Liebe Parkgebets-Gemeinde!
Sie kennen vermutlich diesen Satz des alttestamentlichen Propheten Jeremia. Auf ihn hat man sich auch schon mehrfach auf Demonstrationen gegen Stuttgart 21 bezogen.
Gemeint war dann: Es ist Aufgabe von uns Christen, der Stadt Bestes zu suchen, dazu beizutragen, dass es nicht nur der Kirchengemeinde, sondern auch der bürgerlichen Gemeinde gut geht.
Mehr noch war gemeint: Es ist Aufgabe der Christen, sich auch politisch einzumischen, dazu beizutragen, dass politisch ein guter Weg für die Stadt und überhaupt für die Welt gegangen wird.
Nun soll man aus gutem Grunde nicht einfach so Bibelsprüche gebrauchen, nur weil sie einem in den Kram passen und das zu unterstützen scheinen, was man selbst gerade im Sinn hat.
Wichtig ist, wenn man Bibelzitate verwenden will, dass auch der Zusammenhang stimmt: Man kann z.B. nicht Zitate, die sich gegen die Reichen wenden, auf einmal den Armen entgegen schleudern. Man kann nicht ohne Weiteres Sätze, die zu Menschen in der Gefangenschaft gesagt sind, auf die Situation von Menschen in Freiheit und Wohlstand anwenden. Jedenfalls muss man sich das immer vorher sehr gründlich überlegen.
Und so ist auch dem widersprochen worden, dass es angemessen sei, dieses Bibelwort gewissermaßen als Losung für die S21-Gegner zu nutzen – weil es in einem ganz anderen Zusammenhang gesagt sei.
Dieses Jeremia-Wort – „Suchet der Stadt Bestes!“ – ist nämlich zu unseren jüdischen Glaubensvorfahren gesagt worden als sie in der babylonischen Gefangenschaft waren. 50 Jahre waren sie dort gewesen und hatten mit viel Mühe ihren Glauben an Jahwe, den Gott der Juden, aufrecht erhalten können. Sie hatten peinlich darauf geachtet, ihren Glauben nicht mit dem heidnischen Glauben in Babylon zu vermischen.
Nur zu gut hatten sie noch in Erinnerung, dass sie und ihre Glaubensgenossen zuhause in Israel immer wieder ihren Glauben verraten hatten. Sie hatten zusätzlich – sozusagen, um auf der sicheren Seite zu sein – immer mehr dem Fruchtbarkeitsgott Baal ihre Opfer und ihr Vertrauen gegeben. Offiziell war man noch jüdischen Glaubens gewesen, aber mit dem Herzen hatte man sich Leben und Zukunft längst von einem Götzen versprochen. Offiziell war man Jude gewesen; in der Praxis aber war man heidnisch geworden. Das sollte ihnen nie wieder passieren. Sie wollten sich nun konsequent fern halten von den Heiden, sich nur noch unter ihresgleichen bewegen.
Und heute hier bei uns? Ist das wirklich vergleichbar? Jeremia fordert sie auf, für ihre heidnische Umgebung das Beste zu suchen. Kann man das übertragen? Wir haben doch hier keine heidnische Umgebung. Wir Christen müssen doch hier nicht als Minderheit sehen, wie wir unter der heidnischen Stadt überleben können. Wir leben doch in einem christlichen Land, einer christlichen Stadt und nicht als Minderheit unter Andersgläubigen!
Ich möchte dem widersprechen. Ich glaube, es gibt gute Gründe zu sagen, dass auch hier bei uns im pietistischen Württemberg Christen als Minderheit unter Andersgläubigen leben. Dabei meine ich überhaupt nicht die Moslems oder die westlichen Neu-Buddhisten oder Ähnliches. Sondern ich meine, dass der christliche Glaube hier bei uns so Sinn entleert worden ist, dass Christen – wenn sie’s ernst meinen – hier wirklich unter Andersgläubigen leben.
Ich will’s konkret machen: Die Mehrheit der Menschen hier im Lande – die sich ja weithin als Christen empfinden – führen zwar offiziell noch die christlichen Vokabeln im Munde – wie einst, vor dem Exil, die Juden die jüdischen Vokabeln. Aber sie haben sich mit dem Herzen längst dem modernen Fruchtbarkeits-Gott „Wirtschaftswachstum“ und dem Götzen „Kapitalismus“ unterworfen und bringen dem ihre Opfer. Eine gelingende Zukunft, Lösung der Weltprobleme, ja ein sinnvolles Leben erwarten die allermeisten Christen in erster Linie von dem, was sie beschönigend „Marktwirtschaft“ nennen.
Gott, wie wir Christen ihn glauben, will aber nicht, dass die Dinge des Alltags nach Markt-Kriterien entschieden werden. Sondern nach der Frage: Was brauchen die Bedürftigen?
Der christliche Gott will nicht, dass politische Vorhaben nach der Frage entschieden werden, ob sie Wachstum ermöglichen oder behindern. Sondern nach der Frage: Was tut den Menschen und der Natur gut?
Der christliche Gott will nicht, dass das Weltgeschehen nach dem Recht des Stärkeren ausgetragen wird – und nichts anderes ist Marktwirtschaft. Sondern nach der Frage: Was tut den Schwächsten gut?
Der christliche Gott will nicht, dass wir uns von Menschen gemachten Gesetzen ausliefern, als scheinbar göttlichen oder natürlichen Gesetzmäßigkeiten. Sondern er will: Dass wir eingreifen in diese Welt und sie gestalten und ihr ein menschliches Antlitz abtrotzen.
Das ist gemeint mit dem Satz aus der Schöpfungserzählung: Macht euch die Erde untertan! Ihr sollt – in Verantwortung vor Gott – die Welt gestalten. Ihr sollte euch die Welt untertan machen – immer im Rückbezug auf den Willen Gottes. Zur Umsetzung von Gottes Willen seid ihr Menschen auf der Welt. Nicht, um euch anzupassen an die Welt, mitzuschwimmen mit dem scheinbar Unausweichlichen.
Der christliche Gott will, dass jeder Mensch ein sichtbarer Statthalter des Gottes in der Welt ist, der gerechten Frieden will und das Recht des Armen und das Glück aller Menschen und Lebensmöglichkeiten für alles Leben. Deshalb haben wir vorhin gesungen: „Sonne der Gerechtigkeit“.
Die Ziele, die christlicher Glaube für die Menschen und die Welt hat, stehen dem aber diametral entgegen, was hier bei uns und weltweit das politische Handeln und die gesellschaftliche Entwicklung bestimmt. Christen, die demgegenüber verstanden haben, was ihr Glaube als das „Beste“ für die Welt und für die Stadt erkannt hat, solche Christen leben hier bei uns wirklich wie unter Heiden. Denn die Mehrheitsgesellschaft setzt ihr Vertrauen auf einen andern Gott.
Das Wort Jeremias an die heimkehrenden Juden – „Suchet der Stadt Bestes!“ – es ist deshalb völlig zu Recht eines, das auch wir hier, die wir in Stuttgart gegen das zerstörerische S 21-Projekt kämpfen, für unser Tun in Anspruch nehmen.
Wir Gegner von Stuttgart 21 sind keine besseren Menschen als die andern und wir brauchen auch nicht weniger Gottes Gnade als die anderen. Aber wir haben an diesem einen Punkt erkannt, dass da Götzendienst zum Schaden der Stadt und der Natur betrieben wird.
„Suchet der Stadt Bestes!“ Warum eigentlich? Wir könnten doch auch sagen: Ist doch uns egal, wenn ihr euer eigenes Grab schaufelt. – Aber es ist uns nicht egal.
Jeremia schreibt: „Suchet der Stadt Bestes! Denn wenn’s ihr wohl geht, geht’s auch euch wohl.“ Es ist zunächst reines Eigeninteresse, warum Jeremia seinen Glaubensgenossen und uns empfiehlt, am Wohl der – heidnischen – Stadt mitzuwirken.
Aber im Kern geht es um viel mehr. Es geht um Verantwortung. Auch wenn ihr kein Haus in Halbhöhenlage habt. Auch wenn ihr nie selbst mit der Bahn fahrt. Auch wenn ihr den Park nur von Fotos kennt. Ihr seid auf der Welt – das will Jeremia sagen –, um Mitverantwortung zu übernehmen – als Statthalter Gottes in dieser Welt.
Und wenn ihr dieser Mitverantwortung gerecht werden wollt, dann sind zwei Bedingungen von euch zu erfüllen:
1. Ihr dürft keine Berührungsängste haben, dürft euch nicht nur in euren eigen frommen Zirkeln aufhalten – sonst kapselt ihr euch ab und könnt nichts Rechtes zum Wohle der Stadt beitragen.
Und 2. ihr dürft euch nicht – in oberflächlicher Friedenssehnsucht – mit einem Denken und Glauben verbrüdern, das euren Überzeugungen widerspricht. Wer der Stadt wirklich helfen will, der muss auch genügend kritische Distanz haben.
Die richtige Balance von kritischem Gegenüber und zur Mithilfe bereiter Nähe – das ist es, wie Christen sich sinnvoll in die Stadt – griechisch, die „Polis“ – einmischen, sich „Polis-mäßig“, „politisch“ einmischen – daher das Wort.
„Suchet der Stadt Bestes!“ Zu Recht also nehmen wir diesen Satz für uns in Anspruch, wenn wir uns mitverantwortlich dafür fühlen, dass dieser Stadt dieses Wahnsinns-Projekt erspart bleibt. Mitten unter den Marktwirtschafts-„Heiden“ mischen wir uns ein, um zum Besten der Stadt gegen diesen Götzendienst die gefährdeten Menschen und die bedrohte Natur in den Blick zu rücken.
Und weil das Kraft braucht und Durchhaltevermögen und immer wieder Selbstvergewisserung, dass wir noch auf dem richtigen Weg sind – deshalb brauchen wir auch diese Park-Gebete und die vielen anderen Veranstaltungen, die uns den Rücken stärken, den Blick klären.
Möge Gott uns auch heute durch dieses Park-Gebet neue Kraft geben! Möge Gott uns immer neu die Augen öffnen für seine Spuren in der Welt. Dass wir lernen, blühende Bäume der Hoffnung zu sehen, wo niemand sie vermutet. – Damit wir immer wieder die Kraft haben, der Stadt Bestes zu suchen.
Amen!
Pfarrer Martin Poguntke
„Suchet der Stadt bestes“. Wenn wir K21 bauen würden und außerdem jede Marktwirtschaft ausgerottet hätten, kein Wirtschaftwachstum hätten. Ist dann der Auftrag erfüllt?
Wenn ich die Bibel lese, fällt mir auf, dass Gott ein Thema besonders wichtig ist. Ja, er war bereit Mensch zu werden und sein Leben zu opfern. Dies tat er aufgrund unserer Sünde. Er hat für uns stellvertretend gelitten, damit wir Vergebung erhalten können und gerettet werden. Es ist daher das beste für einen Menschen, wenn dieser die Vergebung annimmt.
Ist es dann nicht „Das beste für die Stadt“, wenn sich die Menschen persönlich zu Gott wenden, wie die Menschen in Ninive im Buch Jona?