Wolfgang Grethen referierte am 4. Februar 2011 auf Einladung von Pfarrer Harr beim Männerkreis im evangelischen Gemeindehaus Großingersheim zum Thema Stuttgart 21.
Grethen, früher selbst Fahrdienstleiter in Stuttgart und langjähriger Mitarbeiter in der Bahnzentrale, hält einen grundlegend neuen Bahnhof in Stuttgart für nicht notwendig – ja für zukunftsfeindlich, weil gut funktionierende Infrastruktur zerstört und Optionen für die Zukunft zunichte gemacht würden. Der Bahnhof sei seinen heutigen Aufgaben in vollem Umfange gewachsen und verfüge sogar noch über freie Kapazitäten. Dies sei gegenüber früher auch auf eine erleichterte Betriebsabwicklung ohne Kurswagen und auf nur noch wenige Lokwechsel zurückzuführen. Leider sei der Hauptbahnhof mit Blick auf Stuttgart 21 baulich vernachlässigt worden und biete derzeit keinen schönen Anblick.
Zu S21 führte Grethen weiter aus, dass die geplante Infrastruktur für den künftigen Fahrplan voller Risiken sei, Pufferzeiten fehlen würden und der Bahnknoten Stuttgart zu einem Nadelöhr würde. Es würden nicht nur Folgeverspätungen in der Region sondern im gesamten Fernverkehrsnetz entstehen. Bei Störungen im S-Bahn-Tunnel könne nicht mehr auf andere Gleise ausgewichen werden, ein Notfallkonzept existiere nicht und sei auch nicht fahrbar. Dies habe die „Schlichtung“ vor kurzem verdeutlicht. Beispielhaft für das Nadelöhr Stuttgart sei die künftig unterdimensionierte Anbindung aus Richtung Norden. Schon heute müssten in der morgendlichen Spitzenstunde von Zuffenhausen nach Stuttgart 13 Züge gefahren werden. Die Fahrzeit auf dieser Strecke solle um 3 Min. gekürzt werden, Verspätungen könnten durch die kurzen Haltezeiten im Tiefbahnhof nicht mehr aufgeholt werden. Die von Schlichter Geißler ins Spiel gebrachten Nachbesserungen zu S21 seien nur von punktueller Wirkung, die systembedingten Nachteile gegenüber einem ertüchtigten Kopfbahnhof würden trotz zusätzlicher Kosten von über 500 Mio Euro damit nicht ausgeräumt.
Der entscheidende Faktor für einen funktionsfähigen Knoten Stuttgart sei jedoch die Verknüpfung von 10 Linien untereinander sowie mit dem Fernverkehr. Hierfür reichten die vorgesehenen 8 Gleise des Tiefbahnhofs nicht aus. Im Gegensatz dazu könnte der bestehende Bahnhof zu weitaus geringeren Kosten umgebaut und die Kapazität durch zusätzliche Gleise nach Cannstatt und Zuffenhausen nochmals entscheidend erhöht werden. Dies bedeute eine hohe Fahrplanstabilität und Flexibilität in der Betriebsführung. Auch die Möglichkeit der Anbindung einer Neubaustrecke nach Ulm und eine bessere Anbindung des Flughafens bliebe bestehen. Kurzfristig sei auch eine Expreß-S-Bahn im 30-Min-Takt über die Gäubahn realisierbar.
Für Experimente sei der Kopfbahnhof zu wertvoll , der Ruhm – die größte Baustelle Europas zu werden – nicht erstrebenswert.