Ein ganz herzliches Willkommen an Sie alle, liebe Gottesdienstbesucherinnen und Gottesdienstbesucher,
liebe Bewegte, die Sie von innerhalb und außerhalb dieser Stadt hierher gekommen sind, wo wir an einem der schönsten Plätze Stuttgarts diesen Gottesdienst feiern wollen.
Zu Anfang ein kurzer Spot rückwärts: Es war am 5. April 2010, am Ostermontag, hier an diesem Ort: Damals haben wir den ersten Gottesdienst im Schlossgarten gefeiert unter dem Motto „Sucht der Stadt Bestes“. Ich freue mich sehr, dass Sie heute, etwas mehr als ein Jahr später an diesem Sonntag zwischen Ostern und Pfingsten dabei sind, vielleicht zum ersten Mal, vielleicht sind Sie aber auch wieder dabei – und wenn es so ist, dass Sie wieder dabei sind, dann geht es Ihnen vielleicht so wie mir: Das Jahr, das seither vergangen ist, zieht an mir vorbei und angesichts der unglaublichen Geschichte, die sich in Stuttgart seither vollzogen hat, bin ich immer noch von den Socken und möchte dann und wann sagen: He, kneift mich mal, ich glaub, ich träum. Kein Stückeschreiber hätte besser erfinden, kein Regisseur besser in Szene setzen können, was da als atemberaubende Realität ihren Lauf genommen hat mit uns Bürgerinnen und Bürgern als Akteuren. Der Gottesdienst heute ist denn auch alles andere als ein Déjà Vue. Damals vor einem Jahr hatten wir in Analogie zum Proprium von Ostern, der Auferstehung, gerade begonnen, aufzustehen. Der Aufstand war noch jung, wir hatten uns gerade auf den Weg gemacht, das Beste für unsere Stadt zu suchen, wir hatten zu träumen begonnen und gewagt unseren Träumen zu folgen, wir hatten appelliert an die Stadtoberen, unseren Argumenten zuzuhören. Mir kommt das heute fast vor wie in einem anderen Leben. Denn was klein anfing, hat sich zu einer mächtigen Bewegung entfaltet, beispiellos in Stuttgart, beispiellos in ganz Deutschland. Blitzlichter flammen vor mir auf: Bauzaunaufstellung, Nordflügelabriss, Schwarzer Donnerstag, Faktencheck, die folgende Depression, die Ereignisse um Fukushima, schließlich die Wahlen und ihr sensationelles Ergebnis, und schließlich, letzten Donnerstag, die Vereidigung der neuen Landesregierung mit Winfried Kretschmann als erstem grünem Ministerpräsidenten in Deutschland. All dies war begleitet, Woche für Woche seit mehr als eineinhalb Jahren und bis zur Stunde von bewegten Bürgerinnen und Bürgern auf immer mächtigeren Demonstrationen, – eine Bewegung ist entstanden, wie es sie hier im Ländle noch nie gegeben hat. Sie, liebe Freundinnen und Freunde und viele, viele andere, Menschen jeder Couleur, jeder Profession brachten ihre Fähigkeiten, ihre Fantasie ein, sie entwickelten einen unglaublichen Einfallsreichtum, und verhalfen dieser Stadt mit ihrem Aufstand zu einer Auferstehung und zu einer Lebendigkeit, die man sich nicht hätte träumen lassen und die uns sagen lässt: Dieses Stuttgart ist heute nicht mehr das Gleiche wie vor einem Jahr, es ist eine völlig andere Stadt. Das Leben hat uns mitgenommen auf einen neuen Weg. So kann es weitergehen. Wir wollen in Bewegung bleiben!
Auf Ostern, liebe Freundinnen und Freunde, folgt Pfingsten. So wie Ostern für Auferstehung und Erhebung steht, so verbindet sich mit Pfingsten das Wunder der Begeisterung mit Gottes Geist, mit Feuer und Wind. Für mich ist in der Stuttgarter Bewegung etwas von diesem Geist spürbar. Es ist etwas spürbar vom Hauch und Atem Gottes, der Menschen aufrüttelt und vom Hocker reißt und einstehen lässt für das Leben, für die Freude, für Verständigung mit Sachverstand.
Und deswegen ist es sehr sinnfällig und passt es gut, dass wir diesen Gottesdienst zwischen Ostern und Pfingsten feiern. Für mich hat das heute sehr viel mit Dankbarkeit und Lob zu tun. Wir feiern das Leben! Wir feiern Gottes Geist in unserer Stadt. Und wenn wir nun in unserem ersten Lied, an Gott gerichtet singen „Komm in unsere laute Stadt!“, dann wissen wir genau: Gott ist schon da!
Pfarrerin Guntrun Müller-Ensslin
Liebe Gemeinde,
wie zu Ostern die Erzählung vom leeren Grab und den Erscheinungen Jesu gehört, so verbindet sich auch mit dem Pfingstfest eine Geschichte, die schildert, wie die Auferstehung die Freunde Jesu in Bewegung brachte. Der Rahmen für diese Geschichte, die Szenerie, die Kulisse, ist eine Stadt, die Stadt Jerusalem. Das scheint mir bemerkenswert: In der Stadt nimmt die neue Bewegung ihren Anfang. Das Ende der einbetonierten Machtkonstellationen, der Scheinheiligkeit, das Ende von Frontendenken, Apathie und Resignation, es beginnt in der Stadt. Nicht irgendwo draußen auf dem Land, in freier Natur, sondern in grauer Städte Mauern, da wo Menschen einander auf die Füße treten, wo es manchmal zu eng wird, als dass alle sich entfalten könnten. Das Pfingstwunder geschieht in einer Stadt, wo in einem Konflikt Interessengruppe gegen Interessengruppe steht, es geschieht da, wo Menschen aufgehört haben, einander zuzuhören, weil sie verschiedene Sprachen sprechen und einander nicht verstehen.
Schon bei den Ereignissen zuvor hatte sich das Phänomen Stadt in seiner ganzen Widersprüchlichkeit offenbart. Während auf dem Land die Uhren langsam gehen und sich oft nur schwer etwas ändert, kann sich der Wind in einer Stadt ganz schnell drehen. Der Stimmungsumschwung in Bezug auf Jesus vom „Hosianna“ zu „Kreuzige ihn“ vollzog sich binnen etwas mehr als einer halben Woche. Die Stadt ist der Sitz der Justiz, die Jesus verurteilt und töten lässt.
Die Vorgänge danach geschehen wiederum in der Stadt. Die Auferstehung, der Aufstand zum Leben nimmt dort seinen Lauf. Und als die Freunde dann Hoffnung schöpfen, weil sie erfahren haben, dass die Jesus-Bewegung nicht am Ende, nicht tot ist, sondern Zukunft hat, beschließen sie, nicht wieder individualistisch jeder seiner Wege zu gehen, jeder in sein Dorf, sondern diese Zukunft gemeinsam in der Stadt zu begrüßen und zu gestalten. Der Funke ist schon übergesprungen. So wie früher kann und soll es nicht mehr werden. Und so versammeln sie sich regelmäßig, weil Versammlungen Mut machen und Bewegungen am Leben halten. Sie versammeln sich am zentralen Ort, so auch am Pfingsttag. Und da am Pfingsttag in der Stadt Jerusalem, da erleben die Jünger Dinge, die im zweiten Kapitel der Apostelgeschichte geschildert werden.
Pfarrerin Guntrun Müller-Ensslin
Liebe Freundinnen und Freunde des Kopfbahnhofs,„Was machen Sie da bloß für einen Aufstand, wegen eines Bahnhofs?!“ Das werden wir immer wieder gefragt.
Und wir antworten: Wir können einfach nicht anders. Wir müssen uns einfach für unseren Kopf-Bahnhof einsetzen, weil er viel besser ist als der neu geplante und weil für ihn nicht so viel Gewachsenes und gut Funktionierendes kaputt gemacht werden muss wie für diesen Kellerbahnhof.
Wir können einfach nicht anders. Wir müssen aufstehen für die bessere Lösung. Wir haben da keine Ruhe. Wir können nicht anders als aktiv werden, uns in Bewegung setzen für eine lebendige Zukunft unserer Stadt.
Was ist das eigentlich, was uns da treibt? Wir sind doch eigentlich friedliche Zeitgenossen und keine Berufsdemonstranten.
Irgendetwas hat uns da offensichtlich erfasst, ein Schwung, eine Lebendigkeit, eine Hoffnung, irgendetwas, das uns innerlich drängt, uns gar keine Wahl lässt.– Ja, das scheint es zu geben in dieser Welt: dass Menschen ergriffen werden von einer Sache und sich gar nicht dagegen wehren können.Für mich hat das mit Ostern zu tun. Lassen Sie mich das erklären:
Ich weiß nicht, wie Sie, liebe Gottesdienstbesucherinnen und -besucher, über Ostern denken, über die Erzählungen von der Auferstehung Jesu.
Für mich sind es Erzählungen von der Erfahrung, dass in diese Welt eine Lebendigkeit hereingebrochen ist, die nicht mehr aufzuhalten ist. Sie war auch und vor allem nicht aufzuhalten durch den Justizmord, den die Mächtigen jener Zeit an Jesus begingen, an dem Jesus, der sein ganzes kurzes Leben in den Dienst dieser Lebendigkeit gestellt hat.
Im Gegenteil: Nach diesem Mord ging es erst richtig los: Seine Anhänger entdeckten, dass man zwar den Menschen Jesus töten konnte, dass aber seine Lebendigkeit nun auf sie alle überging.
Die Jüngerinnen und Jünger Jesu, die nach seinem Tod einfach nur Angst gehabt hatten, Angst, dass nun auch sie verhaftet und getötet werden könnten, die sich deshalb panisch in ihr Haus eingeschlossen hatten – diese Leute bekamen auf einmal Mut: Mut, auf die Straße zu gehen und offen von ihren Überzeugungen zu reden.
Für diesen Mut – dafür, dass sie Mut-Bürger wurden – gab es nur eine Erklärung: Da musste es eine Lebenskraft in der Welt geben, die nicht tot zu kriegen war, auch nicht durch eine Justizmord. Da musste es irgendetwas in dieser Welt geben, das ihnen Mut gab, wo alles dagegen zu sprechen schien.Wenn man etwas nicht richtig erklären kann, dann gebraucht man Vergleiche, Bilder, Geschichten, mit denen man wenigstens näherungsweise Worte findet für das, was man sagen will.
Haben Sie schon einmal versucht, in Worte zu fassen, wie sehr sie Ihren Partner oder Ihre Partnerin lieben? Das klingt schrecklich und hat fast nichts mehr zu tun mit den wirklichen Gefühlen, die wir haben.
In dieser Ratlosigkeit gebrauchten die ersten Christen das Bild von der „Auferstehung“ Jesu. Gemeint ist ein neues Leben, das irgendwie mit Jesus zu tun hat, das irgendwie die ganze Welt beginnt, neu zu machen, das irgendwie Menschen verändert, ihnen neue Gedanken, Gefühle, Ziele zuwachsen lässt.Wenn ich diese neuen Gedanken, Gefühle, Ziele sehe, die in der Bewegung gegen Stuttgart 21 in unzähligen Menschen wachsen, sich in unüberschaubar vielfältigen und kreativen Engagements und Protestformen zeigen – dann fehlen mir die Worte.
Natürlich kann ich sozialwissenschaftlich beschreiben, was diese oder jene Menschen unter uns vermutlich bewegt. Aber ob erklärbar oder nicht: Da wird eine Lebenskraft Wirklichkeit, an die ich bisher eher nur theoretisch geglaubt habe.
Noch nie habe ich diese Lebenskraft deutlicher gespürt, diese Kraft, die nicht mehr dem toten Geldkreislauf dienen will, dem es egal ist, worin das Geld investiert wird, Hauptsache aus Geld wird mehr Geld. Noch nie habe ich deutlicher gespürt, was es bedeutet, wenn Menschen von einer lebendigen Kraft ergriffen werden, von einer Kraft, die gegen diese in eingefahrenen Gleisen rotierende Welt aufsteht, aufersteht, ja, einen Aufstand gegen sie macht. Noch nie habe ich das deutlicher gespürt, als in dieser Bewegung. Hier geschieht Auferstehung live. Hier stehen Menschen auf für ein lebendiges Stuttgart.
Es gibt noch eine zweite Geschichte – die Pfingstgeschichte –, mit der die allerersten Christen ihre Erfahrung in Worte zu fassen versuchten, ihre Erfahrung, dass es da mitten in der auf Tod und Zerstörung zulaufenden Welt eine lebendige Kraft gibt, die nicht nur mit dem einzelnen Menschen Jesus zusammen hing, sondern die etwas zu sein schien, das mit dieser Welt überhaupt zu tun hat. Diese Lebenskraft schien ja nicht nur eine fixe Idee der ersten Christen zu sein, sondern da – so empfanden sie es – sondern da kam ein Leben in Bewegung, ein Leben, das mit den kleinsten Elementarteilchen genauso zu tun hatte, wie mit den fernsten Galaxien. Da war ein Leben in Bewegung gekommen, das die ganze Welt vom Kopf auf die Füße zu stellen schien.
Als die Jüngerinnen und Jünger an Pfingsten – so erzählen sie –, als sie 50 Tage nach Ostern auf einem Marktplatz in Jerusalem öffentlich über ihre Überzeugungen sprachen, da geschah etwas ganz Unerwartetes: Auch Menschen, die sie sonst nicht verstanden, hörten ihnen zu und schienen zu begreifen. Menschen, die aus völlig verschiedenen Lebenskreisen kamen, die sich eigentlich nur fremd sein konnten – die verstanden sich auf einmal.
Ist dieses Pfingstwunder nicht genau das, was wir hier erleben, mit unserer riesigen kunterbunten Protestbewegung aus Jungen und Alten, aus Gutsituierten und Armen, aus Gesunden und Kranken, aus Konservativen und Fortschrittlichen, aus Menschen mit ganz unterschiedlichen Überzeugungen und Zweifeln?
Damals erzählten sie, ein neuer „Spirit“ habe sie ergriffen, sie ganz heiß gemacht, als ob sie Feuerflammen auf den Köpfen hätten. Unerklärlich sei es gewesen, so wie Tauben bisweilen senkrecht vom Himmel herab fahren und keiner hat sie kommen sehen.
Also, wenn das wirklich stimmt, was die ersten Christen damals geglaubt haben, dass mit Ostern und Pfingsten – mit der Auferstehung und mit diesem neuen Geist – die ganze Welt neu geworden ist, dann haben wir hier noch einiges zu erwarten.
Das kann ganz Stuttgart, ganz Baden-Württemberg und wer weiß, was noch alles, verändern.
Wenn ich sehe, was sich da jetzt schon tut, ums Hotel Silber, um die Stuttgarter Energie und Wasserversorgung, in der Kultur, in den Kreisen und Gruppen, die mitreden wollen über die Zukunft ihrer Stadt – wenn ich das sehe, dann wird mir fast schwindelig, wenn ich daran denke, wie sich das Leben in Stuttgart und weit drum herum in den nächsten Monaten und Jahren verändern könnte.
Und wir sind Teil dieser Bewegung, die – bewusst oder unbewusst – Tag für Tag und Woche für Woche Ostern und Pfingsten feiert, will sagen: Teil der Bewegung, die „das neue Leben für die Welt“ feiert und dafür einsteht.
Ich wünsche Ihnen und uns allen, dass wir immer wieder anfangen, uns auf dieses Wagnis neu einzulassen. Denn ein Wagnis ist es. Garantie gibt es keine. Und man erfährt nur, ob etwas dran ist an diesem neuen Leben, wenn man sich drauf einlässt. So wie man nur dann erfährt, ob man in der Lage sein wird, seinen Partner, seine Partnerin zu lieben, wenn man sich einfach drauf einlässt.
Dazu feiern wir solche Gottesdienste, um uns gegenseitig Mut zu machen, den Rücken zu stärken und die angenehme Entlastung zu spüren: Wir sind Teil einer Lebensbewegung, die aus tieferen Brunnen ihre Kraft schöpft, als wir selbst sie haben.
Diese Lebenskraft, diesen Geist Gottes immer zu spüren – oder jedenfalls immer wieder – das wünsche ich Ihnen und uns.
Gott segne Sie. Amen.
Pfarrer Martin Poguntke
„Ja, das scheint es zu geben in dieser Welt: dass Menschen ergriffen werden von einer Sache und sich gar nicht dagegen wehren können.“
Was Martin Poguntke in seiner Predigt hier in einfachen Worten beschreibt, das meinen wir Christen mit dem alten, aber schönen Wort: „Bekehrung“. Es ist die im eigentlichen Sinne umwerfende Erfahrung eines Bruchs mitten in der Routine eines vorgezeichneten, selbstverständlichen, selbstvergessenen, alternativlos erscheinenden Lebensalltags aus Rechten und Pflichten, Gaben und Aufgaben, eines Bruchs, der ein „Weiter so!“ nicht mehr zulässt. Auch Jesus selbst hat diese Erfahrung des Bruchs und des Ergriffenseins durch Gottes Sache erfahren – im erwachsenen Alter von etwa 28 Jahren – und konnte sich fortan nicht dagegen wehren, diese Sache Gottes bedingungslos zu der seinen zu machen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er wie alle Kinder und Jugendliche von seinen Eltern gelernt, wie man lebte, wie man redete, wie man dachte, wie man glaubte, wen man als Freund (den Volksgenossen), wen als Feind (die Römer) zu sehen hatte, wem man sich unterzuordnen hatte und wem gegenüber man sich überlegen fühlen durfte (als Mann z.B. den Frauen, besonders den heidnischen – siehe Mk 7,21). Und wie damals üblich, hatte er den Beruf seines Vaters, eines Bauhandwerkers in Nazareth, erlernt und ausgeübt. So hatte er also fast drei Jahrzehnte lang ein ganz normales Leben sozusagen als galiläischer Max Mustermann geführt.
Bis zu jenem Tag, als Johannes der Täufer seinen Weg kreuzte. Die Begegnung, Auseinandersetzung und schließlich der Bruch mit seinem Lehrer Johannes markierte den entscheidenden Wendepunkt in seinem Leben und erbrachte in der Folge seine ganz eigene und andere Sichtweise Gottes als eines Liebhabers des Lebens in all seinen Ausprägungen sowie seinen ganz eigenen liebevollen Umgang mit seinen Mitmenschen, besonders den geschundenen, kranken, verachteten und ausgegrenzten, aber auch seinen streitbaren Umgang mit jenen, die Gott und die Wahrheit für sich gepachtet hatten und die Anderen mit Missachtung bedachten. Und in dieser Entdeckung Gottes und seiner Mitmenschen entdeckte er schließlich sein wahres Selbst.
Diese Erfahrung Jesu haben bis heute unzählige Menschen in ihrem eigenen Leben gemacht. Was bislang zählte, wichtig war, selbstverständlich galt, trägt von einem auf den andern Tag nicht mehr. Es kommt zur Krise und schließlich zum Bruch mit dem bisherigen Leben. Auslöser dazu ist bei den einen eine persönliche Erfahrung, etwa die Begegnung mit einem Menschen oder eine plötzliche Krankheit oder die Trennung von einem Menschen, bei anderen ein politisches Ereignis, das einen Einschnitt in das bisherige Leben bedeutet.
Für viele unter den Tausenden Widerständlern gegen S 21 ist dieses Projekt tatsächlich mehr als nur ein Kampf gegen einen unsinnigen unterirdischen Bahnhofsneubau. „Stuttgart 21“ steht für sie im Grunde für ihr Erwachen aus bürgerlichem Gehorsam und Untertanengeist zur persönlichen Verantwortung für eine lebenswerte, zukunftsfähige Gemeinschaft, der sie sich nicht länger entziehen können und wollen.
Und so ist dieser Jesus bis zum heutigen Tag unzählige Male auferstanden mitten in unser Leben hinein, hat Menschen in Bewegung gesetzt, dass sie zu pro-testieren beginnen im doppelten Sinne des Wortes: dass sie sich aufzulehnen gegen die Mächte des Todes und der Zerstörung (Geldherrschaft, Atom, Nationalismus usw.) und zugleich Zeugnis ablegen für Gott, den Liebhaber des Lebens, der uns aufruft: „Suchet der Stadt Bestes!“
Lieber Wolfgang,
hab vielen Dank für diese wunderbar gelungene Weiterführung meiner Ansprache! Ich fühle mich sehr gut verstanden.
Herzlich, Martin Poguntke