Parkgebet am 9. Juni 2016 zu 1. Timotheus 2 Vers 1–3 von Eberhard Dietrich

Liebe Parkgemeinde,

1. Gebet für die Stadt, unter diesem Motto stehen unsere Gottesdienste alle zwei Wochen hier im Schlossgarten. Gebet, das ist für die meisten zunächst etwas ganz privates, ja Intimes zwischen mir und Gott. Ein „Reden des Herzens mit Gott“, wie es Martin Luther in seiner Erklärung zum Gebet ausdrückte. Darin schütte ich Gott mein Herz aus, was mir Sorge macht, was ich von ihm erhoffe, aber ich sage auch Danke für so vieles in meinem Leben, womit ich immer wieder neu beschenkt werde und was mich reich macht.

Gebet für die Stadt, das geht nun über diesen ganz privaten Bereich hinaus. Hier kommen unsere Mitmenschen in den Blick, die Gemeinschaft, die Gesellschaft, die Kommune.

Und das ist dann nicht nur eine Rede des Herzens mit Gott, sondern eine Sache, die man mit anderen Menschen gemeinsam macht. Aber nicht privat, so unter Freunden und Gleichgesinnten, sondern öffentlich. Dafür wird eingeladen, es ist für jedermann und jede Frau zugänglich.

Mit einem solchen Gebet stellen wir uns hinein in eine alte christliche Tradition, die es schon am Ende des ersten Jahrhunderts gab. Ich lese dazu ein paar Verse aus dem 1.Timotheusbrief des Paulus an seinen getreuen Missionsgehilfen Timotheus.

Predigttext: 1.Tim. 2 Vers 1-3
(1)So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen.
(2)Für die Könige und alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stillen Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit.
(3)Das ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserem Heiland, welcher will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.

2. Liebe Parkgemeinde, ich weiß nicht wie es Ihnen geht, manche Wendungen dieser Verse hören sich recht spießbürgerlich an: z.B. das mit dem „ruhigen und stillen Leben führen in aller Ehrbarkeit“.

Das soll uns aber nicht daran hindern, auf die Botschaft zu hören: Wir werden aufgefordert: öffentliches Gebet für die Obrigkeit.

Obrigkeit, das ist für uns nicht mehr ein König oder Fürst von Gottes Gnaden, sondern das sind für uns alle Menschen, die in unserer Gesellschaft Verantwortung tragen, die Parlamente und in unserer Stadt die Stadträte und Bürgermeister. Ihnen gehorcht man auch nicht mehr einfach, weil sie Obrigkeit sind. So hat man es früher oft verstanden, und so denken viele Menschen heute auch noch. Wer Verantwortung trägt, tut es für die Gemeinschaft und wird hoffentlich auch von der Öffentlichkeit einer mündigen Bürgergesellschaft kontrolliert.

Ich denke, wir alle hier sind ein Teil dieser kritischen Öffentlichkeit. Und deshalb werden wir auch nicht müde, z.B. S21 zu kritisieren.

Diese Kontrolle und Kritik ist kein Selbstzweck. Es hat zum Ziel, dass auch „sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.“

Wahrheit ist ein großes Wort. Wenn wir davon sprechen, dann nicht als kleine oder große Philosophen.

Wahrheit ist hier beim Timotheus Brief die Erkenntnis des christlichen Glaubens. Eine Frucht dieses Glaubens ist die persönliche Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit von uns Menschen.

Und diesen Maßstab legen wir auch an die Betreiber und Verantwortlichen von S21. Und da gibt es viele, die solche Wahrheiten nicht leben. Für uns geht es um nachprüfbare Tatsachen und Fakten, um richtig oder falsch bei der Faktenlage des Bauvorhabens S21. Wir sind informiert und können das auch jederzeit belegen.

Von manchen der Verantwortlichen für S21 wird ja erzählt, dass sie sich überhaupt weigern, Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen. Das bedeutet doch so viel wie: über richtig und falsch nachzudenken.

Andere begnügen sich damit, einfach eine Meinung zu haben. Und das heißt hier in Stuttgart: Von den Betreibern von S21 wird eine unübersichtliche Gemengelage von Informationen kommuniziert, die unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit letztlich nur Propaganda, aber keine Wahrheit vermittelt.

Und deshalb ist unser Parkgebet, ja unser ganzer Protest begleitet von unermüdlicher Darstellung und Erinnerung an die Fakten und Tatsachen. Deshalb begnügen wir uns nicht mit Wiederholung von Meinungen, die eigentlich nur verschleiern wollen.

3. Dieses Gebet für die Stadt hat noch eine Besonderheit, die es unersetzlich macht. Es hält eine Tür auf, eine Tür zu einer Dimension, die heute vielen Menschen abhanden gekommen ist.

Heute fragen viele nur noch: Was bringt‘s? Diese Frage: was bringt`s ist Ausdruck einer Nabelschau, eines Lebens, das nur noch um sich selbst kreist. Es ist Ausdruck eines Nützlichkeitsdenkens. Was daran so schlimm ist? Alles wird untergeordnet einer rechnenden und berechnenden Logik und Vernunft, eine Ideologie, die nur die Vermehrung des Kapitals zum Ziel hat. Diesem Ziel, diesem Streben wird alles andere geopfert, z.B. die Rücksicht auf die Mitmenschen, die Natur, die Tiere, die Bäume. Wir erleben das ja seit Jahr und Tag in unserer Stadt.

Ich möchte es an einem Beispiel illustrieren.

Die Eidechsen an der Neubaustrecke Wendlingen – Ulm. Manche dieser Reptilien sind vom Aussterben bedroht und deshalb besonders geschützt.

Eigentlich hätte man dort gar nicht planen, geschweige denn bauen dürfen. Der Gesetzgeber lässt jedoch Ausnahmen zu, aber unter strengen Auflagen, z.B. muss man für sie ein Ersatzareal schaffen.

Die Bahn tut jetzt so, als hätte sie noch nie etwas davon gewusst, ja als wären die Reptilien dort erst ganz kürzlich eingewandert. Und jetzt hat sie ein Problem. Und um zu suggerieren, dass sie dieses Problem schon meistert, und dass sie keine Kosten dabei scheut, erschien just in diesen Tagen, es war Mitte Mai, in der Presse ein Artikel: Schöner wohnen für Reptilien. (St.Z. 13.5.2016)

Da wurde über eine andere Umsiedlungsaktion berichtet. Von den Zauneidechsen in Untertürkheim. Sie hatte man vom Güterbahnhof auf die Fildern verbracht. Und wenn man den Artikel so las, hatte man den Eindruck: Jetzt haben es die Eidechsen aber gut, viel besser als zuvor.

Schöner wohnen für Reptilien.

Wir hoffen das Beste für die Tiere. Kontrollieren tut es keiner mehr, leider auch nicht die Presse. Jedoch, Skepsis ist angesagt. Die Eidechsen vom Feuerbacher Bahnhof wurden vor ein paar Jahren auch umgesiedelt. Nach einem Jahr waren nur noch wenige Exemplare von ihnen am Leben.

4. Warum ich so ausführlich auf die Eidechsen eingehe? Gebet für die Stadt. Es soll die Tür offen halten für ein Denken und Handeln jenseits der rechnenden Vernunft. Das ist das Besondere an unserem Parkgebet, deshalb ist es so notwendig, weil so viele Menschen nur noch fragen: Was bringt`s?

Wer nur noch um sich selber kreist, wird blind für den Wert und die Würde allen Lebens ringsum. Die Planer und Betreiber von S21 wussten sehr genau, wie viel an Natur und Tieren sie opfern müssen. Aber sie waren blind, weil sie nur gefragt haben: Was bringt`s?

Gebet für die Stadt, da kommt Gott mit ins Spiel, da kommt Gott mit ins Leben.
Das ist ein Denken mit dem Herzen,
ein Fühlen mit dem Herzen,
ja ein Handeln mit dem Herzen.

Wir nennen es auch Empathie. Empathie, Mitgefühle gegenüber allem was lebt, den Pflanzen, den Bäumen und all den Tieren. Denn alles Leben hat in sich seinen Wert und seine Würde. Alle Lebewesen haben Grundbedürfnisse, die es zu achten gilt. Alles Leben auf der Welt ist nicht dafür da, vom Menschen, gebraucht und verbraucht zu werden.

Die Menschen meinten ja früher völlig zu Unrecht, die Krone der Schöpfung zu sein. Das ist zwar ein uraltes Denken, auch in der Kirche. Aber es ist ein gottloses Denken, das sich nicht länger auf die Bibel berufen darf.

Gott hat in dieser Welt keine Hierarchien geschaffen, wo einer dem anderen nützlich ist. So dachte man früher: Ganz oben steht der Mensch, oder genauer gesagt, der Mann, dann die Frauen, die Kinder, die Sklaven, die Schwarzen, dann die Tiere, dann die unbelebte Natur. Bei einem solchen Gottesbild besteht der Vorwurf mancher Atheisten zu Recht, dass Gott nur eine Projektion des Menschen an den Himmel ist und dazu dient, einer herrschenden Klasse ein gutes Gewissen zu machen.

5. Gebet für die Stadt, wir wollen mit diesem öffentlichen, gemeinsamen Gebet eine Tür aufhalten für ein Denken, das nicht der eignen Nabelschau dient. Dabei aber wollen wir bescheiden sein, andere nicht verurteilen, sondern achtsam mit ihnen umgehen. Viele fühlen sich überfordert mit all den Problemen, die uns jeden Tag begegnen, ja zuweilen geradezu anspringen. Und da ziehen sie sich lieber in ihr ganz privates Schneckenhaus zurück. Nicht ohne Grund die Aufforderung des Paulus an Timotheus und seine Gemeinde:

So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen.

Zu dieser Bescheidenheit gehört natürlich auch: Wir retten die Welt nicht, wir haben auch nicht die Macht S21 zu stoppen, und die Verantwortlichen zu einem Umdenken, zu einem Umstieg zu bringen.

Aber auch sie sind nicht determiniert, ein für allemal festgelegt, auch in ihnen steckt das Potential der Veränderung. Warum nicht auch damit rechnen?

6. Deshalb ist unser Gebet, all unser Engagement nicht umsonst. Ich erinnere an ein Gleichnis Jesu. Das Gleichnis vom Senfkorn. Er hat es zwar im Hinblick auf das Wachsen des Himmelreichs erzählt. Warum aber nicht auf uns übertragen?

Das Senfkorn, sagte Jesus ist eines der kleinsten Samenkörner. Und doch: in diesem Senfkorn liegt eine ungeheure Kraft. Wenn man es sät und es aufgeht, wächst es und wächst in die Höhe, 2m und mehr, der Hauptstengel ist im oberen Teil weit verzweigt, so dass sich dort auch Vögel niederlassen und ihre Lieder zwitschern, so hat es Jesus damals beobachtet.

Gebet für die Stadt. Es stellt ein solches Senfkorn dar. Wir halten eine Tür offen, wir weisen auf eine Dimension hin, Empathie, Mitgefühl mit allem was lebt. Mehr als dieses Samenkorn brauchen wir nicht zu sein. Unscheinbar, so wie unser kleiner Kreis heute Abend. Was aus diesem Gebet letztlich wird, das steht allein in Gottes Hand.

Amen

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