Kretschmann: „Sorgen machen mir viel mehr die Leute vom Parkgebet“

Satire bei der Montagsdemonstration am 4. Juni 2012
von Friedrich Gehring

mit Roland Kimmich als Clemens Bratzler und Friedrich Gehring als Winfried Kretschmann

Bratzler: Herr Ministerpräsident Kretschmann, das ist ja sehr mutig, dass Sie ausgerechnet auf einer Montagsdemonstration zu einem Interview bereit sind.

Kretschmann: Nun ja, Herr Bratzler, als Landesvater für alle Bürgerinnen und Bürger muss ich natürlich auch mal zu meinen Landeskindern auf die Montagsdemonstration kommen, auch wenn es da Pfiffe geben kann. Wir versuchen ja gerade beim Filderdialog mit den Kritikern von Stuttgart 21 ins Gespräch zu kommen.

Bratzler: Aber gerade der so genannte Filderdialog zeigt ja, dass die Landeskinder von solchen Gesprächen nicht viel halten. Einige sprechen vom „Filderdialüg“ und erinnern an die Verlogenheiten von Schlichtung und Stresstest.

Kretschmann: Da sind die Erwartungen an den Dialog bei einigen zu hoch geschraubt. Die meinen, da könnte noch was grundsätzlich verändert werden. Diese Erwartung war schon bei Schlichtung und Stresstest falsch. Wir wollen mit dem Dialog eben zeigen, dass wir nun mehr Demokratie wagen.

Bratzler: Aber wie können Sie mehr Demokratie wagen, wenn der demokratische Souverän, das Volk, das wesentliche nicht entscheiden darf?

Kretschmann: Herr Bratzler, ich glaube, in ihrer Frage schwingt eine falsche Vorstellung von Demokratie mit. Schon im alten Griechenland hatten in der Demokratie die Sklaven nichts zu sagen. Die Demokratie war schon damals die Sache von ein paar Köpfen aus der Machtelite. Das ist im heutigen Griechenland und bei uns in Deutschland nicht anders. Das kann doch den Konzernherren und den Bankchefs grad egal sein, wer unter ihnen als Kanzlerin oder Ministerpräsident gewählt wird. Denken Sie doch daran, wie Ackermann an jenem Sonntagabend im September 2008 der Kanzlerin über 100 Mrd. € für die Bankenrettung abgepresst hat. Das macht Ackermann mit jeder beliebigen gewählten Führungsperson. Also beim Filderdialog geht es vor allem darum, dass die Bahn seit zehn Jahren keinen genehmigungsfähigen Plan hat. Nur mit teuren Verbesserungen ist eine Genehmigung zu erwarten. Jetzt möchte man, dass das Volk die Verbesserungen vorschlägt, dann muss natürlich auch das Volk dafür zahlen. Das ist unsere Vorstellung von mehr Demokratie wagen.

Bratzler: Das ist jetzt aber nicht die Demokratie, die in den Verfassungen von Bund und Ländern vorgesehen ist.

Kretschmann: Herr Bratzler, sie müssen das richtig verstehen: Die Demokratievorstellung in den Verfassungen ist so was wie ein Zuckerle fürs Volk, damit die Menschen die bittere Pille der Diktatur der Konzerne und Banken schlucken.

Bratzler: Aber die Sache mit dem verweigerten Filderdialog zeigt doch, dass die Menschen das Zuckerle nicht annehmen wollen, und die ständigen Montagsdemos machen den Eindruck, dass das Volk die bittere Pille der Diktatur nicht schluckt.

Kretschmann: Da sprechen Sie ein ernstes Problem an. Bei Stuttgart 21 ist tatsächlich einiges Vertrauen in unser System verloren gegangen. Deshalb habe ich auch meinen besten Mann im Haus, den Herrn Murawski, im Februar an die Bahn schreiben lassen, sie müsse jetzt dieses verloren gegangene Vertrauen wiederherstellen und zuerst ihre Hausaufgaben machen, bevor sie den Schlosspark rodet.

Bratzler: Aber war das nicht der Gipfel der Naivität, die Wiederherstellung von Vertrauen ausgerechnet an Herrn Kefer zu delegieren? Wie die Bahn auf diesen Appell reagieren würde, war doch klar. Das schreckliche Ergebnis ist im Schlosspark zu besichtigen. Sie selbst hätten doch Vertrauen zurück gewinnen müssen, indem Sie den Gestattungsvertrag und den Polizeieinsatz verweigert hätten, bis die Bahn die Hausaufgaben gemacht hätte.

Kretschmann: Sie können mir glauben: Die Sache mit dem Schlosspark hat auch mir persönlich sehr wehgetan. Aber auch ich als Ministerpräsident kann dem Volk nicht die Einsicht in die Realität ersparen, dass wir unter dem Diktat der Konzerne leben.

Bratzler: Aber Herr Kretschmann, Sie sind der Ministerpräsident, Sie sind dafür gewählt worden, dass Sie dem Konzern Deutsche Bahn AG und den Stromkonzernen Widerstand leisten!

Kretschmann: Herr Bratzler, Sie müssen auch mal mich verstehen. Nach der Katastrophe von Fukushima hatte ich die einmalige Möglichkeit, erster grüner Ministerpräsident der Bundesrepublik Deutschland zu werden. Aber über 60 % der Abgeordneten waren weiterhin für Stuttgart 21 und für das entsprechende neoliberale absolutistische System in unserem Land. Da war für mich natürlich die Versuchung groß. Ganz früher war ich ja mal Kommunist, dann war ich lange Zeit Grüner, jetzt bin ich eben Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Man kann ja nicht seinen Grundsätzen treu bleiben auf Teufel komm raus. Sie können mir glauben, das ist auch für mich nicht einfach, jeden Tag dem Koalitionspartner auf gut Schwäbisch „hendanei zom Schlupfa“. Also der Peter Grohmann – ich hab’s ja in letzter Zeit nicht ganz leicht mit ihm – aber der Peter Grohmann hat mir da vor ein paar Monaten den trefflichen Satz gesagt: „Es ist gewiss kein Zuckerschlecken, die anderen am Arsch zu lecken.“ Aber das ist halt jetzt mein täglich Brot als grüner Ministerpräsident. Der Fritz Kuhn bekommt das gleiche Problem, falls er in Stuttgart Oberbürgermeister werden sollte.

Bratzler: Aber Herr Kretschmann, Sie könnten sich doch die Gegner von Stuttgart 21 zum Vorbild nehmen, die zeigen doch, wie man dieses Gegenteil vom Zuckerschlecken verweigert. Sie sind der Ministerpräsident, Sie sind dafür zuständig, die Vision echter Demokratie zu verbreiten und zu leben. Die Grünen haben Jahrzehnte lang die Vision vom Atomausstieg festgehalten, bis selbst die Kanzlerin nicht mehr anders konnte.

Kretschmann: Den Atomausstieg der Kanzlerin verdanken wir dem Wunder von Fukushima, und Wunder kann man nicht machen, auf die kann man nur warten. Sie wissen ja, ich bin das, was man im Schwäbischen als „gut katholisch“ bezeichnet.

Bratzler: Aber machen Sie es sich hier nicht „gut katholisch“ viel zu einfach? Das angebliche Wunder des Atomausstiegs hat nicht nur mit der Katastrophe von Fukushima an sich zu tun, sondern auch damit, dass viele Menschen auf die Straße gegangen sind.

Kretschmann: Das mag sein, aber der Glaube an Wunder und Schutzengel hat einen riesigen Vorteil: Er befreit von eigener Verantwortung. Das ist übrigens nicht nur katholisch. Auch der evangelische Landesbischof July hat vor ein paar Monaten öffentlich gesagt: Mit der Bergpredigt kann man nicht einmal eine Kirche leiten. Das befreit ihn davon, etwas gegen das Mammonsprojekt Stuttgart 21 zu sagen, obwohl Jesus in der Bergpredigt sagt: Ihr könnt nicht Gott und dem Mammon zugleich dienen.

Bratzler: Sie sagen also: Beim Regieren muss man sein Christsein vergessen. Ist das nicht ein Armutszeugnis?

Kretschmann: Nein, damit befinde ich mich ja, wie gesagt, in bester Gesellschaft. Selbst die Bahn hat ja einen Schutzheiligen, bei dem sie ihre Verantwortung abgeben kann.

Bratzler: Und der wäre?

Kretschmann: Der heilige Sankt Florian.

Bratzler: Aber das ist doch der Schutzheilige der Feuerwehr.

Kretschmann: Ja, aber das Sankt-Florians-Prinzip lässt sich mit einer kleinen Abänderung ganz leicht auf die Bahn übertragen: Die Bahn betet: „O heiliger Sankt Florian, verschon mein Geldbeutel, nimm andere aus!“ So läuft ja die Finanzierung von Stuttgart 21.

Bratzler: Aber im Koalitionsvertrag ist doch die Kostendeckelung für Stuttgart 21 eindeutig festgeschrieben.

Kretschmann: Da mache ich mir keine Sorgen, die Bahn hat eine ganz hohe Kompetenz in der Kostenverschleierung. Sorgen machen mir viel mehr die Leute vom Parkgebet. Ich bin sehr froh, dass die vom Verfassungsschutz beobachtet werden.

Bratzler: Wieso sollten Sie Angst haben vor so einer kleinen Gruppe von Christen? Die sind doch auch gar nicht gewalttätig.

Kretschmann: Das ist ja das Schlimme. Wenn die gewalttätig wären, könnten wir die Staatsanwaltschaft auf die Leute ansetzen, wir haben da ja unseren hervorragenden Herrn Häußler. Aber die beten nur. Und die beten weiter und hören einfach nicht auf. Das ist doch unheimlich nervig. In der Leipziger Nikolaikirche waren sie 1984 beim Friedensgebet auch nur 6 Leute, einer davon von der Stasi. Sie wissen ja, was sich daraus entwickelt hat, als die immer mehr wurden und auf die Straße gegangen sind.

Bratzler: Aber das macht ja große Hoffnungen, etwa im Zusammenhang mit der Occupy-Bewegung!

Kretschmann: Ja, aber bitte erst für die Jahre nach meiner Amtszeit!

Bratzler: Herr Ministerpräsident Kretschmann, ich danke Ihnen für dieses außerordentlich offenherzige Gespräch!

Kretschmann: Gerne geschehen, Herr Bratzler.

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