So spricht der Herr: Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden. Sollen die Hirten nicht die Herde weiden? … Siehe, ich will an die Hirten und will meine Herde von ihren Händen fordern. Ich will ein Ende machen, dass sie Hirten sind, und sie sollen nicht mehr sich selbst weiden. Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Rachen. (Hes 34,2-10 in Auswahl)
Diese Sätze des Propheten Hesekiel vor etwa 2500 Jahren wirken wie eine hochaktuelle Analyse der Verhältnisse unserer Tage. Es ist nur wenige Monate her, dass sich die baden-württembergischen Landtagsabgeordndeten besonders schöne Ruhegehälter beschlossen und sich damit selbst geweidet haben. Aber nur 14 Tage später ist, theologisch gesprochen, der Herr so an die Hirten gegangen, dass sie sich nicht mehr selbst weiden konnten, und das Selbtbedienungsgesetz wieder aufheben mussten. Wie hat der barmherzige Gott, der gute Hirte seiner Herde, dieses Wunder geschafft? Er hat unter seiner Herde eine solche öffentliche Empörung aufkommen lassen, dass die sich selbst weidenden Hirten sich auf ihre ursprüngliche Aufgabe zurück besinnen mussten, die Herde zu weiden.
Leider werden die selbstbezogenen Hirten unserer Tage nicht immer so schnell ausgebremst. Wir als Befürwortende des Umstiegs 21 denken hier insbesondere an Roland Pofalla, den ehemaligen Staatssekretär im Kanzleramt. Er hat als willfähriger Erfüllungsgehilfe der Bahnprivatisierung und der Profiteure von Stuttgart 21 der Kanzlerin geholfen, ihr völlig unrentables und vollkommen unsinniges Lieblingsprojekt vor dem Abbruch zu bewahren, indem er 2013 die Bahn-Aufsichtsräte beschwatzte, das Projekt gegen das Aktienrecht und auf die Gefahr der eigenen Schadenshaftung durchzuwinken. Solche Macht haben die selbstbezogenen Hirten aus der Bahnbaubranche, dass sie mit ihrem Lobbyismus die politische Führung auf ihren Kurs bringen und gegen Recht und Gesetz in ihre Tasche wirtschaften können. Das besonders schlimme daran ist, dass die politischen Hirten in vorlaufendem Gehorsam den Interessen dieser Bauhirten dienen, weil sie nach ihrer politischen Karriere von den Konzernhirten hochdotierte Posten erwarten können für ihren vorlaufenden Gehorsam. Das Vorgehen von Roland Pofalla ist ein Musterbeispiel dafür, auch wenn er kürzlich noch nicht gleich Bahnchef werden konnte.
Der barmherzige Gott sieht nicht nur die falschen Hirten in Politik und Wirtschaft, sondern auch die in der Justiz. Die verantwortlichen Staatsanwälte in Berlin, die der Veruntreuung der Bahnaufsichtsräte beim Projekt Stuttgart 21 entgegentreten müssten, weiden bisher nicht die Herde, sondern die Bahnbaukonzerne. Sie sagten zunächst: Die Aufsichtsräte sind zu dumm, um die Untreue zu bemerken. Warum sagen sie so etwas? Sie sind in ihren Herzen gefangen vom Götzen Mammon, der ihnen einflüstert: Wenn die Konzerne, die 30 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung erbringen, gute Geschäfte machen, dann sind auch eure Ruhegehälter als Staatsanwälte sicher. Das stimmt natürlich nicht. Ihre Gehälter wären auch dann sicher, wenn die Milliarden nicht bei Stuttgart 21 veruntreut, sondern vernünftig eingesetzt würden, z. B. für den Umstieg 21. Möglicherweise flüstert ihnen der Mammon auch ein: Wenn ihr euch unterwürfig der herrschenden Politik anpasst, dann steigen eure Aufstiegschancen. Das stimmt natürlich auch nicht, denn wenn sich alle unterwürfig anpassen, gibt es trotzdem nicht mehr höhere Posten. Die entscheidende Frage ist: Wie können die juristischen Hirten von den verlogenen Einflüsterungen des Götzen Mammon befreit werden?
Das ist natürlich nicht so einfach wie bei den Landtagsabgeordneten, die alle vier Jahre wenigstens die wählende Herde fürchten und entsprechende Rücksichten nehmen müssen. Aber auch gegenüber den juristischen Hirten geht es darum, dass die Herde sich nicht vom Götzen Mammon fangen lässt, sondern sein zerstörerisches Treiben skandalisiert und die Mehrheit der Herde überzeugt. So ist es bisher gelungen, beinahe eine Zweidrittelmehrheit zu gewinnen für die Prüfung des Konzepts Umstieg 21. Wir müssen daran erinnern, dass nicht nur die Konzerne selbst, sondern auch diejenigen, die die weiteren 70 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung erbringen, einen öffentlichen Nahverkehr brauchen, der die Mitarbeiter rechtzeitig an den Arbeitsplatz bringt. So kann den konzernhörigen Hirten in der Justiz klar gemacht werden, dass sie mit ihrer bisherigen Weigerung, wegen Untreue zu ermitteln, auch den Konzernen schaden. Nicht zuletzt muss an den Rest von Gewissen und Verstand appelliert werden, den die staatsanwaltlichen Verantwortlichen bei der Unterwerfung unter den Götzen Mammon noch bewahrt haben. Sie müssen durch beharrliche Strafanzeigen daran erinnert werden, wen sie zu weiden haben. Eisenhart von Loeper und Dieter Reicherter haben sich jüngst erneut darum verdient gemacht und die zuständige Staatsanwältin muss nun die Vorwürfe der Untreue gegen verschiedene Bahnverantwortliche prüfen, um sich nicht der Strafvereitelung im Amt schuldig zu machen.
Wir kommen hier regelmäßig zum Parkgebet zusammen, weil wir uns beharrlich weigern, den Einflüsterungen des Mammon zu folgen und damit sein zerstörerisches Werk zu unterstützen. Wir bestärken uns gegenseitig durch Gebete und durch das Hören auf die Botschaft des barmherzigen Gottes darin, die Alternative zum Mammon zu leben. Deshalb bestehen wir darauf, dass die Hirten im Lande der Herde und nicht dem Mammon zu dienen haben. Wenn wir zu verzagen drohen, weil unserem Bemühen wenig Erfolg vergönnt zu sein scheint, dann erinnern wir uns daran, dass schon vor über 2500 Jahren die Propheten Israels diesen Kampf gegen den Mammon gekämpft haben. So kann es auch heute lange währen, bis der barmherzige Gott, der wahre Hirte, zusammen mit der Herde an die falschen selbstbezogenen Hirten gehen wird. Der feste Glaube an den barmherzigen Gott schenke uns die Ausdauer, die falschen Hirten beim Namen zu nennen, ihr Treiben zu skandalisieren und darauf zu pochen, dass sie der Herde zu dienen haben. Amen.