Ansprache zum Parkgebet an Himmelfahrt 2017 von Pfr. i.R. Wolfgang Schiegg

Hier: die Ansprache als pdf-Datei

Liebe Parkgemeinde, liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter!

Heute findet das Parkgebet nicht an einem normalen Donnerstag statt. Heute ist zugleich Feiertag. Christi Himmelfahrt. Der biblische Hintergrund des Festes ist schnell erzählt: Jesus ist mit seinen Jüngern auf dem Ölberg nahe Jerusalem. Er sagt ihnen den Empfang des heiligen Geistes zu, bestätigt sie als seine Zeugen, wo immer sie leben und – entschwindet vor ihren Augen in einer Wolke zum Himmel. Diese Geschichte markiert das Ende seines diesseitigen, irdischen Lebens.

Mit der Himmelfahrt ist Jesus in eine neue Daseinsweise eingetreten. Die Himmelfahrt erscheint so als seine Thronbesteigung. Er hat nun die Herrschaft über Himmel und Erde übernommen.

Und die Bedeutung von Himmelfahrt für uns?

Christi Himmelfahrt richtet an uns die Frage, wem wir Christen heute die Herrschaft in unserem Leben einräumen wollen, wen und was wir heute für unser Leben als maßgeblich anerkennen wollen und wie Jesus heute für uns zur Autorität werden kann.

 Wer regiert die Welt? Die große ganze und unsere kleine persönliche Welt? Wer hält die Macht in Händen?
Das ist die Kardinalfrage an Himmelfahrt.

 Vor einigen Jahren erschien ein Buch des Journalisten Christian Nürnberger, das dieser Frage nachgeht und viel Beachtung fand. Es trägt den Titel „Machtwirtschaft“. Schon beim Hören des Begriffs erkennt man das Wortspiel: Marktwirtschaft / Machtwirtschaft.

Die Grundbotschaft des Buches lautet, dass es gar nicht so sehr darauf ankommt, wer in den einzelnen Ländern an der Regierung sei, weil die eigentliche Macht längst nicht mehr bei der Politik liegt, sondern in der Wirtschaft. Nicht die Politikerinnen und Politiker regierten unser Land, sondern Unternehmer, Manager und vor allem Großaktionäre. Investoren und Aufsichtsräte dirigierten uns alle, einschließlich unserer Politiker. Das haben auch wir in den letzten Jahren beim Milliardenprojekt S 21 schmerzlich feststellen müssen. Die „Shareholder“, also die Anteilseigner großer Konzerne, und da die oft anonymen Großaktionäre, die niemand namentlich kennt, seien die geheimen Machthaber dieser Welt, nach denen sich alles zu richten habe. Sie seien es auch, die die Politik bestimmten.

 Wer regiert diese Welt?

Dies ist eine politische Frage und zugleich ein Glaubensthema.
Schon allein deshalb, weil diejenigen, die mit ihrer Wirtschaftsmacht die Welt regieren, auf ihre eigene Weise gläubige Menschen sind. Allerdings glauben sie nicht an Gott, sondern an den Markt, an den freien Markt, dem man möglichst freien Lauf lassen müsse. Sie sagen: Würden alle gesetzlichen Einschränkungen aus dem Weg geräumt oder vermieden – etwa ein gesetzlich festgelegter Mindestlohn, eine höhere Besteuerung von Vermögenden und Unternehmen und eine steuerliche Entlastung der mittleren und niederen Einkommen (im Grunde alles, was eine Marktwirtschaft zur sozialen Marktwirtschaft macht), dann und nur dann werde die Wirtschaft weiter wachsen und unseren Wohlstand sichern, weil die Tüchtigen belohnt würden und davon würden dann auch die weniger Tüchtigen und die sozial Schwachen profitieren. So etwa lautet zusammen gefasst das Glaubensbekenntnis der Marktgläubigen, der heute sog. Neoliberalen.

Was will der Autor mit seinem Buch? Er will seinen Lesern die Augen öffnen, sie aufrütteln und nachdenklich machen. Aufzeigen, dass unsere Demokratie in großer Gefahr ist, weil wir auf dem Weg von der Wertegemeinschaft zur Wertpapiergemeinschaft sind, in der nicht mehr das Volk bestimmt und der Souverän ist, sondern ein kleiner nicht mehr kontrollierbarer Zirkel von Personen und anonymen Mächten aus der großen globalen Wirtschaft.

Wer regiert die Welt? Das große Geld der Konzerne oder Gott?

Dieser politischen Frage dürfen wir als Christen und als Kirche nicht ausweichen. Leider habe ich seit längerem den Eindruck, dass unsere Kirche dieser Frage nicht nur ausweicht, sondern dass sie sich ganz im Gegenteil dieser Welt gleichstellt.

Ich zitiere hierzu den Autor von „Machtwirtschaft“, Christian Nürnberger, der in einem Vortrag vor einigen Jahren ziemlich resigniert sagte:
„Ich habe mal eine Zeitlang gedacht, dieser globalen Macht der Konzerne müsste sich eigentlich mit aller Macht eine andere globale Macht entgegenstellen. Ich dachte an die Kirche. Da habe ich lernen müssen, die Kirche hat sich inzwischen selbst dieser globalen Macht unterworfen und vor ihr kapituliert. Aus Angst um ihr Überleben hat sie Leute von Mc Kinsey in ihre Vorstandsetage geholt und sich beraten lassen, wie man das Unternehmen Kirche auf dem Markt der Weltanschauungen und Religionen installiert und seine Mitglieder als Kunden betrachtet und wie man die Botschaft vom Kreuz hübsch verpackt und als Wellnesspäckchen an die Konsumenten verkauft. Auf diese Macht ist also auch nicht mehr zu hoffen.“

 Wer regiert den Deutschen Evangelischen Kirchentag?

Wenn Christian Nürnberger vom „Unternehmen Kirche“, das seine Ware marktgerecht und effizient an den Kunden bringen möchte und von „Wellnesspäckchen“ spricht, kommt mir doch gleich der DEKT in den Sinn. Liegt ja auch nahe. Er hat gestern Abend in Berlin begonnen und steht im Zeichen von 500 Jahre Luther und Reformation. An beidem, am Kirchentag und am Reformationsjubiläum, lässt sich die „Unternehmenskultur“ der Kirche sehr schön erkennen.

Ich erinnere mich noch gut an den ersten Kirchentag, den ich besuchte. Das war 1969 in Stuttgart unter dem Motto: „Hungern nach Gerechtigkeit“. Es war ein streitbarer Kirchentag, bei dem gerungen wurde um den Glauben und seine glaubwürdige Umsetzung im persönlichen und gesellschaftlichen Alltag, nicht nur in der Arbeitsgruppe „Streit um Jesus“, in der die Glaubensgegensätze besonders heftig aufeinanderstießen, wie ich mich noch gut erinnere. Wahrhaft kein „Wellnesspäckchen“ zur Erbauung frommer Seelen. Dafür aber echte Herausforderung an jeden und jede: Wo stehe ich mit meinem Glauben? Wie steht es um meine Beziehung zur Kirche? Ist mein Glaube mehr und anderes als eine hübsche Verpackung um eine ansonsten ganz normale bürgerliche Existenz?

Die Zeiten, in denen es die ausgemachte Stärke des Kirchentags war, solche Entwicklungen in der Kirche, wie Christian Nürnberger sie andeutet zu brandmarken und mit aktivem Ungehorsam zu quittieren, sind leider längst vorbei. Einst war der Kirchentag als kirchliche Laienbewegung kritisches Gegenüber der Amtskirche und zugleich das, was Jesus in einem Gleichnis so treffend fasst: Sauerteig der Gesellschaft. „Das Reich Gottes ist wie ein Sauerteig, den eine Frau unter das Mehl mengte, bis es ganz durchsäuert war“. Wäre übrigens auch ein schönes Bild für unsere Protestbewegung gegen S 21 und für den Ausstieg aus diesem desaströsen Projekt, wie ich finde: Sauerteig, der so lange agiert und wirkt, bis er den Teig ganz durchsäuert hat.

Inzwischen ist der Kirchentag nach meiner Einschätzung zur von der Amtskirche gelenkten, gesteuerten und zu einem großen Teil aus staatlichen Mitteln finanzierten Selbstinszenierung und Selbstdarstellung der Kirche geworden. Das lässt sich ganz einfach an den Personen des Kirchentagspräsidiums, am Auswahlverfahren der Themen und Foren, der Besetzung der Podien und am Ausschluss von kirchenpolitisch und politisch unliebsamen christlichen Initiativen und Gruppen ablesen. Unter anderen bei den vergangenen Kirchentagen auch die „Christinnen und Christen gegen S21“.

An die Stelle der Vielfalt, die es zulässt und erträgt, wenn Konflikte, Ambivalenzen und Unterschiede offen zutage treten, ist allenfalls noch eine Form vermeintlicher Toleranz getreten, die Widerspruch, Streit, Dissonanzen entweder nicht zulässt oder überspielt.

Einst war der Widerspruchsgeist das Lebenselixier der Kirchentage, nicht um seiner selbst willen, sondern aus der Sorge, dass Kirche Kirche ist und bleibt: Nachfolgegemeinschaft ihres Herrn Jesus Christus, der selbst ein scharfer Kritiker seiner religiösen jüdischen Gemeinschaft und ihrer Eliten war. Gemeinschaft derer, die wie Jesus entschieden Partei ergreifen für die an den Rand der Gesellschaft Gedrängten.

Während Jesus als religiöser und politischer Unruhestifter und Rebell von den herrschenden Römern hingerichtet wurde, hat die Kirche es sehr schnell gelernt, sich mit der jeweiligen Macht zu arrangieren und schließlich selbst zur gesellschaftlichen Macht aufzusteigen.

Auf diese Kirche wäre wahrhaft nicht zu hoffen, wie Nürnberger sagt: Denn sie entfernt sich damit immer mehr von ihrem Herrn, der keine Weltanschauung oder Lehre verkündete oder gar verkaufte, sondern die Menschen zu einer von Liebe, Verständnis, Vergebung, Gerechtigkeit und Solidarität, insgesamt zu einer von Gott bestimmten Lebensweise einlud und diese selbst lebte. Ihm ging es gar nicht um Kirche, sondern um die Herrschaft des liebenden, solidarischen Gottes in unseren alltäglichen persönlichen und gesellschaftlichen Beziehungen.

Wer regiert die Welt?

Die Medien, ob Zeitungen, Rundfunk oder Fernsehen, lenken tagtäglich unsere Aufmerksamkeit auf die Zentren der politischen Macht, auf Berlin, Washington und Brüssel und auf die Zentren der wirtschaftlichen Macht, auf die Börsen in Frankfurt, London, New York und Tokio.

Jesus und seine Himmelfahrt lenken unseren Blick auf ein ganz anderes Oben. Bei Gott ist die Macht und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Dort wird regiert, dort ist das eigentliche Zentrum der Macht.

Vielleicht denken Sie nun:

Wenn selbst Jesus Opfer der Gewalt der Mächtigen seiner Zeit wurde, ist das nicht ein Zeichen dafür, dass seine Botschaft und sein Weg letztlich doch chancenlos sind gegen Macht, Gewalt, Gewissenlosigkeit und rücksichtslose Verfolgung der eigenen Interessen der Reichen und Einflussreichen?

Ist der Glaube an Gott, der den Unterdrückten Recht und den Hungernden Brot schafft, nicht nur eine schöne Illusion, ein Trost, eine Hoffnung, was an den harten Fakten dessen, was sich tagtäglich ereignet, gar nichts ändert?

Vielleicht wenden Sie in Gedanken auch ein:

Gott ist fern, aber die Mächtigen dieser Erde in Politik und Wirtschaft sind für uns täglich spürbar und beeinflussen unser Leben in jedem Augenblick. Täglich begegnen wir den Politikern und ihren Programmen in Zeitungen und im Fernsehen. Keine Nachrichtensendung vergeht ohne den Blick auf die Börse. Kein Monat vergeht ohne eine Prognose zum Wirtschaftswachstum, wenn die Wirtschaftsweisen ihre Einsichten wie eine Offenbarung verkünden.

Jeder hält den Atem an, wenn Firmen ihren Standort aufgeben und Arbeitslosigkeit droht.

Ganze Familien stehen von einem Tag zum anderen ohne das gewohnte Einkommen da, müssen irgendwann mit Hartz IV auskommen, was bedeutet, den Lebensstandard radikal herunter zu schrauben, die Miete oder seine Darlehenszinsen nicht mehr zahlen zu können. Oft kommen dann noch Krankheiten hinzu, weil der psychische Stress, der mit so einem Lebenseinbruch verbunden ist, nicht bewältigt werden kann.

Das ist die heutige Realität einer immer größer werdenden Anzahl von Menschen in unserem Land, einem der reichsten Länder der Erde.

Nimmt sich Gottes Macht nicht reichlich ärmlich und deplatziert aus in einer Welt mit solchen Machtstrukturen?

Wir fragen weiter: Wo ist Gottes Macht spürbar für die 2 Drittel der Menschen dieser Welt, die in Hunger und Elend leben müssen, weil das 3. Drittel die Macht hat, alle Mittel zum Leben für sich in Anspruch zu nehmen und zu verbrauchen?

Ich weiß auf diese Fragen keine Antwort.
Gott ist im Himmel und wir sind auf Erden – auch das die Erkenntnis des Himmelfahrtsfests. Der letzte Durchblick, die Antwort auf all unsere Fragen bleibt uns Menschen verwehrt, solange wir auf dieser Erde sind.
Gott ist im Himmel und wir sind auf Erden.
Das heißt aber auch: Die Macht Gottes ist unendlich, die Macht der Mächtigen dieser Erde in Politik und Wirtschaft ist wie alles Irdische, nämlich begrenzt.

Der frühere Bundespräsident Gustav Heinemann, an den sich die Älteren unter uns sicher erinnern werden, sagte auf einem der ersten Kirchentage nach dem Krieg: „Unsere Freiheit wurde durch den Tod des Sohnes Gottes teuer erkauft. Niemand kann uns in neue Fesseln schlagen, denn Gottes Sohn ist auferstanden. Lasst uns der Welt antworten, wenn sie uns furchtsam machen will: Eure Herren gehen – unser Herr aber kommt!“

Als Christen bauen wir auf die Verheißung, dass die Macht Gottes weiter reicht als der Arm der Mächtigen dieser Welt.

Wir haben Gottes Versprechen und Zusage, dass der, der in den Schwachen mächtig sein will, bei uns ist, gerade dann, wenn wir uns hilflos, ohnmächtig, deprimiert, voll Angst und ausgeliefert erleben.

Sein Wort gilt: In der Welt habt ihr Angst. Aber seid getrost: Ich habe die Welt überwunden.
Siehe, ich bin bei Euch alle Tage, bis an der Welt Ende.

Auf diese Verheißung können und sollen wir vertrauen, und darauf können wir aufbauen. Das macht uns stark. Das lässt uns nicht aufgeben und nicht nachlassen, wie Jesus zu glauben, zu hoffen und zu kämpfen – gegen alle Mächte des Bösen in uns und um uns herum.

Jesus selbst, seine Botschaft, sein Leben ist unser Maßstab und unser Gewissen. Das lässt uns nicht müde werden, die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft und auch in unserer Kirche ins Gebet zu nehmen, sie zu nerven mit unserem Widerspruch, wo sie ihre Macht nach unserer Überzeugung nicht zum Wohle der Allgemeinheit, besonders der Schwachen, einsetzen.

Wir tun das seit einigen Jahren im Blick auf das Großprojekt „Stuttgart 21“, das nach unserer festen Überzeugung Milliarden Euros verschlingen wird und dessen Nutznießer nicht die Allgemeinheit, sondern Banken, Baukonzerne, die Deutsche Bahn und Immobilienkonzerne sind. Die Allgemeinheit wird es allerdings zahlen müssen.

Unsere Steuern zahlen wir aber nicht, damit die Reichen noch reicher werden, und unsere Wirtschaft ist nicht für anonyme Mächte auf dem Finanz- und Immobilienmarkt da, sondern für das Wohl aller Menschen in diesem Land. Damit sie gut leben können, damit sie ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familien bestreiten können.

Unser Bekenntnis zur Macht Gottes schließt ein, dass wir Verantwortung übernehmen für ein mitmenschliches, gerechtes Zusammenleben.

Jeder an seinem Ort, jeder nach seinen Möglichkeiten, jeder mit seinen begrenzten Einsichten und Kräften.

Eben so und nur so kann Jesus selbst heute für uns wieder zur Autorität werden.
Amen.

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