sparen für die wirklich wichtigen und guten Projekte wie die Rheintalstrecke, weitere Elektrifizierungen, funktionierende Weichen und pünktlichen Verkehr, Nachtzüge und erweiterten Güterverkehr. Der Mut zur Wahrheit setzt die Kräfte frei, die für das fortgesetzte Lügen und Verdrängen der Wahrheit verschwendet worden sind. Selbst der Stuttgarter Wohnungsbau wird profitieren. Das Immobilienprojekt Stuttgart 21 wird durch den Verzicht auf Stuttgart 21 viele Jahre früher anlaufen, weil die großen Flächen, die durch die Baulogistik blockiert sind, viel früher bebaut werden können. Die Gelder aus dem Rückkauf des Kopfbahnhofgeländes und der Zufahrtsgleise durch die Bahn können für sozialen Wohnungsbau verwendet werden.

Zu alldem kann die Wahrheit frei machen. Wir wollen unbeirrt dafür beten und alles in unserer Kraft stehende dafür tun, dass die Verantwortlichen durch die Wahrheit Jesu befreit werden. Amen.

Ansprache zum Parkgebet am 31.3.16 zu Jer 38, 14-18 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Und der König Zedekia sandte hin und ließ den Propheten Jeremia zu sich holen. … Und der König sprach zu Jeremia: Ich will dich etwas fragen; verbirg mir nichts! Jeremia sprach zu Zedekia: Sage ich dir etwas, so tötest du mich doch; gebe ich dir einen Rat, so gehorchst du mir nicht. Da schwor der König Zedekia dem Jeremia heimlich und sprach: So wahr der Herr lebt, der uns dieses Leben gegeben hat: ich will dich nicht töten, noch den Männern in die Hände geben, die dir nach dem Leben trachten. Und Jeremia sprach zu Zedekia: So spricht der Herr, …, der Gott Israels, wirst du hinausgehen zu den Obersten des Königs von Babel, so sollst du am Leben bleiben, und diese Stadt soll nicht verbrannt werden, sondern du und dein Haus sollen am Leben bleiben; wirst du aber nicht hinausgehen zu den Obersten des Königs von Babel, so wird diese Stadt den Chaldäern in die Hände gegeben und sie werden sie mit Feuer verbrennen, und auch du wirst ihren Händen nicht entrinnen.

Jeremia hat vor militärischen Abenteuern gegen die Großmacht der Babylonier gewarnt. Der König ließ zu, dass die kriegslüsternen Hardliner Jeremia in den Sumpf einer Zisterne warfen, um ihn verhungern zu lassen. Ein afrikanischer Migrant rettet Jeremia. Der König fühlt die Katastrophe näher kommen, lässt Jeremia rufen und erbittet dessen Rat. Jeremia konfrontiert den König mit dessen Beratungsresistenz. Es steht so schlimm um den König, dass er heimlich schwört, seinen kriegstreiberischen Beratern in den Rücken zu fallen und Jeremia wegen seiner schonungslosen Lageanalyse nicht zu verfolgen. Jeremia sagt ihm die unangenehme Wahrheit auf den Kopf zu: Er kann die Stadt und sich selbst samt Familie nur retten, wenn er mit der Großmacht einen Unterwerfungsfrieden schließt. Der König ist zu schwach, um gegen die Militaristen zu handeln. Jerusalem wird erobert und zerstört, die Söhne des Königs vor seinen Augen hingerichtet und der König selbst geblendet nach Babylon in die Gefangenschaft verbracht.

Ich habe diesen biblischen Bericht ausgewählt, weil die Aufsichtsratsmitglieder der DB AG am 15. März beschlossen haben, Gutachten einzuholen zu den Ausstiegskosten und zu ihrer persönlichen Haftung in Sachen Stuttgart 21. Die schonungslose Lageanalyse des Aktionsbündnisses, die allen Aufsichtsräten vor der Sitzung zugegangen ist, und der erneute Strafantrag wegen Untreue gegen die Aufsichtsräte scheinen Wirkung zu zeigen. Sie können offenbar nicht mehr verdrängen, dass es um ihren Kopf geht, wenn der Untreuevorwurf vor Gericht kommt. Ein Richterspruch kann sie nicht nur das Amt, sondern ihre wirtschaftliche Existenz kosten, denn sie haften mit Schadenersatz für veruntreute Gelder. Die Verantwortlichen sehen sich wie einst Zedekia genötigt, um Rat zu fragen, der vermutlich sehr unangenehme Wahrheiten ans Licht bringen wird. Das kann bedeuten, dass das Projekt Stuttgart 21 in einem Stadium angelangt ist, das der Situation Jerusalems entspricht kurz vor dem Fall im Jahr 587 v. Chr..

Es wird jetzt darauf ankommen, ob das Bahnaufsichtsgremium in selbstzerstörerische Beratungsresistenz verfällt oder sich den Ernst der Lage sagen lässt und die Konsequenzen daraus zieht. Jeremia konfrontiert den Zedekia nüchtern: Sage ich dir etwas, so tötest du mich; gebe ich dir einen Rat, so gehorchst du mir nicht. Die militaristische herrschende Kaste in Jerusalem hat einst die Selbstzerstörung gewählt. Das ist auch heute für die herrschende neoliberale Elite nicht auszuschließen. Die Äußerung des Hauptverantwortlichen für Stuttgart 21 im Eisenbahnbundesamt zum fehlenden Nachweis der Ungefährlichkeit der Gleisneigung im geplanten Neubau weist in diese Richtung: Man werde bei der Inbetriebnahme schon eine Lösung finden, und das Bauwerk sei ja auch nur eine Haltestelle. Es ist also auch jetzt nach den Beschlüssen vom 15.3. im Bahnaufsichtsrat noch nicht entschieden, wie die Sache ausgeht. Gefälligkeitsgutachten dürften in der gegenwärtigen Situation sehr schwer zu bekommen sein, aber wir sind in dieser Hinsicht ja Kummer gewohnt. Und selbst wenn der Bahnaufsichtsrat Einsicht zeigen sollte, ist da immer noch die Vertreterin der Alleinaktionärin Bundesrepublik Deutschland, Kanzlerin Merkel. Sie hat ja vor drei Jahren noch aus wahltaktischen Gründen die Verantwortlichen zum Weiterbau drängen lassen. Bahnchef Grube hat seinen Unwillen darüber damals sehr deutlich artikuliert. Er muss inzwischen noch unwilliger sein. Auch hier liegt eine Parallele zum Jerusalem vor 2.600 Jahren vor: Der König wollte wohl auf Jeremia hören, aber die Macht lag bei den Kriegstreibern. Die Bahnaufsichtsräte scheinen dazu zu neigen, ihren Kopf zu retten, aber die wirkliche Macht liegt im Kanzleramt.

Der Widerstand gegen das Milliardengrab Stuttgart 21 muss deshalb eine doppelte Strategie verfolgen. Einerseits muss der Druck auf die Bahnverantwortlichen aufrecht erhalten werden durch die Anklage wegen Untreue. Andererseits muss die Kanzlerin für ihre Verschwendungspolitik belangt werden, etwa durch einen Bundestagsuntersuchungsausschuss zu Stuttgart 21, der zeitlich so terminiert wird, dass er im Wahlkampf 2017 wirkt. Um Kretschmanns Terminologie aufzunehmen: Im Untersuchungsausschuss geht es nicht mehr um Mehrheit, sondern um Wahrheit. Falschaussagen ziehen empfindliche Strafen nach sich. Es muss der Kanzlerin klar gemacht werden, dass ein Festhalten an Stuttgart 21 ihre Chancen verschlechtert, ein Ausstieg verbessert. Mit politischen Kehrtwenden hat sie ja lange Zeit gute Erfahrungen gemacht. Sie wird klug genug sein, einem Untersuchungsausschuss zuvorzukommen durch eine Erlaubnis zum Ausstieg.

Wir haben deshalb derzeit keinen wirklichen Grund zur Resignation. Vielmehr können wir uns durch Propheten wie Jeremia ermutigen lassen, die schonungslosen Analysen den Mächtigen auf den Kopf zuzusagen und unbeirrt das Ende des sinn- und nutzlosen Milliardengrabs Stuttgart 21 zu fordern. Gerade in der jetzigen österlichen Zeit können wir Mut daraus schöpfen, dass die Botschaft Jesu vom Reich des barmherzigen Gottes auch durch den Tod am Kreuz nicht zu beseitigen war, sondern danach noch viel größere Kreise zog. Der Auferstandene schenke uns den Mut zum Berge versetzenden Glauben an ihn und sein Reich. Amen.

Ansprache beim Parkgebet am 5.3.2015 zu Mt 4,8-10 von Friedrich Gehring

Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest. Da sprach Jesus zu ihm: „Weg mit dir, Satan, denn es steht geschrieben (5. Mose 6,13): Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.“ (Mt 4,8-10)

Liebe Parkgebetsgemeinde,
wer ist dieser Teufel, der Jesus die Weltherrschaft anbieten kann unter der Bedingung, vor ihm niederzufallen und ihn anzubeten? Weiterlesen

Ansprache beim Parkgebet am 22.1.2015 zu Mt 5,43 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Liebe Parkgebetsgemeinde,
kurz vor dem Weihnachtsfest überfielen Taliban eine pakistanische Schule und ermordeten etwa 150 Menschen, vorwiegend Kinder und Jugendliche. In Nordnigeria löschten dieser Tage die Mörder von Boko Haram eine ganze Ortschaft mit 2000 Menschen aus. Die westliche Welt ist entsetzt seit den Mordtaten an 17 Menschen in Paris. Es werden Vorschläge zur Terrorabwehr gemacht. Marine Le Pen von den französischen Nationalisten fordert die Todesstrafe. Sie scheint nicht zu wissen, dass Selbstmordattentäter bei ihren Anschlägen den eigenen Tod in Kauf nehmen. Die deutschen Konservativen rufen erneut nach der Vorratsdatenspeicherung. Sie haben nicht mitbekommen, dass diese in Frankreich praktiziert wird, aber die Morde in Paris nicht verhindert hat. Die EU- Außenminister beraten über eine bessere Zusammenarbeit der Geheimdienste, als wüssten wir nichts über den Verfassungsschutz und den Nationalsozialistischen Untergrund. Ministerpräsident Kretschmann fordert mehr muslimischen Religionsunterricht. Er hat vermutlich nie Ethik bei gewaltbereiten Rechtsradikalen unterrichtet. Als ich vor Jahren in einer solchen Klasse Religionsunterricht hielt, war nicht das Christentum Thema, sondern die Gewalt. Die Schüler waren nicht gewalttätig, weil in der Bibel vom Heiligen Krieg die Rede ist, sondern weil sie Wut angesammelt hatten.

Wie können wir auf die terroristischen Mordtaten als Christen angemessen reagieren? Weiterlesen

Predigt zu Lk 2, 1-14 am 26.12.2014 im Stuttgarter Schlosspark von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Die himmlischen Scharen über dem Stall von Bethlehem verkünden Frieden. Das war eigentlich nicht nötig, denn es herrschte kein Krieg. Es war Frieden, allerdings ein ganz bestimmter. Es war der so genannte römische Friede. Sein Grundsatz lautete: „Si pacem vis, bellum infer“, zu deutsch: „Wenn du Frieden willst, trag Krieg ins Land“. Diese Definition von Frieden ist geprägt vom Geist römischer Kolonialherrschaft, die Frieden schafft durch das militärische Niederhalten fremder Völker zum Zweck der bestmöglichen wirtschaftlichen Ausbeutung. Diese Friedensvorstellung prägt seit Jahrzehnten auch die Politik der USA und Putin scheint derzeit von den USA zu lernen. Weiterlesen

Parkgebetansprache von Friedrich Gehring am 6.11.2014

Jesaja, Kapitel 5, Verse 1 bis 8: Wohlan, ich will meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg. Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe. Und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben. Er baute auch einen Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf, dass er gute Trauben brächte; aber er brachte schlechte. Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und meinem Weinberg! Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich darauf wartete, dass er gute brächte? Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will! Sein Zaun soll weggenommen werden, dass er verwüstet werde, und seine Mauer soll eingerissen werden, dass er zertreten werde. Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf regnen. Des HERRN Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an der sein Herz hing. Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit. Weh denen, die ein Haus zum andern bringen und einen Acker an den andern rücken, bis kein Raum mehr da ist und sie allein das Land besitzen!

Schon etwa 750 v. Chr. warnt Jesaja die Reichen seiner Zeit, die immer mehr wirtschaftliche Macht erstreben, um diese zu missbrauchen, und sagt ihrem Treiben den Untergang voraus. Seine Unheilsweissagung ist heute hochaktuell. Weiterlesen

Online-Petition an die Grünen

Stuttgarter Zeitung: dud, 16.05.2014 17:59 Uhr

Stuttgart – Mit einer Online-Petition versuchen Gegner des umstrittenen Bahnprojekts Stuttgart 21, die Bundestagsfraktion der Grünen dazu zu bewegen, doch einem Untersuchungsausschuss zuzustimmen. Bisher lehnten die Grünen den Vorschlag der Linken ab, weil sie in einem Untersuchungsausschuss kein geeignetes Mittel sehen. Sie wollen einen Unterausschuss des Verkehrsausschusses einrichten, der sich mit den überteuerten Großprojekten vom Berliner Flughafen bis S 21 beschäftigt.

Das Aktionsbündnis gegen S21 fordert auch einen U-Ausschuss

Die Online-Petition, die bis Freitagnachmittag mehr als 500 Unterstützer hatte, ist von Friedrich Gehring aus Backnang (Rems-Murr-Kreis) initiiert worden. Der Pfarrer im Ruhestand ist auch Mitglied bei den Christen gegen S 21. Die Petition richtet sich direkt an die Bundestagsfraktion und fordert: „Schließen Sie sich dem Antrag auf einen Bundestags-Untersuchungsausschuss zu Stuttgart 21 an.“ Auch das Aktionsbündnis gegen S 21 fordert die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses, der die Einflussnahme der Bundesregierung auf die Entscheidung zum Weiterbau trotz der Kostenexplosion untersucht.

Predigt zur „Tunneltaufe“ am 21.3.2014 am Nordbahnhof – von Pfr. i. R. Friedrich Gehring – Was ich als christlicher Pfarrer dort verkündigen würde

Liebe Festgäste,
bei Taufen werden Menschen in die christliche Kirche aufgenommen. Ein Tunnel kann natürlich nicht in die Kirche aufgenommen werden, aber diese Tunneltaufe ist offenbar nötig, um dieses Bauwerk in unsere Gesellschaft aufzunehmen, trotz des Widerstands im Volk.
Für nicht wenige Menschen in unserem Land hat das Bauen an diesem großen Bahnprojekt eine große Verheißung: Es wird Wachstum in unsere Region bringen und damit eine Mehrung unseres Wohlstands. Unsere für die Richtlinien der Politik zuständige Kanzlerin Merkel hat es auf den Punkt gebracht, indem sie mit eben diesem Projekt Stuttgart 21 die Schicksalsfrage verband, ob in Deutschland künftig noch Großprojekte möglich sind oder nicht. In ihrer Sicht entscheidet sich an diesem Bauwerk, vor dessen Teilabschnitt wir hier stehen, die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands.
Ziemlich genau diese Hoffnung verband sich auch mit dem Bau des Atomkraftwerks Kalkar am Niederrhein vor etwa 40 Jahren. Die Atomenergie erschien als der Schlüssel für die Zukunft. So wurde der schnelle Brüter für Milliarden D-Mark gebaut, lieferte aber nie auch nur ein Kilowatt Strom, weil während des Baus erkennbar wurde, dass diese Technologie zu gefährlich war. Heute ist das Atomkraftwerksgelände ein Vergnügungspark. Es ist das große, epochale, bleibende Verdienst unserer Kanzlerin Merkel, dass sie nach der Katastrophe von Fukushima als gelernte Naturwissenschaftlerin die Umkehr aus der Atomindustrie gewagt hat.
Auch beim Projekt Stuttgart 21 haben sich seit der Planung völlig neue Gesichtspunkte ergeben: Es gibt inzwischen Wendezüge, der Tiefbahnhof schafft nicht mehr Züge als der Kopfbahnhof, von den versprochenen Arbeitsplätzen entsteht nur ein Bruchteil, der Grundstücksverkauf bezahlt den Tiefbahnhof mitnichten, das Projekt ist unwirtschaftlich, der Fildertunnel ist nicht schnell genug entrauchbar, der Tiefbahnhof bei Panik zu eng, beide werden bei einem Brand tödliche Fallen. So wird verständlich, dass Papst Franziskus mahnt: „Diese Wirtschaft tötet“. Alles in allem: Die Bahnführung würde mit dem Wissen von 2013 das Projekt nicht mehr beginnen. Kann es so Deutschlands Zukunft sein?
Die zentrale Botschaft Jesu war: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen“ (Mt 4,17). Buße heißt Umkehr. Wenn wir die Botschaft Jesu ernst nehmen, dann müssen wir immer offen bleiben dafür, einen falschen Weg einzugestehen und neue Wege zu beschreiten, wie wir das bei der Atomkraft tun. So müssen wir offen sein für die Möglichkeit, dass dieser Tunnel, nachdem er fertiggestellt ist, z. B. zum Züchten von Pilzen dient, weil das Projekt Stuttgart 21 zu teuer und zu gefährlich ist, so wie der schnelle Brüter von Kalkar nun als Freizeitpark die Besucher erfreut.
Das Reich des barmherzigen Gottes ist nicht gleichzusetzen mit wirtschaftlichem Wachstum um jeden Preis. Im Reich Gottes geht es um das Wachstum der Nächstenliebe und der Gerechtigkeit. In diesem Sinne wünsche ich dem Tunnelbauwerk, dessen Beginn wir heute feiern, dass alle Arbeiter an diesem Bau immer einen gerechten Lohn empfangen mögen und ihre Arbeit ohne Unfälle zu Ende bringen können. Amen

Ansprache beim Pargebet am 20.2.2014 zu Jak 5,1-6 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Luther hat den Jakobusbrief nicht gemocht, er hat ihn eine stroherne Epistel genannt. Das darf im Blick auf die Reichenschelte des Jakobus nicht wundern. Denn Luther ist nach dem Bauernaufstand von 1525 auf die Seite der reichen Feudalherren getreten. Von diesen wurden die lutherischen Kirchen finanziert, da war es aus mit der Reichenkritik. Unsere lutherischen Kirchen sind bis heute dieser Scheu unterworfen. Der Sprecher der Ev. Landeskirche in Württemberg, Oliver Hoesch, hat im vergangenen Dezember vor laufender Kamera erklärt, die Landeskirche stehe neutral zwischen denen, die bei Stuttgart 21 eine Stellungnahme als zwingend erforderlich ansehen, und denen, die eine solche für verzichtbar halten. Nach den einfachen Gesetzen der Logik bedeutet das aber, dass wenn die Landeskirche keine Stellung bezieht, sie auf der Seite derer steht, die sie für überflüssig halten. Eine Stellungnahme müsste wohl zwangsläufig auch eine Kritik an den Profiteuren von Stuttgart 21 formulieren, die der Reichenschalte des Jakobus sehr nahe käme. Hier herrscht auch heute noch die klassisch lutherische Zurückhaltung.
Wenn wir uns allerdings an Jesus orientieren, dann kommen wir an der Kritik am Reichtum nicht vorbei. Denn nach Jesus kommt eher ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher ins Reich Gottes (Mk 10,25). Wenn unsere Kirche den gierig Raffenden mit Jakobus zurufen würde: „Heulet über das Elend, das über euch kommen wird“, dann wäre dies zugleich hochaktuell. Wer wie Alice Schwarzer oder Uli Hoeneß Schätze sammelt und dabei noch Steuerverbrechen begeht, dem stünde wohl an zu heulen vor Scham. Dasselbe gilt für diejenigen, die sich an dem so brandgefährlichen wie nutzlosen und zerstörerischen Projekt Stuttgart 21 bereichern wollen. Denn das Geld, das derart dreist abgezogen wird, fehlt anderswo.
Michael Tsokos, Berlins oberster Rechtsmediziner, der regelmäßig zu Tode geprügelte Kinder obduzieren muss, sagt: „In Deutschland sterben Kinder für Geld“ (Frankfurter Rundschau, 5.2.14, S.38f). Aus 20-jähriger Erfahrung stellt er fest, dass Deutschland systematisch beim Kinderschutz versagt. Das hat natürlich auch mit den Mitteln zu tun, die für den Kinderschutz nicht ausgegeben werden. Ich habe verlässliche Information über eine Grundschulklasse im Großraum Stuttgart, in der ein Mädchen ist, deren familiärer sexueller Missbrauch seit über einem Jahr aktenkundig ist. Die Strafanzeige unterbleibt seitens der Familie wegen des faulen familiären Friedens, seitens des Jugendamts wegen Überlastung bzw. mangelnder finanzieller Mittel. Die Klassenlehrerin würde am liebsten Anzeige erstatten, aber dann würden die Eltern vermutlich durch Wegzug oder Umschulung das Kind ihrem Schutz entziehen. Wenn das Jugendamt mit mehr Stellen und mehr Mitteln zur außerfamiliären Unterbringung ausgestattet wäre, müssten weniger Kinder solche Martyrien erleiden. Aber die Millionen, die die Stadt Stuttgart für Stuttgart 21 ausgibt, stehen für einen wirksamen Kinderschutz nicht mehr zur Verfügung. Beim Geldausgeben zeigt sich, dass ihr die reichen Profiteure wichtiger sind als die armen Kinder.
Jakobus wagt es noch, den „ungerechten Mammon“ (Lk 16,9) der Reichen anzuprangern. Er kann sehen, was aus dem Raffen der Gierigen wird: „Euer Reichtum ist verfault, … euer Gold und Silber ist verrostet.“ Natürlich wissen wir alle, dass Gold nicht rostet, aber wir können heute gut verstehen was Jakobus meint. Der Goldpreis ist in enorme Höhen gestiegen, weil die reichen Anleger nicht mehr wussten wohin mit ihrem Geld. Nun ist der Goldpreis 2013 um 30 % gefallen, so „verrostet“ auch Gold. Weil zu viele zu viel gerafft haben, wird Geld anlegen schwierig: Zu viele wollen Zinsen einstecken, immer weniger wollen Zinsen zahlen. Nun ist das Jammern groß. Die Zinsen bleiben hinter der Inflation zurück, Reichtum „verfault“. Wir können auch zusehen, wie das Projekt der reichen Profiteure von Stuttgart 21 verfault. Ursprünglich meinten die bauernschlauen Planer, der Tiefbahnhof wäre aus den Spekulationsgewinnen beim Verkauf des Bahngeländes zu finanzieren. Diese Idee ist längst verrottet. Die gierige Deutsche Bahn AG meinte dann, durch die Sprechklausel die Kosten der Fehlspekulation auf die öffentlichen Haushalte abwälzen zu können. Dann kam überraschend die grün-rote Landesregierung an die Macht und beschloss den Kostendeckel, der auch bei der Volksabstimmung galt, nun ist auch diese geniale Idee verfault. Die kühne Idee des Nesenbachdükers verfault dadurch, dass kein Bauunternehmen diesen verrückten Plan verwirklichen will. Nun denkt man daran, den Tiefbahnhof ins Wasser zu betonieren. Wir dürfen gespannt sein, wann diese Idee verrottet. Die 121 Fäulnisrisiken, die der Fachmann Azer aufgelistet hat, sind nicht dadurch weg, dass Herr Azer nicht mehr Projektleiter ist.
Wir müssen also die Förderer des Projekts Stuttgart 21 nicht beneiden. Vor allem nach dem Volksentscheid wurde versucht, uns Projektgegner als die Verlierer hinzustellen. Jakobus öffnet uns die Augen für die andere Perspektive. Wir werden dabei nicht in Schadenfreude verfallen, aber nüchtern feststellen: „Wohlan nun, ihr Reichen, weinet und heulet über das Elend, das über euch kommen wird“. Als Nachfolger Jesu geben wir die Hoffnung nicht auf, dass die Reichen sich noch rechtzeitig vor ihrem Elend warnen lassen und umkehren. Amen.

Ansprache zum 2. Jahrestag der Parkräumung am 14.2. 2014 von Pfr. i.R. Friedrich Gehring

Als wir im März 2012 einen Trauergottesdienst für den zerstörten mittleren Schlossgarten gehalten haben, wurde uns von Kritikern vorgehalten, dies sei im Vergleich zur Trauer um verstorbene Menschen unangemessen. Es wurde an unserem Verstand gezweifelt und uns eine übertriebene Sensibilität für die 176 Bäume vorgeworfen angesichts weltweiter riesiger Abholzungen und täglicher tausendfacher Tierschlachtungen in Deutschland.

Ich ziehe mir den Schuh, den mir diese Kritiker anbieten, nicht an, sondern reiche ihn zurück: Es ist für mich auffällig, dass dort, wo Tiere auf engstem Raum eingepfercht werden, auch Menschen eingepfercht werden, die für Hungerlöhne diese Tiere schlachten sollen. Wer massenhaft Antibiotika verfüttert, dem ist auch die menschliche Gesundheit egal. Hier ist die mangelnde Sensibilität für das Leid der Tiere gepaart mit der fehlenden Empathie für Mitmenschen. Wer sein Mitgefühl mit der Mitkreatur verdrängt, tut sich auch schwer mit der Einfühlung in den Schmerz seiner Mitmenschen. Wer Tiere und Pflanzen im Schlossgarten der Profitgier weniger opfert, für den sind dann auch Menschen, die in Tunneln ersticken, eine zu vernachlässigende Größe.

Schöpfungsverachtung und Menschenverachtung liegen beim Dienst an dem Götzen Mammon nahe beieinander. Auch bei der Loveparade in Duisburg hat wohl das Interesse an dem Geschäft mit dem Großereignis blind gemacht für die Risiken. Man darf gespannt sein, wann das Eisenbahnbundesamt angeklagt wird für die fahrlässige Genehmigung von Stuttgart 21 ohne ausreichende Berücksichtigung des Brandrisikos.

Wir sind heute zusammen, weil wir unseren Schmerz nicht verdrängen, sondern öffentlich zeigen, und dabei unsere Empathie in fremden Schmerz bewahren. Wir schämen uns nicht unserer öffentlichen Trauer. Unsere Trauer hat nicht das Ziel, den verlorenen Teil des Schlossgartens einfach nur loszulassen. Lange Zeit war in der professionellen Begleitung Trauernder das Loslassenkönnen die hauptsächliche Zielsetzung. Der Theologe und Psychotherapeut Roland Kachler hat als professioneller Trauerbegleiter dieses Ziel lange Zeit verfolgt, bis er seinen 16-jährigen Sohn bei einem Verkehrsunfall verlor und am Grab spürte, dass er zum Loslassen überhaupt nicht bereit war. Er hat über dieser Erfahrung zu einer neuen Praxis der Trauer gefunden, die nicht auf das Abschied nehmen zielt, sondern kreativ an der Beziehung zu dem verlorenen geliebten Menschen arbeitet. Er erlebte, dass er – trotz tiefer Trauer – in seiner Liebe seinem Sohn nahe blieb, dass das gemeinsam Erlebte durch die Erinnerung bewahrt wurde und nicht verloren gehen konnte, dass der geliebte Sohn in seinem Herzen weiter lebendig war. Er konnte sagen: „Du bleibst bei mir in den Bäumen, im Wind und in den Sternen“.

Ich habe den Eindruck, dass wir mit unserem heutigen Gedenken eine sehr ähnliche Erfahrung machen können. In kreativer Weise beleben wir die Erinnerung an den verlorenen Teil unseres wunderschönen Schlossparks. Wir sorgen dafür, dass das Schöne, das wir hier genossen haben, in unserer Erinnerung bewahrt bleibt und uns nicht mehr genommen werden kann. Wenn ein Vater sich seinem verstorbenen Sohn nahe fühlt „in den Bäumen, im Wind und in den Sternen“, dann müsste uns das mit dem verlorenen Teil des Schlossparks auch möglich sein.
Ich kann mir vorstellen, dass für nicht wenige unter uns die Trauer um die Bäume und Tiere hier im Park verbunden ist mit anderen Verlusterfahrungen ihres Lebens. Möge unsere heutige Trauerarbeit uns helfen, ohne zu verdrängen mit anderen Verlusten unseres Lebens ebenso kreativ und heilsam umzugehen im Sinne der Seligpreisung Jesu: „Glückselig sind, die Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden“. Amen.

Pfr. i. R. Friedrich Gehring: Predigt zu Joh 17, 22-26 beim ökumenischen Gottesdienst am Himmelfahrtsfest 2013 auf der Erlacher Höhe bei Großerlach

Ein großartiger Text für einen ökumenischen Gottesdienst: Wie Gott, der liebende Vater, mit seinem erhöhten Sohn Jesus Christus eins ist, so sollen auch wir als Nachfolger Jesu untereinander einig sein. Damit ist die Frage gestellt: Worin sollen wir Christen trotz der verschiedenen Konfessionen einig sein? Worin liegt das gemeinsame Christliche unserer Kirchen und wie muss sich dieses in der gegenwärtigen Welt zeigen?

Jesus gibt in dieser Abschiedsrede nach Johannes klare Hinweise: Sein himmlischer Vater ist ein Gerechter und ein Liebender, deshalb sollen Liebe und Gerechtigkeit auch unter den Nachfolgern Jesu sichtbar sein, während die Welt diesen gerechten und liebenden Vater nicht kennt. Es wäre schwärmerisch zu behaupten, die Christen seien nicht mehr Teil dieser blinden Welt, aber sie sollen als Teil dieser Welt und in dieser Welt die Alternative der Liebe und der Gerechtigkeit leben, die nicht von dieser Welt ist. Wie kann dies heute konkret geschehen?

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Predigt zu Lk 19,1-10 beim Parkgebet am 31.1.2013 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Der Zöllner Zachäus ist ein Steuereintreiber im Dienst des römischen Kaisers, der sich Palästina und dessen Bevölkerung mit militärischer Gewalt unterworfen hat und nun durch Steuern ausbeutet, nicht zuletzt um die Soldaten bezahlen zu können, mit denen er das Volk unterdrückt. Beim Volk ist Zachäus deshalb eine der meist gehassten Persönlichkeiten seiner Zeit. Nicht nur, dass er in dieser Funktion mit dem Unterdrücker zusammenarbeitet und so seinen Lebensunterhalt verdient, er nutzt seine Macht auch noch, um zu betrügen, d. h. mehr in seine Tasche zu wirtschaften als ihm der Kaiser rechtmäßig zugesteht. Für beides hat er sich bewusst entschieden, für den Dienst beim Ausbeuter ebenso wie für den Betrug. Dafür trägt er persönlich die Verantwortung und bezahlt dafür mit Ausgrenzung und Einsamkeit, er muss den Hass seiner Mitmenschen ertragen. Sein Leben in materiellem Wohlstand ist zugleich ein Leben in der sozialen Isolierung. Schon Kinder im Kindergarten oder in der Grundschule können wissen, wie sich so etwas anfühlt.

Aber nun kommt Jesus in seine Nähe. Das ist faszinierend für ihn. Denn Jesus eilt der Ruf voraus, dass er anders ist als die anderen, weil er nicht von einem strafenden, sondern von einem barmherzigen Gott spricht. Weiterlesen

Jesajas Gesellschaftskritik und Stuttgart 21

Predigt zu Jes 11,1-9                                                                                       am 30.12.2012 in Großerlach von Pfr. i. R. Friedrich Gehring
(Erweiterung der Kurzpredigt vom 26.12.2012 im Stuttgarter Schlossgarten)
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Jesaja verkündet diese große Friedensvision in einer unfriedlichen Zeit. Als Angehöriger der Elite scheint er einige Zeit geschwiegen zu haben, aber dann erlebt er im Tempel die Berufung durch den Gott Israels und wird zum scharfen Kritiker seiner eigenen Gesellschaftsschicht. Die Mächtigen im Lande setzen nach außen statt auf den Gott Israels auf die Logik militärsicher Gewalt ( Jes 7,9) und nach innen auf immer mehr Wirtschaftsmacht, indem sie sich eine Monopolstellung verschaffen an Immobilien und landwirtschaftlichen Flächen (Jes 5,8). Sie nutzen diese Machtstellung zu rücksichtsloser Bereicherung. Jesaja wirft ihnen vor: „Ich habt den Weinberg abgeweidet, das von den Armen Geraubte ist in euren Häusern.“ (Jes 3,14). Sie verdrehen das Rechtswesen zu ihren Gunsten, Jesaja wirft ihnen vor, dass sie „dem Schuldigen Recht geben um Bestechung und dem Unschuldigen sein Recht absprechen“ (Jes 5,23). Jesaja muss dieser korrupten Führungsschicht den Niedergang voraussagen, sie werden fallen wie ein Baum, an den die Axt gelegt wird. Aber danach wird aus dem Wurzelstumpf eine neue, gerechte Gesellschaft aufwachsen wie ein neuer Trieb. Ein neuer Herrscher wird durch Gerechtigkeit eine friedliche Gesellschaft aufbauen. „Er wird die Armen richten mit Gerechtigkeit und den Elenden im Lande Recht sprechen mit Billigkeit; er wird den Tyrannen schlagen mit dem Stabe seines Mundes.“(Jes 11,4) Die Macht der Waffen wird ersetzt durch die Vollmacht der Argumente. Die gesamte Schöpfung, Mensch und Tier, werden einträchtig miteinander leben (Jes 11,6-9).

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Predigt zum „Wassergottesdienst“ in Bad Cannstatt am 23.9.2012 von Pfarrer i. R. Friedrich Gehring

Jeremia 2, 13: Denn zweifach hat mein Volk gefrevelt: Mich hat es verlassen, den Quell lebendigen Wassers, und hat sich Brunnen gegraben, rissige Brunnen, die das Wasser nicht halten.

Vor über 2600 Jahren spricht Jeremia im Namen des Gottes, der ihn berufen hat, diese Klage über das Volk Israel aus: Das Volk hat die gute Quelle verlassen und vertraut stattdessen auf rissige Brunnen. Was ist geschehen? Die Israeliten sind von ihrem Gott aus der Sklaverei in Ägypten befreit worden, deshalb erwartet er, dass sie selbst niemals andere Menschen so behandeln werden, wie sie in Ägypten behandelt worden sind. Aber nun muss Jeremia miterleben, dass örtliche Gottheiten, Baalsgötter genannt, die Glück, Wohlergehen und Erfolg versprechen, wichtiger geworden sind. Vergessen ist der Schutz der Schwachen vor den Mächtigen.
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Kretschmann: „Sorgen machen mir viel mehr die Leute vom Parkgebet“

Satire bei der Montagsdemonstration am 4. Juni 2012
von Friedrich Gehring

mit Roland Kimmich als Clemens Bratzler und Friedrich Gehring als Winfried Kretschmann

Bratzler: Herr Ministerpräsident Kretschmann, das ist ja sehr mutig, dass Sie ausgerechnet auf einer Montagsdemonstration zu einem Interview bereit sind.

Kretschmann: Nun ja, Herr Bratzler, als Landesvater für alle Bürgerinnen und Bürger muss ich natürlich auch mal zu meinen Landeskindern auf die Montagsdemonstration kommen, auch wenn es da Pfiffe geben kann. Wir versuchen ja gerade beim Filderdialog mit den Kritikern von Stuttgart 21 ins Gespräch zu kommen. Weiterlesen

Offener Brief an Ministerpräsident Kretschmann zu Sicherheitsmängeln bei Stuttgart 21

Pfr. i. R. Friedrich Gehring
Am Krähenhorst 8
71522 Backnang                                                                          den 26.6.2012

Offener Brief

An Herrn
Ministerpräsident Winfried Kretschmann                  Per e-Mail!
Richard-Wagner-Str. 15
70184 Stuttgart

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kretschmann,

am 5.6.2012 haben drei Stuttgarter Stadträte von Bündnis 90/Die Grünen einen Antrag an die Stadtverwaltung gestellt, sie möge die Deutsche Bahn AG zu einer Stellungnahme auffordern hinsichtlich eines jüngst bekannt gewordenen Gutachtens von 1997 zu den  Personenströmen im geplanten Tiefbahnhof  Stuttgart 21. Nach diesem Gutachten erreicht der geplante Tiefbahnhof bei der Simulation von nur 29 Zügen in der Spitzenstunde nur mittlere Bewertungen im Blick auf die Personenströme. Hieraus ergeben sich gravierende Zweifel an der Leistungsfähigkeit und Sicherheit von Stuttgart 21, wie sie im so genannten Stresstest behauptet wurden und für den Volksentscheid vom 27.11.2011 grundlegend waren.

Ihre Wähler ebenso wie diejenigen, die Sie nicht gewählt haben, und genauso die Teilnehmer an der Volksabstimmung  vom 27. Nov. 2011 dürfen von Ihnen als verantwortungsbewusstem Landesvater erwarten, dass Sie es den Stadträten der Grünen gleichtun und als Entscheidungsträger des Landes Baden-Württemberg auf die Deutsche Bahn AG zugehen mit den notwendigen Fragen, die sich aus dem jetzt bekannt gewordenen Gutachten ergeben, sowie die notwendigen Konsequenzen ziehen.

In diesem Zusammenhang erinnere ich daran, dass Sie durch Ihren Staatssekretär, Herrn Murawski, mit Schreiben vom 2.2.2012 an Herrn Dr. Kefer die Deutsche Bahn AG aufgefordert haben, zuerst die notwendigen Vorarbeiten zu erledigen, bevor die Rodung des Schlossgartens ins Angriff genommen würde, um verlorenes Vertrauen wieder herzustellen, „die allseitigen Verletzungen“ zu überwinden und zu einem „neuen und guten Miteinander“ zu finden. Dieser Appell war offensichtlich bei der Bahn schlecht aufgehoben. Das traurige Ergebnis ist im Schlossgarten zu besichtigen. Diese unnötige Zerstörung war unschwer zu erahnen. Deshalb wäre es Aufgabe Ihrer Regierung gewesen, den Park so lange durch Verweigerung des Gestattungsvertrags und des Polizeieinsatzes zu schützen, bis die Bahn die unabdingbaren Vorarbeiten geleistet hätte.

Sie selbst hätten hier verloren gegangenes Vertrauen wieder gewinnen müssen. Durch die Delegierung dieser Aufgabe an Herrn Dr. Kefer haben Sie selbst einen weiteren Verlust an Vertrauen in Ihre Regierung  erzeugt, nachdem Sie die im Koalitionsvertrag versprochene Kostentransparenz und einen wirklichen Vergleich zwischen Kopf- und Tiefbahnhof noch vor dem Volksentscheid unterlassen hatten. Sie haben nun angesichts des aufgetauchten Gutachtens die Möglichkeit, hier wenigstens teilweise Wiedergutmachung zu leisten. Wenn Sie den Täuschungsversuchen der Deutschen Bahn AG jetzt nicht energisch entgegentreten, machen Sie sich mitschuldig an einem Bahnhof, der bei den zu erwartenden Engpässen zu einer Katastrophe für die Reisenden wird.

Ich kann in diesem Zusammenhang nicht umhin, an die Loveparadekatastrophe in Duisburg zu erinnern. Eine offensichtlich fahrlässige Genehmigungspraxis führte zu 21 Todesopfern. Die Teilnehmer wollten sicherlich diese Veranstaltung, aber sie wollten dort nicht sterben. Selbst wenn tatsächlich der Volksentscheid vom 27. Nov. 2011 rechtskräftig werden sollte und Sie in ihrem Mantra bestätigt würden, das Volk wolle Stuttgart 21, so muss dennoch festgehalten werden, dass das Volk nicht in diesem Bahnhof sterben will.

Dr. Kefer von der Deutschen AG hat auf die Frage, wie Menschen mit Gehbehinderungen im Brandfall aus dem Tiefbahnhof gerettet werden sollen, am 25.1.2011 brieflich allen Ernstes geantwortet, man werde durch Lautsprecherdurchsagen die Gehfähigen auffordern, die Gehbehinderten zu retten. Ich erwarte von Ihnen als einem bekennenden Katholiken, dass Sie diesem Menschen verachtenden und über Leichen gehenden Zynismus mit derselben Entschlossenheit entgegentreten wie Sie beim EnBW-Kauf zu viel bezahlte Milliarden zurückfordern. Ich erwarte, dass Sie keinerlei Zahlungen des Landes mehr zulassen, bis die Deutsche Bahn AG sich zu einem schlüssigen Rettungskonzept vertraglich verpflichtet oder Stuttgart 21 wegen unumgänglicher Sicherheitsmängel aufgegeben hat.

Mit freundlichen Grüßen

Pfr. i. R. Friedrich Gehring
(Mitglied der Initiative „Theologinnen gegen Stuttgart 21“ / http://www.s21-christen-sagen-nein.org)

Trauer über die Zerstörung im Schlossgarten

Sieben Tage und Nächte schwiegen die Freunde Hiobs in Trauer mit ihm. Sieben Tage sind nun vergangen in der Trauer um die gefällten Bäume im Schlossgarten. Noch ist die Wucht dieses Frevels nicht ganz bei mir angekommen. Noch wirkt eine Art Narkotisierung der Seele, die den Schmerz dämpft. Aber nun ist die Zeit, das Trauma zu bearbeiten.
Nach dem 2. Weltkrieg haben viele Deutsche gefragt: „Wie konnte Gott das zulassen?“ Sie meinten nicht den Krieg, sondern die Niederlage. Aus dem Abstand der späten Geburt habe ich zu fragen gelernt: „Wie konnten so viele Deutsche bei diesem Krieg so begeistert mitmachen?“ So frage ich auch jetzt nicht: „Wie konnte Gott die Rodung im Schlossgarten zulassen?“ Ich versuche zu begreifen, warum diese sinnlose Zerstörung möglich wurde.
Ich möchte bei allem Schmerz unsere Gegner verstehen. Das Verstehen der Gegner erscheint mir als ein erster Schritt der Feindesliebe. Zugleich ist dieses Verstehen Voraussetzung für ein gelingendes Widerstehen.

Warum musste die DB AG in dieser Eile vorgehen? Warum musste unsere Regierung den Weg dazu ebnen mit dem Gestattungsvertrag und der Bereitstellung der Polizeikräfte?

Die Bahn

Die Bahn steht bei der Durchführung des Projekts Stuttgart 21 schon seit längerem mit dem Rücken an der Wand. Nicht einmal das Technikgebäude am abgerissenen Nordflügel erscheint technisch machbar, noch viel weniger die Unterführung des Nesenbachs, erst recht hat die Bahn noch nicht einmal eine Einschätzung, wie viel Grundwasser abzupumpen ist. Als Damoklesschwert über der Grundstücksspekulation und der Finanzierung schwebt nach Bau des Tiefbahnhofs die Übernahme des Kopfbahnhofs und seiner Zufahrtsgleise durch die Stuttgarter Netz AG.
All dies spricht dafür, dass die Bahn gar kein Interesse mehr am Bau von Stuttgart 21 hat. Die Rodung im Schlosspark war das einzige Signal, das für die scheinbare Bauwilligkeit noch gesetzt werden konnte. Die Bahn fühlte sich dem neoliberalen Mainstream verpflichtet, der behauptet, wenn einige wenige Wirtschaftmächtige völlig frei Hand bekommen, würde alles gut. Sie wollte Mut machen, das Projekt komme voran und die neoliberalen Heilsversprechen würden schon noch eintreffen. Aber damit ist nur das Eingeständnis hinausgeschoben worden, dass das Projekt sinnlos und nicht machbar ist.

Wenn all dies auch nur annähernd zutrifft, dann war die Rodung zugleich ein gemeiner Racheakt. Rache setzt voraus, dass Schmerz zugefügt wurde, der vergolten wird. Welchen Schmerz könnten die Parkschützer der Bahn zugefügt haben? Spätestens seit der Schlichtung sind die Unzulänglichkeiten des Projekts in einer Art und Weise aufgedeckt worden, die für die neoliberalen Planer äußerst peinlich sein mussten. Die Unzulänglichkeiten des Stresstests konnten zwar vor der Volksabstimmung unter den Tisch gekehrt werden, aber sie blieben den Projektbetreibern selbst natürlich nur allzu schmerzhaft bewusst, denn im künftigen Betrieb würden sie täglich sichtbar werden. Selten waren scheinbare Sieger derart blamiert.

Die Landesregierung

Bleibt noch die Frage nach der Landesregierung: Warum hat sie bei diesem üblen und zugleich aussichtslosen Spiel mitgemacht? Auch die Landesregierung will sich dem neoliberalen Mainstream anbiedern. Staatssekretär Murawski war in seinem Brief an die Bahn nur scheinbar an der Befriedung von Stadt und Land interessiert, es ging ihm vor allem um den Nachweis, dass nicht die Regierung das angeblich so segensreiche Projekt behindert, sondern die Bahn selbst. Beide, Bahn und Regierung, wollten sich den Neoliberalen gegenüber im besten Licht darstellen.

Konsequenzen

Wenn dies alles auch nur annähernd zutrifft, dann ist klar, was zu tun ist: Wir werden unsere Trauer nicht verstecken, sondern öffentlich zeigen und dabei die Zerstörungskraft des neoliberalen Projekts anprangern. Wir werden unsere Finger in die Wunden legen, wo immer sich die Gelegenheit bietet. Das klingt vordergründig unchristlich, aber bei uneinsichtigen Alkoholsüchtigen z. B. muss Leidensdruck aufgebaut werden, um sie zur Therapie zu bewegen. Dasselbe gilt bei Machtsüchtigen. Wir werden die Rückschrittlichkeit des Projekts, seine Nutzlosigkeit und Geldverschwendung und nicht zuletzt seine Gefährlichkeit an die Öffentlichkeit zerren, bis die Bürger der Stadt und des Landes erkennen, wie sie mit diesem Projekt betrogen werden. Stuttgart 21 wird in die Geschichte eingehen als ein warnendes Beispiel für die Gier einer Clique von Mensch und Natur verachtenden Profiteuren.

Friedrich Gehring

Ansprache zum drohenden Abriss des Bahnhofssüdflügels bei der Montagsdemonstration am 16.1.2012

Liebe Kopfbahnhoffreunde,
ich bin gebeten worden, zum drohenden Abriss des Südflügels unseres Kopfbahnhofs als Pfarrer einige tröstende Worte zu sprechen.
Ich werde keinen Trost spenden, indem ich bagatellisiere, wie manche Christen sagen: Es ist doch nur ein Bahnhof. Wenn es nur um den Bahnhof ginge, dann könnte der Abriss ja noch lange warten. Es geht aber hier nicht um einen Bahnhof, sondern um ein neoliberales Schlüsselprojekt und um das Brechen unseres Widerstands gegen diese zerstörerische Ideologie, die Jesus in seiner Muttersprache den Mammon nennt. Der Mammon ist unvereinbar mit dem Gott der Barmherzigkeit. Jesus sagt: Ihr könnt nicht Gott und dem Mammon zugleich dienen (Matthäus 6,21). Deshalb stehe ich heute hier.
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Predigt beim Weihnachtsgottesdienst im Schlossgarten am 26. Dezember 2011 zu Lukas 2,1-7 von Pfarrer i. R. Friedrich Gehring

Die Weihnachtsgeschichte des Lukas ist geschrieben aus der Sicht der kleinen Leute, die zum Zweck der Steuereintreibung beschwerliche Fußwanderungen auf sich nehmen müssen und dabei nicht einmal eine Herberge finden, selbst wenn eine junge Frau in die Wehen kommt.

Aus der Sicht der Mächtigen ist das belanglos, Hauptsache sie haben das Geld, in Palästen zu wohnen und die Soldaten zu bezahlen, die ihre Ausbeutung mit Waffengewalt sichern. Aber die Weihnachtsgeschichte verlässt diese Sicht der Herrschenden und ersetzt sie durch die Sicht derer, die unter dieser Herrschaft zu leiden haben. Das hat etwas revolutionäres, etwas umwälzendes an sich. Wir nehmen das nicht mehr so recht wahr, weil das Christentum vor mehr als 1600 Jahren eine staatstragende Funktion bekam, danach konnten Christen die Mächtigen nicht mehr so recht kritisieren. Die Weihnachtgeschichte soll seither als Idylle unser Herz erwärmen, nicht unseren Widerstand anfachen.

In der Schriftlesung (Markus 10, 42-45) haben wir aber gehört, dass Jesus den Mächtigen gegenüber noch kein Blatt vor den Mund genommen hat, wenn er nüchtern feststellt: „Ihr wisset, dass die weltlichen Fürsten ihre Völker niederhalten, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an.“
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Presseerklärung zum Frühstück am GWM

Am 29. 7. 2011 versammelten sich ab 5.30 Uhr etwa 130 Akteure, um dem Aufruf der Initiative „S 21 – Christen sagen nein“ zu folgen und zivilen Ungehorsam zu zeigen an der Einfahrt zum Grundwassermanagement für Stuttgart 21. Zwei Banner an der Einfahrt verkündeten das Ziel der Gruppe: „Schöpfung bewahren, nicht dem Mammon opfern“ und „S 21 verhindern, die Schöpfung bewahren“.

Blockade 29.07.11In kurzen Ansprachen wurde begründet, warum die versammelten Christen zu diesem Mittel der Sitzblockade greifen wollten. Als äußerer Anlass wurde genannt, dass die Gruppe „Ingenieure 22“ vor kurzem mit guten Gründen vor einer Verseuchung des Grundwassers mit jährlich etwa 33 Tonnen Eisen in Form von Rost gewarnt haben, weil entgegen den Auflagen der Planfeststellung Rohre ohne inneren Rostschutz verwendet würden, um 5-10 Mio. € zu sparen. Zudem habe die Bahn selbst eingestanden, wesentlich mehr Grundwasser entnehmen zu müssen als genehmigt. Deswegen stellten die Christen die Rechtmäßigkeit der Bauarbeiten in Frage.
Als grundsätzlicher Einwand gegen das Projekt Stuttgart 21 wurde angeführt, dass hier wie bei der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Bevölkerung vernachlässigt werde, um den Profit einiger weniger zu steigern. Die Ökonomie sei totalitär geworden, alles beherrschend, angeblich alternativlos.
Für Christen gelte aber: „Die Erde ist des Herrn“ (Ps 24,1). Deshalb sei die Schöpfung nicht „for sale“. Angesichts der zerstörerischen Profitgier, die von Jesus als „Mammon“ bezeichnet wird, könnten sich Christen auch im Blick auf Stuttgart 21 nicht heraushalten. Jesus stelle vor die Entscheidung: „Ich könnt nicht Gott und dem Mammon zugleich dienen.“ (Mt 6,24) Die Christen wollten mit ihrer Aktion hier und jetzt zeigen: „Wir haben uns für Gott und seine Schöpfung entschieden.“

Eine Konfrontation mit Baufahrzeugen blieb aus, die zahlreich aufgetauchten Polizisten mussten nicht eingreifen. Schließlich wurde noch ein Artikel aus der Süddeutschen Zeitung vom Tage dankbar bejubelt, in dem Stuttgart 21 als das dümmste Großprojekt bezeichnet wird.

Friedrich Gehring

Gibt es theologische Argumente für Stuttgart 21 ?

Befürworter von Stuttgart 21 verweisen darauf, dass nach der Wahl vom 27. März immer noch eine Zweidrittelmehrheit pro S 21 aus CDU, SPD und FDP im Landtag sitzt. Die meisten dieser Abgeordneten und ihre Wähler verstehen sich wohl als Christen. Wie kommen sie als Christen dazu?

Gelegentlich wurde schon gefragt, weshalb in der „Gemeinsamen Erklärung“ eingeräumt werde, „dass es auch Argumente pro S21 gibt“ und „sich auch Christen pro S21 aussprechen können“. Noch spannender erscheint mir die Frage, wie Christen für S 21 theologisch argumentieren, denn dann wäre eine theologische Auseinandersetzung mit ihnen möglich.

Der Evangelische Oberkirchenrat in Stuttgart macht das Schweigen zu S 21 zum christlichen Programm und folgt damit offenbar dem in lutherischen Kirchen seit Jahrhunderten gültigen Grundsatz aus Römer 13: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit.“  Sich zu S 21 zu äußern, brächte die Gefahr mit sich, der Obrigkeit widersprechen zu müssen, was zugleich Aufruhr gegen Gott wäre, der alle Obrigkeit einsetzt. Mit dieser Theologie könnten Christen sogar für die Meinung, am 30.9.2010 sei eine strafrechtlich relevante Sitzblockade von der Polizei rechtmäßig aufgelöst worden, biblisch argumentieren. Denn in dieser theologischen Sichtweise ist die Staatsmacht „Gottes Dienerin, eine Rächerin zur Strafe über den, der Böses tut.“ (Röm 13,5)

Dass diese theologische Argumentation heute nur noch selten vorgetragen wird, hat zunächst historische Gründe. Diese Theologie hat im 3. Reich dazu geführt, dass nicht nur die „Deutschen Christen“, sondern auch die „Bekennende Kirche“ in Hitler den von Gott gesandten Führer gesehen und deshalb seinen vaterländischen Krieg mitgemacht haben. Diese fatale Konsequenz aus Römer 13 ist bis heute kirchlich nicht wirklich aufgearbeitet. Die „Bekennende Kirche“ hat im „Stuttgarter Schuldbekenntnis“ vom Oktober 1945 nur die Schuld des Volkes, nicht aber die Schuld der Kirchenleitung und der herrschenden Theologie bekannt. Unbekannte Schuld wirkt erfahrungsgemäß weiter. So hat der Württembergische Landesbischof von Keler z. B. 1983 noch den Atomkrieg vor der Landessynode befürwortet, obwohl er eingestehen musste, dass dabei die Freiheit zerstört wird, die verteidigt werden sollte. Er hat dabei nicht mehr offen mit Römer 13 argumentiert, war aber dieser Theologie entsprechend regierungstreu.

Der zweite Grund, warum mit Römer 13 kaum noch offen argumentiert wird, liegt darin, dass die Schwarzweißmalerei, hier gute Obrigkeit, da böses Volk, das mit dem Schwert in Schach zu halten ist, im Widerspruch steht zu dem, was Jesus seinen Jüngern sagt: „Ihr wisset, dass die weltlichen Fürsten ihre Völker niederhalten, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt. Aber so soll es nicht sein unter euch; sondern wer groß sein will unter euch, der sei euer Diener; und wer unter euch der Erste sein will, der sei aller Knecht“ (Mk 10, 42-43). Jesus fordert also von uns Christen, dass wir der Gewaltkultur der Herrschenden eine Kultur des Dienens entgegensetzen. Anders als in Römer 13 sieht Jesus, dass auch Regierende Menschen sind, die Fehler machen können.

Dass Stefan Mappus für seinen gutsherrnartigen Regierungsstil nach Römer 13 nur so geringfügig abgestraft worden ist und immer noch 39 Prozent der Wähler ihn weiter haben wollen, lässt darauf schließen, dass die Theologie von Römer 13 in den Herzen vieler Christen in Baden-Württemberg immer noch lebendig ist. Einiges spricht dafür, dass der württembergische Pietismus, der im 18. Jahrhundert noch eine bürgerliche Befreiungsbewegung war, im 19. Jahrhundert von lutherischer Theologie derart dominiert wurde, dass er der Entwicklung zum  „autoritären Charakter“ mit seinem Untertanengeist Vorschub leistete, den die analytische Sozialpsychologie ab 1930 näher beschrieb. Die Proteste gerade auch von Christen gegen das Projekt Stuttgart 21  und seine gutsherrnartige Durchsetzung sind ein Zeichen der Hoffnung, dass württembergische Christen wieder zurückfinden zu der Protestkultur der bürgerlichen Befreiungsbewegung, die der württembergische Pietismus ursprünglich war.

Nachdem das Problem der Atomkraft auf tragische Weise neue Aufmerksamkeit erfährt und die Kanzlerin auch die Kirchen an einer Atomkraftethikkommission beteiligen will, können wir nur inständig hoffen, dass die dorthin berufenen kirchlichen Verantwortungsträger nicht wieder wie bei Stuttgart 21 regierungsergeben den Kopf in den Sand stecken und sagen, sie könnten in der Bibel keine Weisung finden für Abschaltung oder Laufzeitverlängerung.

Friedrich Gehring, Pfarrer i. R.

Der bischöfliche Weihnachtsfriede und Geißlers Schlichtung

Landesbischof July hat sich an Heiligabend 2010 im Rahmen der Verkündung des weihnachtlichen Friedens auch auf die Schlichtung von Heiner Geißler bezogen. Einige wollen ihn so verstehen, dass wir evangelischen Christen nun diese Schlichtung als Befriedung des Streits um Stuttgart 21 annehmen sollten.
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Predigt beim Gottesdienst im Schlossgarten 26.12.2010

Predigt zu Johannes 1,1-5+9-14

Johannes schreibt sein Evangelium in einer Zeit, in der es die Christen schwer haben. Die christlichen Gemeinden sind kleine Gruppen, umgeben von einer weithin feindlichen Umwelt. Das kann die resignativen Untertöne erklären, die Johannes in den ersten Versen seines Evangeliums mitschwingen lässt: „Das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht ergriffen“ (V.5). „Er war in der Welt, … aber die Welt erkannte ihn nicht“ (V 10). „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf“ (V. 11). Zum Glück bleibt Johannes bei diesen traurigen Feststellungen nicht stehen. Er schreibt ein Evangelium, eine frohe Botschaft: „Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden“ (V 12) und „wir sahen seine Herrlichkeit“ (V 14) In dem schmählich am Kreuz gescheiterten Jesus sehen die Kinder des liebenden Vaters die Herrlichkeit Gottes. Die Liebe Gottes, die die Christen verkünden, sie mag verlacht werden, die Jünger Jesu lassen sich davon nicht beirren. Weiterlesen

„Stuttgart 21“ – Der Mammon und die Kirchen

Nicht erst nach dem erschreckenden Polizeieinsatz vom 30. September 2010 haben immer mehr Kirchenmitglieder erwartet, dass die Kirchen Stellung nehmen sollten zu der Auseinandersetzung um das umstrittene Bauprojekt „Stuttgart 21“. Die ersten kirchlichen Reaktionen auf solche Erwartungen waren geprägt von dem Tenor, das Evangelium biete keine Handhabe, sich in diesen parlamentarisch-demokratisch entschiedenen Streit mit einer einseitigen Stellungnahme einzumischen. Betrachtet man allerdings näher, welche Politik bei Stuttgart 21 am Werk ist, wird eine kirchliche Stellungnahme unausweichlich.

„Stuttgart 21“ als neoliberales Schlüsselprojekt
Spätestens durch die Erklärung von Kanzlerin Merkel, über „Stuttgart 21“ werde bei den Landtagswahlen im März 2011 abgestimmt, ist dieses Projekt zum Test geworden für die neoliberale Politik, die seit etwa 30 Jahren zunehmend die Welt überschattet. Die Neoliberalen behaupten, wenn man nur die mächtigen Projektgewinnler ihre Profite machen lasse, dann sei das gut für alle. Natürlich sind die schlimmen Auswirkungen dieser Politik nicht erst bei diesem Projekt sichtbar geworden. Schon die Hartz IV – Gesetze und die Weltwirtschaftskrise haben die Folgen dieser Politik schmerzhaft erfahren lassen. Aber so schlimm diese Erfahrungen waren, die Gegner des Neoliberalismus konnten bisher als realitätsferne linke Spinner abgetan werden. Das Neue im Konflikt um „Stuttgart 21“ ist, dass der Widerstand aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Das muss den Neoliberalen natürlich Angst machen, und wer Angst hat wird häufig aggressiv und reagiert so wenig souverän, wie das am 30. September im Stuttgarter Schlosspark zu sehen war.

Die Kirchen und der Mammon
Die Neoliberalen behaupten traditionell, die von ihnen betriebene Umverteilung von unten nach oben sei alternativlos. Jesus rät aber genau zu der geleugneten Alternative, nämlich zur Umverteilung von oben nach unten, wenn er empfiehlt: „Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon.“ (Lk 16,9) Auch wenn niemand auf der Welt mehr weiß, dass der Mammon ungerecht ist, dann müssen es die Kirchen noch wissen. Der Begriff „Mammon“ bezeichnet in der Muttersprache Jesu die zerstörerische Kraft des Geldes, des Kapitals. Der Begriff war nicht ins Griechische des Neuen Testaments zu übersetzen, dort gab es keinen entsprechenden Begriff dafür, weil das Bewusstsein für diese zerstörerische Kraft bei den griechischen Sprachgestaltern nicht vorhanden war. Aber Jesus stand in der alttestamentlichen Tradition, in der schon Jesaja um 750 v. Chr. den Missbrauch der Macht durch Monopolisten geißelte und dessen verheerende Folgen ankündigte (Jes 5, 8 ff). Diese Konzentration wirtschaftlicher Macht in den Händen von Gewissenlosen wird im neoliberalen Casinokapitalismus zur Perfektion gebracht. Er ist genau das, was Jesus mit dem Begriff „Mammon“ angreift. Denn der Mammon ist die Gegenkraft, die der Botschaft Jesu vom Reich Gottes diametral gegenübersteht. Deshalb sagt Jesus: „Ihr könnt nicht Gott und dem Mammon zugleich dienen“ (Mt 6,24 par).

„Stuttgart  21“ und der Mammon
Der Bogen zu „Stuttgart 21“ ist leicht zu schlagen. Ziemlich am Anfang der Projektidee stand eine riesige Bodenspekulation. Das frei werdende Gleisgelände war zu phantastischen Preisen zu verkaufen. Bliebe der Kopfbahnhof, wäre dieser gewaltige Deal hinfällig, er müsste zu einem hohen Preis rückabgewickelt werden und enorme erhoffte Baugeschäfte wären verdorben. Die Rücksicht auf die dann leer ausgehenden Projektgewinnler hat offenbar größeres Gewicht als der Wille des Volkes, so darf eine Volksabstimmung nicht sein. So war Eile geboten, noch vor der Landtagswahl einen „point of no return“ zu erreichen. Gerade die Kirchen werden genau hinsehen müssen, für wen hier gegebenenfalls Arbeitsplätze entstehen, für tariflich bezahlte deutsche Bauhandwerker, die bisher arbeitslos waren, oder für ausgebeutete Billiglöhner aus Hungerländern. Kirchliche Achtsamkeit dürfte auch geboten sein hinsichtlich der Frage, ob die Profite der Ausbeuter am Ende auch in Kindergärten eingespart werden müssen.

Konsequenzen für die Kirchen
Der im Projekt Stuttgart 21 erkennbaren neoliberalen Regierungspolitik gegenüber, die das Christentum in seinen Grundsätzen bekämpft, kann es keine kirchliche Neutralität geben. Hier ist ein klares christliches Bekenntnis gefordert. Das mag für eine lutherische Kirche Neuland sein, weil sie sich Jahrhunderte lang den Landesherrn als ihren Geldgebern zur treuen Gefolgschaft verpflichtet gefühlt hat. Einer Partei, die sich christlich nennen will, muss kirchlicherseits klargemacht werden, dass sie dies erst dann wieder zu Recht tun kann, wenn sie sich wirksam von der bisherigen neoliberalen Mammonspolitik distanziert hat. Die Kirchen sollten den Regierungsverantwortlichen die Aufgabe des neoliberalen Schlüsselprojekts Stuttgart 21 als Chance zur Umkehr und zur Rückkehr zum Christentum anbieten.

(Eine ausführlichere Version dieses Beitrags in:
Deutsches Pfarrerblatt, Heft 11/2010, S. 609 ff)

Verfasser: Friedrich Gehring, Pfarrer i.R.