Ansprache beim Parkgebet am 28.6.18 zu Röm 13, 1-2 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

„Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott. Wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet. Wer sich nun der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt der Anordnung Gottes. Die ihr aber widerstreben, ziehen sich selbst das Urteil zu.“

Dieser Text ist der krasseste Beleg für die Anpassung der christlichen Kirche an die römische Gewaltherrschaft. Wohl aus Angst vor Christenverfolgungen soll gut Wetter mit dem Kaiser und seinen Statthaltern gemacht werden. Der Demokratie zum Trotz wirkt diese Untertanentheologie bis heute in Kirchen. So wurde Hitler als von Gott gesandter Führer bejubelt, selbst von der „Bekennenden Kirche“. Nach dem „Schwarzen Donnerstag“ hier im Schlosspark haben wir erlebt, dass von kirchlicher Seite so gut wie keine Kritik kam, obwohl die Bilder an Verhältnisse in Diktaturen erinnerten. Ich sehe darin eine Auswirkung der Theologie von Römer 13. Auch das Schweigen der Mehrheit zu den inzwischen zu Tage getretenen Unsäglichkeiten des Projekts S 21 führe ich darauf zurück, dass wir uns hierzulande sehr schwer tun, das gesetzwidrige Verhalten von Regierenden zu brandmarken oder das der Wirtschaftsmächtigen, die mit Lobbyisten die Regierenden wie Marionetten steuern. Die Inhaftierung des Audichefs Stadler erscheint als Ausnahme von der Regel. So lagen große Hoffnungen auf der Sitzung des Verkehrsausschusses des Bundestags am 11. Juni, denn das Konzept Umstieg 21 durfte dort vorgetragen werden.

Leider bekamen die S 21-Befürworter mehr Raum als die Gegner und die Fragen von Abgeordneten ließen erkennen, dass viele noch nicht bereit sind, sich gegen dieses Regierungsprojekt kritisch zu positionieren. Untertanengeist und Fraktionszwänge verhindern dies bei vielen. Aber immerhin hat Thilo Sarrazin im Auftrag der AfD die Ausrede durchkreuzt, man hätte damals noch nichts gewusst. Noch mehr Rückgrat hätte er bewiesen durch ein Plädoyer für den Umstieg. Da müssten nun die Abgeordneten der AfD selbst ran. Einer von ihnen hat im Ausschuss wenigstens gefragt, wer am Ende die Zeche zahlen soll. Wenn es der AfD ernst ist mit dem Slogan „Merkel muss weg“, dann könnte sie jetzt den traditionellen Untertanengeist überwinden und Strafantrag gegen die Kanzlerin stellen wegen Anstiftung zur Untreue nach §§ 26 und 266 StGB. Das wäre konstruktive Arbeit als Opposition, die nicht nur wohlfeil schreit, die Kanzlerin müsse weg, sondern die wirksam die neoliberale Politik der Kanzlerin bekämpft. Auf keinem anderen Gebiet ist die Kanzlerin besser vor zu führen und die Dummheit ihrer neoliberalen Politik leichter nach zu weisen. Man muss nur die Rolle des Kindes in dem Märchen von des Kaisers neuen Kleidern übernehmen und den neoliberalen Speichelleckern der Kanzlerin zurufen, dass sie nackt ist. Das Kind im Märchen hat noch keinen Untertanengeist eingeübt.

Christen in der Nachfolge Jesu können diesen Untertanengeist ablegen. Denn Jesus hat in aller Schärfe die religiösen und weltlichen Autoritäten seiner Zeit kritisiert. Im Tempel randalierte er gegen die Geschäfte der Tempelpriester mit den Opfern, indem er sie als Räuberei bloßstellte (Mk 11, 15-17). Dem Kaiser in Rom und seinen Statthaltern warf er Machtmissbrauch vor und forderte eine Kultur des Dienens (Mk 10,42-44). Das muss uns Mut machen, offen das Unrecht, den Unsinn und den Machtmissbrauch auszusprechen, auch wenn Personen der demokratisch gewählten Obrigkeit die Täter sind.

Wenn uns also Obrigkeitsgläubige vorwerfen, wir hätten eben am „Schwarzen Donnerstag“ wegbleiben sollen von der Demonstration gegen dieses Projekt der guten demokratisch gewählten Obrigkeit, dann werden wir nicht müde zu erwidern, dass demokratische Rechte, die nicht genutzt werden, verloren gehen, wie Muskeln schwinden, die zu wenig eingesetzt werden. Wenn jemand wie Ministerpräsident Kretschmann immer wieder mit der Mehrheit bei der Volksabstimmung kommt, weisen wir nicht nur darauf hin, dass das Quorum nicht erreicht wurde, sondern dass auch die Mehrheit auf Irrwege kommen kann wie in der NS-Zeit. Wenn der Gipskeuper quillt, schützt eine Mehrheit nicht vor der Strafe für verantwortungsloses Bauen. Und wenn jemand wie Cem Özdemir von Entschuldigung für S 21 spricht, um dann zu behaupten, für den Ausstieg sei die Katze nun leider schon den Baum rauf, dann geht das bei uns nicht durch. Ich weiß zwar nicht, was im Islam zur Vergebung gelehrt wird, aber auch ein Imam dürfte Özdemir dafür kaum loben.
Wenn jemand in einer Partnerschaft sagt: Schatz, ich bin fremd gegangen, aber ich entschuldige mich, jetzt musst du halt damit leben, dass ich nicht treu sein kann, die Katz ist jetzt schon den Baum rauf, dann wird sehr schnell ersichtlich, dass es so nicht geht und Vergebung eine Umkehr voraussetzt. Meine Schulklassen haben es an diesem Beispiel immer begriffen, dass Vergebung so nicht gelingen kann, dann wird es auch Cem Özdemir begreifen können. Aber wir müssen ihn eben aktiv konfrontieren mit seinem scheinheiligen Gerede von Entschuldigung. Wir nehmen das Argument vom 11. Juni nicht hin, das kriminelle Veruntreuungsprojekt müsse fertig gebaut werden, weil der nicht kriminelle Umstieg zu lange dauern würde.

Die Umkehr bei S 21 ist immer noch möglich, das können nun alle Parteien im Bundestag wissen ebenso wie die Öffentlichkeit in ganz Deutschland. Die Frankfurter Rundschau titelte am 12. Juni:
„Bitte umsteigen! Gegner von Stuttgart 21 haben im Bundesverkehrsausschuss eine Alternative vorgelegt“. Auch wenn die Sitzung des Verkehrsausschusses nicht unsere Erwartungen erfüllt hat, der publizistische Erfolg macht Mut. Die Stimmung in der Presse wird zunehmend kritischer, das haben wir ja sehr lange vermisst. Das frech fortgesetzte Lügen der Befürworter wird in der Öffentlichkeit immer weiter entlarvt. Die Gefahren der Gleisneigung, der Brandkatastrophen, der Überflutung und der Gipskeuperquellung dringen immer mehr ins öffentliche Bewusstsein, dazu die Milliarden schwere Veruntreuung öffentlicher Gelder bei gleichzeitiger Verschlechterung des Bahnverkehrs. Wie beim Dieselskandal bewahrheitet sich das Sprichwort: Der Krug geht so lange zum Brunnen bis er bricht. Oder: Lügen haben kurze Beine!

Auch wenn unser Parkgebet nun bald acht Jahre alt wird, es gibt keinen Grund aufzugeben. Im Gegenteil: Die jüngste Entwicklung gibt uns Mut zum Weitermachen. Amen.

4 Antworten zu “Ansprache beim Parkgebet am 28.6.18 zu Röm 13, 1-2 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

  1. Ruth Gisela Evers

    Gut gefallen hat mir die Klarstellung, dass es einen großen Unterschied gibt zwischen dem, was Jesus selber sagt und dem angeblichen Jesus-Zitat von Paulus. Wie wir letztes Jahr erfuhren, hat sich wohl auch Luther mehr an das erstere Bibelwort gehalten, und jetzt haben wir 500 Jahre danach sehr viel Grund, uns wieder mehr dem Original zuzuwenden, wie es die Parkbeter tun.
    Danke, dass ich in eurem Verteiler bin.

  2. Ach, wenn es doch so wäre, dass unsere Kirche und die Kirchenmitglieder sich der Obrigkeit unterwerfen würden, wegen der Untertanentheologie, wegen einer biblischen Aussage.
    Aber es ist halt in Wahrheit so, dass die Kirchenmitglieder sich da gar nicht unterscheiden von der übrigen Gesellschaft. Denn es ist gar nicht die Theologie oder der christliche Glaube, sondern es sind die autoritären Persönlichkeitsstrukturen, die fast unsere gesamte Gesellschaft prägen – in paradoxer Verkehrung auch diejenigen, die ein Leben lang gegen Autoritäten kämpfen.

    Läge es an der falschen Theologie, könnte man diese Menschen ja mit Argumenten erreichen:
    Etwa, dass Paulus hier im Zusammenhang des Themas „Böses überwinden/Liebe“ darauf zu sprechen kommt, dass auch gegenüber Obrigkeit das Gebot der Liebe gelte. Die Aussage des Paulus an dieser Stelle ist in ihrer undifferenzierten Grundsätzlichkeit zwar dennoch unsäglich, aber sie ist von ihm nicht als Grundlegung einer christlichen Staatslehre gedacht, sondern als seelsorgerliche Äußerung zur Gestaltung des Gemeindelebens.
    Etwa, dass Paulus‘ Äußerung zur Obrigkeit auch deshalb keine generelle Bedeutung für die christliche Theologie haben kann (wie z.B. auch seine Äußerung, dass die Frauen in der Gemeinde schweigen sollten), weil sie offensichtlich nur eine Einzelmeinung im Kontext der Gesamt-Bibel darstellt, wir die Bibel aber immer in ihrer Gesamtaussage verstehen.
    Etwa, dass Bonhoeffer sich ebenfalls auf diese Aussage von Paulus bezieht und daraus, dass es um den Kontext „Liebe“ geht, schließt, dass die Obrigkeit nur dann von Gott ist, wenn sie ihrer Gott gegebenen Aufgabe gerecht wird (nämlich eine lebensdienliche Ordnung zu schaffen und die Schwachen vor den Starken zu schützen), und dass man im gegenteiligen Fall dieser Obrigkeit – gerade als Christ – sogar Widerstand leisten muss.
    Oder etwa, dass Paulus insofern durchaus Recht hat, als eine Obrigkeit, die die Schwachen vor den Starken schützt, durchaus Gottes Wille ist (was auch der Widerstandskämpfer Bonhoeffer so gesehen hat).

    Wie gesagt: Alles das könnte man erwidern, wenn die Unterwerfungsbereitschaft der Christen tatsächlich theologische Gründe hätte. Da das aber nicht so ist, müssen wir bedauernd feststellen: Es ist ein Elend, dass sich die Christen so wenig von den Nicht-Christen unterscheiden, dass sie genauso angepasst sind wie der Rest der Gesellschaft. Dessen Angepasstheit und Obrigkeitshörigkeit aber zu ändern – das ist eine Jahrhundertaufgabe der Pädagogik. Die Theologie ist längst soweit, dass sie eine prinzipielle Unterwerfung unter die Obrigkeit – spätestens seit dem Dritten Reich – für unbiblischen Unsinn hält.

  3. In meiner kleinen Heimatstadt gibt es einen christlichen Hauskreis der Brüdergemeinde (Darbysten).Die Leute sind alle sehr sympathisch. In Sachen Römer 13, 1-2 vertritt der Leiter allerdings einen Standpunkt, der von meinem Obrigkeitsverständnis abweicht. Er sagt, Frau Merkel sei von Gott als Obrigkeit eingesetzt worden, wir hätten ihr zu gehorchen. Ich denke: In einer hochwichtigen Flüchtlingssituation hätte das Volk (der Souverän) mitentscheiden müssen. Frau Merkel hat den Willen des Volkes durchzusetzen und nicht nur ihren eigenen und den mächtiger Interessenverbände. Die Situation zu Pauli Zeiten war eine ganz andere als heute in einer Demokratie. Habe ich recht?

  4. friedrichgehring

    Liebe(r) Inter Nos,
    ich fürchte, die Zeit Jesu und die heutige sind sich eher ähnlich. Den Machtmissbrauch der römischen Kaiser und deren Statthalter, den Jesus anprangert (Mk 10, 42), gibt es auch heute noch. An die Stelle des damaligen Kaisers tritt heute der US-Präsident, der Drohnenlynchmorde beschließt, bei denen auch unschuldige Kinder umkommen, oder der syrische Präsident Assad oder der saudische Kronprinz Salman, die beide Terroristen bekämpfen und dabei Zivilisten bombardieren.

    Kanzlerin Merkel ist zwar parlamentarisch demokratisch an die Macht gekommen, aber keiner direkten Demokratie wie in der Schweiz unterworfen, sondern nur ihrem Gewissen verantwortlich, wenn sie entsprechend der Verfassung die Richtlinien der Politik bestimmt. Machtpolitisch betrachtet ist sie eine Statthalterin des US-Präsidenten, sie kann oder will sich nicht leisten, die US-Atomwaffen aus Büchel entfernen zu lassen oder die Drohnenlynchmordstützpunkte in Ramstein und Stuttgart zu kündigen bzw. aus der US-geführten Nato auszutreten, an der sich die Bundeswehr nach Art. 87 a GG nicht beteiligen darf.

    Offensichtlich ist sie auch Statthalterin der Autokonzerne und sonstiger Lobbyisten, die ungestraft betrügen und Gesetze nach ihren Interessen formulieren dürfen. Im Sinne Jesu ist dies Machtmissbrauch, denn er fordert, wer groß sein will, soll der Diener aller sein (Mk 10, 43-44). Wenn Kanzlerin Merkel allen dienen würde, könnte sie nicht für das gemeinschädliche Projekt Stuttgart 21 eintreten.

    Leider halten sich die ansonsten sympathischen Darbysten ihrer Heimatstadt nicht an Jesus, sondern an Paulus, wie tragischer Weise fast das gesamte so genannte christliche Abendland. Die gegenwärtige christliche Aufgabe besteht darin, sich aus der Orientierung an Paulus zu lösen und zur Botschaft Jesu zurückzukehren. Nicht Röm 13, sondern Mk 10, 42-44 muss dabei leitend werden.
    Mit herzlichem Gruß
    Friedrich Gehring

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