Die himmlischen Scharen über dem Stall von Bethlehem verkünden Frieden. Das war eigentlich nicht nötig, denn es herrschte kein Krieg. Es war Frieden, allerdings ein ganz bestimmter. Es war der so genannte römische Friede. Sein Grundsatz lautete: „Si pacem vis, bellum infer“, zu deutsch: „Wenn du Frieden willst, trag Krieg ins Land“. Diese Definition von Frieden ist geprägt vom Geist römischer Kolonialherrschaft, die Frieden schafft durch das militärische Niederhalten fremder Völker zum Zweck der bestmöglichen wirtschaftlichen Ausbeutung. Diese Friedensvorstellung prägt seit Jahrzehnten auch die Politik der USA und Putin scheint derzeit von den USA zu lernen.
Über die Nato ist Deutschland in diese Machtgier verstrickt. An deutschen Hochschulen wird an neuen Atombomben mitgearbeitet. Auch unsere Kirche trägt ihr Teil bei: Die Befürwortung des Atomkriegs durch unseren Bischof von Keler im Jahr 1983 ist noch nicht bereut. Wenn du Frieden willst, wirf Atombomben aufs Land. In diesem Frieden ist die Ruhe des Bürgers erste Pflicht, er soll sich widerstandslos der Kolonialmacht beugen, dann kann er damit rechnen, „friedlich“ leben zu dürfen.
Aus dieser Sorte Frieden hat einst der Gott Israels seine Kinder in Ägypten befreit und einen neuen Begriff von Frieden geprägt, den Schalom, in dem die Bedürfnisse aller befriedigt werden, nicht nur die der Unterdrücker. Zwar hat sich auch in Israel später eine herrschende Schicht von wirtschaftlich Mächtigen herausgebildet, die Schwächere ausgebeutet haben, aber die vom Gott Israels gesandten Propheten haben immer wieder an den ursprünglichen Schalom erinnert und diesen auch eingefordert. Witwen, Waisen und Fremdlinge wurden als Inbegriff der Schwachen unter den besonderen Schutz der Gemeinschaft gestellt, und Schuldenerlassanordnungen haben die Verarmung einzelner oder ganzer Teile der Bevölkerung ebenso verhindert wie die Monopolmacht wirtschaftlich Übermächtiger.
Diesen Frieden in Verteilgerechtigkeit verkünden die himmlischen Scharen über der Krippe des neugeborenen Jesus. Dieser Friede ist die frohe Botschaft für die Amen, Ausgebeuteten und Unterdrückten. Diesen Frieden feiern wir am Weihnachtsfest. Dieses Feiern ist allerdings kein bloßes frommes Zuschauen, sondern eine Selbstverpflichtung, zu diesem Schalom unseren Teil beizutragen. Was bedeutet das für uns heute und hier im Schlosspark?
Ich denke, wir haben eine spezifische Beziehung zum römischen Frieden, denn wir haben sattsam zu hören bekommen, Ruhe sei unsere erste Bürgerpflicht nach der demokratischen Entscheidung bei der Volksabstimmung über den Finanzierungsbeitrag Landes für Stuttgart 21. Es war zwar keine militärische, aber eine ähnlich schmerzliche Abstimmungsniederlage, nach der wir als Verlierer uns den Siegern beugen sollten, um unsere Ausbeutung durch die Profiteure des Projekts zu akzeptieren. Wenn wir heute den Schalom feiern, den uns das Kind in der Krippe bringen will, dann bedeutet das, dass wir den Scheinfrieden der Ausbeuter weiterhin beim Namen nennen, die Machenschaften seiner Drahtzieher anprangern und die Unsinnigkeiten dieses Projekts öffentlich machen, die von Tag zu Tag immer mehr sichtbar werden. Beim Feiern des Schalom bestärken wir uns gegenseitig in unserem Eintreten für eine gerechtere Welt nicht nur im Blick auf Stuttgart 21, sondern hinsichtlich der Politik insgesamt, die dieses Projekt ersann und durchsetzen will. Wir prangern die tödlichen Risiken dieses Projekts an und verschweigen nicht, dass die Politik des römischen Friedens schon jetzt Opfer fordert, sodass Papst Franziskus feststellen muss: „Diese Wirtschaft tötet“.
Die Welthandelsorganisation WTO behauptet ernsthaft, es sei um des freien Handels und des wirtschaftlichen Wachstums willen nötig, dass Indien die Nahrungsmittelsubventionen für vom Hunger bedrohte Teile der Bevölkerung einstellen muss. Die indische Regierung hat sich glücklicherweise bisher geweigert, dabei mitzumachen. Was ich schmerzlich vermisse ist ein Aufschrei der Weltgemeinschaft gegen dieses Ansinnen der Drahtzieher solcher Abkommen. Hier sind Kräfte am Werk, die ohne jeden Skrupel für angebliches Wirtschaftswachstum über die Leichen der Verhungerten gehen. Entsprechend vermisse ich den Aufschrei in Europa gegen die so genannten Freihandelsabkommen, die angeblich allgemeine Förderung von Wohlstand versprechen, aber tatsächlich die Machtergreifung der internationalen Konzernlobbyisten darstellen, die uns auf unvorstellbare Weise tributpflichtig machen wollen. Die Gesundheitsversorgung, die Bereitstellung von Wasser und Elektrizität soll für alle Zeiten in die Hand von so genannten Investoren kommen, die in Wirklichkeit Ausbeuter sind. Öffentliche Hände sollen die verkauften Unternehmen nie mehr zurückkaufen können. Für alle demokratisch legitimieren Gesetze, die den Profit der Ausbeuter schmälern, sollen Sondergerichte der Konzerne Schadenersatz aus Staatshaushalten beschließen können ohne Einspruchsmöglichkeit bei ordentlichen Gerichten. Die große Koalition propagiert in neoliberaler Verblendung dieses Ermächtigungsabkommen für die Machtergreifung der Konzerne wegen eines angeblich minimalen Wachstums.
Aber wir müssen uns nicht blenden lassen. Wir schauen auf das Kind in der Krippe und seinen Schalom. Wir messen Wachstum am zunehmenden fairen Teilen. Wir leben und arbeiten auf das Reich des barmherzigen Gottes zu, in dem alle satt werden. Wir bleiben nicht ruhig, sondern stehen auf, um diesen Frieden der Ausbeuter zu brandmarken und unseren Glauben an den Schalom Jesu zu bekennen. Das Kind in der Krippe schenke uns den Mut und die Ausdauer dazu. Amen.
Es gibt keinen Frieden für Gottlose, also von Gott losgelösten. Deshalb kann wahrer Frieden nur von innen nach außen kommen, nie umgekehrt.
Es gibt auch keine mehr oder weniger gerechte Welt, sondern es gibt nur Gerechtigkeit in Christus Jesus, oder Ungerechtigkeit durch meinen Ungehorsam Gott und seinen geboten Gegenüber.
Gott hat uns niemals geboten, die Welt zu verbessern, sondern die Menschen vor dem sicheren Untergang zu retten. Wo ich mich selbst zum Maßstab für Frieden und Gerechtigkeit mache, da habe ich Gottes Werte und Gottes Worte darüber bereits verworfen.
Jesus ist unser Friede und unsere Gerechtigkeit, niemand und nichts sonst! Und wo ich diese meine irregeleiteten Maßstäbe über Frieden und Gerechtigkeit dazu benütze, andere auszugrenzen und zu maßregeln, da bin ich ein Verführer.
Lieber Peter!
Ihren ersten zwei Glaubenssätze kann ich zustimmen. Aber Jesus hat mehr gepredigt als die Warnung vor dem Untergang. Diese Botschaft kam von Johannes dem Täufer. Jesus hat Nächstenliebe geboten. Wenn ich Nächstenliebe übe, die z.B. heute nicht mehr ohne die Liebe zu allen Kreaturen zu denken ist, wird dann damit nicht die Welt wenigstens an einer unheilvollen Stelle besser?
Apropos „ausgrenzen, maßregeln“. Wenn ich andere wegen ihrer Gottlosigkeit kritisiere, grenze ich sie nicht aus, sondern lade ich sie ein zur Umkehr. Auch Jesus, auch Johannes der Täufer, auch alle alttestamentliche Propheten haben die Sünden kritisiert.
Hans-Eberhard Dietrich
Lieber Peter,
wenn Sie sagen: „Gott hat uns niemals geboten, die Welt zu verbessern“, dann sind Sie losgelöst vom dem barmherzigen Gott, den Jesus verkündet, wenn er zu dem Reichen sagt: „Verkaufe alles, was du hast und gib’s den Armen“ und damit die Welt verbessern will. Wenn Sie das nicht wollen, dann werden Sie so wenig Frieden finden wie der Reiche, der traurig weggeht (Mk 10,21-22). Ihre Vorstellung von Gerechtigkeit stammt nicht von Jesus, sondern von Paulus, der egoistisch fragt: Wie kann ich vor Gott gerecht werden? Jesus fragt: Wie kann den Armen Gerechtigkeit widerfahren. Ich will Sie nicht ausgrenzen, Sie grenzen sich selbst aus wie Zachäus vor seiner Bekehrung. Ich möchte Sie einladen, zu Jesus umzukehren wie Zachäus, damit Jesus auch zu Ihnen sagen kann: „Heute ist diesem Hause Heil widerfahren“ (Lk 19,9).
Mit herzlichem Gruß
Friedrich Gehring
Zuerst einmal ein Dankeschön für den fairen und sachlichen Umgang miteinander. Das tut wohl, und das möchte ich auch gerne hier gesagt haben.
Friede ist nicht zuerst eine Frucht meiner Handlung, sondern das Resultat einer Beziehung. Ich bin gerechtfertigt aus Glauben, deshalb habe ich Frieden (Römerbrief 5,1) Und ich weiß an dieser Stelle, wovon ich rede!
Ich würde nicht zwischen Jesus und Paulus, sondern zwischen biblischen und unbiblischen Maßstäben unterscheiden wollen. Das Wort Gottes muss von Gott eingegeben sein (2. Tim 3,16-17) und Jesus bezeugen (Joh 5,39)
Was ich schade finde, ist die Vermischung von Religion und Fakten, wenn es wie zum Beispiel hier um S 21 geht. Die Fakten erlauben mir ein Urteil, wenn etwas richtig und falsch ist, die Religion unterscheidet zwischen gut und böse. Wenn ich diese Dinge nicht sauber trenne, und Dinge und damit auch die damit zusammenhängenden Personen als gut und/oder böse beurteile, dann mache ich mich unberechtigterweise zum Sprachrohr Gottes.
Und damit überschreite ich meine Kompetenzen als Mensch und Christ.
Die Unterscheidung zwischen gut und böse steht nur Gott zu.
Die Liebe zum Nächsten muss von der Liebe Gottes (Agape) durchdrungen sein. Der Maßstab und der Spender dieser Liebe ist Gott selbst (Joh 3,16).
Alles, was nicht von dieser Agape durchdrungen ist, hilft den Menschen nicht entscheidend.
Deshalb würde ich mich, wenn es um die Auseinandersetzung mit S 21 geht, ausschließlich von den Fakten leiten lassen, und die sind vielfältig und interessant genug. Aber diese Fakten beeinflussen nicht meinen Frieden und auch nicht meine Liebe Gott und meinen Mitmenschen gegenüber.
Liebe Grüsse: Peter
Lieber Peter,
die Unterscheidung von biblischen und unbiblischen Maßstäben ist für die Ausrichtung des Lebens von Christen unzureichend. Der Rachepsalm 137 zum Beispiel ist zweifellos biblisch, aber das genaue Gegenteil dessen, was Jesus will, wenn er uns die Feindesliebe ans Herz legt (Mt 5, 38-48). Biblische Maßstäbe können also völlig jesuswidrig sein. Es muss also in einem Christenleben um die Unterscheidung von jesusgemäßen und jesuswidrigen Maßstäben gehen. Wenn wir uns an Jesus orientieren, dann ist Friede tatsächlich Frucht unseres Handelns, denn Jesus will, dass wir Friedensstifter werden (Mt 5, 9). Dass wir aus Glauben gerechtfertigt sind, mag für Paulus und Luther wichtig sein, Jesus will unsere Buße, unser Umdenken und Umkehren auf das Reich Gottes hin, das wird bei Zachäus konkret (Lk 19, 1-10). Jesus kommt es dabei auf die Fakten an, die Rückzahlung des ergaunerten Geldes und das Teilen mit den Armen. So will Jesus den Glauben an das Reich Gottes und die Fakten zusammenbringen. Ich staune, dass das faktische Fehlen des Brandschutzes bei Stuttgart21 Ihren Frieden nicht beeinflusst, auch nicht Ihre Liebe zu Ihren Mitmenschen. Ist es für Sie als einen gläubigen Christen denn gleichgültig, wenn Mitmenschen ersticken und verbrennen, weil ein relativ katastrophensicherer Kopfbahnhof partout durch einen gefährlichen Tiefbahnhof ersetzt werden soll?
Mit herzlichem Gruß
Friedrich Gehring
„Meint ihr, daß ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf Erden? Ich sage: Nein, sondern Zwietracht.“ Jesus Christus in Lk 12,51
Frieden gibt es nur von innen nach außen. ich kann nur Friedensstifter sein, wenn ich Frieden mit Jesus habe.
Wie dieser Frieden dann aussieht, dass entscheidet sich daran, wie gut meine Beziehung zu Jesus ist.
Wo ich Frieden losgelöst von Jesus und seinen Maßstäben anstrebe, wird immer Zwietracht das Ergebnis sein.
Armut ist keine Sache des Besitzes sondern der Einstellung. Ich bekomme weniger als 500.- Schwerbehindertenrente, möchte aber trotzdem nicht mit ihnen tauschen.
Zum Thema Brandschutz: zur Zeit der Entstehung der Pläne für diesen Bahnhof wurden alle Brandschutzbestimmungen mit Bravour erfüllt. Da aber der Baubeginn aus politischen Gründen verzögert wurde, und die Gesetze mittlerweile drastisch verschärft wurden, hat die Bahn an dieser Stelle tatsächlich Probleme.
Nur sollten wir so ehrlich sein, zuzugeben, woher diese Probleme kommen.
Wenn ein Sportwagen konstruiert werden soll und nach dem Planstadium verlangt wird, dass mindestens acht Leute darin Platz haben sollen, dann hat jeder Planer ein Problem.
Frieden bedeutet, von der Liebe Jesu erfüllt Schritte zueinander und dann miteinander zu gehen, auch dann, wenn die Ansichten nicht immer übereinstimmen.
Bei solch einem komplexen Projekt wie S21 werde ich immer Haare in der Suppe finden. Diese „Haare“ gab es beim S-Bahn-Bau auch, ebenso bei der Neubaustrecke Stuttgart-Mannheim und beim Stadtbahntunnel Bopser-Weinsteige. Heute sind wir froh, daß wir diese Bauwerke haben und nützen können.
Deshalb möchte ich sie zu einer differenzierteren Sicht der Dinge und Fakten ermutigen.
Liebe Grüsse: Peter
Lieber Peter,
der Satz: „Armut ist keine Sache des Besitzes, sondern der Einstellung“ ist nicht von Jesus, sondern aus dem Giftschrank der neoliberalen Ideologen.
Jesus geht es tatsächlich um das Teilen des Besitzes mit den Armen (siehe Zachäus) und auch Ihre Schwerbehindertenrente ist barmherziges Teilen von Besitz. Wenn Sie indischen Eltern, deren Kind an einer heilbaren Krankheit verstorben ist, weil ihr Besitz für den Kauf einfacher Medikamente zu klein war, diesen ominösen Satz sagen, Armut sei keine Sache des Besitzes, sondern der Einstellung, dann wird sein Zynismus offenbar. Jesus war kein Zyniker. Wenn aber jemand solche zynischen Sätze vertritt und gleichzeitig den Namen Jesus im Munde führt, dann gehört er zu denen, die zwar „Herr, Herr“ sagen, aber nicht den Willen tun des barmherzigen Vaters von Jesus (Mt 7,21).
Ähnlich zynisch erscheint mir, wenn Sie den fehlenden Brandschutz bei Stuttgart 21 als Haar in der Suppe bagatellisieren. Entweder es werden Milliarden vergeudet, wenn das Projekt mangels Brandschutz nicht genutzt werden kann, oder es werden fahrlässige Ausnahmegenehmigungen erteilt wie bei der Neigung des Bahnhofs, und damit das Leben der Reisenden aufs Spiel gesetzt. Selbst wenn Sie damit Recht hätten, dass die Brandschutzanforderungen im Lauf der Planung verschärft wurden, so wäre die mindeste Konsequenz, das Projekt zu stoppen, bis der Brandschutz gesichert ist. Aber in Wirklichkeit sind die Tunnel schon immer zu eng geplant gewesen, um eine Entrauchungsanlage aufzunehmen. Eine Regierung, die sich christlich nennt, müsste deshalb das Projekt aufgeben.
Mit herzlichem Gruß
Friedrich Gehring