Parkgebet-Ansprache am 18.07.2103 Guntrun Müller-Enßlin

Liebe Freundinnen und Freunde,
dieser Tage jährt sich zum dritten Mal der Protestsommer 2010. Wir erinnern uns: Aus Demonstrantenzahlen, die immer so um die dreitausend herumschwappten, wurden auf einmal fünfstellige, Anfang August war das, und dann wurden aus 10.000 erst 20- und dann 30.000, und in der ganz hohen Zeit unseres Protests versammelten sich bis zum 60.000 Menschen im Park, auf dem Schlossplatz, zogen in riesigen Bandwürmern über den Cityring. So mancher von uns, glaubte damals zu träumen und hat gedacht, es würde nun immer so weiter gehen und es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis das Maulwurfprojekt gestoppt sei. Dieser Sommer 2010 hatte, bei all seiner Dramatik um das Wüten der Bahn auch etwas von einem Märchen, es ging immer höher mit uns hinaus, unsere Bewegung wurde bekannt, über Stuttgart, übers Ländle, schließlich über ganz Deutschland und noch weiter hinaus. Die Medien berichteten über uns, wir haben gedacht, es tut sich was, wir können was verändern, es lohnt sich, sich einzusetzen für die Stadt, für das Gemeinwesen, in dem wir leben.
Das alles – war einmal. In letzter Zeit greift an vielen Stellen der Frust um sich, auch innerhalb der Bewegung. Die Auseinandersetzungen auf unseren Blogs künden davon. Auch ich selber habe mich vor kurzem an das Märchen „Der Fischer und seine Frau“ erinnert gefühlt. Uns geht es wie den beiden. Wie der Fischer und seine Frau machten wir die Erfahrung, dass wir hoch hinaus wollten damals vor drei Jahren und das auch konnten, wir meinten, alles erreichen zu können. Am Ende sitzen der Fischer und seine Frau wieder in ihrer alten Kate, ihrer alten Fischerhütte, umgeben vom Gewohnten, als wäre nichts geschehen. Auch wir meinen manchmal, einmal im Kreis gelaufen zu sein und fragen uns, was ist anders geworden?
Ja, was ist eigentlich anders geworden? Ist eigentlich etwas anders geworden?
Ich denke, auch wenn wir bis jetzt nicht das erreicht haben, was wir wollten, so hat sich doch vieles verändert.
1. Wir haben Erfahrungen gemacht. Wir haben Erfahrungen gemacht, gute und schlechte, aber immerhin Erfahrungen. Wir haben erfahren, wie die Demokratie in unserem Land beschaffen ist, dass es eine Demokratie – übersetzt, eine Volksherrschaft ist, die einem Konzern, mit Unterstützung der gewählten Politiker, der Medien, der Werbung und des Rechtssystems, soviel Spielraum einräumt, dass er letztlich machen kann was er will. Das ist eine traurige Erfahrung, aber immerhin eine Erfahrung.
2. Was hat sich noch geändert? Es wird wieder demonstriert. Ich weiß noch, wie ich mich in den Jahren 2007 und 2008 gewundert habe, dass kein Mensch mehr demonstrierte. Die Bevölkerung schien dieses außerparlamentarische Instrument der Demokratie, um auf Missstände aufmerksam zu machen und sich zur Wehr zu setzen, verlernt, ja vergessen zu haben. Ich habe mich damals gefragt, ist Demonstrieren out, taugt es vielleicht in unserer heutigen digitalen Welt, wo alles über Handy und Internet geht, nicht mehr? Kaum ein Jahr später wurde meine Frage beantwortet mit der Erfahrung eines gigantischen Comebacks des Mittels der Demonstration: Wir hier in Stuttgart haben den Anfang gemacht. Von uns ist das damals ausgegangen, das können wir uns auf die Fahnen schreiben, ohne Wenn und Aber. Seit dem ist eine Entwicklung im Gang, die nicht zurückzudrehen ist: überall auf der Welt stehen Menschen auf, überall gehen sie zu Tausenden auf die Straße: in Nordafrika, in der Türkei, in Brasilien, in Ägypten. Es gibt die Blockupy-Bewegung. Die Anti-AKW-Bewegung hat neuen Schwung bekommen. Breite Bevölkerungsschichten nehmen es nicht mehr hin, sich unterdrücken und an der Nase herum führen zu lassen. Sie haben ihre Macht begriffen, die darin liegt, zu Zehntausenden und Hunderttausenden auf die Straße zu gehen und mit den Füßen abzustimmen. DAS IST ANDERS als früher! DAS hat sich verändert ohne Zweifel. Und daran haben wir teil.
3. Wir sind nicht mehr allein. Menschen, die sich früher im stillen Kämmerlein darüber aufgeregt haben, dass sie allein auf weiter Flur sind mit ihrer Kritik an den bestehenden Verhältnissen und den Möglichkeiten, etwas zu ändern, die haben sich gefunden. Es gibt ein Netzwerk dieser Menschen, die in vielem ähnlich denken und alle den Traum von einer besseren Welt haben. Waren sie früher isoliert, so sind sie nun miteinander verbunden. Der Schritt, dass wir uns auch bundesweit immer mehr vernetzen, wird kommen. Wir haben das Bewusstsein, wir sind viele, fürchterlich viele, zum Fürchten viele! Dieses Netzwerk zu haben, ist ein Schatz, den uns niemand nehmen kann, es sei denn wir selber.
Deswegen möchte ich mit diesem dritten Punkt gleich eine Warnung verbinden oder einen Appell: Lasst uns vorsichtig damit sein, uns intern zu zerfleischen. Selbstkritik in allen Ehren, aber sie darf nicht totschlagen! Der Frust, der Unmut, der sich innerhalb unserer Bewegung breit macht, ist verständlich und darf auch ausgedrückt werden; das tut der psychischen Hygiene gut. Ungut wird es aber, wenn der Frust dazu führt, dass wir uns gegeneinander wenden, dass es plötzlich eine Einteilung gibt in gute und schlechte, in seriöse und unseriöse, in ordentliche und unordentliche, in gewaschene und ungewaschene Protestierer. Von außen wird momentan alles dafür getan, dass wir als Verlierer dastehen und zu Verlierern will niemand gehören. Hüten wir uns davor, dass wir das Gewinner- und Verliererspiel auch noch in unsere Bewegung hineintragen, dass wir unterscheiden zwischen Gewinner-Protestlern und Verlierer-Protestlern und auf die letzteren mit dem Finger zeigen. Es gibt ein Wort, das manch einem von uns altmodisch klingen mag und trotzdem halte ich es für sehr notwendig: Das Wort Barmherzigkeit. Ich wünsche mir, dass wir an manchen Stellen barmherziger miteinander umgehen, als wir es derzeit tun.
Wie kann es weitergehen mit uns, denen es im Moment so vorkommt, als säßen sie wie der Fischer und seine Frau wieder in der alten Fischerhütte, ohne Aussicht auf Zukunft?
Was kann man tun in Zeiten, in denen es nicht weiterzugehen, ja rückwärts zu gehen scheint, nachdem man schon einmal viel weiter war?
Paulus sagt in Römer 12,12: Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, haltet fest im Gebet. Paulus geht davon aus, dass solche Situationen, wie wir sie derzeit in unserer Bewegung erleben, zum Leben dazu gehören. Im Moment sind unsere Möglichkeiten, spektakulär etwas an unserer Situation zu verändern, eher gering. Es kann also momentan nur darum gehen, dass wir das Feuer hüten und nicht ausgehen lassen, dass wir uns als Bewegung nicht aufreiben, sondern es uns im Gegenteil so gut gehen lassen und so schön machen wie irgend möglich. Dazu gehört für mich auch, dass wir uns zum Demonstrieren nicht den hässlichsten Ort in ganz Stuttgart aussuchen, sondern nach Möglichkeit den Schönsten. Fröhlich in Hoffnung: Unsere Zeit wird wiederkommen, und dann wird es wichtig sein, dass wir noch da sind und mit voller Kraft den nötigen Einsatz bringen. Bis dahin ist es eher nötig, einfach zu überleben – und gut zu überleben.
Geduldig in Trübsal: Geduld. Für viele Menschen das Schwierigste, auch für einen Menschen wie mich. Herr, gib mir Geduld, aber schnell!! In dem Wort Geduld steckt das Wort Dulden, Aushalten drin, aushalten, dass es im Moment nicht so schön, sondern zermürbend, vielleicht einfach auch nur langweilig ist.
Das Gebet ist eine Stütze, eine Gehhilfe für die Geduld. Und deshalb ist es so gut, dass es uns gibt, die wir uns hier versammeln zum Parkgebet, dass wir da sind, dass wir die Entwicklungen begleiten mit unseren Gebeten in Ruhe, Gelassenheit und mit dem sehr langen Atem der Hoffnung. Amen.

Eine Antwort zu “Parkgebet-Ansprache am 18.07.2103 Guntrun Müller-Enßlin

  1. Röm 12,12 – Das ist mein Konfirmationsspruch. Mein Pfarrer hat ihn für mich ausgesucht – so war es eben damals – und doch hat mir Röm 12,12 über vieles hinweggeholfen. „…haltet an am Gebet…“ hieß er damals noch. Haltet an am Gebet – am Fürbittengebet für wen, für was konkret? Eine Antwort darauf zu finden bedingt, dass wir uns immer weiter sorgfältig INFORMIEREN über das, was abgeht – jeder in der Dosierung, die für ihn passt – nicht weniger – aber auch nicht mehr. Und zur Information möchte ich die einzelnen Twitter-Protokolle der GWM-Erörterung empfehlen. Nach einem ersten Schock erholt man sich wieder – und wird dann wieder „fröhlich in Hoffnung“. Ich wünsche allen ein gesegnetes Wochenende. Daß man am Sonntag wählen gehen sollte, brauche ich an dieser Stelle ja wohl nicht zu erwähnen.

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