Himmelfahrts-GD im Schlossgarten am 9.5.2013

(Video des ganzen Gottesdienstes von camS21 http://bambuser.com/v/3574756  – herzlichen Dank dafür an camS21!)

Ansprache von Pfarrer Martin Poguntke über Markus 16,15–20
(als pdf-Datei hier klicken: Ansprache)

Liebe Protestantinnen und Protestanten aller Konfessionen!

Christen sind Protestleute gegen den Tod. Das Leben als Protestleute ist aber manchmal gar nicht so einfach. – Wem sage ich das!

Jahre sind es mittlerweile, dass wir gegen diesen in so vieler Hinsicht zerstörerischen Bahnhof kämpfen. Jahre sind es, dass wir für eine gerechte und menschliche und mit der Natur in Frieden lebende Gesellschaft kämpfen. Und Jahre sind es, in denen wir immer und immer wieder die Erfahrung gemacht haben, verlassen worden zu sein:
Verlassen von den Zusagen vermeintlich neutraler Helfer, die uns dann – z.B. am Ende der sogenannten „Schlichtung“ – in den Rücken gefallen sind.
Verlassen von vermeintlich verlässlichen Verbündeten, die – kaum an die Regierungsmacht gewählt – plötzlich sich an Händen und Füßen gebunden darstellen.
Verlassen von Hoffnungen auf Petitionen, Gerichte, Aufsichtsräte usw.

So oft, wie wir verlassen wurden, da müssten wir eigentlich mittlerweile alle Hoffnungen fahren gelassen haben. Aber jetzt stehen wir heute hier – aus welchen Gründen jeder und jede Einzelne auch immer – und feiern einen Himmelfahrts-Gottesdienst. Wir lassen einfach nicht locker und sagen: Das kann nicht sein, dass diese feinen Herrschaften so einfach den Sieg davon tragen. „Wir stehn hier und singen“ – und auch das ist ein Protest von uns.

Ich will einmal versuchen aufzuspüren, was unser Verlassenwerden und unser Protest mit Himmelfahrt zu tun haben könnten.

Die Himmelfahrtserzählung kennen wir ja alle. Und wenn wir ehrlich sind, dann haben wir alle uns auch schon auf diesem Irrweg befunden, den der arme Vikar in der kleinen Geschichte vorhin eingeschlagen hatte: Das haben wir ja alle schon gemacht: uns den Himmel oben vorgestellt und die Himmelfahrt Christi entsprechend als eine Art Raketenstart ins Weltall.

Aber wir haben dazugelernt. Wir haben gelernt, dass die Erzählungen im Neuen Testament über Jesu Auferstehung, über seine Himmelfahrt und auch über das Pfingstwunder nicht historische Berichte sind, sondern zu Erzählungen verdichtete Erfahrungen.

Es ist ja andersherum als viele denken: Die Jünger glaubten nicht an die Auferstehung von Jesus, weil sie die Erzählung vom leeren Grab hörten. Sondern umgekehrt: Sie erzählten die Geschichte vom leeren Grab, weil sie eine Erfahrung gemacht hatten, die sie nur mit dem Bild der Auferstehung beschreiben konnten.

Welche Erfahrung machten die Jünger denn, aus der die Erzählung von Christi Himmelfahrt wurde?
Ich denke, in der Zeit nach Ostern wurde ihnen einerseits schmerzlich bewusst, dass sie allein waren, dass Jesus nicht mehr da war. Und andererseits wurde ihnen überraschend aufbauend bewusst, dass sie eben nicht(!) allein waren, sondern umgeben, erfüllt und getragen von einer Kraft, die ganz eindeutig dieselbe war, die sie immer in der Gegenwart Jesu erlebt hatten.

Und dieses Wegsein und zugleich Dasein Jesu konnten sie am besten beschreiben mit dem Bild, dass Jesus weg(!) bei dem Gott war, der schon immer nahe(!) bei ihnen war. Gott ist überall, das wussten sie. Und: Auch Jesus ist überall mit seiner Kraft – das spürten sie. Seine Kraft spüren alle weltweit, die sich auf ihn verlassen – nicht nur in Galiläa, sondern auch in Stuttgart.

Und diese Krafterfahrung goss der Autor unseres Predigttextes in die Himmelfahrtsgeschichte. Vielleicht haben Sie noch die Schriftlesung von vor dem Lied im Ohr. Der Verfasser lässt da Jesus in fast schwärmerischen Worten ausdrücken, woran diese Kraft zu erkennen ist, welche Zeichen sie auslöst, was gewissermaßen ihre Markenzeichen sind:

Zum Beispiel: „In meinem Namen werden sie böse Geister austreiben.“ – Ja, in der Tat: Diese Erfahrung haben wir hier in Stuttgart gemacht: Was haben wir hier an Lügengeistern austreiben können! Was haben wir an Geistern der Gier, der Rücksichtslosigkeit, des Geldglaubens ausgetrieben – wie viele Menschen schenken ihren Glauben, ihr Vertrauen nicht(!) mehr den Propheten der freien Marktwirtschaft! Aber was haben wir auch immer wieder die bösen Geister der Schwermut und der Verzagtheit untereinander austreiben können!

„In neuen Zungen werden sie reden.“ – Ja, was haben wir hier in Stuttgart für eine neue Sprache entfaltet! Eine wunderbar vielfältige Bewegung, die sich – trotz aller ihrer oft ganz tiefgreifenden Unterschiede – versteht(!). Und nicht nur untereinander, sondern auch nach außen: Wie vielen Menschen haben wir uns inzwischen schon verständlich machen können mit unserer Kritik, unserem Protest, unseren Träumen.

„Schlangen werden sie mit den Händen hochheben.“ – Was für ein schönes Bild dafür, dass wir mehr und mehr lernen und gelernt haben, partnerschaftlich mit der Natur zu leben, sie nicht als zu bezwingenden Feind zu verstehen, uns ihr vertraut zu machen.

Und schließlich: „Und wenn sie etwas Tödliches trinken“, prophezeit da Jesus, „wird’s ihnen nicht schaden.“ – Das ist vielleicht das Wichtigste: diese Widerstandsfähigkeit gegen all die tödlichen Säfte, die uns tagtäglich durch die korrupten Medien verabreicht werden. Sie werden uns nicht schaden. Wir lassen uns nicht umdrehen oder von der Saat des Zweifels zermürben. Und auch wenn wir vom Kapitalismus profitieren – so oft, ohne etwas dagegen tun zu können –, auch das tödliche Gift der angenehmen Segnungen kann unserem Widerstand gegen dieses System nicht schaden.

Im Gegenteil: „Auf Kranke werden sie Hände legen, und so wird’s besser mit ihnen werden.“ – Wie viele unter uns könnten jetzt die Hand heben und sagen: Ja, mich haben meine Mitstreiterinnen und Mitstreiter immer wieder gesund gemacht, wenn ich von den Mühen unseres Kampfes, von der Brutalität der Gegner, von der schieren Anzahl der Niederlagen krank wurde! Welche Kraft da immer wieder unter uns heilsam wirkt!

Das ist das, was die Himmelfahrtserzählung in bildhafte Worte fasst: Von welcher aufbauenden und liebevollen und selbstkritischen Kraft wir da umgeben sind – nicht, obwohl(!) Christus in den Himmel gefahren ist, sondern weil(!) er dorthin gefahren ist, wo Gott ist: mitten unter uns.

Damit sind wir bei der inhaltlichen(!) Qualität dieser Kraft, von der wir an Himmelfahrt feiern, dass sie um uns und in uns ist. Kräfte gibt es ja viele in der Welt.

Über was für Kräfte die Leute verfügen, die Stuttgart 21 auf Gedeih und Verderb durchdrücken(!) wollen, das sehen wir immer wieder fassungslos mit an: Wenn gekaufte Medien ein ganzes Land belügen und an der Nase herumführen können. Wenn die S21-Betreiber Sondergenehmigung nach Sondergenehmigung erschwindeln können. Wenn die Staatsanwaltschaft Beweise unterdrücken kann, ohne dass das Folgen für sie hat. Wenn, wenn, wenn… Kräfte sind das, die da wirken, dass einem Angst und Bange werden kann.

Wie kommen wir dazu, nicht diese(!) Kräfte zu den Himmelfahrts-Kräften zu erklären, sondern die Kräfte, die wir in unserem Widerstand(!) erfahren?

Nicht weil wir so toll oder die besseren Menschen wären. Sondern weil die biblische Botschaft in dieser Frage eindeutig ist:

Dort ist Gott eindeutig eine Kraft auf der Seite der Armen und Schwachen. Dort ist Gott eindeutig die Kraft, die das Leben will – und zwar auch das der Tiere und Pflanzen. Dort ist Gott eindeutig eine Kraft, die nicht zum Kampf aller gegen alle, sondern zur Nächstenliebe befreit. Dort ist Gott eindeutig die Kraft, die die Menschen beauftragt, die Welt nicht ihrer marktwirtschaftlichen Eigengesetzlichkeit zu überlassen, sondern heilsam, aufbauend einzugreifen in sie.

Es mag Großprojekte geben, bei denen tatsächlich ein deutlicher Nutzen etlichen Risiken und Gefahren gegenübersteht und bei denen sich deshalb tatsächlich die Frage stellt, ob sie nicht vielleicht bei Abwägung von Für und Wider doch lebensdienlich sind. Aber bei diesem gefährlichen Mini-Kellerbahnhof gibt es nichts außer attraktiven Baugrundstücken für die Reichen, die als in Anführungszeichen „Nutzen“ angegeben werden könnten. Alle, die gegen dieses Projekt arbeiten, haben den Schutz der Natur und der Menschen auf ihrer Seite – und damit Gott, das Geheimnis der Welt, wie es in der Bibel geglaubt und erzählt wird.

Dass trotzdem die S21-Betreiber(!) so große Kräfte haben, liegt nicht daran, dass sie Recht hätten oder gar der Segen Gottes auf ihrem Projekt liege. Sondern das hat einen andern Grund: Es gibt nur eine Kraft in dieser Welt, nämlich die Kraft, die der Ursprung der Schöpfung in diese Welt hinein gelegt hat. Und diese Kraft lässt sich missbrauchen. Gottes Kraft steht Guten und Bösen zur Verfügung. Und die Bösen scheuen sich nicht, sie nach Herzenslust zu gebrauchen und damit zu missbrauchen.

Aber an Himmelfahrt feiern wir nicht nur, dass wir selbst immer neue Kraft erfahren, mit der wir dem Leben dienen können. Sondern an Himmelfahrt feiern wir auch, dass diese Agenten des Todes angezählt sind, dass die Axt an die Wurzel dieser Zerstörer gelegt ist – dass es da eine weltweite Kraft gegen den Missbrauch von Gottes Kraft gibt. Der Gott, wie ihn Jesus gepredigt und gelebt hat, dieser Gott erfüllt Menschen in aller Welt mit der Kraft einander zu lieben, sich miteinander und mit der Natur zu versöhnen, sich einzumischen und zum Anwalt der Schwachen zu machen.

Und ich bin übrigens überzeugt, dass es dieser göttlichen Kraft ziemlich egal ist, zu welcher Religion die Menschen gehören oder ob sie „an Übersinnliches glauben“, wie es gestern Abend auf der „Parkschützer“-Seite hieß. An Himmelfahrt feiern wir, dass diese Kraft überall wirkt, wo Gott ist. Und Gott ist überall – auch in anderen Religionen.

Wichtig ist, dass wir uns anstecken lassen. Wichtig ist, dass wir uns – gewissermaßen „mutwillig“ – dieser liebevoll-parteiischen Kraft aussetzen und auch unsere eigenen Überzeugungen davon immer neu verändern lassen.

Dann bekommt unser Widerstand Flügel. Dann trägt uns diese Kraft. Dann schreiten wir zuversichtlich – nein, nicht von Erfolg zu Erfolg, denn Gottes Kraft ist in den Schwachen(!) mächtig. Nein, wir schreiten von Niederlage zu Niederlage voran. Das ist der Weg, den der voran gegangen ist, der sich hat kreuzigen lassen, der Weg, der an Himmelfahrt zum weltweiten Weg proklamiert wurde.

Diese himmelfahrtliche Zuversicht schenke uns Gott. Amen.

Eine Antwort zu “Himmelfahrts-GD im Schlossgarten am 9.5.2013

  1. Eckard Berlin, 71404 Korb

    Lieber Martin Poguntke, da haben Sie den Nagel auf den Kopf getroffen. Denn das Geistige, das aus der Rede herausleuchtet, ist ja gerade der Pfingstgeist von Ihnen erarbeitet, was ja der Kopf des Nagels symbolisiert.
    Es freut mich herzlich, Ihre Rede zu lesen, weil dieser Pfingstgeist von Jesus uns bekräftigt Widerstand zu leisten, obwohl wir meinen, dass er von uns selbst kommt, aber wir werden in unserer Hilflosigkeit, unserer geistigen Armut, ständig von Jesus inspiriert und Hilfe und Lebensfreude bekommen.
    Da kann man sich bei Ihnen und bei Jesus richtig bedanken.
    Eckard Berlin
    Berufsimker und Dipl.Ing. (FH)

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