Wie konnte ihr Glaube nur so blind sein ?

1. Wie konnte ihr Glaube so blind sein?
In der Rückschau fragt man oft: Wie konnte der Glaube der Christen angesichts von Unrecht, Sklaverei, sozialer Missstände, staatlicher Terror, Zerstörung der Schöpfung usw. so blind sein?
Selina Moll, eine Mitunterzeichnerin der Gemeinsamen Erklärung,  erzählt uns von einer Kirchenkonferenz reformierter Kirchen in Akkra im Jahre 2004. Die Teilnehmer machten einen Besuch in einer ehemaligen Sklavenfestung an der afrikanischen Küste. Sie schilderten ihren Eindruck: „In der Festung Elmina an der Küste Ghanas lebten die holländischen Kaufleute, Soldaten und der Gouverneur auf der oberen Etage, während die Sklaven darunter, eine Etage tiefer eingekerkert waren und auf ihren Transport nach Amerika warteten. Oben beteten die frommen Christen ihre Psalmen, während Men-schen unter ihren Füßen in Ketten gelegt im Horror jenes Verlieses schmachteten. Wer heute diese Festung besichtet, fragt sich fassungslos und verstört: Wie konnten sie ihren Glau-ben so gänzlich von ihrem Leben abspalten? Wie konnten sie ihre spirituelle Erfahrung so gänzlich von dem qualvollen körperlichen Leiden direkt unter ihren Füßen trennen? Wie konnte ihr Glaube so blind sein?“
In der Vergangenheit ist dies nicht das einzige Versagen von Kirche und Christen. Es fällt sicherlich nicht schwer, hierzu weitere Beispiele zu finden.

2. Die Botschaft der Bibel ist eindeutig
Warum haben die Christen ihren Glauben nicht ernst genommen und wirklich so gelebt, wie es dem Willen Gottes entspricht? Denken wir nur an das Doppelgebot der Liebe Matthäus 22, 37ff, oder die Bergpredigt Matthäus 5ff und Lukas 6.
Wir hören von einem Glauben, der sich in der Nächstenliebe äußern muss, sonst ist er kein rechter Glaube. Aus dem Glauben folgt das richtige Handeln. Glauben darf nicht belangloses Denken, Meinen oder Reden sein, aus dem nichts folgt, sondern er muss aus sich heraus das rechte Tun setzen. Glaube ohne Werke ist kein wirklicher Glaube. Jakobus 2,14-24: So auch der Glaube, wenn er nicht gute Werke hat, so ist er tot in sich selber. Jesus: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Ein guter Baum bringt auch gute Früchte hervor. Matthäus 7,16.

3. Warum aber genügt Nächstenliebe nicht, warum sich auch noch politisch engagieren? Eine weit verbreitete Meinung – bis heute
Eine weit verbreitete Meinung lautet: die Kirchen (und die Christen) mögen sich auf religiöse Fragen und Probleme der individuellen Lebensführung beschränken, sie sollen sich unpolitisch verhalten und keine konkreten Forderungen zu politischen Gegenwartsfragen erheben. Persönlicher Glaube und Glaubensgehorsam ja, nein aber zu einer politischen Parteinahme zu Gegenwartsfragen.
Zwei Bibelstellen untermauern diese Meinung: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist.“ Mark 12 Vers 13-17 und Röm 13: „Seid untertan der Obrigkeit.“
Die grundsätzliche Kritik an diesem Denken:
Hier wird die Welt unzulässigerweise in zwei Bereiche eingeteilt: Auf der einen Seite die Kirche, die sich um das Seelenheil der Menschen zu kümmern hat. Auf der ande-ren Seite der Staat, die Verwaltung, die Wirtschaft, die Banken, die Industrie. In die-sen Bereichen herrschen bestimmte Zwänge und Eigengesetzlichkeiten, wirtschaftliche Gesetze usw.
Wenn unsere Welt nach solchen ehernen Gesetzmäßigkeiten abliefe, dann wären alle ethischen Überlegungen sinnlos. Dann wäre auch der Glaube für diese Welt belanglos. Der Umgang mit Kranken, Behinderten, Minderheiten usw. wäre allein von Zweckmäßigkeiten, angeblichen Sachzwängen bestimmt, es könnten vom Staat beliebige Werte proklamiert werden, wie z.B. Blut und Rasse, Apartheid, das Recht des Stärkeren.

4. Der persönliche Glaube allein genügt nicht, wir sind auch für die Welt um uns her verantwortlich
Jeder wird zustimmen, dass Glaube im persönlichen Leben Konsequenzen haben muss. Jetzt aber die entscheidende Frage: Warum genügt es nicht, persönlich Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft zu üben? Viele Menschen denken so, sie fühlen sich nicht für mehr als ihren privaten Umkreis verantwortlich.
Nächstenliebe im Alte Testament war die Zuwendung zu den Menschen, die mir nahe stehen: Familie, Sippe, Volk. Darüber hinaus durchzieht das Bemühen um Gerechtigkeit – im heutigen Sinne soziale Gerechtigkeit – das ganze AT und kommt vor allem in der Botschaft der Propheten zum Ausdruck. Das alles bleibt im NT gültig, ohne dass es eigens thematisiert wird.
Nächstenliebe im Neuen Testament am Beispiel des Barmherzigen Samariters bedeutet: Hier wende ich mich einem zu, der nicht zu meiner Sippe, Familie, ja noch nicht einmal zu meinem Volk gehört. Ich wende mich ihm zu, weil er meine Hilfe braucht, auch wenn ich ihm ganz zufällig begegnet bin. Nächstenliebe ist universal. Sie muss hineinwirken in ökonomische, politische und gesellschaftliche Strukturen, in denen geholfen wird.
Der Wille Gottes ist nicht nur im zwischenmenschlichen Bereich zu tun, sondern auch im Sozialverhalten und – was in den letzten Jahren stärker in den Blick kommt – im Verhältnis zur Schöpfung und der bedrohten Umwelt. Die Alternative zu einem rein privaten Christentum ist der Einsatz für strukturelle Gerechtigkeit, Kultur der Barm-herzigkeit, nachhaltiger Umgang mit Ressourcen, Wirtschaftsordnung zum Wohle aller, nicht nur der Starken, Reichen, Leistungsfähigen usw.
Die Kirche hat die Aufgabe, die Ursachen, Bedingungen und Auswirkungen wirt-schaftlicher und sonstiger Abläufe und Geschehnisse aufzudecken, über Wege zu ihrer Beeinflussung nachzudenken und scheinbaren Sachzwängen gegenüber die Freiheit des Menschen zu verantwortlichen Entscheidungen ins Spiel zu bringen.

5. Wie konnte ihr Glaube so blind sein?
Bei Stuttgart 21 geht es nicht um einen Bahnhof, ob er oben oder unten gebaut werden soll. Diese Frage wäre wohl schnell entschieden, wenn es nur die Lösung des Tiefbahnhofs gäbe. Das aber ist nicht der Fall. Spätestens seit der sogenannten Schlichtung wissen wir: Es gibt mit Erhalt und Ertüchtigung des Kopfbahnhofs eine bessere Alternative ohne Zerstörung des Parks und seiner Tierwelt, ohne Gefährdung der Mineralquellen, ohne all die weiteren Risiken, die in den letzten Wochen und Monaten ans Tageslicht gelangt sind.

Kann christlicher Glaube all diesen Erkenntnissen gegenüber blind sein?
Es ist zu hoffen, dass man die Befürworter von S 21 im Rückblick nicht die Frage stellen muss: „Wie konnte ihr Glaube so blind sein?“

Hans-Eberhard Dietrich, Pfarrer

4 Antworten zu “Wie konnte ihr Glaube nur so blind sein ?

  1. Die Erzählung geht etwas weiter unten folgendermaßen fort:
    „Als wir dann die heutigen Stimmen unserer Weltgemeinschaft hörten, wurden wir uns der tödlichen Gefahr bewusst, dieselbe Sünde jener zu wiederholen, deren Blindheit wir verurteilen. Denn unsere heutige Welt ist gespalten zwischen denen, die bequem und zufrieden Gottesdienst feiern, und denen, die durch die wirtschaftliche Ungerechtigkeit und die ökologische Zerstörung versklavt sind und immer noch leiden und sterben.“

    Das ganze Zitat stammt aus einem Heft von Kairos Europa „Wirtschaft{en} im Dienst des Lebens – Von Winnipeg 2003 über Accra 2004 nach Porto Alegre 2006.“
    Kairos Europa ist ein sehr zu empfehlendes ökumenisches Netzwerk, das sich der Aufgabe „Unterwegs zu einem Europa für Gerechtigkeit“ verschrieben hat. Sie veranstalten interessante Seminare zu den Themen wahrhafter Frieden, strukturelle Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung und geben spannende Publikationen wie Hefte mit Gottesdienstentwürfen zu diesen Themen heraus. Diese sind im Shop und teilweise zum Download unter http://www.kairoseuropa.de/ zu finden.
    Geschwisterliche Grüße,
    Selina Moll

  2. „Ich weiß deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist.
    Ach dass du kalt oder warm wärest!
    Weil du aber lau bist und weder kalt noch warm,
    werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.
    Du sprichst: ICH bin reich und habe gar satt und bedarf nichts;
    und weißt nicht,
    dass du bist elend und jämmerlich, arm, blind und bloß“. JESUS CHRISTUS
    Über 11 Millionen schwarze Menschen, Menschen Gottes mt der gleichen Chance von Gott und vor Gott, Christen und Kinder Gottes zu werden,
    Sind in dem Jahr 1400 n. Chr., von Benin und den anderen genannten Orten Afrikas,
    Von den Portugiesischen Katholiken,
    ( im Namen ihres Gottes und der Maria,)
    versklavt und verkauft worden nach Süd- bis Nordamerika, und kein wahrer Christ war da und hat es gewagt, gegen diese teuflische Ungerechtigkeit dieser Menschen und Religion vorzugehen.
    Nicht der sogenannte „Glaube“ war schuld an diesem Verbrechen an der Menschichkeit und an der wahren Göttlichkeit, sondern,
    Die geistige Verblendung und Herzensblindheit der Menschen, die sich wähnten, dass der Papst mit seinem Klerus, sie in den Himmel und Ewigkeit, hinein zaubern wird, welch ein Irrtum und welch eine teuflische Manipulation durch den Menschen.
    Johannes schreibt schon von dem geistigen Irrtum der Weltmenschen, die sich in einer, von Menschen organisierter Religion,vereinnahmen lassen.
    1.Johannesbrief 4, 2-6 und Offenbarung Kapitel 16,17,18,19,
    Kein Mensch macht aus einem anderen Menschen,
    mit seiner >gemieteten oder geklauten Predigtvorlage<
    einen Christen und Kind Gottes,
    der,der Inhaber und Träger der göttlichen GEIST-GRUPPE ist.
    "WER darum Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein"!
    Das Singen nach einem Buch, und,
    das Beten nach einem Buch, wie,
    das Hören eine Predigt aus einem Buch,
    macht noch keinen Menschen und Sünder,
    zu einem erlösten,gereinigten und geheiligten Kind Gottes.
    Es sei denn, dass Gott tue es durch seinen Geist und wahrem Glauben.
    Wünsche Euch Gottes Segen gegen die chr. religiöse Ungerechtigkeit,
    der Menschlichen Verblendung durch Kirchen und Sekten.
    (Der Wiedergeburtschrist Gottes und der Aufklärung!)

  3. Wolfgang Schiegg

    „Eine weit verbreitete Meinung lautet: die Kirchen (und die Christen) mögen sich auf religiöse Fragen und Probleme der individuellen Lebensführung beschränken, sie sollen sich unpolitisch verhalten und keine konkreten Forderungen zu politischen Gegenwartsfragen erheben“ (Hans – Eberhard Dietrich). Diese Meinung ist in der Tat ebenso häufig wie theologisch falsch. Sie steht nämlich im Widerspruch zu den Bekenntnisgrundlagen unserer Kirche. Zu diesen gehört das Barmer Bekenntnis von 1934 (siehe Grundordnung der EKD, Artikel 1,3 „Mit ihren Gliedkirchen bejaht die Evangelische Kirche in Deutschland die von der ersten Bekenntnissynode in Barmen getroffenen Entscheidungen“).
    In These 2 der Barmer Theologischen Erklärung heißt es: „Wie Jesus Christus Gottes Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden ist, so und mit gleichem Ernst ist er auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben; durch ihn widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen.
    Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären, Bereiche, in denen wir nicht der Rechtfertigung und Heiligung durch ihn bedürften.“
    Wenn Jesus Christus „Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben“ ist, dann realisiert sich christlicher Glaube eben nicht nur im Religiösen und im Individuellen, sondern im Alltag der Welt und im Politischen. Und wenn die Auffassung, dass es Bereiche unseres Lebens gebe, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären, als falsche Lehre zu verwerfen ist, dann wird damit ausdrücklich bestritten, dass Christen eine Eigengesetzlichkeit etwa der Wirtschaft oder des Politischen anerkennen könnten.
    Das käme den Herren dieser Welt natürlich auch heute zupass, dass wir Christen uns in den frommen Winkel zurückziehen und die Welt Welt sein lassen. Diesem verständlichen Wunsch kann ich als Christ und darf Kirche als Ganzes in der Nachfolge ihres Herrn Jesus nicht entsprechen. Sein Wirken vollzog sich nicht im stillen Kämmerlein, sondern in der Öffentlichkeit und führte in der Konsequenz dazu, dass er mit den herrschenden Mächten seiner Zeit in Konflikt geriet und hingerichtet wurde. Seine Verheißung einer neuen Schöpfung, in der Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, Frieden herrschen werden, haben wir als Christen in ganz konkrete gesellschaftliche Problemstellungen hinein zu interpretieren und zu bezeugen.

  4. Pingback: „Wir sind das Volk“ oder: Widerstand macht Schule « Impressionen vom Kirchentag

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