4 000 Demonstrationen soll es durchschnittlich jedes Jahr in Berlin geben, wobei eine der kleineren, aber nicht unbedeutenden, nämlich der wöchentliche Schwabenstreich rund 50 mal im Jahr zu dieser Zahl seinen Teil beiträgt.
In diesem Sommersemester 2012 bin ich auch dabei gewesen und verstärkte ein wenig die eher überschaubare Zahl von wöchentlich 5-10 Demonstrantinnen und Demonstranten auf dem Potsdamer Platz, direkt vor dem Hauptverwaltungsgebäude der „Deutschen Bahn“.
„Wir legen dem Grube den Protest direkt vor die Haustür!“- so die Meinung beim Schwabenstreich am 20. Juni, als wir im strömenden Regen zum “ Oben bleiben“ aufriefen“ und mit Trillerpfeifen den Protest gegen das unsinnige Bahnprojekt „Stuttgart 21“ zum Ausdruck brachten.
Ich war als Gast bei der Berliner Gruppe dabei, da ich in diesem Sommersemester zum Zweck der Fortbildung an der Humboldt-Universität Vorlesungen hörte. Daher hatte ich mich bei meiner Gruppe in Stuttgart, den „Pfarrerinnen und Pfarrern gegen Stuttgart 21“, beurlaubt und für diese Zeit der Berliner Schwabenstreich-Gruppe angeschlossen.
Hier in Berlin wird ganz deutlich, dass das Projekt „Stuttgart 21“ nicht isoliert zu sehen ist: Die Berliner S-Bahn kommt aus ihrer Dauerkrise nicht heraus, in die sie wegen der unverantwortlichen Politik der Bahn hineingeraten ist. Für die den notwendigen Erhalt und Ausbau des Nahverkehrs hat die „Deutsche Bahn“ kein Geld, schließlich wollen ja unsinnige Großprojekte finanziert sein und der Nahverkehr nutzt nur dem eher finanzschwachen Teil der Bevölkerung, der auf dieses Verkehrsmittel angewiesen ist und keine Alternativen dazu hat, egal wie schlecht die S-Bahn gewartet wird. Skandalös ist auch die sich ständig weiter nach hinten verschiebende Eröffnung des neuen Berliner Großflughafens. Es ist ein unglaubliches Desaster, bei dem das Volk wieder und wieder hinters Licht geführt wurde und immer noch wird. Dies gibt einen Vorgeschmack davon, wie es wäre, wenn eine solche Baukatastrophe sich nicht draußen auf der grünen Wiese vor der Stadt, sondern mitten in der Stadt Stuttgart ereignen sollte – und das es solche Katastrophen geben wird, wird keiner mehr ernsthaft abstreiten wollen, der bei nüchternem Verstand die derzeitigen Großbauvorhaben in unserm Land verfolgt.
Es ist auffällig, wie in den Vorlesungen und in den persönlichen Gesprächen die Proteste gegen „Stuttgart 21“ in Berlin eine Rolle spielen. Dieser Widerstand ist nach wie vor ein Hoffnungszeichen, dass das Volk mündig ist und bei seinen Angelegenheiten mitreden will und muss. Daher ist auch die Berliner Gruppe nach wie vor hoch motiviert, an ihrem Protest festzuhalten direkt vor der „Höhle des Löwen“ bzw. diesem Monumentalbau, von dem aus die Bahn verwaltet wird.
Übrigens: Mitdemonstrierende sind immer herzlich willkommen. Berlin ist mehr als nur eine Reise wert und wer hier zwischendurch aus welchem Grund auch immer ist, kann gerne beim Schwabenstreich mitmachen: mittwochs, 19.00 Uhr am Potsdamer Platz.
Michael Harr
P.S.: Jetzt hätte ich fast noch vergessen, warum der Schwabenstreich die „Lieblingsdemo der Berliner Polizei“ ist: Nicht bei allen 4 000 Demonstrationen in dieser Stadt geht es so ruhig und friedlich und gewaltfrei zu, wie es für den Schwabenstreich selbstverständlich ist. Klar, da geht man als Polizeibeamter gerne hin, zumal es nun wirklich keine schwere Arbeit ist, wie am 20. Juni als Besatzung von zwei Polizeifahrzeugen im Trockenen sitzend 6 Leuten beim Demonstrieren im Dauerregen zuzugucken.