Liebe Parkgebetsgemeinde,
kurz vor dem Weihnachtsfest überfielen Taliban eine pakistanische Schule und ermordeten etwa 150 Menschen, vorwiegend Kinder und Jugendliche. In Nordnigeria löschten dieser Tage die Mörder von Boko Haram eine ganze Ortschaft mit 2000 Menschen aus. Die westliche Welt ist entsetzt seit den Mordtaten an 17 Menschen in Paris. Es werden Vorschläge zur Terrorabwehr gemacht. Marine Le Pen von den französischen Nationalisten fordert die Todesstrafe. Sie scheint nicht zu wissen, dass Selbstmordattentäter bei ihren Anschlägen den eigenen Tod in Kauf nehmen. Die deutschen Konservativen rufen erneut nach der Vorratsdatenspeicherung. Sie haben nicht mitbekommen, dass diese in Frankreich praktiziert wird, aber die Morde in Paris nicht verhindert hat. Die EU- Außenminister beraten über eine bessere Zusammenarbeit der Geheimdienste, als wüssten wir nichts über den Verfassungsschutz und den Nationalsozialistischen Untergrund. Ministerpräsident Kretschmann fordert mehr muslimischen Religionsunterricht. Er hat vermutlich nie Ethik bei gewaltbereiten Rechtsradikalen unterrichtet. Als ich vor Jahren in einer solchen Klasse Religionsunterricht hielt, war nicht das Christentum Thema, sondern die Gewalt. Die Schüler waren nicht gewalttätig, weil in der Bibel vom Heiligen Krieg die Rede ist, sondern weil sie Wut angesammelt hatten.
Wie können wir auf die terroristischen Mordtaten als Christen angemessen reagieren?
Ich habe als Bibeltext das Gebot der Feindesliebe gewählt und bin mir dabei bewusst, dass dies eine Provokation darstellt. Aber ich stehe zu dieser Provokation. Billiger ist echtes Christentum in der Nachfolge Jesu nicht zu haben. Ich will also ernsthaft der Frage nachgehen, wie heute Feindesliebe gelingen kann. Als erstes fällt mir dazu ein der Satz der damals 17-jährigen Enkelin von Jitzchak Rabin ein nach dessen Ermordung durch einen fanatischen Zionisten. Sie sagte, der Schmerz über den Tod ihres Großvaters sei so groß, dass in ihrem Herzen kein Platz sei für Rache. Nur wenn wir dem Schmerz standhalten und ihn nicht durch Hass und Rache schnell betäuben, werden wir einem schädlichen Aktionismus entgehen. Wir werden stattdessen die Ursachen von Gewalttaten reflektieren können, um das Übel der Gewalt von seinen Wurzeln her zu überwinden.
Als zweites fällt mir dazu ein, was Jesus über den Balken im eigenen Auge sagt, um den wir uns kümmern sollen, bevor wir auf den Splitter im Auge anderer deuten (Mt 7,1-5). Dabei bin ich erinnert an die Feststellung von Jürgen Todenhöfer, dass die Kriege der westlichen Welt in den vergangenen Jahrzehnten Zuchtprogrammen für Terroristen zu vergleichen seien. Nur wenn wir uns bewusst machen, dass die Taliban ursprünglich amerikanische Verbündete waren, als es in Afghanistan gegen die russischen Eindringlinge ging, und dass die Irakkriege die Region so destabilisiert haben, dass die ISIS-Terroristen dort Fuß fassen konnten, erst dann wird unser Aufschrei über die Mordtaten von Paris zu Konsequenzen führen, die den Zulauf für terroristische Gruppen erfolgreich eindämmen. Wenn wir uns eingestehen, dass es in diesen Kriegen vor allem um unser Öl und um unser neoliberales Wachstum ging, dann erst nehmen wir unsere Verstrickung in das Problem des Terrorismus wahr. Jesus warnt uns: „Wer zum Schwert greift, der wird durchs Schwert umkommen“ (Mt 26,52). Das spüren wir jetzt. Und wenn wir auf unseren Schlosspark blicken, können wir dieses Wort Jesu auch hier anwenden: Wer zu Wasserwerfern gegen Kinder greift, wird selbst in Wasserwerferprozessen untergehen, auch wenn Gottes Mühlen und die der Stuttgarter Justiz langsam mahlen.
Was ergibt sich daraus konkret im Blick auf die Terrorismus züchtende neoliberale Politik? Als feindesliebende Christen müssen wir aller selbstgerechten Empörung der westlichen Welt entgegenhalten, was sie selbst zum Terrorismus beiträgt und was sich an unserer westlichen Politik ändern muss. Die vorrangige Option für militärische Problemlösungen muss der Suche nach einem gerechten Frieden weichen. Die wachsende Waffenproduktion und Rüstungsforschung muss in friedliche Produktion und Forschung umgewandelt werden. Die rücksichtslose Gier nach wirtschaftlichem Wachstum, von dem vor allem Reiche profitieren, muss aufgegeben werden zugunsten eines Wachstums an Lebensqualität für alle.
Im konkreten Umgang mit Menschen, die versucht sind, gewaltbereiten Ideologien zu folgen, müssen wir wahrnehmen lernen, was sie auf diesen Weg gebracht hat. Langsam tritt ins öffentliche Bewusstsein, dass französische Dschihadisten vorzugsweise in Gefängnissen von Salafisten für die Sache des Terrors gewonnen werden. Hier gewinnt die Klage Jesu eine aktuelle Bedeutung: „Ich bin gefangen gewesen, und ihr habt mich nicht besucht“ (Mt 25, 43). Wir denken dabei meist eher an unschuldig Gefangene. Aber gerade auch die schuldig Gefangenen brauchen unsere Zuwendung. Als Jesus sich bei Zachäus eingeladen hat, ist er auch nicht bei einem Unschuldigen eingekehrt (Lk 19,1-10). Jesus sagt uns: „Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken“.
Das müsste schon in unseren Schulen beherzigt werden. Dort wird auch heute vielfach noch aussortiert statt gefördert. In der schon erwähnten Klasse von gewaltbereiten Rechtsradikalen habe ich gelernt zuzuhören. Da habe ich von so mancher auch schulischer Demütigung erfahren, die wütend gemacht hat. Das soll nicht heißen, dass ich die jungen Männer von der Verantwortung freispreche, dass sie es selbst sind, die sich für oder gegen die Gewalt entscheiden. So habe ich Geschichten für sie geschrieben und Filme mit ihnen angeschaut, bei denen die Sackgasse von Hass und Gewalt zu Ende gegangen wurde unter der Frage: Hat sich dein Leben durch Hass und Gewalt verbessert? Ich habe ihnen Alternativen zu Hass uns Gewalt vorgelegt, einige konnten darauf sehr schnell eingehen, bei anderen hat es länger gedauert. Am Ende des Schuljahrs war einer der besonders Gewaltbereiten voll Vorfreude auf den Schluss eines Films, den er kannte und der einen Gewaltexzess darstellte. Als die Szene dann kam, musste er allerdings wegsehen. Er hatte in diesem Augenblick von der Identifikation mit den Gewalttätern zurückgefunden zur Identifikation mit den Opfern. Dies ist für mich der Inbegriff des Auswegs aus der Gewaltspirale.
Wenn ich wie Joachim Gauck diese jungen Rechtsradikalen als Spinner bezeichnet hätte und ihnen auch so begegnet wäre, hätte ich nichts bei ihnen erreicht, sondern sie aufgegeben. Aber die Feindesliebe Jesu gibt nicht auf. Niemals und niemand. Amen.
Eine sehr gelungene Ansprache, auch weil der Redner den Mut hatte, die aktuelle Situation in den Mittelpunkt zu stellen und konkrete Wege der Überwindung von Gewalt bei Gewaltbereiten aufzuzeigen. Ich bedanke mich bei Friedrich auf diesem Wege öffentlich, dass er für mich eingesprungen ist. Hätte es sicherlich selber nicht so gut gemacht.