Parkgebet 12.07.2012: „Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu Dir“

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Parkgemeinde !

Vielen unter uns wird der Trauergottesdienst sicherlich noch in Erinnerung sein, den wir im März dieses Jahres nach dem Massaker an unserem geliebten Schlossgarten miteinander feierten. Wir alle standen damals noch mehr oder weniger stark unter Schock angesichts der unfassbaren Erfahrung, wie in einem barbarischen Akt innerhalb zweier Tage Hunderte gesunder Bäume, kategorisiert in K und T und V, entweder gefällt, ausgerissen, verhäkselt oder irgendwohin verschleppt wurden und dieser schöne Parkgarten mitten in der Stadt in eine Wüstenei ohnegleichen verwandelt wurde. Und das ohne zwingende Notwendigkeit und obwohl klar war, dass hier über längere Zeit kein Bahnhofstrog würde gebaut werden können, wenn überhaupt. Unfassbar auch für viele, dass dieses unnötige Massaker mit Billigung einer grün – roten Regierung stattgefunden hatte, die alle Hindernisse dafür schließlich aus dem Weg geräumt hatte. Für mich gehören die Tage der Rodung zu den schwarzen Tagen der noch jungen grün – roten Regierung, die unauslöschlich in mein Gedächtnis eingegangen sind. Schmerz und Trauer angesichts der Gewalttat an unseren geliebten Geschwistern, den Bäumen, Wut und Empörung über die berechnende Kälte der Verantwortlichen für dieses Massaker, und besonders auch Hilflosigkeit und Ohnmacht nach unzähligen erfolglos gebliebenen Versuchen unsererseits, diesen Frevel irgendwie zu verhindern, waren die Gefühle, die uns damals beherrschten.

„Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu Dir“ – diese Selbsterfahrung des Beters von Psalm 42 war damals und seither viele Male auch die meine und vermutlich auch die Eure.

Dieser Aufschrei der Seele eines Menschen, dessen Lebensrecht mit Füßen getreten wird, der sich nach Beachtung sehnt und Missachtung erfährt, der danach schreit, gehört zu werden und auf taube Ohren stößt, der um Anerkennung kämpft und Abwertung erfährt, der sich bis zur Erschöpfung abarbeitet am Widerstand gegen dieses irrsinnige Projekt, das Wenigen ausschließlich ökonomisch nutzt und Allen (einschl. der wenigen Profiteure) in vielerlei Hinsicht (sozial, ökologisch usw) schadet und in Zukunft weiter schaden wird, und der dafür von den Mächtigen in diesem Land mit allen Mitteln je nachdem mal abserviert, mal hinters Licht geführt wird, mal mundtot gemacht wird, mal mit Wasser und Tränengas beschossen wird, mal bespitzelt, mal angefeindet, mal vor Gericht gezerrt und kriminalisiert wird.
Nicht einmal unser Parkgottesdienst wurde von der Überwachung und Bespitzelung durch die Staatsorgane ausgenommen, wie wir inzwischen wissen. Gefährdungsstufe 5 stellen wir dar, die wir alle 14 Tage hier zum Gebet versammelt sind.
Schimpf und Schande über diejenigen, die dies angeordnet haben!

Ja, wir Christen erscheinen ihnen gefährlich. Vermutlich sogar zu Recht, sofern wir nicht nur Namenschristen oder Gewohnheitschristen sind.
Denn für uns gilt stets und in jedem Lebensbereich: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“. Das entgegneten kurz und knapp Petrus und die Apostel gegenüber dem Hohen Priester und dem Hohen Rat, der höchsten religiösen und politischen Autorität der jüdischen Gesellschaft damals, als diese ihnen vorwarfen, durch ihre Verkündigung das Volk aufzuwiegeln.
Und ebenso gilt für uns, was 1500 Jahre später Martin Luther in seiner Schrift: „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ als Leitsatz an den Anfang stellte: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und niemandem untertan“.
Und deshalb fürchten die Herren dieser Welt uns Christen.
Denn diese uneingeschränkte Bindung hat für uns heute konkrete Folgen:
Wir weichen nicht zurück vor staatlicher Macht, wo diese Unrecht zu Recht verkehrt.
Wir beugen uns auch keiner kirchlichen Obrigkeit, wo diese mittels angeblicher Neutralität sich ihrer Aufgabe entzieht, Verantwortung zu übernehmen und klar Stellung zu beziehen und statt dessen versucht, sich durch Heraushalten über die Runden zu retten. Für mich ist das schlicht eine unchristliche Haltung, und zwar deshalb, weil ich sie bei Jesus nirgends finden kann.
Wir schweigen umso weniger, je mehr man uns den Mund verbieten will.
Wir lassen uns das Denken weder abnehmen noch vorschreiben noch verbieten.
Wir lassen uns nicht hinter’s Licht führen, sondern entlarven Unwahrhaftigkeit und Unrecht, wo wir diese erkennen. Auch wenn wir dadurch angefeindet werden.
Wir mischen uns ein, und zwar lange bevor man uns das großherzige Angebot einer Politik des Gehörtwerdens macht. Welch’ eine überkommene paternalistische Herablassung liegt doch in diesem Angebot! Einschließlich der angeblichen Augenhöhe, die’s als Zuschlag noch obendrauf gibt.
Und schließlich: wir Christen haben einen langen Atem – trotz aller Bedrängnisse.
Wir geben nicht nach und wir geben nicht auf.
Trotz aller Niederlagen, Rückschläge, Bedrängnisse, mit denen man uns entmutigen, beugen und niederdrücken möchte, wir werden immer wieder aufgerichtet und wir richten uns auch gegenseitig immer wieder auf, denn unsere Kraft kommt von oben.

Ein wunderschönes lebendiges Symbol dafür sind die beiden Sonnenblumen, die ich mitgebracht habe. Sie stehen auf einem Tisch auf dem Balkon vor meinem Arbeitszimmer und immer, wenn ich mein Arbeitszimmer betrete, fällt mein Blick auf sie. Und mehrmals am Tag schaue ich auf sie und sie leuchten mir in ihrer gekrümmten Haltung und den nach oben aufstrebenden Blüten entgegen, richten mich auf und machen mich hoffnungsfroh. Schaut sie Euch an. Ihr Körper ist gekrümmt, ihr Kopf aber reckt sich nach oben. Es sind, Ihr ahnt es, Sonnenblumen, die aus den Samen gewachsen sind, die bei unserem Trauergottesdienst verteilt wurden. Und überall hier um uns herum finden wir solche Sonnenblumen, verstreut über das ganze Gelände, hervor gewachsen aus der von Menschenhand wüst und leer gemachten Erde. Diese beiden Sonnenblumen werden mich durch den Sommer begleiten und mir täglich das zusagen, was die Theologin Dorothee Sölle in ihrem Gedicht „Erinnere Dich an die Bäume“ (ich empfehle die Lektüre des ganzen Gedichts) so wunderschön in Worte gefasst hat:

Keinen tag soll es geben
an dem du sagen musst
niemand ist da der mir kraft gibt zum widerstand
keinen tag soll es geben
an dem du sagen musst
niemand ist da der mir mut macht zum ungehorsam
keinen tag soll es geben
an dem du sagen musst
ich halte es nicht mehr aus

Diese Botschaft senden mir die beiden Blumen täglich von draußen zu. Und Euch, wenn ihr durch dieses Gelände geht und die Sonnenblumen entdeckt, rufen sie zu: Macht es wie wir: In aller Niedergeschlagenheit, trotz allem Niedergedrücktwerden, lasst Euch nicht verkrümmen, sondern denkt daran und helft einander zum
Oben bleiben!

OStR / Pfarrer i.R. Wolfgang Schiegg

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