Es ist an der Zeit, wieder einen Brief zum Kirchentag zu verfassen, wobei eine Erfahrung auf dem Hamburger Kirchentag noch im Hinblick auf Stuttgart 21 zu bearbeiten ist.
Was uns nämlich beim Gedanken an den Stuttgarter Kirchentag in hohem Maße beunruhigt, ist die Frage, wie auf der größten Baustelle Europas die Sicherheit bei einer solchen Großveranstaltung gewährleitstet werden kann und wie Kirchentagsleitung und Behörden mit dieser Frage umgehen. Wenig beruhigend war es jedenfalls, wie mit einem hochgefährlichen Brand im Hamburger Hafen während des Kirchentags-Eröffnungsgottesdienstes umgegangen wurde und wie er in der Folgezeit vertuscht wurde.
Als ich bei einem der Eröffnungsgottesdienste in der Nähe des Hafens war, fiel mir intensives Sirenengeheul auf. Als dieses länger anhielt, wurde ich doch unruhig und machte mir schon mal Gedanken, was hier los sein könnte und ob eine Gefahr für die Menschen bei diesem Gottesdienst gegeben sein könnte.
Ich wartete auf Informationen von den Verantwortlichen und auf Anweisungen, wie man sich zu verhalten habe. Als nichts Derartiges kam und das Sirenengeheul dann auch nachließ, ging ich davon aus, dass die Gefährdung bewältigt worden sei.
Auch in den nächsten Tagen war nichts darüber zu hören, was losgewesen war und insofern machte ich mir darüber auch keine Gedanken mehr.
Erst Wochen später erfuhr man durch Recherchen des NDR, dass ein Frachter, beladen mit Uranhexafluorid und anderem radioaktiven Material, sowie mit Industriealkohol und Munition 16 Stunden lang gebrannt habe. Er konnte erst gelöscht werden, nachdem die Hamburger Feuerwehr die Fässer mit dem radioaktiven Material von Hand vom Schiff getragen hatte. Das Uranhexafluorid in den Fässern hätte hochgiftige Flusssäure entstehen lassen, wenn man sie mit Wasser gelöscht hätte. Kohlendioxid, mit dem hätte gelöscht werden können, stand zu diesem Zeitpunkt in ganz Norddeutschland nicht zur Verfügung.
Über diese extreme Gefährdung für die ganze Stadt Hamburg und die Besucher/innen des Kirchentags wurde auch nach ihrem Bekanntwerden durch die Recherchen des NDR wenig berichtet. In offiziellen Organen der Kirchen oder des Kirchentags wurde überhaupt nicht davon berichte, dass die Besucher/innen dieser kirchlichen Großveranstaltung solchen Gefahren ausgesetzt waren, während sie beim Gebet versammelt gewesen waren.
Daher stellt sich die Frage, welches Sicherheitsbewusstsein denn überhaupt bei den Verantwortlichen des Kirchentags vorhanden ist. Es stellt sich die Frage, ob die Verantwortlichen bereit sind, kritisch genug die Sicherheitsbeteuerungen der örtlichen Behörden und Verkehrsbetriebe zu hinterfragen.
In einer Stadt wie Stuttgart, die unter anderem durch ihre Kessellage extrem schwer zu „entfluchten“ ist (wie man das beim Katstrophenschutz nennt), müsste die Frage nach der Sicherheit vorrangige Bedeutung haben. Auf die größte Baustelle Europas in einer solchen topographischen Lage zeitgleich den Kirchentag mit über 100.000 und auch noch den Christustag mit zusätzlich rund 20.000 Besucher/innen einzuladen, ist mit erheblichen Risiken behaftet.
Die Erfahrung von Hamburg zeigt, dass der Kirchentag mit der Gefahrenlage nicht offen umgeht. Man agiert nach dem Motto „Wird schon gut gehen.“
Nun, wir wollen hoffen, dass alles gut geht – aber verantwortlicher Umgang mit den Gefahren einer Großveranstaltung sieht anders aus.
Mich beunruhigt dabei vor allem die Situation der mobilitätseingeschränkten Teilnehmer des Kirchentags.
Ich bitte um frühzeitige Information der Teilnehmer – gerade auch wegen der o.g. Personengruppe – , was Einschränkungen aufgrund der Baumaßnahmen durch S21 angeht.
Ganz ehrlich gesagt: Mobilitätseingeschränkten Personen möchte ich vom Besuch des Stuttgarter Kirchentags grundsätzlich abraten. Dies hatte ich in Brief 2 zu „Stuttgart 21 und der Kirchentag“ schon so formuliert.
Auch als jemand, der nicht mobilitätseingeschränkt ist, werde ich diesen Kirchentag eher meiden.
Mit einer umfassenden Informationspolitik rechne ich nicht. Das zeigt schon dieses Verschwiegen der damals in Hamburg drohenden Katastrophe.
Michael Harr
Es geht ja nur um die spirituelle Aufmunterung der Gesellschaft. Siehe hier:
http://www.schwarzwaelder-bote.de/inhalt.protestantentreffen-in-stuttgart-kirchentag-kostet-2-5-millionen-euro.35db10b0-859f-445f-87e7-659e547e6656.html
Zitat: Bleibt die Frage: Wozu das Ganze? Weltlich gesprochen: Was erreicht der Kirchentag mit dem Kapitaleinsatz von 18 Millionen Euro? „Eine spirituelle Aufmunterung der Gesellschaft“, antwortet Jörg Kopecz, „Kirchentag hält dem Staat mit seinen Themen kritisch den Spiegel vor.“ So etwas brauche unser Land: „Das war 1949 bei Gründung des Kirchentags nach der Katastrophe des Dritten Reiches genauso wichtig wie heute in einer globalisierten Welt.“ (Zitat Ende)
Das mit dem Spiegel sehe ich etwas anders. Der Kirchentag spiegelt mit seiner Themenauswahl, der Auswahl der Referenten, mit den ausgesparten Themen, den verschwiegenen Problemen, der konsequenten Vermeidung von Transparenz genau die Dinge, die im Staat heutzutage nicht in Ordnung sind. In wessen Interesse ist das? Genau. Im Interesse des Staates, der natürlich möchte, daß alles so weiterläuft wie bisher. Und die Kirchentagsbesucher erhalten ein bißchen spirituelle Aufmunterung, damit sie auch weiterhin nicht merken, wie wenig wichtig der Mensch eigentlich ist. Und seine Sicherheit.