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Befreiungstheologisches Netzwerk – Geschwister im Geiste

Seit kurzem findet sich auf der Seite www.befreiungstheologischesnetzwerk.de auch ein Link auf unsere Seite. Der Kontakt zu den BefreiungstheologInnen war entstanden, weil wir sie gewissermaßen als Geschwister im Geiste erkannt haben: In der Zeitschrift „publik forum“ hatten sie kürzlich ihren Widerstand gegen das geplante Atomendlager Gorleben mit dem Widerstand des Propheten Amos gegen die Ungerechtigkeit seiner Zeit parallelisiert.

Wir freuen uns darüber, denn wir fühlen uns mit Menschen verbunden, die gesellschaftliche Konflikte – und allgemein ihre Wirklichkeit – theologisch reflektieren und so die Kraft des Glaubens, Salz zu sein, erhalten helfen. Gerne weisen wir deshalb auch die LeserInnen unserer Seite auf die vielfältige Arbeit dieses Netzwerks hin, das bislang in 11 Städten Untergruppen gebildet hat.

www.s21-christen-sagen-nein.de

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mit der Gemeinsamen Erklärung „Theologinnen und Theologen zu Stuttgart 21“

Ansichten des Stuttgarter Amtes für Umweltschutz

1. Das Gleisvorfeld – ein einzigartiges Biotop
Stuttgart 21 sei auch ein städtebauliches Projekt, für „Stuttgart eine einmalige städtebauliche Gelegenheit“ (Werbeprospekt) . Die Befürworter halten es deshalb für gerechtfertigt, den Lebensraum von Tieren und Pflanzen zulasten der Menschen einzuschränken oder zu vernichten. In diesem Zusammenhang soll aber an ganz elementare Zusammenhänge unseres Lebens und unseres christlichen Glaubens erinnert werden.
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Ein Eisenbahner spricht im Männerkreis

Wolfgang Grethen referierte am 4. Februar 2011 auf Einladung von Pfarrer Harr beim Männerkreis im evangelischen Gemeindehaus Großingersheim zum Thema Stuttgart 21.

Grethen, früher selbst Fahrdienstleiter in Stuttgart und langjähriger Mitarbeiter in der Bahnzentrale, hält einen grundlegend neuen Bahnhof in Stuttgart für nicht notwendig – ja für zukunftsfeindlich, weil gut funktionierende Infrastruktur zerstört und Optionen für die Zukunft zunichte gemacht würden. Der Bahnhof sei seinen heutigen Aufgaben in vollem Umfange gewachsen und verfüge sogar noch über freie Kapazitäten. Dies sei gegenüber früher auch auf eine erleichterte Betriebsabwicklung ohne Kurswagen und auf nur noch wenige Lokwechsel zurückzuführen. Leider sei der Hauptbahnhof mit Blick auf Stuttgart 21 baulich vernachlässigt worden und biete derzeit keinen schönen Anblick.

Zu S21 führte Grethen weiter aus, dass die geplante Infrastruktur für den künftigen Fahrplan voller Risiken sei, Pufferzeiten fehlen würden und der Bahnknoten Stuttgart zu einem Nadelöhr würde. Es würden nicht nur Folgeverspätungen in der Region sondern im gesamten Fernverkehrsnetz entstehen. Bei Störungen im S-Bahn-Tunnel könne nicht mehr auf andere Gleise ausgewichen werden, ein Notfallkonzept existiere nicht und sei auch nicht fahrbar. Dies habe die „Schlichtung“ vor kurzem verdeutlicht. Beispielhaft für das Nadelöhr Stuttgart sei die künftig unterdimensionierte Anbindung aus Richtung Norden. Schon heute müssten in der morgendlichen Spitzenstunde von Zuffenhausen nach Stuttgart 13 Züge gefahren werden. Die Fahrzeit auf dieser Strecke solle um 3 Min. gekürzt werden, Verspätungen könnten durch die kurzen Haltezeiten im Tiefbahnhof nicht mehr aufgeholt werden. Die von Schlichter Geißler ins Spiel gebrachten Nachbesserungen zu S21 seien nur von punktueller Wirkung, die systembedingten Nachteile gegenüber einem ertüchtigten Kopfbahnhof würden trotz zusätzlicher Kosten von über 500 Mio Euro damit nicht ausgeräumt.

Der entscheidende Faktor für einen funktionsfähigen Knoten Stuttgart sei jedoch die Verknüpfung von 10 Linien untereinander sowie mit dem Fernverkehr. Hierfür reichten die vorgesehenen 8 Gleise des Tiefbahnhofs nicht aus. Im Gegensatz dazu könnte der bestehende Bahnhof zu weitaus geringeren Kosten umgebaut und die Kapazität durch zusätzliche Gleise nach Cannstatt und Zuffenhausen nochmals entscheidend erhöht werden. Dies bedeute eine hohe Fahrplanstabilität und Flexibilität in der Betriebsführung. Auch die Möglichkeit der Anbindung einer Neubaustrecke nach Ulm und eine bessere Anbindung des Flughafens bliebe bestehen. Kurzfristig sei auch eine Expreß-S-Bahn im 30-Min-Takt über die Gäubahn realisierbar.

Für Experimente sei der Kopfbahnhof zu wertvoll , der Ruhm – die größte Baustelle Europas zu werden – nicht erstrebenswert.

Kirchentag 2015 in Stuttgart

Der 35. Deutsche Evangelische Kirchentag wird vom 3. bis 7. Juni 2015 in Stuttgart stattfinden. Das hat das Kirchentagspräsidium einstimmig beschlossen. In der Begründung zu dieser Entscheidung heißt es:
„Die Stadt des 35. Deutschen Evangelischen Kirchentages hat während der zurückliegenden Monate im Streit um das Projekt Stuttgart 21 neue Formen offener und öffentlicher Debatte erlebt. Nachhaltiger Protest und zivilgesellschaftliches Engagement haben eine landesweite Diskussion über die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an Entscheidungen in der Demokratie ausgelöst. In diesem Kontext hat der Kirchentag die Einladung nach Stuttgart besonders gern angenommen.“
Lesen Sie hier die vollständige Erklärung des Kirchentags

Der Link wurde geändert. Hier der neue:
die vollständige Erklärung des Kirchentags

„Schneller, höher und weiter ist nicht die Zukunft“

Interview mit Pfarrerin Guntrun Müller-Ensslin
Publik-Forum Nr. 2 / 2011
Lesen Sie hier das Interview

Das rechte Wort zur rechten Zeit

So lautet der Titel einer Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland aus dem Jahre 2008.
(Das rechte Wort zu Rechten Zeit. Eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Öffentlichkeitsauftrag der Kirche. Gütersloher Verlagshaus 2008)

Viele Christen sehen bei dem Projekt S21 die Thematik des konziliaren Prozesses von Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung tangiert und sie fragen sich: Warum bleibt die Kirche stumm?
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Montagsdemo 24.01.2011 – Ansprache von Guntrun Müller-Ensslin

Liebe nimmermüde Mitstreiterinnen und Mitstreiter, liebe penetrante Zuversichtliche, liebe unverbesserliche Gerechtigkeitssucherinnen und –sucher, die Sie Winter und Wetter, Regen, Sturm, Schnee und Eis nicht scheuen, um hierher zur Demo zu kommen,

Als ich vor fast einem Jahr am Ende des Winters hier am Bahnhof eine Rede gehalten habe, da hätte ich mir nicht träumen lassen, dass wir Stuttgarterinnen und Stuttgarter einen zweiten Winter durch-stehen müssten; noch weniger allerdings hätte ich mir träumen lassen, dass wir ihn tatsächlich durchstehen würden.
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Der Evangelische Oberkirchenrat in Stuttgart und die biblische Weisung zu Stuttgart 21

Wie von Betroffenen zu erfahren war,  schreibt Prälat Mack (Stuttgart) „als Kirchenleitung“ in seinem vervielfältigten Rundbrief zu Neujahr 2011  unter der Überschrift  „Stuttgart 21“:   „ In der Bibel finden wir keine konkrete Weisung für oben bleiben oder nach unten bauen“.
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Der bischöfliche Weihnachtsfriede und Geißlers Schlichtung

Landesbischof July hat sich an Heiligabend 2010 im Rahmen der Verkündung des weihnachtlichen Friedens auch auf die Schlichtung von Heiner Geißler bezogen. Einige wollen ihn so verstehen, dass wir evangelischen Christen nun diese Schlichtung als Befriedung des Streits um Stuttgart 21 annehmen sollten.
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Absage Neujahrsempfang CDU S-Ost, 16.01.2011

Guten Tag Herr Hausmann,
ich hatte mich zum Neujahrsempfang der CDU Stuttgart-Ost angemeldet und ziehe meine Anmeldung nun zurück.
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Theologinnen und Theologen zu „Stuttgart 21“

Möchten Sie als Theologin/Theologe die folgende Erklärung unterzeichnen?
Möchten Sie als Nicht-Theologe die Erklärung unterstützen?
Dann sind Sie herzlich eingeladen, uns dies durch eine kurze formlose E-mail mitzuteilen: k21@t-a-f.info
 

Und hier gibt es die Gemeinsame Erklärung mit Unterschriftenliste zum Herunterladen, Ausdrucken, Weitergeben …

– Gemeinsame Erklärung –
Wir sind Theologinnen und Theologen aus Baden-Württemberg mit unterschiedlicher theologischer und politischer Prägung. Uns verbindet, dass wir das Bauprojekt „Stuttgart 21“ kritisch sehen, auch aus theologischer Perspektive.
Wir wissen wohl, dass es auch Argumente pro S21 gibt. Und wir bestreiten nicht, dass sich auch Christen pro S21 aussprechen können.
Nach Gewichtung der Fakten und Abwägung der Argumente sind wir zu der Überzeugung gekommen: K21 bietet die deutlich bessere Konzeption. Warum wir S21 ablehnen, legen wir im Folgenden in knapper Form dar.
Bei den Gesprächen am Runden Tisch gab es zwar in einigen Punkten Präzisierungen zu S21, wichtige Fragen blieben jedoch offen. Insbesondere stellt sich die Frage nach Sinn und Nutzen von S21 noch deutlicher.
Deshalb sagen wir – mit unterschiedlicher Gewichtung:
Lesen Sie hier die vollständige Erklärung
 

Mit konservativer Grundhaltung gegen S21 – Teil 2

Die Gemeinsame Erklärung „Theologinnen und Theologen zu ‚Stuttgart 21’“ betrachte ich als gut gelungen, weshalb sie meine volle Zustimmung findet, was ich dadurch zum Ausdruck gebracht habe, dass ich sie, wie dem Internet zu entnehmen ist, unterzeichnet habe.
Ich bin von der Gemeinsamen Erklärung „Theologinnen und Theologen zu ‚Stuttgart 21’“ dermaßen überzeugt, dass ich auch anderen, Theologen und „Laien“ empfehle, sich diese ebenfalls zu eigen zu machen und dies dann durch Unterzeichnung öffentlich zu machen.
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„Menschengesellschaften“

1. Menschengesellschaften contra Mäuse und Käfer
Mit diesem altertümlichen Wort, das im heutigen Duden nicht mehr vorkommt, das aber z. B. noch bei August Bebel 1895 (die Frau und der Sozialismus) zu finden ist, bezeichnete ein S21 Befürworter während der sog. Schlichtung den neuen Stadtteil, der auf dem Gleisvorfeld in 15 oder 20 Jahren einmal entstehen soll. Es steckte wohl die Absicht dahinter, der Zerstörung dieses Biotops, das sich dort seit 80 Jahren entwickelt hat, mit dem Rückgriff in die sprachliche Vergangenheit einen seriösen Anstrich zu geben.  …  Da versteht es sich in diesem Denken fast von selbst, dass der Mensch ein Recht hat, sich gerade an die Stelle der dortigen „Lebensgesellschaft von Mäusen und Käfern“ breit zu machen.

2. Widerspruch
Wenn auf diese Weise der Lebensraum von Menschen gegenüber den von Tieren und Pflanzen als höherwertig dargestellt und sogar noch mit einem angeblichen Bibelzitat belegt wird („Pflanzen und Tieren dem Menschen zum Nutzen“), dann muss man dem aus biblischen und theologischen Gründen widersprechen.

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Predigt beim Gottesdienst im Schlossgarten 26.12.2010

Predigt zu Johannes 1,1-5+9-14

Johannes schreibt sein Evangelium in einer Zeit, in der es die Christen schwer haben. Die christlichen Gemeinden sind kleine Gruppen, umgeben von einer weithin feindlichen Umwelt. Das kann die resignativen Untertöne erklären, die Johannes in den ersten Versen seines Evangeliums mitschwingen lässt: „Das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht ergriffen“ (V.5). „Er war in der Welt, … aber die Welt erkannte ihn nicht“ (V 10). „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf“ (V. 11). Zum Glück bleibt Johannes bei diesen traurigen Feststellungen nicht stehen. Er schreibt ein Evangelium, eine frohe Botschaft: „Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden“ (V 12) und „wir sahen seine Herrlichkeit“ (V 14) In dem schmählich am Kreuz gescheiterten Jesus sehen die Kinder des liebenden Vaters die Herrlichkeit Gottes. Die Liebe Gottes, die die Christen verkünden, sie mag verlacht werden, die Jünger Jesu lassen sich davon nicht beirren. Weiterlesen

Liebe UnterzeichnerInnen und UnterstützerInnen

Herzlichen Dank für Ihre zahlreichen Erklärungen. Täglich kommen neue dazu. Viele Mails sind sehr lesenswert und sollten einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht werden. Bitte stellen Sie Ihre Texte wenn möglich als Kommentar in den Blog. Auch damit unterstützen Sie diese Aktion.

Theologinnen und Theologen zu „Stuttgart 21“

Möchten Sie als Theologin/Theologe die folgende Erklärung unterzeichnen?
Möchten Sie als Nicht-Theologe die Erklärung unterstützen?
Dann sind Sie herzlich eingeladen, uns dies durch eine kurze formlose E-mail mitzuteilen: k21@t-a-f.info
 

Und hier gibt es die Gemeinsame Erklärung mit Unterschriftenliste zum Herunterladen, Ausdrucken, Weitergeben …

– Gemeinsame Erklärung –
Wir sind Theologinnen und Theologen aus Baden-Württemberg mit unterschiedlicher theologischer und politischer Prägung. Uns verbindet, dass wir das Bauprojekt „Stuttgart 21“ kritisch sehen, auch aus theologischer Perspektive.
Wir wissen wohl, dass es auch Argumente pro S21 gibt. Und wir bestreiten nicht, dass sich auch Christen pro S21 aussprechen können.
Nach Gewichtung der Fakten und Abwägung der Argumente sind wir zu der Überzeugung gekommen: K21 bietet die deutlich bessere Konzeption. Warum wir S21 ablehnen, legen wir im Folgenden in knapper Form dar.
Bei den Gesprächen am Runden Tisch gab es zwar in einigen Punkten Präzisierungen zu S21, wichtige Fragen blieben jedoch offen. Insbesondere stellt sich die Frage nach Sinn und Nutzen von S21 noch deutlicher.
Deshalb sagen wir – mit unterschiedlicher Gewichtung:
Lesen Sie hier die vollständige Erklärung

 

Ethische Orientierung für ökologisches Handeln – Kirche nimmt Stellung (Teil 2)

Immer wieder wird betont: Die Kirche muss sich beim Streit um Stuttgart 21 heraus- und neutral verhalten. Dabei wird leicht vergessen, dass die Kirche schon längst in amtlichen Verlautbarungen in guter Weise Stellung bezogen und im Hinblick auf Großprojekte klare Handlungsanweisungen gegeben hat. An dieser Stelle sei erinnert an: „Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung. Gemeinsame Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz“. Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1985.

Die Schrift fordert eine klare ethische Orientierung für ökologisches Handeln. Sie führt unter anderem aus:  Ehrfurcht vor dem Leben führt zur Selbstbegrenzung; nicht was der Mensch kann, sondern was er verantworten kann, ist der Maßstab; Gefahren müssen ernst genommen und vorausschauend abgewogen werden.

Ehe ein Auszug aus der Schrift hier wieder gegeben wird, zuerst ein paar einführende Bemerkungen.

Ökologie und Schöpfung
Stuttgart 21 sei auch ein ökologisches Projekt, so die Befürworter. Zunächst ein paar Gedanken voraus, was mit Ökologie gemeint ist. Ökologie, ursprünglich die Lehre von den Häusern, ist nach Duden die Lehre der Beziehungen der Lebewesen zur Umwelt. Die Ökologie hat uns für diese Zusammenhänge in den letzten Jahrzehnten die Augen geöffnet, wie stark wir Menschen in diese Zusammenhänge eingebettet sind. Wir sind nur ein Teil dieser Welt, der belebten und unbelebten. Alles Leben ist aufs Engste mit der Natur verwoben. Nächstenliebe kann sich unter diesem Horizont nicht auf die Menschen beschränken, sondern auf alle Teile der Schöpfung. Die Menschheitsfamilie ist gerufen, so zu leben, dass die Beziehung mit der ganzen Schöpfung Leben ermöglicht und beidseitig Leben fördert. Es steht dahinter die Überzeugung, dass wir Menschen und die „Lebensgemeinschaft Erde“ in rechter Beziehung zueinander leben müssen und dass die menschliche Gemeinschaft nicht die übrige Schöpfung missbrauchen oder verkonsumieren darf.

S 21 und die Ökologie
Bei S 21 wird die Ökologie bei einer ganzen Reihe von gravierenden Maßnahmen tangiert. Man kann die Frage nicht allein auf die CO2 Bilanz reduzieren, obwohl sie sehr wichtig ist.
Es geht auch um die Gefährdung der Mineralquellen, die schweren Eingriffe in den Schlossgarten, die komplette Entfernung des Gleisvorfelds mit der dort vorhandenen Tier- und Pflanzenwelt.

Zum Beispiel: Der Schlossgarten
Unbestritten ist, dass er in allen seinen Teilen ein lebendiger und sehr sensibler Lebensraum von Tieren, Pflanzen und Bäumen darstellt, der neben der Erholung für die Menschen der Innenstadt mit seinen alten Bäumen der Luftreinhaltung der ganzen Großstadt dient. Was es bedeutet, in dieses sensible Ökosystem einzugreifen, belegen ein paar Beobachtungen, die M. Wetzler und Tomoko Arai im Zusammenhang mit den ersten Baumfällungen am 1. Oktober 2010 gemacht haben.

Bilder aus: „Stuttgarter Schlossgarten, ein Naturschatz mitten in der Stadt ist bedroht“, M. Wetzler und Tomoko Arai, 2010.

S. 3  „Diese Eichhörnchen wurden am 27.09.  unter dem Haselnussbaum, der gerade viele Nüsse trug, fotografiert. Drei Hörnchen sammelten fleißig Nüsschen. Der Haselnussbaum wurde am 01.10. gefällt. Nach der offensichtlich illegalen Abholzung wurde beobachtet, wie ein Eichhörnchen vergeblich nach seinem Baum suchte …“
S. 11 „Ein verirrter Feldhase wurde in der Nacht vom 29. Oktober auf dem Gelände beobachtet, wo die Bauarbeiten für das Wasser-Management stattfinden, ängstlich und bewegungslos …  Die größte Feldhasenpopulation innerhalb deutscher Großstädte, die im Schlossgarten vorkommt, ist durch die Abholzung bedroht.
In der von S21 geplanten Parkerweiterung kann kein großer Baum wegen des unter der Erde liegenden Tiefbahnhofdachs wachsen. Kein Tier wird auf einer solchen künstlichen Fläche eine Heimat finden !“


S 21 – ein ökologisches Projekt?
Ob Stuttgart 21 wirklich ein ökologisches Projekt ist, entscheidet sich daran, wie die ökologische Bilanz am Ende aussieht, und ob ökologisches Handeln bei seiner Verwirklichung auch diesen Namen verdient. Die Leserinnen und Leser können sich selbst eine Antwort geben, wenn sie die folgende kirchliche Stellungnahme gelesen haben.

Hier ein Auszug aus der Schrift (im folgenden kursiv gedruckt und mit Zwischenüberschriften versehen): „Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung.“ Gemeinsame Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz. Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1985, S. 27-30.

Nicht was der Mensch kann, sondern was er verantworten kann, ist der Maßstab.
Beim Wahrnehmen der Verantwortung für Natur und Umwelt darf sich der Mensch nicht allein an seinen eigenen Interessen orientie­ren, auch nicht allein an dem, was er technisch machen kann. Er muß sich vielmehr darauf besinnen, was er als sittliches Subjekt tun darf und tun soll. Die heutigen ungeheuren Möglichkeiten, die Reichweite menschlichen Handelns und damit menschlicher Verantwortung ins Unfaßbare zu erweitern, legen dem Menschen neue Pflichten und neue Verantwortung auf. Welche grundlegenden ethischen Orientierungen lassen sich für eine ökologische Ethik gewinnen und benennen?

Ehrfurcht vor dem Leben führt zur Selbstbegrenzung
Nicht allein menschliches, sondern auch tierisches und pflanzli­ches Leben sowie die unbelebte Natur verdienen Wertschätzung, Ach­tung und Schutz. Die Ehrfurcht vor dem Leben setzt voraus, daß Le­ben ein Wert ist und daß es darum eine sittliche Aufgabe ist, diesen Wert zu erhalten. Das Leben ist dem Menschen vorgegeben; es ist seine Aufgabe, dieses Leben zu achten und zu bewahren. Es obliegt seiner Verantwortung, Sorge für seine Umwelt zu tragen. Dies erfordert Rücksicht, Selbstbegrenzung und Selbstkontrolle. Der Maßstab „Ehr­furcht vor dem Leben“ enthält ein Moment unbedingter Beanspru­chung und Verpflichtung, ein Schaudern vor den Folgen des Gebrauchs der Macht, das den Menschen zurückhalten soll, diese Macht zur Selbstvernichtung zu mißbrauchen. Die Ehrfurcht vor der Bestimmung des Menschen und das Schaudern und Zurückschrecken vor dem, was aus dem Menschen und seiner Umwelt werden könnte und was uns als denkbare Möglichkeit der Zukunft vor Augen steht, enthüllt uns das Leben als etwas „Heiliges“, das zu achten und vor Ver­letzungen zu schützen ist.

Ehrfurcht vor dem Leben heißt: Der Mensch muss sich als Hirte verstehen
Die Ehrfurcht vor dem Leben bewirkt auch eine Scheu vor dem rein nutzenden Gebrauch, eine Haltung der Beachtung und Schonung. So gesehen schließt sie eine „Ehrfurcht vor dem Gegebenen“ mit ein, sie weckt Wertebewußtsein und Schadenseinsicht. Diese Ehrfurcht vermittelt auch Einsicht in gegebene Grenzen, Einsicht in die Endlich­keit und Vergänglichkeit, vor allen Dingen Einsicht in die Verletzlich­keit der Schöpfung und Mitkreatur. Ehrfurcht vor dem Leben bezieht sich nicht nur auf menschliches, tierisches und pflanzliches Leben, son­dern im weiteren Sinn auf die „unbelebte“ Natur mit ihren Lebensele­menten (Wasser, Boden, Luft) und ihren funktionalen Kreisläufen als Lebensraum. Sie sind nicht als tote Gebrauchsgegenstände zu verste­hen, sondern als Teil der Lebensbedingungen des Menschen und seiner Mitkreatur. Wir Menschen müssen uns, um mit Sokrates zu sprechen, auf die Kunst des Hirten verstehen, dem am Wohl der Schafe gelegen ist, dürfen sie also nicht bloß unter dem Blickwinkel des Metzgers be­trachten.

Gefahren müssen ernst genommen und vorausschauend abgewogen werden
Die Tugend der Klugheit im Sinne der klassischen „Besonnenheit“ (lat. prudentia) gebrauchte die Menschheit, um die Folgen ihres Tuns abzuschätzen und in Konfliktfallen das geringere Übel zu wählen. Weil wir heute Folgen besser voraussehen können als frühere Genera­tionen, ist unsere Verantwortung gewachsen. Unsere Klugheit muß weitsichtiger sein. Dies gilt besonders für langfristige und unumkehr­bare Wirkungen. Weil die heute möglichen und erforderlichen Eingrif­fe aber tiefer in das Gefüge der Umwelt eingreifen, sind Neben- und Folgewirkungen weniger absehbar als zu früheren Zeiten. Unsere Klug­heit muß deshalb auch vorsichtiger sein. Ein Schaudern vor den Folgen des Gebrauchs seiner Macht müßte den Menschen die Furcht lehren, in naiver Unvorsichtigkeit zerstörerische Folgen seines Handelns zu über­sehen. Dies bedeutet nicht den Verzicht auf jegliches Risiko, wohl aber die Einschränkung und Verteilung möglicher Risiken. Im Zweifelsfall ist daher eher nach der Überlegung zu handeln, ein gewagtes Unterneh­men könne mißlingen, als nach der gegenteiligen Überlegung, es werde schon alles gut gehen.

Eingriffe in die Natur dürfen nur begrenzt vorgenommen werden
Konkret bedeutet dies: Eingriffe in den Haushalt der Natur sind möglichst sparsam und begrenzt vorzunehmen, selbst wenn unmittel­bare Nachteile nicht voraussehbar sind. Dieses Verhalten ist auch des­wegen vernünftig, weil es der Natur möglichst viel Spielraum für selbst­heilende Eigenkräfte läßt. Die Eigengesetzlichkeiten der Natur haben sich als flexibler und erfinderischer erwiesen als die Fremdsteuerung durch Mechanismen, die menschliche Erfindungskraft und Technik hervorgebracht haben.

Abwägen von Schaden und Nutzen
Kurzfristige ökonomische und technische Interessen und langfri­stige Interessen der Erhaltung von Natur und Umwelt sowie Belange des Überlebens der Menschheit können in Kollision geraten. In diesem Fall ist das langfristige Interesse gerade dann einer besonderen ethi­schen und gesellschaftliche Unterstützung bedürftig, wenn kurzfristi­ger Nutzen langfristige Schäden verursacht. In solchen Konfliktlagen bewährt sich ethische Verantwortung. Eine Abwägung zwischen kurz­fristigen und langfristigen Schäden, zwischen Schäden und Nutzen so­wie Wertvorzugsüberlegungen (Prioritätensetzungen) sind möglich und notwendig. Fragen der Umkehrbarkeit und der Regenerierbarkeit von Naturgütern sind ebenso mit zu bedenken wie die Interessen der heutigen und der künftigen Generationen.

Verfasser: Hans-Eberhard Dietrich, Pfarrer i.R.

(Schein-) Neutralität der evangelischen Kirchenleitung

Die Pressestelle der Evangelischen Landeskirche in Württemberg wird den Blog http://s21-christen-sagen-nein.org nicht auf den Seiten der Landeskirche verlinken.
Dies hat Christian Tsalos, Pressesprecher der Landeskirche, dem Administrator des Blogs mitgeteilt.

Verlinkt werden laut Tsalos nur Beiträge aus dem Blog „Koch meint“. Dort  „äußert Andreas Koch zwar seine Meinung (für S21), aber er argumentiert weder pro noch contra S21 … Dabei verlässt der Rundfunkpfarrer nie die Haltung der Landeskirche, dass Kirche in diesem Bauprojekt neutral zu sein hat“, meint der Pressesprecher.
Seine Meinung für S21 äußern, aber gleichzeitig stets neutral sein – wie soll das zusammen gehen ?  Ach so, indem man nicht argumentiert !
Stimmt auch wieder:  Der Argumentation und dem kritischen Diskurs Raum zu geben war ja noch nie die Stärke dieser Kirchenleitung.
Schön, dass die Redakteurinnen und Redakteure dieses Blogs die Haltung der Landeskirche bewusst verlassen und diese Art von (Schein-) Neutralität nicht pflegen – und das mit guten Argumenten.

Das meint tilmannfischer

Heiner Geißler – wenig Mumm

„Die Stuttgarter Tafelrunde war nur der Versuch, die Ohnmächtigen mit ihrer Niederlage zu versöhnen. Heiner Geißler hatte viel Chuzpe, aber wenig Mumm. Ein schlechteres Modell demokratischer Konfliktlösung kann es kaum geben.“
Lesen Sie den Artikel von Andreas Zielcke aus der Süddeutschen Zeitung, 3.12.2010

„Schlichtung“

Der Schlichter empfiehlt sich für weitere Aufgaben, findet die
Süddeutsche Zeitung, sogar für die schwierigste aller Schlichtungen:

Sich einmischen – Kirche hat schon Stellung bezogen

Immer wieder wird von Verantwortlichen in unserer württembergischen Landeskirche betont: Die Kirche muss sich beim Streit um Stuttgart 21 heraus- und neutral verhalten. Dabei wird leicht vergessen, dass die Kirche schon längst in amtlichen Verlautbarungen in guter Weise Stellung bezogen und im Hinblick auf Großprojekte klare Handlungsanweisungen gegeben hat. Da diese Texte schon aus früheren Jahren stammen, sind sie vielleicht nicht mehr allen bekannt. Deshalb soll an dieser Stelle daran erinnert werden.

Schöpfung bewahren – Kirche nimmt Stellung
Aus: „Frieden in Gerechtigkeit für die ganze Schöpfung.“ Text des Forums: „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung der Arbeitsgemeinschaft christliche Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) e.V. Stuttgart 1988, S. 103-106.

Worum geht es in diesen Stellungnahmen? Aus dem Glauben  an Gott als den Schöpfer der Welt folgt: Der Mensch ist ein Teil dieser Schöpfung und darf die Natur nicht einfach egoistisch ausbeuten. Vielmehr hat er die Pflicht, Verantwortung für diese Welt zu übernehmen. Das heißt z.B. Abschied nehmen von Allmachtsphantasien über die Schöpfung, Abschied nehmen vom Glauben an Wachstum ohne Grenzen und Fortschritt ohne Maß und um jeden Preis.

Im Hinblick auf S 21 sei besonders hingewiesen auf folgende Kriterien: „Vorhaben dieser Art (gemeint sind Großprojekte, Anm.d.Autors) dürfen nicht durchgeführt werden, bevor schwerwiegende Zweifel ausgeräumt sind…. Denn was alle angeht, soll auch von allen entschieden und vor allem öffentlich diskutiert  werden, insbesondere muss  die Umweltverträglichkeit geprüft werden und ob die Artenvielfalt bedroht ist.“

Was bedeutet dies für die Bewertung von S 21?
Dem Autor ist nicht bekannt, dass bei dem Bahn- und Immobilienprojekt S21 öffentlich, geschweige denn ausreichend der Interessenskonflikt im Hinblick auf die gravierenden Eingriffe in den Schlossgarten, die dortige Tierwelt und die Risiken für die Thermalquellen diskutiert wurden.

Hier ein Auszug (in kursiv wiedergegeben) aus: „Frieden in Gerechtigkeit für die ganze Schöpfung.“ Text des Forums: „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) e.V. Stuttgart 1988, S. 103-106. 

Theologische Einleitung
Gott hat die Welt geschaffen und bleibt in seiner Schöpfung gegenwärtig. Ihre Be­wahrung ist allen Menschen von Gott aufgetragen (vgl. Gen 2,15). Wir Christen glauben, daß die gesamte Schöpfung von der Liebe Gottes getragen bleibt, die sich in Jesus Christus offenbart.
Christen aller Konfessionen bekennen den dreieinigen Gott als Schöpfer, Er­halter, Erlöser und Vollender der Welt. Sie preisen Gott als den Schöpfer des Himmels und der Erde: „Herr, wie zahlreich sind deine Werke! Mit Weisheit hast du sie alle gemacht, die Erde ist voll von deinen Geschöpfen.“(Ps 104,24) Von Jesus Christus bezeugt die Bibel: „Denn in ihm wurde alles geschaffen, im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne und Herr­schaften, Mächte und Gewalten; alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen. Er ist vor aller Schöpfung, in ihm hat alles Bestand.“(Kol 1,16 f.) Alles Geschaf­fene ist vom Geist Gottes, dem Liebhaber des Lebens, durchwaltet und wird dadurch geheiligt. …
Gott hat den Menschen als Teil seiner Schöpfung erschaffen. Alle Mitgeschöpfe haben ihren eigenen Wert, der darin begründet liegt, daß sie von Gott gewollt sind. Die Ehrfurcht vor dem Leben verbietet es, Tier- und Pflanzenwelt vor­nehmlich unter dem Gesichtspunkt ihres Nutzens und der Verwertbarkeit für den Menschen zu sehen. Das gilt auch für die unbelebte Natur. Gott hat dem Menschen jedoch auch eine besondere Stellung in seiner Schöp­fung vorbehalten: Er hat ihm den Auftrag gegeben, als sein Abbild Verantwor­tung für die Mitgeschöpfe wahrzunehmen.
Unsere Schuld besteht darin, daß wir immer wieder aus egoistischen Motiven die uns gezogenen Grenzen verletzen und der Schöpfung nicht mehr behebbare Schä­den zufügen. Die Natur ist vorwiegend zum Rohstoff für eine verschwenderische Produktion von Konsumgütern geworden.
D
ie Schöpfung ist uns zur Gestaltung und zur Pflege anvertraut. Mit der An­maßung grenzenloser Herrschaft über die Natur mißachten wir unseren Auf­trag und erweisen uns so als Sünder. Zudem gefährden wir das ökologische Gleichgewicht und riskieren unsere Zukunft wie die der kommenden Genera­tionen. Mit dieser Praxis tun wir der Schöpfung Gewalt an. Umkehr zu Gott ist daher notwendig. Begründet ist diese Umkehr in der tiefen Überzeugung, daß Gott Freude an seiner Schöpfung hat und sie liebt. Es gilt, die Dankbarkeit für das Geschenk der Schöpfung wiederzugewinnen und un­sere tägliche Verantwortung für das Geschaffene so wahrzunehmen, daß wir in den Lobpreis der gesamten Schöpfung einstimmen können. Der Mensch darf die Früchte und Schätze der Erde dankbar nutzen. Aber gerade darin soll er Ab­bild Gottes sein, daß er wie Gott fürsorglich, liebevoll die Schöpfung hegt und pflegt. Das aber heißt heute, viel größere Anstrengungen zu unternehmen, um die Gewalt gegen die Schöpfung zu vermindern. …  

Wahrnehmung der Verantwortung
Wenn wir als Christen, und sei es auch nur bruchstück- und zeichenhaft, den ver­heißenen Frieden Gottes in dieser Schöpfung aufzeigen wollen, müssen wir umdenken. Ausgehend vom biblischen Schöpfungsauftrag gilt es, mit Hilfe der menschlichen Vernunft Maximen für das konkrete Handeln in der Welt zu ent­wickeln.
Wir müssen ablassen von Machtphantasien über die Schöpfung und demütig die Grenzen unseres Handlungsspielraums und unsere eigene Begrenzung anerkennen. Wir müssen Abschied nehmen von dem Glauben an ein unbe­grenztes Wachstum und an Fortschritt ohne Ende und uns am Maßstab des Lebens und dessen, was dem Leben dient, orientieren. Bei der Verwirklichung dieses Umdenkens sind wir häufig konfrontiert mit star­ken Interessenkonflikten. Oft stehen z. B. Wirtschaftlichkeit, Besitzstandswah­rung und -Vermehrung, politisches Machtstreben und Sicherung von Arbeits­plätzen gegen die Bestrebungen der Umwelterhaltung; ökonomische Interes­sen beanspruchen im allgemeinen Vorrang vor ökologischen Interessen. Als Christen können wir uns der schwierigen Aufgabe nicht entziehen, uns für ein solches Umdenken in allen Lebensfeldern, auch im politischen Bereich, einzusetzen. Dazu gehört, z. B. in Wirtschaft und Politik immer wieder auf die Überprüfung und Einhaltung der folgenden Kriterien zu drängen:

  • die Umweltverträglichkeit,
  • die Sozialverträglichkeit,
  • die Generationenverträglichkeit,
  • die internationale Verträglichkeit.

Bei größeren Planungsvorhaben sind diese Kriterien zu berücksichtigen. Schon die Entstehung von Umweltschäden gilt es zu vermeiden. Deshalb soll­ten folgende Fragen vorab geklärt werden:

  • Zieht dieses Vorhaben tiefgreifende, dauerhafte und nicht wiedergutzu­machende Schäden nach sich?
  • Sind die Auswirkungen des Vorhabens in ihrer zeitlichen und räumlichen Erstreckung übersehbar?
  • Sind Nebenfolgen so erheblich, daß sie nicht in Kauf genommen werden können?
  • Sind die Würde der Menschen und die Artenvielfalt durch dieses Vorhaben bedroht? 

… Als Anwältinnen der Schöpfung stellen Kirchen diese Fragen öffentlich. Sie dringen darauf, daß Vorhaben dieser Art nicht durchgeführt werden, bevor schwerwiegende Zweifel ausgeräumt sind.
Zu einer solchen Vorsorge zählt insbesondere die Abschätzung der Folgen für die ökologischen Kreisläufe. Diese Naturkreisläufe dürfen nicht unterbrochen oder zerstört werden. … 
Die Auswirkungen eines Vorhabens müssen in ihren zeitlichen und räum­lichen Dimensionen übersehbar bleiben. Im Sinne der Fürsorgepflicht muß die Erde auch für die nachfolgenden Generationen bewohnbar und lebenswert sein. …

Generell sind sogenannte technische und wirtschaftliche Sachzwänge darauf­hin zu überprüfen, ob sie dem Leben der Menschen und der ganzen Schöpfung dienen und den oben genannten Kriterien genügen. Bei dem Entscheidungsprozeß, in dem diese Kriterien zur Anwendung kommen, muß die gesamte Gesellschaft mit einbezogen werden. Denn was alle angeht, soll auch von allen entschieden werden.

Verfasser: Hans-Eberhard Dietrich, Pfarrer i.R.

„Stuttgart 21“ – Der Mammon und die Kirchen

Nicht erst nach dem erschreckenden Polizeieinsatz vom 30. September 2010 haben immer mehr Kirchenmitglieder erwartet, dass die Kirchen Stellung nehmen sollten zu der Auseinandersetzung um das umstrittene Bauprojekt „Stuttgart 21“. Die ersten kirchlichen Reaktionen auf solche Erwartungen waren geprägt von dem Tenor, das Evangelium biete keine Handhabe, sich in diesen parlamentarisch-demokratisch entschiedenen Streit mit einer einseitigen Stellungnahme einzumischen. Betrachtet man allerdings näher, welche Politik bei Stuttgart 21 am Werk ist, wird eine kirchliche Stellungnahme unausweichlich.

„Stuttgart 21“ als neoliberales Schlüsselprojekt
Spätestens durch die Erklärung von Kanzlerin Merkel, über „Stuttgart 21“ werde bei den Landtagswahlen im März 2011 abgestimmt, ist dieses Projekt zum Test geworden für die neoliberale Politik, die seit etwa 30 Jahren zunehmend die Welt überschattet. Die Neoliberalen behaupten, wenn man nur die mächtigen Projektgewinnler ihre Profite machen lasse, dann sei das gut für alle. Natürlich sind die schlimmen Auswirkungen dieser Politik nicht erst bei diesem Projekt sichtbar geworden. Schon die Hartz IV – Gesetze und die Weltwirtschaftskrise haben die Folgen dieser Politik schmerzhaft erfahren lassen. Aber so schlimm diese Erfahrungen waren, die Gegner des Neoliberalismus konnten bisher als realitätsferne linke Spinner abgetan werden. Das Neue im Konflikt um „Stuttgart 21“ ist, dass der Widerstand aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Das muss den Neoliberalen natürlich Angst machen, und wer Angst hat wird häufig aggressiv und reagiert so wenig souverän, wie das am 30. September im Stuttgarter Schlosspark zu sehen war.

Die Kirchen und der Mammon
Die Neoliberalen behaupten traditionell, die von ihnen betriebene Umverteilung von unten nach oben sei alternativlos. Jesus rät aber genau zu der geleugneten Alternative, nämlich zur Umverteilung von oben nach unten, wenn er empfiehlt: „Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon.“ (Lk 16,9) Auch wenn niemand auf der Welt mehr weiß, dass der Mammon ungerecht ist, dann müssen es die Kirchen noch wissen. Der Begriff „Mammon“ bezeichnet in der Muttersprache Jesu die zerstörerische Kraft des Geldes, des Kapitals. Der Begriff war nicht ins Griechische des Neuen Testaments zu übersetzen, dort gab es keinen entsprechenden Begriff dafür, weil das Bewusstsein für diese zerstörerische Kraft bei den griechischen Sprachgestaltern nicht vorhanden war. Aber Jesus stand in der alttestamentlichen Tradition, in der schon Jesaja um 750 v. Chr. den Missbrauch der Macht durch Monopolisten geißelte und dessen verheerende Folgen ankündigte (Jes 5, 8 ff). Diese Konzentration wirtschaftlicher Macht in den Händen von Gewissenlosen wird im neoliberalen Casinokapitalismus zur Perfektion gebracht. Er ist genau das, was Jesus mit dem Begriff „Mammon“ angreift. Denn der Mammon ist die Gegenkraft, die der Botschaft Jesu vom Reich Gottes diametral gegenübersteht. Deshalb sagt Jesus: „Ihr könnt nicht Gott und dem Mammon zugleich dienen“ (Mt 6,24 par).

„Stuttgart  21“ und der Mammon
Der Bogen zu „Stuttgart 21“ ist leicht zu schlagen. Ziemlich am Anfang der Projektidee stand eine riesige Bodenspekulation. Das frei werdende Gleisgelände war zu phantastischen Preisen zu verkaufen. Bliebe der Kopfbahnhof, wäre dieser gewaltige Deal hinfällig, er müsste zu einem hohen Preis rückabgewickelt werden und enorme erhoffte Baugeschäfte wären verdorben. Die Rücksicht auf die dann leer ausgehenden Projektgewinnler hat offenbar größeres Gewicht als der Wille des Volkes, so darf eine Volksabstimmung nicht sein. So war Eile geboten, noch vor der Landtagswahl einen „point of no return“ zu erreichen. Gerade die Kirchen werden genau hinsehen müssen, für wen hier gegebenenfalls Arbeitsplätze entstehen, für tariflich bezahlte deutsche Bauhandwerker, die bisher arbeitslos waren, oder für ausgebeutete Billiglöhner aus Hungerländern. Kirchliche Achtsamkeit dürfte auch geboten sein hinsichtlich der Frage, ob die Profite der Ausbeuter am Ende auch in Kindergärten eingespart werden müssen.

Konsequenzen für die Kirchen
Der im Projekt Stuttgart 21 erkennbaren neoliberalen Regierungspolitik gegenüber, die das Christentum in seinen Grundsätzen bekämpft, kann es keine kirchliche Neutralität geben. Hier ist ein klares christliches Bekenntnis gefordert. Das mag für eine lutherische Kirche Neuland sein, weil sie sich Jahrhunderte lang den Landesherrn als ihren Geldgebern zur treuen Gefolgschaft verpflichtet gefühlt hat. Einer Partei, die sich christlich nennen will, muss kirchlicherseits klargemacht werden, dass sie dies erst dann wieder zu Recht tun kann, wenn sie sich wirksam von der bisherigen neoliberalen Mammonspolitik distanziert hat. Die Kirchen sollten den Regierungsverantwortlichen die Aufgabe des neoliberalen Schlüsselprojekts Stuttgart 21 als Chance zur Umkehr und zur Rückkehr zum Christentum anbieten.

(Eine ausführlichere Version dieses Beitrags in:
Deutsches Pfarrerblatt, Heft 11/2010, S. 609 ff)

Verfasser: Friedrich Gehring, Pfarrer i.R.

Kreuze im Schlossgarten – „aufgeräumt“

Am Bauzaun findet sich dieses Foto.  Es dokumentiert eine nachdenklich machende Installation von betroffenen und besorgten Bürgerinnen und Bürgern, die nach den Brutalitäten am 30. September errichtet worden ist. Dieses Memento ist spurlos verschwunden, „aufgeräumt“.
Gut, dass wenigstens ein Foto geblieben ist.

Immer sauber einfach pünktlich
Pflichtbewusst
Dem ganzen verantwortlich
Immer zur Stelle mit alten Hexen
Und Gaskammern
Immer nach dem Rechten sehend
Aufräumen
Da muss mal mit aufgeräumt werden
Damit muss man mal aufräumen
Ein deutsches Lieblingswort:
Aufräumen
Immer sauber einfach pünktlich

Hanns Dieter Hüsch: Aus dem Gedichtband „Das Schwere leicht gesagt“

Die Schöpfung bewahren, Aufgabe eines jeden Christen

Der biblische Auftrag
Ein Grund, sich als Theologe gegen das Projekt Stuttgart 21 zu positionieren, ist das biblische Anliegen, die Schöpfung zu bewahren. Ich spreche bewusst von Schöpfung, nicht von der Natur. Damit wird deutlich: Die ganze Natur, belebt und unbelebt, Pflanzen und Tiere samt Wasser, Land und Luft sind von Gott geschaffen. Der Mensch kann nicht einfach damit machen, was er will, sondern er ist Gott verantwortlich. Und das kann nur heißen: Er muss sorgsam mit dieser Schöpfung Gottes umgehen.

Das Anliegen, die Schöpfung zu bewahren, nimmt den Auftrag Gottes an den Menschen in der Schöpfungsgeschichte auf, wo es im 1. Buch Moses Kapitel 2 Vers 15 heißt: „Und Gott, der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.“
Der Ökumenische Rat der Kirchen ruft diese Aufgabe wieder ins Bewusstsein
Im Raum der Kirche wurde in der Vergangenheit diese Aufgabe nicht immer so vordringlich gesehen. Erst die ungeheure Umweltzerstörung der letzten Jahrzehnte schufen hierfür das Bewusstsein. Federführend war der Ökumenische Rat der Kirchen. Er rief 1983 in Vancouver  auf der VI. Vollversammlung seine Mitgliedskirchen auf, in einen konziliaren Prozess gegenseitiger Verpflichtung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung einzutreten. In vielen Gemeinden und Initiativen der Kirchen nahmen Christen diese Herausforderung an. Ein paar Jahre später, im Jahre 1990 in Seoul, wurden alle Christen der Welt aufgefordert, sich aktiv für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung einzusetzen. Nur im Zusammenspiel dieser drei sind die Herausforderungen der Gegenwart wie Hunger, Krieg, Umweltzerstörung, sozialer Unfriede usw. zu bewältigen.

In den 80er Jahren stand eher die Friedensproblematik im Vordergrund. Es war die Zeit der Hochrüstung. Gleichwohl wurde der Zusammenhang gesehen, dass es Weltfrieden und Gerechtigkeit nicht geben kann, wenn nicht zugleich die Schöpfung bewahrt wird. Immer mehr wuchs im Laufe der Zeit die Einsicht, dass die Erhaltung des politischen Friedens und die Schaffung von mehr Gerechtigkeit vergeblich bleiben, wenn die natürlichen Grundlagen des Lebens zerstört werden. So trat die Aufgabe, die Schöpfung zu bewahren, zunehmend in den Vordergrund.

Gott liebt seine Schöpfung
Die damals schon formulierten Grundüberzeugungen sind bis heute gültig: „Wir bekräftigen, dass Gott die Schöpfung liebt. Land, Wasser, Luft, Wälder, Berge und alle Geschöpfe, einschließlich der Menschen, sind in Gottes Augen „gut“. Wir werden dem Anspruch widerstehen, alle geschaffenen Dinge dienten ledig­lich dazu, vom Menschen ausgebeutet zu werden.

Deshalb verpflichten wir uns als Mitglieder der lebendigen Schöpfungsgemeinschaft, in der wir eine unter vielen Arten sind, Mitarbeiter Gottes zu sein mit der moralischen Verantwortung, die Rechte kommender Generationen zu achten und die Ganzheit der Schöpfung zu bewahren; dafür wollen wir uns einsetzen um des eigenen Wertes willen, den die Schöpfung von Gott hat, und damit Gerechtigkeit geschaffen und erhalten werden kann.

Eine weitere Grundüberzeugung, die seit Seoul gilt, lautet: „Wir bekräftigen, dass die Erde Gott gehört“. Das hat zur Konsequenz: „Der Mensch soll Boden und Gewässer so nutzen, dass die Erde regelmäßig ihre lebenspendende Kraft wie­derherstellen kann, dass ihre Unversehrtheit geschützt wird und dass die Tiere und Lebewesen den Raum zum Leben haben, den sie brauchen. Wir werden jeder Politik widerstehen, die Land als bloße Ware behandelt, die Bodenspekulation auf Kosten der Armen treibt, die Giftmüll auf das Land und ins Wasser entlädt, die Ausbeutung, ungleiche Verteilung und Vergiftung des Bodens und seiner Erzeugnisse fördert und die jenen, die unmittelbar von der Nutzung des Landes leben, die Verfügungsgewalt darüber vorenthält. Wir verpflichten uns außerdem, den ökologisch notwendigen Lebensraum anderer Lebewesen zu achten.
(Lesen Sie dazu auch: Die Kirche im konziliaren Prozess gegenseitiger Verpflichtung für Gerechtigkeit , Frieden und Bewahrung der Schöpfung. 1990. Texte der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nr. 33)

Fragen an das Projekt – bisher ohne überzeugende Antwort
Gemessen an diesen Grundüberzeugungen sind an die Betreiber des Projekts Stuttgart 21 viele Fragen zu stellen:
Wie ist es zu verantworten, z.B.
–  das Fällen uralter Bäume, die für das Innenstadtklima unabdingbar sind,
–  die Gefährdung des gesamten alten Baumbestandes des ganzen Parks durch
–  das Absenken des Grundwasserspiegels,
–  der ungeheure Verbrauch an Land, insbesondere Grünflächen der Innenstadt, –  die Gefährdung der Mineralquellen in Bad Cannstatt,
–  die Vernichtung von Lebensraum von Tieren, darunter auch
artgeschützte  wie   Fledermaus und Juchtenkäfer und vom Aussterben
bedrohte Vogelarten wie Dohle, Gartenbaumläufer, Gelbkopfamazone,
Wacholderdrossel.
(Lesen Sie hierzu auch: Newsletter /2010, 8. Oktober, NABU, Gruppe Stuttgart)

Auf diese Fragen sind bisher keine Antworten bekannt. Vielmehr werden mit Stuttgart 21 Fakten geschaffen, die nicht mehr umkehrbar sind und deren Folgen nachwachsende Generationen zu tragen haben.

Verfasser: Hans-Eberhard Dietrich

Mit konservativer Grundhaltung gegen S21

Meine grundsätzlich theologisch und politisch konservative Grundeinstellung ließ mich lange zögern und Zurückhaltung üben gegenüber „Stuttgart 21“, wiewohl ich schon lange begründet gegen dieses Projekt bin. Die offensichtlich abhanden gekommene Basisverhaftung und Ignoranz dieser durch die Befürworter: Bahn, Politik und Wirtschaft, deren stures Festhalten an einem Projekt, das in der breiten Bevölkerung keine Mehrheit findet und die Unwilligkeit auf die Gegenseite überhaupt zu hören, die Gesprächsverweigerung gegenüber einer breiten bürgerlichen Bewegung und die Etikettierung als „Berufsdemonstranten“, dazu ein massiver Polizeieinsatz mit völlig unverhältnismäßigen Mitteln gegen Demonstranten im Schlossgarten, auch gegen minderjährige Schüler und alte Menschen, was alles eines demokratischen Rechtsstaates unwürdig ist, ließen mich umdenken, ohne damit meine grundsätzlich konservative Grundhaltung aufzugeben. Für meine Begriffe bedeutet die Durchführung des Projekts „Stuttgart 21“, allem Anschein nach jetzt nach dem Motto: „Augen zu und durch“, was politisches Versagen markiert: Architekturzerstörung, Demokratiegefährdung, Geologiemissachtung, Geldverschwendung, Ökologiezerstörung, Ökonomiebesessenheit, (Verkehrs)Unsicherheit, Unwirtschaftlichkeit.

Verfasser: Walter Rominger, evangelischer Theologe, Albstadt

„Suchet der Stadt Bestes“ – Jeremia 29,7

„Suchet der Stadt Bestes“ – Fritz Röhm

Liebe Menschen, die sich für den Erhalt des Kopfbahnhofs einsetzen!

„Suchet der Stadt Bestes!“
Dieser Ruf des Propheten Jeremia müsste Maßstab sein für eine Partei, die sich christlich nennt, die nicht verstehen will, warum wir hier sind und protestieren, und für Volksvertreter, die sich dem Wohle des Volkes verpflichten.

Das Tiefbahnhofprojekt, die Konzeption, die Risiken, die Heimlichtuerei:
Das ist nicht das Beste für die Stadt.

Hört auf das Volk! Sucht den Dialog! Geht endlich ein auf die Warnungen vieler Experten!

Ein Wort zu mir:
Ich bin Industriekaufmann. In der Evangelischen Kirche habe ich mich ehrenamtlich in vielen Bereichen engagiert. Ich spreche jedoch nicht für die Evangelische Landeskirche und nicht für die Evangelische Vereinigung Offene Kirche, sondern ich sage meine Überzeugung.

Wovon ich überzeugt bin.

Ich bin überzeugt:
Mit dem Bahnhofsprojekt Stuttgart21 droht eine massive Verschlechterung des Bahnbetriebs. Die Risiken – die finanziellen, technischen, konzeptionellen – sind so gravierend. Es ist unverantwortlich, sie einfach beiseite zu wischen.

Ich bin überzeugt:
Das Projekt Stuttgart21 führt zu einer beispiellosen Steuergeldverschwendung. Ich bin entsetzt, dass die Verantwortlichen die Kosten schon nicht mehr rechtfertigen, sondern den Neid im Land schüren.
Das Geld fließe in andere Landesteile, wenn es nicht für Stuttgart 21 ausgegeben werde – so Ministerin Gönner im SWR. Stuttgart21 sei ein Geschenk für Stuttgart, es werde aus anderen Quellen finanziert – so Bahnchef Grube. Das sind die letzten und hilflosesten Argumente, egoistisch und zynisch. Von Solidarität für das Gemeinwohl keine Spur. Wir wollen kein vergiftetes Geschenk, wir wollen den versprochenen Dialog, Herr Grube!
Von wegen Geschenk: Das Umgekehrte ist richtig. Stuttgart machte der Bahn ein Geschenk, kaufte der Bahn schon 2002 das Gleisfeld ab und verzichtete auf die Verzinsung dieser Vorauszahlung – zusammen rund 750 Millionen Euro. Und das alles nur, um das unsichere Bahnprojekt wieder auf die Schiene zu setzen. Immobilienprojekt nennt man das.

Ich bin überzeugt:
Der Widerstand kommt nicht zu spät. Von Anfang an wurde Widerspruch erhoben, aber nie aufgegriffen. Friederike Groß traf mit ihrer Karikatur in der Stuttgarter Zeitung schon 1996 den Nagel auf den Kopf, als sie das S21-Planungskomitee kommentierte mit: Mauschel, Tuschel, Zischel.
So erzeugt man Widerstand.

MAUSCHEL – TUSCHEL – ZISCHEL

Wie schön, ein Visionär zu sein,
im ruhigen, stillen Kämmerlein.
Doch könnt es nützen manchem Plan,
ließ man auch mal die Bürger ran.

Friederike Groß – Stuttgarter Zeitung, 16.03.1996

Wogegen ich Einspruch erhebe:
Ich erhebe Einspruch –
gegen die Unterstellung, der Widerstand sei ein Ergebnis des Zeitgeistes. Zitat Stuttgarter Zeitung vom 14. September, Reportage von Michael Ohnewald: „Verändert hat sich der Zeitgeist. Vorbei sind die Zeiten des Zutrauens. Dafürsein ist nicht mehr so sexy.“ Das verwechselt Ursache und Wirkung. Ich lasse meine Erkenntnisse und meine Überzeugung von Stuttgart21 nicht auf den Zeitgeist reduzieren.

Ich erhebe Einspruch –
gegen das Schüren von Angst. Noch einmal Zitat Ohnewald, er meint: „Die Umkehr von Stuttgart21 hätte weitreichende Folgen. Mit dem Ende des Verkehrsprojektes würde es auf Jahre keine Entwicklung mehr auf der Stuttgarter Schiene geben, weil es keinen bewilligten Plan B gibt.“ Zitat Ende. Nein, Herr Ohnewald, und Nein, Stuttgarter Zeitung! Ein intelligenter Kopfbahnhof ist die Zukunft. Die Alternative liegt vor. Die Alternative:
Es ist unentschuldbar, dass die Alternative K21 nicht aufgegriffen wurde. Angesichts der Dimension des Megaprojektes und der offenen Fragen ist es sträflich, diese Alternative nicht ernsthaft zu prüfen.

Ich bin überzeugt:
Das Konzept des Stuttgarter Kopfbahnhofs hat einen unschlagbaren Vorteil und Stuttgart21 hat den entscheidenden Nachteil, nämlich beim Integrierten Taktfahrplan ITF. Jedem geht ein Licht auf, wenn er sich den Film darüber ansieht auf der Internetseite Kopfbahnhof-21. Es ist einfach toll, wie am Stuttgarter Hauptbahnhof die Züge aus ganz Baden-Württemberg hinein und heraus fahren, über- und untereinander und dann Anschluss haben über 16 Gleise hinweg – und das im Halbstundentakt. (www.kopfbahnhof-21.de / Ja zum Kopfbahnhof )
Das dreistöckige Tunnelgebirge mit kreuzungsfreiem Zulauf auf 16 Gleise ist eine Meisterleistung der Bahningenieure, rund 100 Jahre alt, heute unter Denkmalschutz und die Voraussetzung für einen integrierten Taktfahrplan im Regionalbahnknoten Stuttgart. Mit dem Durchgangsbahnhof S21 ist dies nicht möglich. Das heißt für mich: Selbst wenn der Bahnhof und der halbe Schlossgarten abgerissen wären: Solange dieses Gleisvorfeld steht, ist das Verkehrsprojekt umkehrbar!

Eine andere wesentliche Kritik an S21.
Neue EU Richtlinien – seit 2009 auch deutsches Gesetz – verlangen Verbesserungen an Bahnhöfen für Menschen mit eingeschränkter Mobilität, für Alte und Behinderte. Dies ist eine zwingende Vorschrift.
Im Gegensatz dazu bringt der Tiefbahnhof S21 Verschlechterungen und damit eine entscheidende gesetzeswidrige Benachteiligung dieser Menschen. Zur Überwindung der verschiedenen Ebenen brauchen Viele von denen zusätzlich fremde Hilfe und mehr Zeit. Allein durch die Engpässe an Aufzügen sind dadurch viele Anschlüsse gefährdet.

„Es gibt wichtigeres im Leben, als ständig dessen Geschwindigkeit zu erhöhen.“ (Mahatma Gandhi.)
Ja, ich will besser reisen, nicht nur schneller fahren.

Die Alternativlosigkeit von S21 zeigt sich auch am Bürgerentscheid, wenn er kommt.
Die Fragestellung: „Stuttgart 21 – Ja oder Nein“ ist eine k-o-Frage, keine weiterführende Alternative.
Die Frage muss lauten: „Stuttgart21 oder Kopfbahnhof21?“ Beide Projekte müssen landesweit publiziert werden. Die einseitige Werbekampagne der Landesregierung für S21 muss vor dem Bürgerentscheid gestoppt werden.

Was ich will:
Ja, ich will mich nicht wie ein Maulwurf aus der Stadt schleichen. Ich will oben bleiben, wenn ich abreise. Ich will ankommen in der Stadt – bei den Hügeln und beim Grünen U. Ich will sehen, ob ich die Sonnenbrille oder den Regenschirm brauche für den Heimweg.

Ich will, dass Kritik am Verkehrskonzept nicht mit Werbung für die Ökologische Stadt übergangen wird. Die Architektur der Bibliothek21 – im Volksmund „Stammheim2“ oder „Urnenwand“ zeigt, was uns erwartet: Naturferner, phantasieloser und trostloser geht es kaum. Stuttgart zwischen Wald und Reben – das war wohl einmal.

Diese sogenannte Stadtentwicklung war von Anfang die Idee, die zur Parole führte: Bahnhof unter die Erde – Augen zu und durch! Jede Frage und jede Kritik stößt deshalb auf taube Ohren.

Ich hätte nicht gedacht, das ich nach der Anti-Atomkampagne, nach Mutlangen und nach der Menschenkette Stuttgart – Ulm mich noch einmal gezwungen sehe, auf die Straße zu gehen. Ich will, dass man die Kritik der Fachleute ernst nimmt und sich damit auseinandersetzt. Schluss mit Parolen. Experten endlich an einen Tisch!

Über das Wochenende hat sich etwas getan. Oberbürgermeister Schuster reicht die Hand und bittet um ein Gespräch. Bahnchef Grube bittet zu einem offenen Gespräch – und zwar im Namen aller Gesprächspartner. Dazu gehört meines Wissens auch die Landesregierung. Aber Ministerpräsident Mappus macht Wahlkampf und ergreift den Fehdehandschuh. Doch: Es bröckelt in der CDU: Die ersten öffentlichen Forderungen nach Baustopp von CDU-Mitgliedern wurden laut.

Das Erstaunlichste ist die Kehrtwendung von Bahnchef Grube, wenn er sagt: Die Wahrheit muss endlich auf den Tisch. Damit bestätigen Sie uns, Herr Grube: Die Wahrheit ist bisher nicht auf dem Tisch. Damit erkennen Sie endlich, warum wir protestieren.

Lasst uns den Stresstest mit diesen Gesprächsangeboten machen.

„Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist.“
Als Protestant lernte ich dies von dem Theologen Dietrich Bonhoeffer, auch als politische Konsequenz.
Deshalb sage ich:
Kirche muss sich einmischen,
– wenn wir bei Stuttgart21 mit Parolen und mit Propaganda abgespeist werden,
– wenn nur Halbwahrheiten auf den Tisch kommen und vieles gar nicht,
– wenn der Frieden in der Stadt auf dem Spiel steht,
– wenn mit dem Totschlagsargument der Unumkehrbarkeit jeder Dialog getötet wird.

Bei veränderten Voraussetzungen werden viele politische Entscheidungen überprüft und korrigiert, wie der Atomausstieg und in Stuttgart die Cross-boarder-Leasing-Geschäfte.

Die Bischöfe der evangelischen und der katholischen Kirche haben am 6. September eine Erklärung abgegeben. Sie äußern große Sorge über den Riss in der Bürgerschaft, sie sehen die Menschenwürde bedroht durch die Art des Umgangs von Gegnern und Befürwortern miteinander und nehmen Partei für eine Art der Auseinandersetzung, die dem sozialen Frieden dient. Sie respektieren die Gründe der Protestierenden, aber ohne einseitig Partei zu ergreifen.

Der Stadtdekan und viele Pfarrerinnen und Pfarrer der Evangelischen Kirche in Stuttgart haben am 15. September gefordert, eine solche Gesprächskultur wieder herzustellen, die die Würde von Andersdenkenden wahrt.

Beide Erklärungen klammern den Grund der Auseinandersetzungen aus. Die Bischöfe respektieren den Grund der Protestierenden, benennen ihn aber nicht und ziehen auch keine Konsequenz.

Ich frage meine Kirche, warum sie sich nur allgemein um den Stil der Auseinandersetzung sorgt, warum sie sich nicht getraut, auch die Gründe des Konflikts konkret beim Namen zu nennen, nämlich die Risiken des Projekts, die daraus entstandenen Ängste und den fehlenden echten Dialog. Warum fehlt in den Erklärungen der Kirche der Satz: Die Wahrheit muss endlich auf den Tisch!

Diese Partei zu ergreifen, in den Riss zu treten, ist Sache der Kirche

Ich frage meine Kirche, warum sie nicht unmissverständlich sagt, dass ein Dialog am runden Tisch nur ein unwürdiges Scheinangebot ist, wenn gleichzeitig Abrissbagger und Baumsägen vollendete Tatsachen schaffen. Es dient nicht dem Frieden in der Stadt und in der Gesellschaft, wenn die Kirche ihre Zurückhaltung zu spät überwindet. Wenn Bahnchef Grube ernst meint, dass die Wahrheit auf den Tisch muss, dann sagte er mehr, als die Kirche bisher sagte.

Das erste Plakat am Bauzaun lautete: Hört auf euer Gewissen. Stuttgart21 droht, der größte Irrtum in der Stuttgarter Geschichte zu werden. Neue Wege suchen ist nicht ehrenrührig. Darum: Kehret um!

Wer umkehrt, zeigt Einsicht und hört auf sein Herz. Nicht auf das neue Herz Europas. Sondern auf unser mutiges Herz. Dazu einige Gedanken des evangelischen Theologen Fulbert Steffensky *)

Das mutige Herz
Zwischen Ohnmacht und Mut!
Die Ohnmacht hat die besseren Argumente.
Zum Mut und zur Hoffnung braucht es die größere Liebe.
Das gebildete Herz schweigt nicht, wenn es sieht, wie die Welt verwüstet wird.
Hoffnung ist eine Qualität des Handelns und des Herzens.
Soweit Steffensky.

Dem Mut des Herzens füge ich hinzu: Die Stille. Mit dem Schwabenstreich dichtete Ludwig Uhland eine martialische, gewaltsame schwäbische Kunde. Unser Schwabenstreich ist laut, aber gewaltfrei. Er bringt uns in Aktion.

Aber wir brauchen auch die Stille, die Konzentration. Denn in der Stille liegt die Kraft. Kraft für das mutige Herz. – Deshalb bitte ich Sie jetzt um 1 Minute der Stille, der Konzentration und der Besinnung auf unser mutiges Herz, für unseren friedlichen Protest, für kreative Ideen, ohne Gewalt – und dass wir die Würde aller Beteiligten achten.

(Stille)

Oben bleiben!

*) Publik-Forum 15/2010, Seite 52-53

Fritz Röhm, Ehrenvorsitzender der Offenen Kirche,
Evangelische kirchenpolitische Gruppierung in Württemberg,
auf der Montagsdemo am 20.09.2010

„Erneuert euch in eurem Geist und Sinn“ – Predigt von Karl Martell

Schriftlesung:                 1. Mose 11, 1 – 9
Predigttext:             Epheser 4, 22 -32

Liebe Gottesdienst-Gemeinde,

in den letzten Monaten und Wochen wurde von manchen sehr häufig und sehr auftrumpfend von Unumkehrbarkeit geredet. Insbesondere solche bedienten sich dieser Sprachregelung gebetsmühlenartig, die ein Amt innehaben mit hoher Verantwortung für unser Gemeinwesen, für gelingendes Zusammenleben. Und mit provokativer Zerstörung sowie mit brachialer Gewalt haben diejenigen gleichsam sinnlich erfahrbar gemacht, dass unumkehrbar ist, was sie für unumkehrbar erklären: Wir definieren Unumkehrbarkeit.

Als wenn in menschlichen Verhältnissen nicht alles umkehrbar wäre! Die Möglichkeit zur Umkehr gehört geradezu grundlegend zu unserem Menschsein. Gäbe es diese Option nicht, wir gingen wahrlich – mit Fahrzeitverkürzung, ohne umzusteigen – zum Teufel.

Einen von vielen, einen sehr eindrücklichen Beleg für die Möglichkeit zur Umkehr bietet der biblische Text für den heutigen Sonntag. Im 4. Kap. des Epheserbriefes schreibt der Apostel Paulus:

22 Legt von euch ab den alten Menschen mit seinem früheren Wandel, der sich durch trügerische Begierden zugrunde richtet.
23 Erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn
24 und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.
25 Darum legt die Lüge ab und redet die Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten, weil wir untereinander Glieder sind.
26 Zürnt ihr, so sündigt nicht; lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen
27 und gebt nicht Raum dem Teufel.
28 Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr, sondern arbeite und schaffe mit eigenen Händen das nötige Gut, damit er dem Bedürftigen abgeben kann.
29 Lasst kein faules Geschwätz aus eurem Mund gehen, sondern redet, was gut ist, was erbaut und was notwendig ist, damit es Segen bringe denen, die es hören.
30 Und betrübt nicht den Heiligen Geist Gottes, mit dem ihr versiegelt seid für den Tag der Erlösung.
31 Alle Bitterkeit und Grimm und Zorn und Geschrei und Lästerung seien fern von euch samt aller Bosheit.
32 Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.

Vielleicht hat jetzt der eine oder die andere geseufzt und sich still gefragt:
Herr, bin ich’s? Ein ganzer Katalog von Übeltaten, die da aufgelistet werden. Noch einmal die Stichworte: Lüge, Zorn, Diebstahl, Geschwätz, Bitterkeit, Grimm, Geschrei, Lästerung, Bosheit. Durch das alles, sagt Paulus bildhaft, wird „der Heilige Geist Gottes betrübt“. Da bleibt einem fast der Atem weg:
Herr, bin ich’s?

Es gibt eine unselige Tradition in einem gewissen kirchlichen Milieu, in dem genau darauf abgehoben wird: Den einzelnen runter zu drücken, ihm Schuld aufzuladen und ihn so gefügig zu machen. – Gewiss, nach der Prozedur ist dann auch noch von Vergebung, von Gnade die Rede. Aber es bleiben Spuren, Abhängigkeiten, letztlich Unfreiheit.

Geht es Paulus darum? Nein – er will solche Mechanismen nicht verstärken,
so wortreich er auch die Untaten, das Ungute beim Namen nennt. Anscheinend war ein solches Gegensteuern nötig im Blick auf die Gemeinde von Ephesus,
an die sich sein Brief richtet. Wohlgemerkt an die Gemeinde! Das Untaten-Register zielt in seiner Fülle also nicht auf jeden einzelnen. Schon mal eine gewisse Entlastung!

Aber das ist nicht die Hauptsache. Das Entscheidende liegt noch woanders. Paulus nennt Alternativen:

Mit der Wahrheit geht’s besser. Macht euch unabhängig durch redliche Arbeit. Gebt den Bedürftigen etwas ab. Redet Gutes; das bringt Segen. Freundlichkeit, Herzlichkeit und Vergebung machen den Umgang miteinander leichter. Im Grunde Hinweise, mit denen nur gute Erfahrungen zu machen sind. Die Leben erleichtern, in Achtung vor sich selber und durch Wertschätzung gegenüber dem anderen.

Nun werden vielleicht manche mit Schillers Wilhelm Tell denken: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“ Oder: Was mache ich, wenn ich auf Lüge und Bosheit verzichte, aber von anderen genau das erfahre? Wenn ich mich nicht unrechtmäßig bereichere,
aber doch mit ansehen muss, wie Geld und Gier Leben beschädigen, Existenzen vernichten, ja ganze Volkswirtschaften ins Wanken bringen. Wie sich öffentliche Haushalte – parlamentarisch legitimiert – verschulden, überschulden … und dennoch kalt lächelnd Großprojekte in Angriff nehmen, deren Nutzen im Vergleich zu den Kosten zumindest fragwürdig ist. Wenn ich mich bemühe, mit der Schöpfung behutsam, respektvoll umzugehen, und erleben muss, wie Eingriffe in die Natur vorgenommen werden, damit – angeblich – wirtschaftliches Wachstum gewährleistet ist? Im übertragenen Sinn: Wenn mir sehr deutlich vor Augen geführt wird, dass Mülltrennung allein nicht reicht?
Wie verhalte ich mich, wie entscheide ich mich bei wirklich schwerwiegenden Konflikten?

Es hängt an dem Bild, das ich von mir und meinen Mitmenschen habe.
Es kommt auf das Menschenbild an.

Wer meint, die Menschen sind halt so, also muss ich sehen, wie ich für mich den größtmöglichen Vorteil herausholen kann, wird mit den Wölfen heulen. Wer die Welt und die Mitmenschen (vielleicht bis auf wenige aus dem eigenen Umfeld) für grundsätzlich schlecht hält, wird sich abwenden und in seinem Biotop ausharren. Wer gewohnt ist, bei den Stärkeren, den zahlenmäßig Größeren mitzulaufen, vielleicht auch weil’s bequem ist, wird immer dort applaudieren. Egal, was geschieht.

Paulus weist eine andere Blickrichtung. Er traut Menschen zu, dass sie „sich erneuern in Geist und Sinn“ (V.23). Er hält sie für fähig zum Umdenken.

Er sagt das in dem Bildwort vom „alten“ Menschen, der in einer früheren, falschen Denkungsart befangen ist, und vom „neuen“ Menschen, der sich zu „Gerechtigkeit und Heiligkeit geschaffen“ weiß. Und der darauf vertraut, dass ihm Erlösung zuteil wird. Der also weiß, woher er kommt und wohin er gehen wird.

Das ist ein anderes Menschenbild. Nicht statisch, einfach: Es ist, wie es ist. Sondern: Du hast Zukunft, in der neues, gewandeltes Leben möglich ist.
Nicht mit den Wölfen heulen, vielmehr: Sein Leben verantwortlich in die Hand nehmen und gestalten. Nicht nachplappern, was die vielen reden oder die das Sagen haben, sondern kritisch hinhören und hinschauen.

Dann tut sich was. Du kannst dich entwickeln, du kannst die dir gegebene Freiheit wahrnehmen. Im ganz wörtlichen Sinn: wahr, als deine Option,
deine Möglichkeit nehmen.

Nun allerdings nicht, weil du dich entscheidest, ab morgen ein anständiger Mensch zu werden. Solche Wandlungen von heute auf morgen sind fragwürdig und wenig glaubhaft. Sie brauchen meist länger, wenn auch nicht unbedingt
15 Jahre. Vor allem aber: Sie brauchen Besinnung und Orientierung.

Besinnung: Was war bisher? Ist das gut gewesen? Haben sich neue Gesichtspunkte ergeben? Habe ich ein neues Ziel vor Augen? Und Orientierung: Welche Maßstäbe und Werte sind mir wirklich wichtig? Gerechtigkeit? Heiligkeit? Erlösung? Die nennt Paulus. Und er fügt hinzu:
Die habt ihr von Gott in Christus. Zieht sie an wie ein neues Gewand.

Nun sind das sehr hohe und hehre Maßstäbe und Werte. Sie werden unterschiedlich verstanden und sehr verschieden gefüllt. Manchmal wird mir ganz schlecht, wenn ich bestimmte Großsprecher mit solchen Worten tönen höre. Man hört die falschen Töne. Auch wenn einer auf einmal von der „ausgestreckten Hand“ spricht, aber tatsächlich seine Faust präsentiert. Es sind also nicht die großen Töne, sondern es ist die Stimmigkeit von Worten und Taten, von Reden und Tun.  Und da ist es gut, wenn wir Christen uns an dem orientieren, dem wir unseren Namen verdanken: Jesus Christus. An ihm, immer wieder an ihm! Nicht an einem Etikett, auf dem nur sein Name steht!

Mich hat sehr berührt, was der frisch benannte chinesische Friedens-nobelpreisträger in einem Interview gesagt hat, als er von den Machthabern seines Landes noch nicht kriminalisiert wurde. Er sagte: „In Würde zu leben,
das heißt für mich, ein ehrlicher Mensch zu sein.“ Er meinte damit: Die herrschenden Verhältnisse in seinem Land offen und ehrlich beim Namen zu nennen. So sehr mich das schlichte Wort des chinesischen Nobelpreisträgers beeindruckt hat, so sehr befremdet hat mich ein Unternehmer aus unserem Land, der Tunnelbaumaschinen vertreibt. Er zitierte einen chinesischen Geschäftspartner, Deutschland sei ein „lebendes Museum“. Und plädierte damit für einen angeblich dringend notwendigen wirtschaftlich-technologischen Fortschritt in unserem Land, u.a. durch Tunnelbauten.

Und schließlich noch eine Episode, in der einer – auch ein Chinese – einen Hinweis gibt, wie Menschen mit ihrer Zeit umgehen. Zeit, die ja erforderlich ist zu Besinnung, zum Umdenken.

Ein chinesischer Gelehrter kam nach Berlin. Sein deutscher Kollege erwartete ihn auf dem Bahnsteig. Von dort gingen sie zum Bahnhofsvorplatz. Als sie aus der Halle traten, stand der Bus schon an der Haltestelle gegenüber. Er musste jeden Augenblick abfahren. Da ergriff der deutsche Professor die Hand des Chinesen: „Kommen Sie! Kommen Sie!“ rief er ihm zu. Die beiden hasteten über den Platz und erreichten gerade noch den Bus. Kaum waren sie drinnen, setzte er sich in Bewegung. Aufatmend schaute der Deutsche auf die Uhr. „Gott sei Dank“, sagte er, „jetzt haben wir zehn Minuten gewonnen.“ Der Chinese aber schaute ihn fragend an und meinte lächelnd: „Und was machen wir mit den zehn Minuten?“

Drei Gewährsleute aus einem fernen, wirtschaftlich aufstrebenden Land. Drei Denkungsarten, drei Haltungen zu der Frage, was dem Leben dienlich ist. Welche davon der Vorstellung des Apostels Paulus entspricht oder nahe kommt, möge jeder und jede für sich entscheiden.

Dienlich ist unserem Leben jedenfalls zu wissen, dass nichts unumkehrbar ist, was offensichtlich verkehrt, falsch, schädlich ist. Das hat der Apostel Paulus auf nicht überbietbare Weise dargelegt. Letztlich in dem Vertrauen darauf:
Nur einer kehrt nicht um. Er hat sich für uns Menschen, für das Leben zu uns gekehrt in Jesus Christus.
Unserem Gott sei Ehre, jetzt und in Ewigkeit.

Amen.

Karl Martell, Pfarrer i.R., am 19. Sonntag nach Trinitatis – 10. Okt.2010

„Suchet der Stadt Bestes“ – Jeremia 29,7