Liebe Parkgebets-Gemeinde,
man wirft uns GegnerInnen von Stuttgart 21 immer wieder gerne vor, wir seien technikfeindlich. Zumindest für meine Person kann ich das sehr deutlich zurückweisen. Das Gegenteil ist der Fall: Ich bin – obwohl ich von Beruf Pfarrer bin – fast ein bisschen ein verhinderter Ingenieur. Mich fasziniert das, was Technik heute alles kann: Computer-Technik, Straßen- und Schienenbautechnik, Medizin-, Energie-, Werkstofftechnik und, und, und… Nein, ich bin ein großer Bewunderer guter Ingenieurleistungen – und hasse schlechte.
Ich denke sogar, dass der Mensch nicht nur das „Tier“ ist, das Religion hat und Kultur schafft, sondern dass er auch das „Tier“ ist, das technische Spitzenleistungen hervorbringen kann. „Wenig niedriger als Gott“ ist der Mensch – so haben wir es vorhin im Psalm 8 gebetet. Technikfeindlichkeit – das wäre geradezu Menschen-Feindlichkeit. Denn herausragende Technik zu schaffen – das gehört zum Menschen dazu wie das Denken.
Ja, mehr noch: Wenn in einer der biblischen Schöpfungserzählungen der Mensch den Auftrag bekommt, sich die Erde „untertan“ zu machen, dann ist das geradezu der Auftrag: Ihr müsst(!) Besonderes leisten, um diese Erde zu gestalten!
Allerdings ist mit dem Untertan-Machen nicht Unterwerfung gemeint, sondern das antike Herrschafts-Ideal: Wer die Herrschaft hat, trägt auch die Verantwortung. Wir würden wohl in der Tat unserer Verantwortung gegenüber der Welt nicht gerecht werden, wenn wir nicht auch mit technologischen Spitzenleistungen den Lebensraum dieser Welt gestalten würden.
Wenn wir Menschen in derselben Schöpfungserzählung sogar als „Ebenbilder Gottes“ geadelt werden – „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde“ heißt es ja in einer der Schöpfungserzählungen –, dann werden wir damit geradezu als Mit-Schöpfer verstanden, als die einzigen „Tiere“, die den Auftrag haben, an Gottes Schöpfung aktiv gestaltend mitzuwirken.
Wo ist denn dann aber das Problem, dass wir als Christen auch die technische Seite von Stuttgart 21 kritisieren? Warum geißeln wir die S21-Planungen als „menschliche Hybris“, als „gottlosen Hochmut“?
Weil dieser Pflicht des Menschen zur technologischen Spitzenleistung auch noch eine andere Pflicht gegenüber steht – und die wurde und wird bei der Planung von S21 grandios vernachlässigt.
Ich will das mal an dem Gedanken der Gottesebenbildlichkeit verdeutlichen: Damit ist nicht gemeint, dass der Mensch ähnlich aussehe wie Gott oder ähnliche Eigenschafen habe, sondern: Dahinter steckt die Vorstellung von den königlichen Standbildern, die Herrscher früher in verschiedenen Städten von sich haben aufstellen lassen. Da sie nicht in allen Städten gleichzeitig sein konnten, sollten diese Standbilder als Stellvertreter dokumentieren: Auch hier gilt der Herrschaftsanspruch des Königs.
Übertragen sind wir Menschen diese Standbilder des Königs Gott: Wo wir Menschen stehen, da stehen wir als Stellvertreter Gottes, um zu dokumentieren: Auch hier gilt der Herrschaftsanspruch Gottes. Ebenbilder Gottes sein ist nicht der Auftrag, sich selbstherrlich als Götter oder Halbgötter aufzuspielen, sondern der Auftrag das in der Welt einzuklagen, was nach unserer Überzeugung Gott in und mit dieser Welt will.
Dem Auftrag, Ebenbild Gottes zu sein, wird man deshalb nur gerecht in Rückbindung an diesen Gott. Das heißt: Nur wer permanent fragt, was will unser Gott mit dieser und für diese Welt?, nur der ist wirklich Ebenbild Gottes und nicht Ebenbild irgendeines Götzen, dem er dient – und sei es nur der Götze des eitlen Ego.
Direkt nach den beiden Schöpfungserzählungen folgt in der Bibel die Erzählung vom Sündenfall. Sie erzählt davon, dass der Mensch – indem er zu Weisheit und Verstand kommt – das erste „Tier“ ist, das nicht mehr nur Teil der Schöpfung ist, sondern auch zu ihrem Gegenüber geworden ist. Und sie erzählt davon, welche Versuchung mit dieser Weisheit und diesem Verstand im Raum steht – die Versuchung: „Ihr werdet sein wie Gott.“
Das verspricht in dieser Erzählung die Schlange den beiden ersten Menschen. Gemeint ist: In dem Maße, in dem ihr nicht mehr von Instinkten gesteuert einfach mit lebt mit der Natur, sondern euch durch euren Verstand heraus heben könnt aus ihr, in dem Maße verfügt ihr auch über schöpferische Kraft. Und diese schöpferische Kraft – das meint die Rede von der Gottebenbildlichkeit – diese schöpferische Kraft könnt ihr nur verantwortungsvoll ausüben, wenn ihr nicht sein wollt wie Gott, sondern euch als Beauftragte Gottes versteht. Ihr sollt die Welt nicht nur gestalten. Sondern ihr sollt sie nach Gottes Willen gestalten. Ihr sollt euch die Welt nicht nur untertan machen. Sondern ihr sollt sie als Beauftragte Gottes euch untertan machen.
Der Pflicht zur – auch technologischen – Spitzenleistung steht also die Pflicht – auch der Ingenieure – gegenüber, zu fragen: Was ist Gottes Wille? Wozu sollen diese Spitzenleistungen dienen?
Und für den Willen Gottes – wie wir Christen ihn glauben – gibt es ein paar Kontrollfragen, die wir aus der Bibel beziehen und die ihr schöpferischen Ingenieure immer und immer wieder zu stellen habt, wenn eure Arbeit keine Hybris sein soll. Das sind Fragen wie:
- Dient das, was wir tun, den Menschen oder vor allem unserer Selbstdarstellung?
- Dient das, was wir tun, den Menschen oder lediglich einem Wirtschaftssystem?
- Dient das, was wir tun, den Schwächsten unter den Menschen oder den Starken?
- Verstehen wir uns bei unserm Tun als Partner der Natur, oder bekämpfen wir sie dabei?
- Dürfen bei dem, was wir tun, Menschen auch Fehler machen, oder passieren dann Katastrophen?
- Stehen die theoretisch denkbaren Risiken in einem sinnvollen Verhältnis zu dem praktischen Nutzen? Denn je höher der Wert für die Menschen und für die Schwächsten unter ihnen, desto höher darf auch das Risiko sein, das wir eingehen.
Wenden wir diese Kontrollfragen auf die Planungen zu S21 an, fallen sie auf der ganzen Linie durch:
- Die S21-Planungen dienen nicht den Menschen, sondern – abgesehen von kleinen Vorteilen, wie einzelnen schnelleren Verbindungen – lediglich dem System der Geldvermehrung und der Demonstration vermeintlich beeindruckender Ingenieurskunst.
- Die S21-Planungen dienen nicht den Schwächsten, sondern machen das Leben für Menschen mit Behinderung schwieriger und gefährlicher.
- Die S21-Planungen gehen nicht partnerschaftlich um mit der Natur, sondern versuchen – ohne wirkliches Verständnis für die tieferen Zusammenhänge im Stuttgarter Untergrund – die Grundwasserströme gewaltsam umzuleiten.
- Die S21-Planungen sind bei Tiefbahnhof und Tunnelröhren gegenüber Sicherheitsanforderungen so ignorant geplant, dass kleine menschliche Fehler von Lokführern oder Gleisarbeitern zu katastrophalen Unfällen führen können.
- Die S21-Planungen enthalten eine Vielzahl von hoch riskanten technischen Maßnahmen – für deren Umsetzung die Techniken zum Teil noch gar nicht erprobt, ja nicht einmal bekannt sind, sondern erst noch entwickelt werden müssen. Und dem steht – zieht man all die Propagandaparolen ab – ein lächerlicher Nutzen gegenüber: im Grunde nichts außer der schnelleren (aber dafür selteneren) Verbindung zum Flughafen und 16 ha mehr an frei werdenden Baugrundstücken.
Nein, wir ChristInnen gegen S21 sind nicht technikfeindlich. Aber wir fordern das Selbstverständlichste von der Welt: dass Technik dem Menschen zu dienen hat und nicht in erster Linie der überheblichen Selbstdarstellung von seelenlosen Technikern und dem zerstörerischen Schaffen von Investitionsmöglichkeiten.
„Was ist der Mensch? Wenig niedriger hast du ihn gemacht als Gott!“, ruft der Psalmbeter. Ja, vielleicht wenig niedriger – aber eindeutig niedriger!
Auch deshalb wehren wir uns so vehement gegen S21, weil es sich rächt, wenn Menschen nicht auf Gott hören wollen, sondern wie Gott sein wollen.
Auch um diese Demut immer wieder zu lernen, feiern wir hier diese Parkgebete. Denn die Versuchung ist riesig groß, sein zu wollen wie Gott!
Gott bewahre uns davor! Uns und die Ingenieure der Bahn!
Amen!
Pfarrer Martin Poguntke
Danke für diese hervorragende und nachdenkenswerte Ansprache zur Problematik der Technik. Wären wir Christen gegen S 21 tatsächlich „Technikfeinde“, bräuchte man uns nicht ernst zu nehmen. Denn „Technik“ bezeichnet seinem ursprünglichen Sinn nach ja nichts anderes als „Kunst“, „Geschicklichkeit“, „Kunstfertigkeit“, „Handwerk“, also die Befähigung des Menschen, auf Grund seiner besonderen Intelligenz seine Lebenswelt schöpferisch zu gestalten. Im Unterschied zum Tier ist der Mensch der Welt, in die er “hineingeworfen“ wurde, nicht auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, sondern in der Lage, sich diese Welt anzueignen, sie zu „seiner Welt“ zu machen. Eben diese Fähigkeit bzw. diesen Vorgang bezeichnet im Grunde der Begriff „Technik“.
Wer Technik als solche kategorisch ablehnt („Technikfeindlichkeit“), verkennt somit die Realität des Menschen in der Welt.
Eine völlig andere Sache aber ist, vor den Gefahren der „Technokratie“ zu warnen. Also den Wissenschaftlern, Ingenieuren, Technikern, Experten das Feld zu überlassen und nicht mehr danach zu fragen, wozu und für wen deren Forschungen und Entwicklungen eigentlich gut sein sollen. Sich deren Sachzwängen auszuliefern und im Gegenzug jegliche Wertorientierung aufzugeben. Sich nur noch zu fragen, „was ist machbar?“ und nicht mehr: „was ist ethisch und sozial wünschenswert und verantwortbar?“. Sich nicht mehr bewusst zu machen, dass technischer Fortschritt stets auch mit dem Verlust menschlicher Freiheiten verbunden ist.
Der Philosoph Hermann Lübbe hat Technokratie einmal definiert als „die Idee der Abschaffung der Politik mittels der Errichtung einer Herrschaft der Sachgesetzlichkeit und ihren technischen Imperativen“.
Dieser Gefahr der Technokratie schien sich auch der Ministerpräsident bewusst zu sein. Mir klingen noch seine Worte in den Ohren, dass er nicht eines Tages vor dem Sachzwang stehen wolle, dieses Projekt fortführen zu müssen, obwohl absehbare katastrophale Effekte (Kosten) damit verbunden seien. Nach der Volksabstimmung kam dann das Mantra vom „kritischen Begleiten des Projekts“. Schon dieser Begriff „begleiten“ kommt einer Offenbarung gleich. Denn in ihm liegt schon der Keim der Selbstabschaffung der Politik, die sich ihrer Führungskompetenz und damit ihrer Verantwortung entzieht, begründet. Und dieses „Begleiten“ scheint nun auch folgerichtig fließend in ein „Laissez faire, laissez aller“ – Verhalten übergegangen zu sein. Der Ministerpräsident schweigt zum faktischen Rückbau der Stuttgarter Bahninfrastruktur, zur Chaosplanung auf den Fildern, zur Grundwasserproblematik, zur völlig einseitigen Strafverfolgungspraxis der Stuttgarter Staatsanwaltschaft und so weiter und überlässt das alles den Technokraten und Experten der Bahn, der Verwaltung, der Justiz.