Trauergottesdienst am 10. März 2012 im Schlossgarten – die Texte

Begrüßung (Friedrich Gehring)
Liebe Freundinnen und Freunde des Schlossgartens, ich begrüße Sie und achte Ihren Mut, hierher zu kommen und öffentlich zu trauern um die gefällten Bäume. Es braucht Mut, sich in diesen Tagen als Parkschützerinnen und Parkschützer nicht verschämt zu verkriechen. Allerhand Häme klingt noch in unseren Ohren. Mit unserer öffentlichen Trauer wollen wir zusammenstehen und uns gegenseitig Halt geben, und wir wollen zeigen, dass nicht wir, sondern die Täter sich schämen müssen.

In diesen Tagen der Zerstörung ist bekannt geworden, dass wir während des Parkgebets observiert werden; sogar der Gefahrenstufe 5 werden wir zugeordnet. Welch ein Widerspruch: Während wir uns als ohnmächtig erfahren, wirken wir auf andere eher bedrohlich!

Wir wollen in dieser Situation auf die Jahreslosung hören, die genau von diesem Widerspruch handelt. In ihr spricht Paulus von der Zusage Gottes an ihn: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“. In der Verheißung und Zumutung dieses Wortes wollen auch wir heute Trost und neuen Mut suchen und beginnen unseren Gottesdienst im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

Zumutungen (Dorothea Ziesenhenne-Harr)
Nein, nein, das kann nicht sein!!!
Ich bin empört, zutiefst empört!!
Mein Blut erhebt sich.
Wie ist das möglich???
„Frevel, Schandtat!“ schreie ich laut, mit all meiner Kraft.
„Ihr Barbaren, Baummörder, Vandalen, ihr machtgeilen Nichtse!!!“
Meine Schreie gellen über die Brache. Da, wo vorher der Park war.
Die prachtvollen Bäume. Das erholsame Grün der Wiesen.
Jetzt ist dort die wunderbare, atmende, schützende Hülle der Erde weggerissen. Eine klaffende Wunde.

BRACHE.
In meiner Kehle drängen Flüche. Flüche, die die Täter treffen und vernichten sollen. So, wie sie das Leben im Park vernichtet haben. Mein Fluch soll sie treffen bis ins 4. und 5.Glied. So, wie dieser Park über Jahrzehnte, Jahrhunderte zerstört ist.

HALT! Halt ein! Halt inne!
Besinne dich!
Eine innere Stimme eindringlich.
Ich atme tief durch, mehrmals, langsam.
Die Flüche lösen sich auf.
Mein Blut: voller Sauerstoff à lebendig, pulsierend.
Ich wende mich an dich, Gott: Was mutest du mir zu?!

WAS FÜR EINE ZUMUTUNG!!! Diese Barbarei mit ansehen zu müssen.
WAS FÜR EINE ZUMUTUNG: der Zerstörung, dem Tod die Hoffnung und den Glauben auf neues Leben entgegen zu setzen.
WAS FÜR EINE ZUMUTUNG: die Gewalt mit Liebe zu überwinden.
WAS FÜR EINE ZUMUTUNG: dem Gegner die Hand der Vergebung zu reichen.
WAS FÜR EINE ZUMUTUNG: im Kampf Frieden zu leben.
Was  mutest du mir/ uns zu, Gott? Wie soll ich, wie sollen wir das aushalten?
Woher die Kraft nehmen zur Liebe und Versöhnung?
Gott, du mutest uns etwas zu. Du ermutigst uns, auf dem Weg des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung zu bleiben.
So, wie du es dir selbst, in Jesus Christus, zugemutet hast. Du bist der Botschaft der Liebe treu geblieben. Du hast mit deiner Liebe den Tod/ die Vernichtung überwunden. Bei dir ist die Zerstörung, der Tod nicht das letzte Wort.
Du mutest uns zu, dir darin zu vertrauen und dir zu folgen.
Das fällt mir nicht leicht und doch spüre ich, weiß ich tief in mir: das ist der Weg.

Danke, dass du mir/ uns dabei zur Seite stehst. Dass deine Kraft in den Schwachen mächtig ist.
Danke, dass wir immer wieder erleben dürfen: Vergebung, Versöhnung getragen von der Liebe ist die größte Macht in unserer Welt. Sie ist die Antwort auf Gewalt, die ist es, die Gewalt wirklich überwindet.
Gott, mit dir zusammen und in der Gemeinschaft von uns Menschen finden wir diese Kraft. Denn du hast uns zugesagt: wo zwei oder drei versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.

Ich schaue mich um. Ich spüre die Nähe der Menschen, der Gemeinschaft. Wir sind zusammengerückt in dieser Zeit, in unserer Fassungslosigkeit, unserer Trauer.
Gemeinsam stellen wir uns der Zumutung. Von der Zuversicht getragen, dass Gott mit uns trauert und mit uns hofft. So kann die Liebe kraftvoll in uns Raum gewinnen.
Die Liebe, die alles überwindet und mächtiger ist als der Tod.
Mein Körper richtet sich auf. Ich bin da und mit mir die Erinnerung an die Bäume, den Park. Ich bleibe da und spüre ein Stück weit die Kraft der Bäume in mir. Ich nehme ihre aufrechte Haltung, ihre starken Wurzeln wahr und bleibe dankbare Zeugin ihres Lebens.

Eingangsgebet (Eberhard Dietrich, Wolfgang Schiegg)
Gott, wir sind zusammengekommen, um uns unserem Schmerz zu stellen. Gemeinsam treten wir vor dich: sei in unserer Mitte, trage mit uns unsere Trauer, teile mit uns unsere Tränen.
Wir wollen glauben, dass du mitten unter uns bist; hilf unserem Unglauben.
Während wir am Ort der Zerstörung stehen, können wir die Wut über diese Schandtat spüren. Und unsere große Traurigkeit, dass wir unseren Park, die Bäume nicht schützen können. Manchen kommt es vielleicht wie eine Niederlage vor. Als hätten wir versagt.
Dabei waren wir da, viele sogar Tag und Nacht. Mit unserer ganzen Kraft haben wir uns gegen die Zerstörung gestemmt. Und nun  müssen wir erkennen und uns der Gegenwart stellen:
wir haben einen uns so wertvollen Teil des Parks, die Bäume in ihrer wunderbaren Pracht verloren.
Gott, vor dir und in der Gemeinschaft wollen wir heute unserer Trauer Ausdruck geben.
Wir bitten dich: sprich jetzt zu uns und schenke uns Trost und Halt bei dir. Amen

Stilles Gebet:
In der Stille kann jetzt jede/r das vor Gott bringen, was persönlich gesagt sein will:

Stille…

Gott, du sagst uns zu, dass du unsere Gebet hörst. Darauf vertrauen wir. Amen

Psalm 10,1 ff
Warum, Herr, bist du so fern, warum verbirgst du dich in Zeiten der Not?
Hochmütige Menschen, die Gott ablehnen, verfolgen die Wehrlosen und bringen sie durch ihre Intrigen zu Fall.
Diese Gottlosen prahlen auch noch damit, dass ihre Gier keine Grenzen kennt.1 In ihrer Habsucht verspotten sie den Herrn und verachten ihn.
Stolz behaupten sie: »Gott kümmert sich sowieso nicht um das, was wir tun! Es gibt ja gar keinen Gott!« Weiter reichen ihre Gedanken nicht.
Sie reden sich ein: »Uns bringt nichts zu Fall, kein Unglück wird uns jemals treffen, auch nicht in künftigen Generationen.«
Wenn sie fluchen, betrügen und erpressen, sind sie um Worte nicht verlegen; was sie von sich geben, bringt anderen Unheil und Schaden.
Steh auf, Herr! Gott, erhebe deine ´mächtige` Hand! Vergiss die nicht, die erlittenes Unrecht geduldig ertragen!
Warum dürfen diese Gottlosen Gott verachten und sich einreden, dass du dich sowieso um nichts kümmerst?
Du hast doch alles genau gesehen! Du achtest doch darauf, ob jemand Not leidet oder Kummer hat, und nimmst das Schicksal dieser Menschen in deine Hände! Die Armen und die Verwaisten dürfen dir ihre Anliegen anvertrauen, denn du bist ihr Helfer.

Klage und Dank (Guntrun Müller-Enßlin)
Bei der nun folgenden Klage um die Zerstörung von Gottes Schöpfung mitten in unserer Stadt bitte ich Sie und Euch nach jeder Klage einzustimmen in den Gebetsruf:
Unser Gott, wir klagen und bitten Dich um Dein Erbarmen.

Unser Gott,
wir trauern um unsere Freunde, die Bäume und alle lebende Kreatur, die mit ihnen zu Schaden gekommen ist.
Um die Kastanien mit ihrem wundervoll duftenden Laub, den feierlichen Kerzen und  glänzenden Früchten.
Unser Gott, wir klagen und bitten Dich um Dein Erbarmen.

Um die Platanen trauern wir mit ihren gefleckten Stämmen und den mächtigen Kronen, mit denen sie dem Himmel näher waren als alle anderen Bäume.
Unser Gott, wir klagen und bitten Dich um Dein Erbarmen.

Um die große Säuleneiche mit ihrer charakteristischen Y-Form trauern wir und um ihre jüngeren Geschwister.
Unser Gott, wir klagen und bitten Dich um Dein Erbarmen.

Um die Silberpappeln mit ihrem flirrenden Laub trauern wir und um die Akazien mit ihren weißen Blütenschleiern und dem betäubenden Duft.
Unser Gott, wir klagen und bitten Dich um Dein Erbarmen.

Um die Buchen trauern wir, deren hellgrüne Blätter im Frühling manchmal den Eindruck machten, es sei Licht in sie hinein gewirkt.
Unser Gott, wir klagen und bitten Dich um Dein Erbarmen.

Um die Blutbuche, die Königin des Parks trauern wir, deren Laub im Abendsonnenlicht schimmerte wie dunkle Schokolade.
Unser Gott, wir klagen und bitten Dich um Dein Erbarmen.

Und jeder kann jetzt hier in Gedanken seinen Baum hinzufügen, der ihm besonders lieb gewesen ist.

Stille ….

Unser Gott, wir klagen und bitten Dich um Dein Erbarmen.

Wenn wir uns  nun verabschieden von diesem Stück zerstörter Schöpfung in unserer Stadt, bitte ich Sie einzustimmen in den Gebetsruf:
Unser Gott, wir danken dir und vertrauen deiner großen Güte.

Wir nehmen Abschied von unseren Bäumen und sagen Danke für alles, was sie für uns waren und uns Gutes getan haben.
Für Schatten und Kühle, die sie uns und unseren Vorfahren an heißen Tagen gespendet haben.
Unser Gott, wir danken dir und vertrauen deiner großen Güte.

Für den Sauerstoff, den sie für uns Stadtbewohner aus der stickigen, staubigen Großstadtluft herausgefiltert haben, damit wir atmen konnten.
Unser Gott, wir danken dir und vertrauen deiner großen Güte.

Für Heimstatt und Speicher- und Rastplatz, den sie jahrhundertelang unzähligen Tieren geboten haben, den Vögeln, den Eichhörnchen, Siebenschläfern, den Käfern und Insekten.
Unser Gott, wir danken dir und vertrauen deiner großen Güte.

Für die Ruhe und den Rückzugsraum, den sie uns Menschen geschenkt haben im Trubel und der Hektik unserer Stadt.
Unser Gott, wir danken dir und vertrauen deiner großen Güte.

Für die Schönheit, in der unsere Bäume alle zusammen Parkoase für uns waren, wo wir uns mitten in Stuttgart treffen und erholen, nachdenken, diskutieren, spielen, Sport treiben, essen und trinken, Feste feiern und beten konnten.
Unser Gott, wir danken dir und vertrauen deiner großen Güte.

Und noch einmal eine kurze Pause, in der sich jede und jeder von Euch in der Stille für das bedanken kann, was er von den Bäumen Gutes erfahren hat.

Stille….

Unser Gott, wir danken dir und vertrauen deiner großen Güte.

Fürbittegebet (Eberhard Dietrich, Wolfgang Schiegg)
Lasst uns in dieser Stunde der Trauer und des Schmerzes,
der Klage und der Anklage
beten zu Gott, der allen Menschen in ihrer Trauer nahe kommt
und unser aller Klage hört und sich zu Herzen nimmt.
1. Lasst uns beten für alle, die trauern
um die Tiere und die Bäume im Park,
um enttäuschte Hoffnungen und Erwartungen,
dass sie ihre Trauer zulassen und sich Zeit dafür nehmen,
dass sie darüber aber nicht verstummen,
sondern nach der Zeit der Trauer, wieder Worte finden
zur Anklage und zum Protest.
2. Lasst uns beten für alle,
die in ihrem Glauben erschüttert sind,
weil sie sich fragen: Wo ist Gott,
hat er keine Macht, seine Bäume und Tiere zu schützen?
Dass sie trotz allem ihr Vertrauen nicht verlieren,
ihre Hoffnung nicht aufgeben,
und in ihrer Liebe zu Gott und den Menschen nicht nachlassen,
weil uns verheißen ist, dass seine Kraft in den Schwachen mächtig ist.
3. Lasst uns beten für alle,
die in ihrer Enttäuschung und Wut
und ihrer Erfahrung von Ohnmacht
erstarren und sich enttäuscht abwenden,
dass sie zu neuer Hoffnung, zu neuem Mut
und zu neuer Tatkraft finden,
einfach weil sie wissen:
Gott hat keine Hände, nur unsere Hände,
um seine Arbeit in der Welt zu tun.
Einfach weil sie wissen:
Wir selbst sind Gottes Botschaft, in Wort und Tat.
4. Lasst uns beten für alle,
die eine Aufgabe haben in Presse, Rundfunk und Fernsehen,
dass sie in ihrer Berichterstattung und Arbeit
Achtung und Ehrfurcht von einem jeden Menschen zeigen,
und dass sie auch abweichende und störende Meinungen
ehrlich und unverfälscht zu Worte kommen lassen.
5. Lasst uns beten für uns alle,
dass wir fest daran glauben
und es erfahren, immer wieder neu:
Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig,
dass diese Worte uns trösten und ermutigen
und wir als Gemeinschaft im Widerstand
fest zusammenstehen.
Amen.

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