Ja, Christen dürfen wählen, was sie wollen, denn sie sind freie Menschen und „niemandes Knecht“ (Luther). Aber welche Partei sie auch wählen, sie fragen natürlich, ob die Politik dieser Partei den Grundsätzen ihres Glaubens nahe kommt.
Eine „christliche“ Partei gibt es nicht. Alle demokratischen Parteien hierzulande haben Elemente christlicher Ethik in ihrer Politik, und in allen demokratischen Parteien hierzulande gibt es Christen (vermutlich sogar den jeweils gleichen Prozentsatz). Wenn sich allerdings eine Partei selbst „christlich“ nennt, dann sehen wir als Christen natürlich besonders genau hin.
Hier ist nicht Raum für eine vollständige Analyse der Politik der CDU, auch nicht für die Berücksichtigung verschiedener Strömungen. Ich beschränke mich auf die fünf augenfälligsten Punkte, an denen die vorherrschende Politik dieser Partei für Christen nicht akzeptabel ist. Dabei hoffe ich, dass ich eine Diskussion anstoße, die über die hier nur thesenhaft mögliche Darstellung hinaus führt.
- Die CDU vertritt die Ideologie des unbegrenzten Wachstums.
Das ist für Christen Götzenglaube. Christen wissen um die Begrenztheit der Schöpfung. Sie fordern deshalb eine Politik, die nicht die begrenzten Ressourcen so weit als möglich ausbeutet, sondern eine Politik, die diese Ressourcen so weit als möglich schont.
Dazu ist eine Begrenzung des Wachstums erforderlich. Und dazu ist eine hoch entwickelte Technologie erforderlich, die nicht im Dienst der Profitmaximierung steht, sondern im Dienst des Menschen und einer bestmöglichen Pflege der Schöpfung. - Die CDU vertritt die Ideologie des freien Marktes, der angeblich die Interessen in der Welt gerecht ausgleicht.
Auch das ist Götzenglaube. Christen wissen, dass der freie Markt zum Sieg der Stärkeren über die Schwächeren führt. Sie glauben, dass wir Menschen (als „Stellvertreter Gottes“) in die Welt eingreifen sollen, um sie vor dem freien Spiel der Kräfte zu bewahren und Gottes Willen in sie hinein zu tragen. Deshalb fordern sie eine Politik, die nicht möglichst wenig eingreift ins Wirtschaftsgeschehen, sondern das Wirtschaftsgeschehen als den Ort versteht, in dem die entscheidenden Weichen für Wohl und Wehe der ganzen Welt gestellt werden – oder eben nicht. - Die CDU hat kein Bewusstsein von der zerstörerischen Macht des Geldes.
Auch vor dem Mammon müssen Christen warnen. Christen wissen, wie zerstörerisch Reichtum auf den Menschen wirkt (indem er Maßstäbe und Wichtigkeiten verzerrt und Leben zerstört), und fordern deshalb, dass Reichtum begrenzt und konsequent in den Dienst der Schwachen gestellt wird. - Die CDU ist geprägt von einer bis zur Ununterscheidbarkeit reichenden personellen Verquickung mit den Starken der Wirtschaft (was sie als ihre „Wirtschaftskompetenz“ ausgibt).
Das macht Christen skeptisch. Christen sind parteiisch für die Schwachen und nehmen deshalb die Starken in die gesellschaftliche Pflicht. Dieser Aufgabe kann eine Partei nicht nachkommen, die in wesentlichen Teilen selbst zu den Starken gehört. - Die CDU hat ein gestörtes Verhältnis zu den Bürgern; sie will ihre Politik nicht wirklich vom Willen der Wähler kontrollieren lassen.
Demokratie ist für Christen ein Projekt zur Kontrolle menschlicher Macht. Christen wissen um die Fehlbarkeit aller Menschen und fordern deshalb, dass auch politische Entscheidungen laufend von den Betroffenen überprüft werden können müssen – und gegebenenfalls korrigierbar sein müssen. Die CDU will solche Kontrolle begrenzen, weil sie befürchtet, dass Demokratie Investoren abschrecken könnte.
Es wird deutlich: Die CDU ist eine Partei, die Christen nach gründlichem Nachdenken über ihre eigenen Grundlagen aus grundsätzlichen Erwägungen nicht wählen können – nicht nur, weil sie Hauptbetreiberin des Projekts Stuttgart 21 ist.
Etliches hiervon ist auch anderen Parteien vorzuwerfen – aber die nennen sich wenigstens nicht „christlich“.
Martin Poguntke, 13.03.2011
Ich bin völlig mjt dem Beitrag von Herrn Poguntke einig! Ich finde das „C“ bei der Mehrheitspartei in Deutschland irreführend und überheblich.
Ich gehe noch einen Schritt weiter:
Da alle Politiker nur noch Marionetten der Großkonzerne und Banker sind und dies nicht öffentlich zugeben, kann ich aus Gewissensgründen nicht mehr zu einer Wahl gehen. Vor allem jetzt auch zur BW-Landtagswahl nicht, wo im Vorfeld die schlimme Katastrophe in Japan wahlpropaganistisch verwendet wird. Wo bleibt da der Respekt und das Mitgefühl für die not- und todleidenden Menschen?
Wer meine tieferen Gründe, auch theologische, näher erfahren möchte kannsich gerne mit mir inVerbindung setzen.
Schalom
Diecter Hemminger
Lieber Herr Hemminger,
so gut ich Ihre Verbitterung über korrupte Politiker verstehe, so falsch finde ich Ihre Entscheidung, deshalb gar nicht zu wählen.
Auch wenn bei der anstehenden Landtagswahl keine Partei zur Wahl steht, der man blind vertrauen könnte – es gibt Unterschiede. Konkret im Blick auf S21 gibt es den Unterschied, dass mit einem Teil der Parteien ein Weg zum Baustopp möglich ist und mit einem Teil nicht.
Ich finde, wir haben eine Verantwortung dafür, dass bestehende Möglichkeiten genutzt werden. (So wie wir die Verpflichtung haben, auch nach der Wahl so viel Druck zu machen, dass die von uns gewählten Parteien auch das tun, was sie angekündigt haben.)
Nicht zu wählen hieße, von vornherein auch die kleine sich bietende Möglichkeit auszuschließen. Ich glaube nicht, dass Sie das wirklich verantworten wollen.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihre Motivlage richtig verstehe. Aber mir scheint, Sie wollen Ihre Stimme nur „guten“, „anständigen“ Menschen geben. Lassen Sie mich dazu theologisch sagen: Wer schuldlos bleiben will (hier: an der Wahl nur halb guter Menschen), lädt Schuld auf sich (hier: die Schuld, nicht alles getan zu haben, um S21 zu verhindern).
Ich bitte Sie dringend, Ihre Haltung noch einmal zu überdenken. Wer, wenn nicht wir auf Vergebung vertrauenden Christen, wäre in der Lage, darauf zu verzichten, schuldlos bleiben zu wollen?
Freundlich grüßt Martin Poguntke
@Hemminger, @Poguntke
Mit solchem Geschwurbel von Schuld und Vergebung im Zusammenhang einer Wahlentscheidung wird der auf „Neutralität“ erpichten Haltung der Kirchenleitung Vorschub geleistet. Anscheinend hat sie nicht ganz zu Unrecht die Befürchtung geäußert, das Immobilien- und Bahnprojekt S21 werde in fragwürdiger Weise (pseudo-)theologisch aufgeladen.
Gegen S21 spricht vieles; das wird auf diesem Blog ausführlich dargelegt. Aber noch mehr spricht dagegen, eine Wahlentscheidung, und sei es die der Enthaltung, mit dem Verdikt „Schuld“ zu belegen.
Was hülfe es dem Menschen, wenn er die Wahl gewönne und nähme doch Schaden an seinem Gewissen? (vgl. Mt.16,26)
Dass „die schlimme Katastrophe in Japan wahlpropaganistisch verwendet wird“, kann ich nicht erkennen. Gewiss bedauerlich, wenn manchen Menschen erst angesichts einer solchen Katastrophe die Augen aufgehen. Kann man das denen ankreiden, die die Gefahren rechtzeitig erkannt und daraus politisch Konsequenzen gezogen haben?
Wohlgemerkt: vor der Katastrophe!
Lieber Herr Hemminger,
ich halte es, wie Martin Poguntke, für problematisch, nicht zur Wahl zu gehen. Allerdings würde ich hier nicht mit so schweren Worten wie Schuld und Vergebung argumentieren.
Ich verstehe Sie so, dass Sie nicht kooperieren wollen mit einer Politik, die sehr offensichtlich und weitgehend verbandelt ist mit den Interessen der Wirtschaft und der Banken. Das ist nachvollziehbar und sympathisch.
Ein Trugschluss aber ist es – und da bin ich mir sehr sicher – dass Sie diese Nichtkooperation durch Nichtwählen erreichen könnten. In Wirklichkeit ist das Gegenteil der Fall. Das Fatale am Nichtwählen ist nämlich, dass es im Zweifelsfall, ähnlich wie (vermeintliche) Neutralität, den herrschenden Status Quo, die bestehenden Verhältnisse stützt – und das ist doch eigentlich das Allerletzte, was wir hier in BaWue wollen. Ich bitte Sie deshalb auch noch mal dringend, Ihre Haltung zu überdenken, und, wenn Sie es irgendwie mit ihrem Gewissen vereinbaren können, am Sonntag Ihre Stimme zu geben – auch wenn es nur das kleinere Übel ist, das Sie wählen.
Herzliche Grüße
Guntrun Müller-Enßlin