Psalm 27,1+5+14
1 Der Herr ist mein Licht und mein Heil; vor wem sollte ich mich fürchten? Der Herr ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen?
5 Denn er deckt mich in seiner Hütte zur bösen Zeit, er birgt mich im Schutz seines Zeltes und erhöht mich auf einen Felsen.
14 Harre des Herrn! Sei getrost und unverzagt und harre des Herrn!
Liebe Freundinnen und Freunde des Parks und des Kopfbahnhofes,
manchmal haben wir eine schwere Durststrecke zu bewältigen. Wo es mühsam wird, dran zu bleiben. Wie bei einer Bergbesteigung.
Hoch und schier unerreichbar ragt da der Gipfel über uns auf. Wolken verhangen und im dichten Nebel ist er fast nicht mehr zu erkennen. Wie abweisend und unnahbar ist das Ziel entfernt.
Da ist dann unser Durchhaltevermögen gefragt. Weiter kommen wir nur, wenn wir mit Ausdauer und Beharrlichkeit dran bleiben. Und uns auch Pausen gönnen, Erholung und Vergewisserung. Ein Auftanken unter Freundinnen und Freunden, so wie heute Abend. Und wir brauchen es, dass wir nicht alleine gehen, sondern immer zu mehreren. Wer einen steilen Berg erklimmen will, braucht eine Seilschaft, Menschen, die mit klettern, die wenn nötig, fest halten, die absichern. Mit dem Seil in Kontakt bleiben heißt: ich gehöre dazu und trage zum Gelingen bei.
Ich habe für heute ein rotes Seil mitgebracht, wie ein roter Faden, an den wir uns jetzt symbolisch und doch ganz greifbar zu einer Seilschaft verbinden können.
Ich gebe das Seil weiter und wer will, kann sich dran festhalten, die Verbindung spüren.
So ein Moment der Ruhe dient auch dazu, die eigene Befindlichkeit wahrzunehmen und die Festigkeit der Verbindung zu überprüfen. Denn wer mit am Seil hängt, der/die ist in erster Linie für sich selbst verantwortlich, dass es ihr/ ihm selbst gut geht. Habe ich genug zu essen und zu trinken dabei? Wie ist meine körperliche Kondition? Habe ich die angemessene Kleidung an, die trittfesten Bergschuhe? Wie sieht es mit meinem Durchhaltevermögen aus, gerade auch bei einer langen Durststrecke?
Nur wenn ich gut auf mich achte und vorbereitet bin, bin ich auch eine gute Teilnehmerin/ein guter Teilnehmer der Seilschaft. Denn die anderen halten mich nur, wenn ich in Not gerate.
So eine Ruhepause dient zum Kräfte sammeln. Und auch dazu, mich zu fragen: bin ich weiterhin überzeugt, dass ich wirklich weiter klettern will. Ist das immer noch der passende Berggipfel für mich oder nicht?
Bin ich abhängig davon, dass die anderen mich am Seil mitziehen oder bin ich überzeugt davon, dass das Ziel für mich immer noch gilt und ich deshalb auch weiter die Energie aufbringe, dabei zu sein, das Seil zu halten und Schritt für Schritt einen Fuß vor den anderen zu setzen. Auch wenn es mühsam ist, auch wenn es Schweiß und manchmal auch Tränen kostet?
Solche Zeiten der Vergewisserung sind für uns z.B. die Kundgebungen, die Demonstrationen, die Parkgebete und all die vielen anderen Veranstaltungen rund um das Projekt, den Kopfbahnhof in Stuttgart zu erhalten. Unseren Berggipfel.
Dabei tauschen wir uns aus, geben Neuigkeiten weiter und bestätigen Bekanntes. Wir können uns mit Informationen und anderen Meinungen auseinander setzten. Dabei können wir immer wieder feststellen: ist das Ziel meiner Anstrengung und Einsatzes für mich weiterhin gegeben oder hat sich etwas verändert. Und dann entscheide ich: halte ich weiter durch oder nicht.
Für mich persönlich hat sich nach dem Abriss der Bahnhofsflügel und besonders nach dem Zerstören der Bäume und der Verwüstung des Parkabschnittes etwas von meinem Ziel verändert. Mein Ziel: das Erhalten des Bahnhofs als funktionstüchtiges Denkmal und das Erhalten des Lebens der Bäume ist für mich nicht mehr erreichbar. Unwiederbringlich. Auch ein Wiederaufbau der Bahnhofsflügel ist nur ein Ersatz.
Wieso stehe ich dann noch hier? Wieso halte ich weiter durch, mit Pausen dazwischen? Wieso bin ich noch Teil der Seilschaft?
Weil für mich diese Zerstörung ein Symbol dafür geworden ist, wie die Regierenden und die Ökonomen sich von meinen Werten entfernt haben. Maßlosigkeit und Überheblichkeit haben Überhand genommen. Die auch die von mir gewählten heutigen Machthabenden setzten sich einfach hinweg über die Erhaltung der Schöpfung, ein friedliches Miteinander in der Stadt, den achtsamen Umgang mit Menschen aller Lebensumstände. Auch der sinnvolle Einsatz von Steuergeldern und überhaupt die Wahrhaftigkeit in den Reden haben keine Bedeutung mehr. Wer diese Werte missachtet, entfernt sich auch von der Demokratie.
Für meine Werte einzutreten, dass ist jetzt mein Ziel. Die Demokratie, Mitbestimmung und politische Verantwortung von uns allen zu erhalten, dass ist meine Motivation, „weiter zu klettern“.
Es gibt unterschiedliche Gründe hier zu stehen, weiter dran zu bleiben.
Und es tut sehr gut, sich in der Gemeinschaft zu vergewissern: wieso halte ich an der Aktion fest? Wieso steige ich nicht aus, lasse das Seil los?
Wieso mache ich mir die Mühe weiterhin ein Stein des Anstoßes zu sein, der nur noch als ein teures Verkehrshindernis wahrgenommen wird.
Das Seil spüren, die Verbindung wahrnehmen.
Wir machen diese Klettertour gemeinsam. Sie ist ein Teil in unserem Leben, nicht unser ganzes Leben.
Es tut gut, nach einem Tourenabschnitt wieder in den ganz normalen Alltag einzutauchen; um dann übermorgen am Samstag, am nächsten Montag, Donnerstag, oder bei welcher Aktion auch immer wieder dabei zu sein, den Platz am Seil wieder einzunehmen.
Gott sieht unsere Beharrlichkeit und ermutigt uns:
1 Der Herr ist mein Licht und mein Heil; vor wem sollte ich mich fürchten? Der Herr ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen?
5 Denn er deckt mich in seiner Hütte zur bösen Zeit, er birgt mich im Schutz seines Zeltes und erhöht mich auf einen Felsen.
14 Harre des Herrn! Sei getrost und unverzagt und harre des Herrn!
Statt alleine frustriert und deprimiert zurück zu bleiben, statt dem Gefühl des Versagens Platz zu geben, sind wir eingeladen, uns bei Gott zu erholen. Kraft zu schöpfen, Schutz zu finden und dann mit Freude und auch Stolz auf zu stehen und weiter zu gehen.
Manchmal brauchen wir es, dass die anderen uns ein Stück mitziehen. Manchmal ziehen wir die anderen mit.
Und Gott schenkt uns den Trost und die Zuversicht, dass wir spüren können, aufrecht, kraftvoll und mit festem Halt: wir sind immer noch da. Und mit uns unsere Werte, gerade jetzt, standhaft und beharrlich.
Als sichtbares Zeugnis des Widerstandes gegen sinnloses und überhebliches Handeln von Menschen.
Und solange wir gemeinsam unterwegs sind, ist die Möglichkeit, den Gipfel/ unser Ziel zu erreichen, weiterhin gegeben.
AMEN
Psalm 121 als Abschlusssegen
1 Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe?
2 Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.
3 Er wird meinen Fuß nicht gleiten lassen und der dich behütet schläft nicht.
4 Siehe, der Hüter Israels schläft und schlummert nicht.
5 Der Herr behütet dich; der Herr ist dein Schatten über deiner rechten Hand,
6 dass dich des Tages die Sonne nicht steche noch der Mond des Nachts.
7 Der Herr behüte dich vor allem Übel, er behüte deine Seele.
8 Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit!
Wir lassen das Seil für heute wieder los, in der Gewissheit, dass wir es bei jedem Treffen wieder innerlich sehen und spüren können, wenn wir wollen. Und kehren mit Gottes Segen wieder in unseren Alltag zurück.
Da ich nicht mehr so weit laufen kann, habe ich mich nicht am Demozug zur 191. Montagsdemo beteiligt, sondern bin gleich in den Park und habe mich mit meinem Plakat auf eine Bank gesetzt und habe gewartet, was da alles kommt. Und dann kamen sie – die Menschen – die Menschen, die verhindern wollen, dass unsere Stadt, unsere Heimat zerstört wird, und wir immer mehr von fragwürdigen Machtstrukturen aufgefressen werden. Und ich war so sehr berührt bei diesem Anblick, dass mir die Tränen kamen. Aus allen Richtungen strömten die Menschen im Abenddämmerlicht unter den großen Bäumen über die Wiesen in Richtung Bühne, die in vollem Licht aufgebaut dastand. Viele hatten ein Kerzenlicht in der Hand, manche ein Poster oder ein Band mit Aufschriften, und manche Buttons, die immer mehr werden, und jeden Montag gibt es wieder neue. Die ganze Szenerie hat so viel tiefen Frieden ausgestrahlt, so dass die Wut, die doch sicherlich bei vielen von uns vorhanden ist, nicht spürbar und präsent war. Je später es wurde und der Menschenstrom noch lange nicht endete, desto mehr gab es für mich die Ahnung, dass die Menschen mehr und mehr aus dem Dunkel kommen, und dieses Auftauchen aus dem Dunkel wirkte fast unheimlich. Und über allem spürte ich eine so starke Kraft und Macht – im positiven Sinne – für mich hatte das alles etwas Göttliches. Auch ich ließ mich dadurch stärken, und ich spürte ganz deutlich: wir alle zusammen sind stark, wahrhaftig und identisch – an uns kommt niemand vorbei – und ich wusste plötzlich ganz klar: wir werden selbstverständlich auf diesem Weg unser Ziel erreichen!