Predigt beim Gottesdienst im Schlossgarten 26.12.2010

Predigt zu Johannes 1,1-5+9-14

Johannes schreibt sein Evangelium in einer Zeit, in der es die Christen schwer haben. Die christlichen Gemeinden sind kleine Gruppen, umgeben von einer weithin feindlichen Umwelt. Das kann die resignativen Untertöne erklären, die Johannes in den ersten Versen seines Evangeliums mitschwingen lässt: „Das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht ergriffen“ (V.5). „Er war in der Welt, … aber die Welt erkannte ihn nicht“ (V 10). „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf“ (V. 11). Zum Glück bleibt Johannes bei diesen traurigen Feststellungen nicht stehen. Er schreibt ein Evangelium, eine frohe Botschaft: „Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden“ (V 12) und „wir sahen seine Herrlichkeit“ (V 14) In dem schmählich am Kreuz gescheiterten Jesus sehen die Kinder des liebenden Vaters die Herrlichkeit Gottes. Die Liebe Gottes, die die Christen verkünden, sie mag verlacht werden, die Jünger Jesu lassen sich davon nicht beirren.

Ich habe nach dem Schlichterspruch von Heiner Geißler allerhand resignative Stimmen gehört. Viele Befürworter des Kopfbahnhofs empfanden nach den Hoffnungen, die die Schlichtung geweckt hatte, den Schlichterspruch als Niederlage. Die Argumente für den menschenfreundlichen Kopfbahnhof waren überzeugend. Er verschafft mehr Umsteigemöglichkeiten, Züge können bei Verspätungen warten. Er lässt auch Menschen mit Behinderungen und Senioren mit eingeschränkten Bewegungsmöglichkeiten eine Chance. K21 lässt Geld übrig für wichtige soziale Projekte. Das alles wollte die Bahn nicht hören mit ihren parlamentarischen Beschlüssen und der Regierung im Rücken sowie den Baugenehmigungen in der Hand. Die Forderung des Schlichters nach einem 9. und 10. Gleis schlugen die Bahnverantwortlichen als nicht machbar in den Wind und forderten doch gleich danach frech neues Geld für Geißlers Auflagen. Die Bahn triumphierte und nicht wenige schlichen ähnlich wie am 30. September davon wie begossene Pudel.

Nun feiern wir das Weihnachtsfest. Kann das Kind in der Krippe unsere resignativen Gefühle überwinden? Zunächst ist das Kind im Stall ein Inbegriff der Ohnmacht und der tödlichen Bedrohtheit. Das neugeborene Jesuskind gerät kurz nach seiner Geburt ins Visier des ängstlich Macht besessenen Königs Herodes, der ihm nach dem Leben trachtet. Aber das bedeutet andererseits: Er sieht in diesem kleinen Kind in der Krippe einen Angriff auf seine Herrschaft. Wie könnte ein Neugeborenes ein Machtfaktor werden im römischen Reich? In Psalm 8 lesen wir: „Aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge hast du eine Macht zugerichtet um deiner Feinde willen.“ (V 3) Dieses Kind in der Krippe hat eine unglaubliche Macht, es hat die Kraft, die Herrscher dieser Welt herauszufordern. Die Ohnmacht des Kindes in der Krippe ist nur scheinbar. Es hat die Vollmacht, uns tief in unserem Innersten anzurühren und zu verändern. Darin liegt seine von Gott verliehene Kraft.

Was macht dieses Kind mit uns, dass sogar Herrscher wie Herodes vor ihm zittern müssen?

Ein neugeborenes Kind ist wie nichts anderes eine Herausforderung an unsere Fürsorge und Barmherzigkeit. Nehmen wir diese Herausforderung an, bedeutet das Leben, wenn nicht, ist das Kind dem Tod geweiht. Und wenn wir das recht bedenken, dann gilt das nicht nur für Neugeborene. In unserem gesamten Leben, ganz besonders wieder im Alter, bedeutet Barmherzigkeit Leben und Unbarmherzigkeit Tod. Millionen von Menschen verhungern jährlich in unserer Welt durch die Unbarmherzigkeit. Das Kind in der Krippe stellt uns immer wieder vor die Entscheidung: Wollen wir dem Leben dienen und barmherzig sein oder nicht?

Manchen unter uns mag diese Frage als eine rhetorische erscheinen, als ob es darauf nur die eine Antwort geben könnte: Natürlich entscheiden wir uns für das Leben und die Barmherzigkeit. Aber diese Antwort hat ihre Selbstverständlichkeit seit vielen Jahren verloren. Die herrschende Politik sagt uns: Barmherzigkeit können wir uns nicht mehr leisten, es ist kein Geld da. Das ist natürlich nicht wahr. Für die Bankenwelt, die nur noch zum Teil der Realwirtschaft dient und immer mehr zum Spielcasino verkommt, sind weit mehr als 100 Milliarden da, und bei Stuttgart 21 kommt es auf ein paar Milliarden hin oder her auch nicht an, wenn es um die Profite einiger weniger Geschäftemacher geht.

Dass die Barmherzigkeit abgeschafft werden muss, haben sich viele unter uns lange einreden lassen, weil wir uns als führende Exportnation zu den Gewinnern dieser erbarmungslosen Politik der neuen ungezügelten wirtschaftlichen Freiheit gezählt haben. Spätestens seit der Weltwirtschaftskrise wird nun aber auch in unserem Land klar, dass wir ebenso von den gewissenlosen freigelassenen Geschäftemachern abkassiert werden. Hier im Schlosspark haben wir erleben müssen, dass der herrschenden Politik unsere Lebensqualität ebenso egal ist wie die des Juchtenkäfers, der Fledermäuse, der Eichhörnchen, der Hasen und etwa 283 anderer Tierarten, die teilweise schon vom Aussterben bedroht sind.

Es kommt jetzt auf jeden einzelnen von uns an, ob wir dem unbarmherzigen Trend folgen oder uns gegen ihn stemmen. Jesus macht uns Mut mit dem Senfkorn. Es ist winzig klein, wächst aber zu einer riesigen Staude (Mk 4,30-32). So wächst das Reich Gottes, wenn immer mehr Menschen sich für die Liebe und gegen die Unbarmherzigkeit entscheiden. Dazu ein Mut machendes Beispiel:

Christian Führer hat es uns hier in der Hospitalkirche vor knapp 20 Jahren erzählt. Sie saßen 1984 als winziges Häuflein beim montäglichen Friedensgebet in der Nicolaikirche in Leipzig. Die Natonachrüstung war auch durch riesige Aktionen wie die Menschenkette von Stuttgart nach Ulm nicht aufzuhalten gewesen. Nun fragten sie sich bang, ob es einen Sinn hatte weiter zu beten. Da hat eine hoch betagte Teilnehmerin gesagt: „Wenn wir nicht für den Frieden beten, wer sonst.“ Da haben sie weitergemacht, stets mit einem von der Stasi in ihrer Mitte. Sie waren das Senfkorn, aus dem die Staude wurde. Die kleine Schar scheinbar ohnmächtiger Beter für Frieden und Freiheit haben die hoch gerüstete Diktatur in die Knie gezwungen. Sie waren dabei mit nichts bewaffnet als mit friedlicher, demonstrativer Entschlossenheit.

Wir schauen an diesem Weihnachtsfest neu auf das scheinbar ohnmächtige Kind in der Krippe. Lassen wir uns von diesem Kind neue Zuversicht und neue Entschlossenheit schenken!

Amen

Pfr. i. R. Friedrich Gehring

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