Nachlese zur „Tunneltaufe“

Als erstes muss fest gehalten werden: Es war kein Pfarrer der Evangelischen Landeskirche, der bei der „Tunneltaufe“ am Barbaratag mitgewirkt hat. Es war der Leitende Pastor der Evangelisch-methodistischen Kirche in Esslingen, Markus Bauder, der an dieser Veranstaltung mitwirkte und durch seine Begrüßung „im Namen der Kirchen“ den Eindruck erweckt hatte, eben auch im Auftrag der Landeskirche zu sprechen

Insofern müssen wir die Überschrift des früheren Beitrags „Landeskirchlicher Pfarrer tauft Tunnel“ korrigieren.

Wir baten Markus Bauder um eine Stellungnahme zu seiner Mitwirkung an der „Tunneltaufe“. Vor allem wurde er gefragt, ob er dazu autorisiert worden sei, im Namen der Landeskirche an dieser Tunneltaufe mitzuwirken. Wir frugen auch beim Evangelischen Oberkirchenrat in Stuttgart nach, ob Pastor Bauder autorisiert worden sei, für die Landeskirche zu sprechen. Bislang kam auf diese Frage noch keine Antwort.

Markus Bauder erklärte folgendes:
Die ökumenische Barbarafeier wurde von mir nicht im Namen der Kirchen „eröffnet“, sie fand „im Namen Gottes, der Vaters, der Sohnes und des Heiligen Geistes“ statt. „Im Namen der Kirchen“ habe ich die Mineure, Arbeiter und anderen Gäste „begrüßt“. Dieser Unterschied ist mir schon wichtig.
Ich gebe zu, dass diese Formulierung möglicherweise etwas ungeschickt war. Ich hätte besser sagen sollen „Ich begrüße Sie als ein Vertreter der Kirchen“.
Des Weitern legt Markus Bauder darauf Wert, dass er nur gebetet habe für den Segen und den Schutz Gottes für die Mineure und Arbeiter bei der gefährlichen Arbeit im Berg. Damit sei keine Stellungnahme zu Stuttgart 21 verbunden gewesen. Dies sei ein Projekt, dem gegenüber er viele Bedenken der Gegner teile, aber die Volksabstimmung respektieren wolle.
Wie es überhaupt dazu kam, dass er dabei war, erklärt er mit einer Anfrage des katholischen Betriebseelsorgers zu S 21, des katholischen Diakons, der die Barbara-Statue weihte und zur Bedeutung der Heiligen Barbara predigte.

Soweit die Erklärungen von Pastor Bauder.

Dazu soll fest gehalten werden: Pastor Bauder erweckte den Eindruck, von den Kirchen, und das heißt auch von der Evangelischen Landeskirche autorisiert, bei dieser Veranstaltung dabei zu sein. Da er sich – jedenfalls nicht im youtube-video erkennbar – nicht als Geistlicher der Evangelisch-methodistischen Kirche zu erkennen gibt, entsteht der Eindruck, dass er als landeskirchlicher Geistlicher hier amte und obendrein einen Auftrag der Kirchenleitung habe. Das sollte nun wahrlich nicht vorkommen.
Darüber hinaus zeigt der Film, dass es um entschieden mehr als nur um ein Fürbittgebet für die Arbeiter bei ihrer gefährlichen Arbeit gegangen ist. Hier fand etwas statt, das „Tunneltaufe“ genannt wurde. Wie überhaupt Theologen ohne Kommentar und Kritik an diesem Begriff an so einer „Tunneltaufe“ teil nehmen können, ist schon sehr schwer zu verstehen. Und das Agieren vor dem DB-Logo wird im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um Stuttgart 21 zu einer Stellungnahme, auch wenn Pastor Bauder das so nicht sehen will.
Auch die Äußerungen des katholischen Betriebsseelsorgers gehen weit und deutlich über eine Fürbitte hinaus. Er präsentiert die Heilige Barbara als Vorbild der Tugend der Standhaftigkeit, etwa wenn uns die Knie zittern oder wenn wir Selbstzweifel haben. Was soll das denn? Das Martyrium der Barbara bezieht sich ja absolut nicht und nirgendwo auf die Sekundärtugend der Standhaftigkeit, erst recht nicht bei Selbstzweifeln, sondern auf ihren Glauben und ihre Treue zu Jesus Christus. Im Zusammenhang mit Stuttgart 21 wird ja geradezu suggeriert, dass man in Anrufung der Heiligen Barbara Zweifel am eigenen Tun und Lassen getrost überwinden könne. Wo bleibt dabei Ruf zur Umkehr, eben nicht zum Festhalten an einem alten und schlechten, sondern zur Umkehr auf einen neuen und besseren Weg der Wahrheit und der Verantwortung?

Diese abstruse „Tunneltaufe“ ist nun wahrlich auch nicht mit katholischer Theologie zu erklären. Das ist nun einfach nur Unfug, der dazu dienen soll, einem unverantwortlichen Bauprojekt eine religiöse Überhöhung zu geben. Man kann da allen Kollegen/innen aus welchen Kirchen auch immer nur dringlich nahelegen, sich von solchen Veranstaltungen fern zu halten. Es gibt wahrlich auch andere Möglichkeiten, Fürbitte zu halten.
Das ist ja ein richtiges Anliegen, für die Arbeiter im Berg bei ihrer gefährlichen Arbeit zu beten. Und wenn den Verantwortlichen der Unternehmen und bei der Bahn die Sicherheit der Arbeiter und hoffentlich auch der Bahnkunden/innen so wichtig ist, dann gibt es einen noch bessren Weg, als nur zu beten und Barbara-Statuen aufzustellen.

Vor einiger Zeit war ich dabei, als ein Fach- und Sachkundiger aus der Region Stuttgart seine Meinung zum Brandschutz in den Tunneln von Stuttgart 21 darlegte. Er meinte, dass bei einem Brand in den Tunneln von Stuttgart 21 da unten sowieso nur noch gestorben werde. Da gehe die Feuerwehr nicht mehr runter. Sie warte dann, bis sich der Rauch verzogen habe und berge dann die Leichen.
Da wäre es sicherlich der beste Weg, Stuttgart 21 sang- und klanglos zu beenden. Und Pastor Bauder und dem katholischen Betriebseelsorger stünde es als Geistlichen darum besser an, hinkünftig an den Montagsdemonstrationen Teil zu nehmen als an abstrusen „Tunneltaufen“.

Michael Harr

22 Antworten zu “Nachlese zur „Tunneltaufe“

  1. Ulrich Scheuffele

    Lieber Michael,
    du hast den Nagel voll auf den Kopf getroffen, es gibt hier nichts mehr hinzu zu fügen.

  2. Stuttgarter für Kopfbahnhof

    Wenn das der Papst wüßte……..

  3. Da bin ich ja mal auf die „Liefer-Qualität“ christlicher heiliger Personen gespannt….. ich bete mal für Barabara, damit „da nix schief geht“….

  4. „Und das Agieren vor dem DB-Logo wird im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um Stuttgart 21 zu einer Stellungnahme, auch wenn Pastor Bauder das so nicht sehen will.“

    Erstaunlich ist ja schon, mit welcher Selbstverständlichkeit Sie anderen das Recht absprechen, Stellung zu nehmen, welches Sie für sich ganz selbstverständlich in Anspruch nehmen.

  5. Lieber „Friedrich“,
    Sie missverstehen uns: Wir sprechen niemandem das Recht ab, Stellung zu nehmen.
    In diesem Fall hat es Pastor Bauder allerdings „im Namen der Kirchen“ getan. Und das sprechen wir ihm sehr wohl ab – 1. weil das auch in unserem Namen wäre, 2. weil „unsere“ (die ev. Landeskirche) immer behauptet, sie beziehe dazu keine Stellung.
    Im Übrigen erwarten wir, dass wenn Christen oder Theologen Stellung beziehen, dass sie das auch theologisch begründen (können).
    Wir würden einfach auch zu gerne mal eine theologische(!) Begründung dafür hören, wieso Christen für das zerstörerische Projekt S21 (das das Gegenteil dessen bewirkt, was es behauptet) sein könnten oder gar müssten.
    Mit freundlichen Grüßen, Martin Poguntke

  6. Lieber „Martin Poguntke“
    Pastor Bauder hat „im Namen der Kirchen“ gesprochen, wie auch Sie für sich in Anspruch nehmen, im Namen der Kirchen, in Gottes Namen usw. zu sprechen.
    Allerdings tadelt Pastor Bauder niemand, welcher ggf. eine andere Auffassung hat und greift auch niemand an, welcher z.B. ein Parkgebet veranstaltet und dort vor bzw. unter dem Motto auftritt, S 21 zu bekämpfen.

    Ich habe übrigens auch noch nie eine nachvollziehbare, vernünftige theologische Begründung gehört oder gelesen, welche den Kampf gegen Stuttgart 21 rechtfertigen würde.

    Es wird zwar immer wieder nebulös von einem vorgeblich zerstörerischen Projekt fabuliert, das war es dann aber auch schon.

    DASS S21 tatsächlich etwas Zerstörerisches anhaften sollte, wurde noch nie nachvollziehbar belegt.

    Hier wird nun einerseits eine Tunneltaufe als Unfug abgetan, andererseits veranstaltet man aber Trauergottesdienste für Bäume und reklamiert für sich, dass diese natürlich ernsthaft und keinesfalls Unfug sei.

  7. Lieber „Friedrich“,

    1. Niemand von uns redet im Namen der Kirche oder im Namen Gottes o.ä., sondern wir alle reden grundsätzlich nur im Namen unseres ganz persönlichen Glaubens. Allerdings tun wir das, indem wir uns um Klärung bemühen, in wieweit unser Glaube sich auf das biblische Zeugnis bezieht oder ihm widerspricht. Darum geht es hier: Wir wollen, dass Gegner und Befürworter sich mit ihren persönlichen Parteinahmen in theologisch verantwortbarer Weise auf das biblische Wort beziehen.
    2. Pastor Bauder dürfte ruhig uns Gegner tadeln – wenn er es mit theologischen Argumenten tut (oder indem er uns falsche Behauptungen nachweist).
    3. Falls Sie noch keine „nachvollziehbare, vernünftige theologische Begründung gehört oder gelesen (haben), welche den Kampf gegen Stuttgart 21 rechtfertigen würde“, bitte ich Sie, die vielfältigen Äußerungen auf diesem Blog zur Kenntnis zu nehmen – insbesondere unsere „Gemeinsame Erklärung“. Wenn man eines nicht sagen kann, dann dass hier nicht gründlich theologisch gearbeitet werde.
    4. Unser ganzer Blog (und mehr noch die Seiten der Ingenieure, Architekten und Geologen) ist voll von Argumenten, in denen z.T. höchst differenziert dargestellt (und „nachvollziehbar belegt“) wird, was an S21 alles zerstörerisch ist.
    Wie Sie zu der Ansicht kommen, die Äußerungen darüber seien „nebulös“ und „das war es dann schon“, ist für einen halbwegs aufmerksamen Leser nicht nachvollziehbar.
    Ich finde es im Übrigen ausgesprochen unverantwortlich von Ihnen, dass Sie sich offenbar immer noch nicht ausreichend darüber informiert haben, was S21 tatsächlich für Stuttgart und das Land bedeutet.
    5. Dass Sie einen Gottesdienst für Menschen, die um ihren Park, ihre Stadt, ihre politischen Hoffnungen trauern, mit der „Taufe“ eines Tunnels gleichsetzen, mag dem geschuldet sein, dass Sie sich im Bereich Theologie und Kirche nicht ausreichend auskennen. Auch dazu hätten Sie aber einiges Erläuterndes auf unserm Blog lesen können.

    Martin Poguntke
    (ohne Anführungszeichen, denn ich schreibe hier unter meinem tatsächlichen und ganzen Namen)

  8. Lieber „Martin Poguntke“,

    ich habe auf den benannten Seiten leider nichts Vernünftiges, Nachvollziehbares gefunden, was diesen Protest und eine geforderte Einmischung der Landeskirche rechtfertigen würde.

    Es geht hier nur um den Umbau eines Bahnknotens. Da ist ein „Glaubenkrieg“ – wie Sie ihn offenbar entfachen wollen, völlig überflüssig.

    Sie sammeln eben – teilweise unter religiöser Bezugnahme – die Zaghaften, die „Bedenkenträger“ und all jene um sich, welche technischen Fortschritt aus verschiedensten Gründen ablehnen und teilweise sogar verteufeln und fabulieren über die Lebensgefährlichkeit des Lebens.

    Folgte man dieser Lebenseinstellung, hätte wohl Gott mit der Erschaffung der Welt auch gar nicht erst angefangen – was da alles passieren konnte und letztlich auch passiert ist!!!

    Andere sind da wesentlich lebensbejahender und optimistischer und vertrauen der Kompetenz der Fachleute – und folgen ggf. eher der Faustschen Übersetzung:

    „Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat
    Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat!“

    • Lieber „Friedrich“, ich geb’s auf.
      Alles, was ich Ihnen antworten könnte, hätten Sie auch auf den diversen S21-Kritiker-Seiten lesen können.
      Ich könnte nur wiederholen, dass es ein ökologischer und sozialer Skandal ist, wenn einer der besten Bahnhöfe Deutschlands (auf Kosten des Steuerzahlers) durch einen weniger leistungsfähigen (und damit den Autoverkehr weiter befördernden), weniger behindertenfreundlichen und im Brandfall unvergleichlich unsichereren Kellerbahnhof ersetzt werden soll – nur um ein paar Hektar Filet-Grundstücke verkaufen zu können.
      Selbst wenn damit keine(!) geologischen Risiken verbunden wären – wenn die Unterstützung eines solchen Vorhabens „lebensbejahend“ und „optimistisch“ sein soll, dann verzichte ich gerne darauf, zu dieser der Kompetenz der Fachleute vertrauenden Spezies Mensch zu gehören. Mit christlicher (Schöpfungs- und Sozial-)Ethik ist jedenfalls solch zerstörerische Gier nicht zu vereinbaren.
      Mit gutem Grund hat der Verfasser von Johannes 1 („Im Anfang war das Wort“) Gott nicht(!) – wie Faust in Ihrem Zitat – als „Tat“ apostrophiert (gerade durch diese Engführung wurde ja Faust zum Auslöser der Tragödie). Welch plattes Weltbild, den Sinngeber dieser Welt mit „Tat“ gleichzusetzen! Und welche Tiefe christlicher Erkenntnis, dass Johannes (wenn er in dieser seiner philosophierenden „Weihnachtsgeschichte“ fortfährt: „Das Wort ward Fleisch“) Jesus von Nazareth nicht als reinen Tatmenschen banalisiert, sondern als einen, in dem uns viel grundsätzlichere Wahrheit über die Welt begegnet.
      Nein, lieber „Friedrich“, da sehe ich durchaus noch Spielraum zum vertieften Nachdenken bei Ihnen.
      Mit wohlmeinendem Gruß, Martin Poguntke

  9. Lieber „Martin Poguntke“

    Woher nehmen Sie die fragwürdige Erkenntnis, dass der Stuttgarter einer der besten Bahnhöfe Deutschlands sei.

    Zu seiner Zeit war dieser Bahnhof recht passabel, diese Zeit ista aber nun schon eine ganze Weile vorbei und der Bahnhof längst an seiner Leistungsgrenze angekommen.

    Aus gutem Grund wird deshalb ein wesentlich leistungsfähigerer, barrierefreier und damit auch wesentlich behindertenfreundlicherer, sicherer und moderner Durchgangsbahnhof gebaut, da die Zeit der Kopfbahnhöfe schon lange vorbei ist.

    Dass Sie sich nun derart vor den Karren der Immobilienspekulanten der Halbhöhe spannen lassen, welche ihre Pfründe sichern und verhindern wollen, dass die Stadt auf EIGENEM Grund im Interesse ihrer Bürger planen und bauen lassen kann und dies noch religiös verbrämen, erschreckt schon.

    • Ich bitte um Erklärung, inwiefern der Tiefbahnhof behindertenfreundlicher sein soll. Meines Wissens ist es dort enger und steiler und dunkler, und das ist für Behinderte in der Regel eher unpraktisch.

  10. Sehr geehrter Friedrich,
    Wer behauptet, es gehe bei Stuttgart 21 nur um den Umbau eines Bahnknotens, hat sich mit diesem Projekt noch nicht ernsthaft befasst und sollte einfach dazu schweigen – oder noch besser -, sich endlich mal damit befassen.
    Michael Harr.

  11. Sehr geehrter Michael Harr,

    auch wenn Sie sonst was um das Projekt herum erfinden, zusammenbasteln und hineininterpretieren:

    es geht bei S 21 um nicht mehr, als den Umbau eines Eisenbahnknotens, aus welchem die Stadt Stuttgart und damit die Bürger der Stadt aus städtebaulicher Sicht erhebliche Vorteile erzielen kann.

    Dazu gibt es nun unterschiedliche Meinungen, letztlich setzte sich jedoch die Meinung durch, das Projekt zu realisieren, dies wurde zuletzt auch durch die Mehrheit der Bürger des Landes in direkter Abstimmung nochmals bestätigt.

    Weshalb dies nun zu einem Glaubenskrieg führen soll, ist nicht erkennbar.

    Nicht erkennbar ist auch, weshalb die Landeskirche sich hier auf eine Seite schlagen sollte.

    Ihr Geschrei möchte ich nicht hören, wenn die Landeskirche sich wie die Mehrzahl ihrer Angehörigen offiziell für das Projekt aussprechen würde.

  12. Wer sich näher für die gewesene evangelisch-methodistische Auferstehungskirche und deren Abriss interessiert, kann auf Wikipedia unter „Auferstehungskirche (Stuttgart)“ fündig werden. Es ist eine Schande, wie in Stuttgart mit der wenigen historisch und architektonisch bedeutsamen Bebauung umgegangen wird. „Weg mit dem alten Kruscht!“, ist das mehr oder weniger geheime Motto der Stadtpanung.
    Michael Harr

  13. Pfarrer Andreas Koch führte zur Frage, dass es nur um den Umbau eines Bahnknotens geht, folgendes auf, was mir sehr zusagt:

    „Wer austeilt, muss auch einstecken können. Kein Problem also, wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen gegen Stuttgart 21, mir nun kräftig den Kopf waschen! Was in diesen heißen Sommertagen ja durchaus wohltuende Wirkung haben kann, vor allem aber die Klarheit der eigenen Gedanken fördert. Insofern danke für alle konstruktive Kritik! Ich werde sie nicht einfach unter den Tisch fallen lassen. Den mir servierten Goethe’schen Quark dagegen gebe ich zurück und sage: Quark war es, ist es und bleibt es, wenn behauptet wird, Stuttgart 21 würde jegliche demokratische Legitimation fehlen. Guten Appetit!

    Nun aber im Ernst und ohne Häme ein paar mir im diesem Zusammenhang noch wichtige Dinge. Zum einen: Ja, ich bin für die SPD politisch aktiv. Was dem einen oder anderen plötzlich als Totschlagargument gelegen kommt. Nicht so den Bürgerinnen und Bürgern von Esslingen. Die seit beinahe zwei Jahrzehnten offensichtlich gerne einen Pfarrer die Geschicke ihrer Stadt mitbestimmen lassen, aber das wohl vor allem deshalb, weil er beides voneinander zu trennen weiß: Beruf und Ehrenamt. Und beides doch wiederum auch im Zusammenhang sieht und sich dementsprechend allen und nicht nur seiner eigenen Partei verpflichtet fühlt. Rote Socken jedenfalls trage ich keine und schon gar nicht, wenn ich hier über Stuttgart 21 rede und schreibe.

    Zum anderen: Was „Koch meint“, meint er als Rundfunkpfarrer, wenn auch „off air“. Deshalb finden sich auf dieser Seite auch keine Argumente pro oder contra Stuttgart 21. Dazu äußere ich mich nur als politisch engagierte Privatperson, aber keinesfalls dienstlich. Sehr wohl aber ist es mir ein berufliches Anliegen, auf Art und Stil der Diskussion um Stuttgart 21 Einfluss zu nehmen und mein Teil zur Friedlichkeit der Auseinandersetzung beizutragen. Ob das stets gelingt, sei dahingestellt. Ziel aller Beiträge hier ist es jedenfalls, einen zweiten „Schwarzen Donnerstag“ oder ähnliches zu verhindern.

    Und damit zum Dritten: Wer so wie ich diese Unterscheidung von quasi offiziell kundgetaner und persönlicher Meinung als für den Pfarrersberuf unabdingbar hält, muss mit Ihrer Vorgehensweise, liebe Kolleginnen und Kollegen gegen Stuttgart 21, Schwierigkeiten haben. Weil Sie genau das nicht tun, sondern beispielsweise Ihren Offenen Brief an die SPD-Ministerinnen und -Minister in der baden-württembergischen Landesregierung als Mitglieder der Initiative „Pfarrer/innen gegen Stuttgart 21“ unterzeichnen. Um den Hintergrund, vor dem Sie argumentieren, deutlich zu machen, sagen Sie. Ich sage: Ob Sie wollen oder nicht, werden viele unserer gemeinsamen „Schäfchen“ das tatsächlich so verstehen, als ob Christen im Allgemeinen und Pfarrer im Besonderen Ihrer Meinung nach nur diese und keine andere Auffassung vertreten könnten. Anders wäre ja auch gar nicht zu erklären, warum in der Sache Andersdenkende – übrigens hinüber wie herüber – meinen, einen Kirchenaustritt in Erwägung ziehen zu sollen.

    Ein Letztes: Das regt Sie offenbar kolossal auf, wenn ich von Stuttgart 21 als einem reinen Bahnhofsprojekt rede. Also ist es für Sie etwas anderes. Etwas Umfassenderes? Etwas Höheres? Vielleicht doch so etwas wie eine Bekenntnisfrage? Was mir vor allem aus einem Grund schwer missfällt: weil der Protest gegen Stuttgart 21 damit plötzlich eine hochmoralische Dimension bekommt, dabei Gefahr läuft, sich als „Widerstand“ misszuverstehen, sich von gesellschaftlichen Spielregeln entbunden sieht und im Vorbeigehen dann auch noch Gott auf die eigene Seite zu ziehen versucht. „Stuttgart 21 gleich Babel 21“ – so etwas sollte ein Pfarrer weder denken noch sagen.

    Ich schließe ganz prosaisch und zitiere aus dem württembergischen Pfarrergesetz: „Der Pfarrer hat durch seinen Dienst wie auch als Bürger Anteil am öffentlichen Leben. Er hat erkennen zu lassen, dass ihn sein Auftrag an alle Gemeindeglieder weist und mit der ganzen Kirche verbindet.“ (§ 20, Abs. 1) Weil ich dieses „an alle“ bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht gewährleistet sehe, habe ich an Ihnen Kritik geübt. Ich erlaube mir, bei meiner Meinung zu bleiben. Wobei es Meinungen ja so an sich haben, dass man auch anderer Meinung sein kann.“

  14. Auch diesen Beitrag des Herrn Pfarrer Andreas Koch lohnt es sich (nochmals) zu lesen.

    „DER DROHBÜRGER

    „Der Wutbürger“ und „Der Mutbürger“: Mit diesen Wortschöpfungen hat kürzlich das Nachrichtenmagazin Der Spiegel auf sich aufmerksam gemacht. Und beiden jeweils einen Essay gewidmet. Dem, der mit der Trillerpfeife im Mund den Fortschritt bekämpft, weil ihm die eigene Bequemlichkeit über alles geht. Und jenem, den nicht das Neue, wohl aber das politische Basta stört und der couragiert für mehr Demokratie eintritt. Der eine wie der andere Essay ist lesenswert, zumal hier wie da der Protest gegen Stuttgart 21 den aktuellen Aufhänger bildet.

    Im Zusammenhang mit Stuttgart 21 ist derzeit aber noch eine dritte Spezies Bürger unterwegs, hier „Der Drohbürger“ genannt. Weil er, wenn ihm etwas nicht passt, sofort und unmissverständlich droht: seiner Zeitung mit Kündigung, der bislang favorisierten Partei mit Stimmentzug und der eigenen Kirche mit Austritt. An der ihm wie bei Zeitung und Partei so einiges missfällt, beispielsweise dass der Landesbischof nicht für oder gegen das Bahnprojekt Stellung nimmt; dass im Schlossgarten Geistliche die Grenze zur Esoterik überschreiten und Laien das Wort „Widerstand“ missbrauchen; dass wiederum ein Pfarrer sich bei seinem Eintreten für Stuttgart 21 in der Wortwahl völlig vergreift; und dass insgesamt die Kirchenleitung dem allem keinen Einhalt gebietet. Wobei mit „dem allem“ natürlich immer nur die angeblichen Verfehlungen der anderen Seite gemeint sind. Weil ihm das alles aber nun gar nicht passt und nicht in seinem Sinn entschieden wird, greift besagter Typ Bürger zum Mittel der Drohung und droht in Leserbriefen, Online-Kommentaren oder Telefonaten nicht immer, aber immer öfter mit dem Kirchenaustritt. Und manchmal lässt er seiner Drohung Taten folgen – leider.

    Wobei „Der Drohbürger“ keine durch Stuttgart 21 hervorgebrachte und auf das Bahnprojekt beschränkte Spezies ist – auch nicht in Sachen Kirche. Denn auch das ist scheinbar unverzeihlich: dass ein Pfarrer von seinen Konfirmanden die regelmäßige Teilnahme am Gottesdienst erwartet. „Wenn mein Sohn da weiter hingehen muss, trete ich aus der Kirche aus!“ Jener Herr Vater hat da nicht viel Federlesens gemacht in den vergangenen Tagen.

    Ehrlich gesagt mag ich den Drohbürger nicht, glaub auch nicht, dass es ihn braucht und dass er selber mit seinem Drohen glücklich wird. Weil man die Zeitung nur einmal abbestellen kann, eine Protestwahl auf Dauer nichts bewirkt und einem, sobald man aus der Kirche ausgetreten ist, das Mittel des Austritts kein zweites Mal zur Verfügung steht.

    Aber eigentlich geht es mir hier zumal im Blick auf die evangelische Kirche um etwas ganz anderes, und zwar darum: Es kann doch niemand wollen, dass es in unserer Kirche nur eine Meinung gibt; dass in ihr von oben nach unten durchregiert wird; dass unliebsame Personen zum Schweigen gebracht werden; und dass man uns sagt, was bei einer Sache wie Stuttgart 21 richtig und was falsch ist. Das möchte ich schon selber entscheiden dürfen, und zwar gerade in der Auseinandersetzung mit Auffassungen, die nicht die meinen sind. Dass es bei dieser Auseinandersetzung Grenzen gibt, die nicht überschritten werden dürfen, ist klar. Und der Respekt vor diesen Grenzen muss auch eingefordert werden. Drohen braucht man dazu aber nicht.

    Wenn ich aber den Drohbürger nicht mag, wen mag ich dann? Ich mag den streitbaren Christenmenschen, der in- und außerhalb der Kirche für seine Sache kämpft, dabei wie Martin Luther Profil und also Ecken und Kanten zeigt und der nicht nachgibt, nur weil ihm der Wind ins Gesicht bläst; der aber im Pro oder Contra besagte Grenzen achtet, immer auch versöhnlich ist und andere Meinungen gelten lassen kann; der, weil er sich um gute Argumente bemüht, das Mittel der Drohung nicht braucht; und der seine Kirche so sehr liebt, dass ein Austreten für ihn nie und nimmer in Frage käme – schon gar nicht wegen Sachen, die ärgerlich zwar, aber meist nur Nebensachen sind. Oder anders ausgedrückt und auf Stuttgart 21 heruntergebrochen: Auch und gerade im Blick auf das kontroverse Bahnprojekt und das nicht immer unumstrittene Verhalten des Bodenpersonals Gottes wünsche ich uns allen die Einstellung, für die Altlandesbischof Eberhardt Renz im Blick auf die Kirche als ganzes mit einem afrikanischen Sprichwort gerne so wirbt: „Wer seinen Hund liebt, muss auch dessen Flöhe lieben.“ Der Drohbürger ist tot! Es lebe die Gelassenheit!“

  15. Noch eine Anmerkung, sehr geehrter Herr Harr:

    Sie schreiben:

    „Hier fand etwas statt, das „Tunneltaufe“ genannt wurde. Wie überhaupt Theologen ohne Kommentar und Kritik an diesem Begriff an so einer „Tunneltaufe“ teil nehmen können, ist schon sehr schwer zu verstehen.“

    Da sollten Sie schon mal darlegen, wer von den Teilnehmern oder den Einladenden den Begriff Tunneltaufe verwandt haben soll.

    Sie werden niemand finden. Dieser Begriff wurde ganz offensichtlich von Ihnen selbst eingeführt, um diesen dann anzugreifen.

    Eingeladen wurde zum Tunnelanstich; es fand dann eine Barbarafeier statt, wie diese Tradition ist, also mit (gemeinsamen) Gebet und einer Ansprache des Pastors, ferner wurde die Heiligenfigur geweiht – alles keine Handlungen, welche mit Ihrer Kritik irgendetwas zu tun hätten.

    Was kann nun aber Herr Bauder dafür, dass SIE diese Veranstaltung „Tunneltaufe“ nennen und sich anschließend darüber erregen?

  16. Ist die Landeskirche FÜR S21? Nein?
    Probehalber unterstellen wir ihr mal, daß sie es sei. Dann gibt es mehrere Möglichkeiten.
    – Die Landeskirche verkündet, das Bahnprojekt sei ein weltlich Ding und gehe sie nichts an.
    – Die Landeskirche sagt, Mehrheiten seien FÜR S21, und deswegen sei es praktisch, auch dafür zu sein, weil man ja volksnah sein möchte.
    – Die Landeskirche gibt zu, sie sei schon immer FÜR S21 gewesen, habe sich aber nicht getraut, das zuzugeben, weil sie grundsätzlich Streit vermeiden möchte.
    – Die Landeskirche sagt, sie kenne sich bei Bahnbauprojekten nicht aus, aber die Ingenieure der Bahn seien so tolle Christenmenschen, da habe man einfach glauben müssen, daß S21 ganz fantastisch werde.
    – Die Landeskirche dementiert, daß es in Stuttgart große Baustellen gibt, denn sie hat zum Kirchentag eingeladen, und da sei man guter Hoffnung, daß alles gut läuft.
    Bestimmt gibt es noch viele Möglichkeiten mehr, wie die Landeskirche auf diese Unterstellung reagieren könnte. Sie wollen mir bloß nicht in den Sinn kommen. Wer hilft mir?

  17. Weshalb sollte DIE Landeskirche für oder gegen S 21 sein und weshalb sollte eine solche Positionierung erforderlich sein?

    Das Bahnprojekt IST ein weltlich Ding und bietet gar keinen Raum für solche theologische Interpretationen.

    IN der Landeskirche sind Projektbefürworter und -kritiker vereint, welche zum Großteil tolerant genug sind, auch andere Auffassungen zu akzeptieren.

    Liest man sich dann aber z.B. Ausführungen und Predigten des Herrn Pfarrer Gehrling durch, kommt einem schon das kalte Grausen.

    Hier mal ein Beispiel:

    „Lieber Amtsbruder Koch,
    zu der immer wieder dargestellten Meinung, Stuttgart 21 sei keine Bekenntnisfrage, empfehle ich die Lektüre des Artikels von Dr. Jochen Vollmer im Deutschen Pfarrerblatt 7/2009 S. 365 ff: Eintritt in den Processus Confessionis. Die Kirche vor der Kapitalismusfrage. Auch im Sommer 1933 haben die meisten Kirchenleitungen, Pfarrer und Chisten in Deutschland die Meinung vetreten, der Arierparagraph sei doch nur ein Paragraph, erlassen durch den von Gott geschenkten Führer. Dass hier ein Herrenmenschentum angefangen hat, das im Holocaust an Menschen mit Behinderungen, Regimegegnern, Juden, Sinti und Roma und Homosexuellen geendet hat, dürfte heute unbestreitbar sein. Der Kapitalismus in seiner heutigen neoliberalen Ausprägung hat seinen sattsamen Anteil am Holocaust an den Hungernden. Stuttgart 21 ist ein Schlüsselprojekt dieses zerstörerischen neoliberalen Kapitalismus. 700 Pfarrer haben 1933 im Widerstand gegen den Arierparagraphen den Anfängen der Herrenmenschen wehren wollen. Ich versuche in meinem Widerstand gegen das Projekt Stuttgart 21 denen zu wehren, die heute meinen, sich als Herrenmenschen die Welt unter den Nagel reißen zu dürfen, und dabei die Hungertoten als konsequente Kollateralschäden in Kauf nehmen.
    Mit herzlichem Gruß
    Friedrich Gehring

    Antwort
    Friedrich Gehring sagt:

    Ich nenne den Arierparagraphen und S 21 in einem Atemzug, weil ich aus der Geschichte lernen möchte und befürchte, dass diejenigen, die auf geschichtliche Ungleichheit so großen Wert legen, sich diesen Lernerfolg entgehen lassen.
    Mein Großvater zog im Sommer 1933 als württembergischer Dekan noch begeistert mit der Gruppe „Kampffront Deutsche Christen“ in die Landessynode. Er hat beim Arierparagraphen noch nicht bemerkt, worauf der Nationalsozialismus hinausläuft. Erst bei der Niederschlagung des angeblichen „Röhmputschs“ wurde ihm klar, dass die Demokratie abgeschafft war. 1941 predigte er dann gegen die Ermordung von Menschen mit Behinderungen und entkam nur knapp dem KZ. Leide ich unter Realitätsverlust, wenn ich wenn ich diese familiäre Realität bei mir trage, um heute früher zu merken, worauf eine Ideologie hinausläuft? Ich setze nicht den Arierparagraphen mit S 21 gleich, aber ich hoffe, dass heute schon immer mehr Menschen an S 21 erkennen, worauf der Neoliberalismus hinausläuft.“

    Wenn Herr Gehrling hier Projektbefürworter als praktizierende Herrenmenschen im Sinne der Naziideologie beschimpft und S 21 faktisch mit den Verbrechen der Nazis wie dem Holocaust gleichsetzt, ist wohl jeder Bogen überspannt.

    Da schwieg die Kirche wohl eher vor Sprachlosigkeit und stieß ein Ahmen dahingehend aus, dass dieser Herr sich schon im Ruhestand befindet, was ihn allerdings nicht davon abhielt, solche unsäglich kindischen Predigten zu halten, wie anlässlich des Parkgebetes Weihnachten 2012.

  18. P.S. D.S.

    Müssen die Fachleute der Bahn zwingend „Christenmenschen“ sein, um gute Arbeit leisten und fachlich richtige Einschätzungen treffen zu können?

    Rational erscheint mir das ebensowenig, wie z.B. die permanente kindische Unterstellung, der Bahn sei es egal oder sie arbeite sogar darauf hin, dass (ihr eigener) Bahnhofsturm (in welchem sie gerade die Ausstellung neu und aufwändig installierte) einstürze (und dann ggf. die Baustelle unter sich begrabe.

    • Ich bin nicht ganz richtig verstanden worden.
      Ja, ich erwarte, daß die Fachleute des Konzerns Bahn ihre Arbeit gut machen. Es ist mir egal, ob sie gute Christenmenschen sind.
      Ich meine, man sollte in der Beurteilung der Arbeit der Bahnfachleute ihren Glauben außenvorlassen. Also, falls die Kirche Interesse daran hätte, die Arbeit der Bahnfachleute zu kommentieren oder zu beurteilen, dann sollte sie sich von fachlichen Überlegungen leiten lassen und nicht von einer eventuellen Verbundenheit aufgrund desselben Glaubens.

    • Ich bitte um Verständnis dafür, daß immer wieder Leute unter den Tiefbahnhofgegnern auf die Idee kommen, es ginge eigentlich nur um Abreissen und Aufbauen und Abreissen und Aufbauen (wie im Sandkasten). In Stuttgart geschieht nämlich genau das, in einer noch pervertierteren Form: erst teuer renovieren, dann teuer abreissen, dann teuer und häßlich neu bauen, dann leer stehen lassen, und dann wieder von vorne. Ob da jemand dran verdient?

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