Die Südwestpresse vom 25.6.2013 berichtete von anstehenden Fahrpreiserhöhungen der Deutschen Bahn AG. Bahnchef Grube begründe diese mit den Kosten der Energiewende. Fairerweise weist die Südwestpresse darauf hin, dass die Bahn bei den Energiewendekosten recht glimpflich davonkommt. Es handelt sich also um eine ganz schlechte Ausrede. Grube meint wohl, die Bahnkunden würden schnell vergessen, was Bundesverkehrsminister Ramsauer nach der großzügigen Freigabe weiterer Milliarden für Stuttgart 21 durch den Bahnaufsichtsrat laut hinausposaunt hat: Wenn die Steuerzahler diese Milliarden nicht zahlen wollen, dann müsste das Geld eben bei den Bahnkunden eingetrieben werden.
Hier erfahren wir einiges über den Zustand unserer parlamentarischen Demokratie. Nachdem die von der Kanzlerin zur Volksabstimmung über Stuttgart 21 ausgerufene Landtagswahl von 2011 zur Deckelung der Kosten seitens des Landes geführt hatte, war die Finanzierung für das Projekt faktisch gescheitert, weil alle wussten, dass die 4,5 Mrd. niemals reichen würden.
Die Volksabstimmung konnte zwar die grün-rote Koalition, aber nicht mehr die Finanzierung von Stuttgart 21 retten. Nun hat der Bahnaufsichtsrat ohne jegliche demokratische Legitimierung und ohne wirksame Kontrolle durch den Alleinaktionär Bund die grün-rote Haushaltsentscheidung als parlamentarisches Königsrecht ausgehebelt, um den Wählern von 2011 dreist in die Tasche zu greifen. Unsere parlamentarische Demokratie mutiert damit zu einer Lobbyherrschaft der Profiteure.
Von christlicher Seite kann diese von einer christlichen Kanzlerin gedeckte dreiste Umverteilung von unten nach oben nicht unwidersprochen bleiben. Denn Jesus fordert immer wieder die umgekehrte Umverteilung von oben nach unten. Er erwartet von Wohlhabenden, ihre Güter an die Armen zu verteilen (Mk 10, 21). „Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon“, fordert Jesus unmissverständlich (Lk 16,9), weil er noch weiß, was heute vergessen scheint: Der Mammon wird in der Regel den ärmeren Bevölkerungsschichten von den wirtschaftlich Mächtigeren aus der Tasche gezogen, diese Transfers müssen deshalb den Ärmeren zurückzugeben werden. Neben den Bahnfahrpreisen ist gerade die Verteilung der Energiewendekosten ein besonders schreiendes Beispiel für Ungerechtigkeit: Während die Empfänger von Hartz-IV sich die erhöhten Stromkosten vom Mund absparen müssen, werden Großunternehmen mit riesigem Energieverbrauch oder Golfplätze von den Erhöhungen verschont ohne Prüfung ihrer Bedürftigkeit. Das ist Neoliberalismus pur.
In Brasilien ist aus Anlass von Fahrpreiserhöhungen ein breiter Protest entstanden. Welch bewundernswert wache Demokratie! Und was geschieht bei uns? In Brasilien spricht die höchste Repräsentantin des Staats von Korruption, die überwunden werden müsse. Wer nimmt dieses Thema bei uns auf? Wann wird eine deutsche christliche Regierung endlich die Bahn daran hindern, ein derart gefährliches und unrentables Milliardengrab wie Stuttgart 21 zu bauen, von dem Grube selbst sagt, er würde es heute nicht mehr anfangen?
Pfarrer i. R. Friedrich Gehring, Backnang