Ansprache beim Parkgebet am 25.1.18 zu Offb. 21,6 von Pfr. i. R. Gunther Leibbrand

(hier als pdf-Datei)

Liebe Parkgebetsgemeinde,

ich will uns die evangelische Losung für das Jahr 2018 auslegen, damit sie uns helfe, „oben“ zu bleiben – mit unserem Bahnhof, mit unserem Kopf und Herzen – für unsere Kinder, für unsere Gesellschaft, für ein friedliches Miteinander.

Die Losung steht im Buch Offenbarung 21,6 und heißt:

Und er [der auf dem Thron saß] sagte zu mir:
/ Es ist geschehen.
Ich bin das Alpha und das Omega
/ der Anfang und das Ende.
Ich werde dem Dürstenden von der Quelle des Lebenswassers zu trinken geben
/ umsonst.

Unser Losungswort ist eine Aufforderung, aus der Quelle des Lebenswassers zu trinken, um Energie zu schöpfen für die schier übermenschlichen Anstrengungen, die es zu stemmen gilt: Unter anderen: Den Umstieg 21 hinzubekommen, um das Trauerspiel Stuttgart 21 endlich zu beenden. Nächste Gelegenheit: Morgen bei der Bahn-Aufsichtsratssitzung in Berlin: Alternativen zu prüfen als Ergebnis käme fast schon dem gleich, was der dynamische französische Staatspräsident Emmanuel Macron am 17. Januar mit dem hoch umstrittenen Groß-Flughafenbau Notre-Dame des Landes bei Nantes hinbekommen hat: ihn aufzugeben. Unsere Gruppe Theologinnen und Theologen gegen S21 hat unserer geschäftsführenden Bundeskanzlerin, Frau Dr. Merkel, einen entsprechenden Brief geschrieben. Ich denke, dass es auch für Frau Merkel eine ans Übermenschliche grenzende Anstrengung wäre: Sie müsste über ihren langen Schatten springen! Obwohl: Sie hatte schon die Kraft, – ich zitiere aus unserer Erklärung vor vier Tagen – „den Atomausstieg einzuleiten… die deutsche Flüchtlingspolitik zu öffnen.“ (Quelle: Offener Brief – Denkpause für Stuttgart 21! Umkehr zur Wahrheit!“, 21.1.2018)

Das neue Jahreslosungswort ermutigt mich also – über alle Maßen! und: außergewöhnlich! – Volker Lösch fände gewiss noch weitere zwanzig Wörter, um die hervorragende Sprachgestalt dieser wenigen Sätze aus Off. 21,6 zu qualifizieren.

Dieses Wort will uns auch als Bürgerbewegung stärken! Für diese Bürgerbewegung hat Volker Lösch bei der 400. Montagsdemonstration wunderbare Worte gefunden!
Ich zitiere:
„Diese Bürgerbewegung ist dafür, dass zerstörerische Großprojekte abgewickelt werden!
Sie ist dafür, dass Bürgerinnen und Bürger frei sind von der Angst um die eigenen Lebensverhältnisse.
Sie ist dafür, dass Demokratie und Sozialstaat zusammengehören.
Sie ist dafür, dass eine wirtschaftspolitische Umkehr stattfindet.
Sie ist dafür, dass der Kapitalismus dem Gemeinwohl untergeordnet wird.
Sie ist dafür, dass Demokratie auf der Selbstbestimmung autonomiefähiger Bürgerinnen und Bürger besteht.
Diese Bürgerbewegung gegen Stuttgart 21 ist dafür, dass die Zukunft eine Zukunft hat.“

Um solche Ziele zu erreichen, bedarf es wahrlich einer unerschöpflichen Wegzehrung: Es bedarf – in der Sprache des Buches der Bücher – des „Lebenswassers“. Und des beständigen Sprudelns desselben: Es braucht die „Quelle“ selbst. Denn es ist, weil wir Menschen sind, nicht nur mit einem Schluck aus dieser Quelle getan, vielmehr ein regelmäßiges Trinken braucht es gegen die Not! Und: es bedarf einer ganz und gar unüblichen Zugangsbedingung zu dieser Quelle: der Kostenfreiheit: Wer daraus trinken will, soll das Lebenswasser „umsonst“ bekommen. Um bei uns hier anzusetzen: Dass wir unsere Parkgebete regelmäßig halten unter dem Wort Gottes, dass wir singen und beten, dass wir, nicht zuletzt, musizieren und uns die Musik eines Antonio Vivendi auch unter die Arme greifen will, das alles braucht es!

Mensch bin ich sozusagen nur, wenn mir zugestanden wird, meine Tage nicht mit dem Kampf um‘s Überleben verbringen zu müssen.
Bert Brecht und Kurt Weill in ihrer Dreigroschenoper dazu unüberbietbar:
„Ihr Herren, die ihr uns lehrt, wie man brav leben /
Und Sünd und Missetat vermeiden kann, /
Zuerst müsst ihr uns was zu fressen geben, /
Dann könnt ihr reden, damit fängt es an. /
Ihr, die ihr euren Wanst und unsre Bravheit liebt, /
Das eine wisset ein für allemal, /
Wie ihr es immer dreht, und wie ihr‘s immer schiebt, /
Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral. /
Erst muss es möglich sein auch armen Leuten, /
Vom großen Brotlaib sich ihr Teil zu schneiden.“

Vom großen Brotlaib ist die Rede, nicht von den Brosamen!
Wenn wir uns klarmachen, dass die Dinge so liegen, dann darf uns nicht wundern, dass die Mächtigen dieser Welt für uns vom Übersehen über‘s Diffamieren bis zum Kriminalisieren alles Mögliche reserviert haben.

Der Seher Johannes war gefangen in einem Straflager auf der Insel Patmos und schrieb für seine Gemeinden auf, was seinem geistigen Auge an Ermutigendem gezeigt wurde – angesichts einer unter dem Kaiser Domitian zunehmend schwieriger werdenden politischen Entwicklung.

Warum denn war er als christlicher Gemeindeleiter gefangen worden?
Weil er und die Seinigen die Freiheit ersehnten, diesen Kaiser nicht auf dieselbe Stufen stellen zu müssen wie ihren lebendigen Gott. An diesem Punkte war die Pax Romana – die römische Friedensordnung – brutal, entschlossen und kompromisslos.

Aber:
„Der [auf dem Thron saß], sagte zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende. Ich werde dem Dürstenden von der Quelle des Lebenswassers zu trinken geben, umsonst.“

Dem Seher Johannes in seinem Leid wurde eine Gottesoffenbarung zuteil, wie schon vormals Mose, als er als Flüchtling Schafe hüten musste, um sich zu verbergen vor den Häschern des damaligen, sich genauso allmächtig begreifenden Pharao. Jesus, der auf dem Thron sitzende Christus, spricht also ihm und seinen Gemeinden auf dem kleinasiatischen Festland Heil und Leben zu – entgegen aller – menschlich allzu berechtigten – Befürchtungen. Heil und Leben in Freiheit, wie sie dem Volk Israel in seinem Auszug aus dem Sklavenhaus Ägyptens zuteilgeworden war.
Theologisch sehe ich Off. 21,6 also ganz nahe bei 2. Mose 3, 13 und 14: Gott für uns in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Deshalb:
Was uns in diesem Leben widerfährt, daran sollen wir unsere Frage nach Gott durch-buchstabieren lernen. Gott wartet auf unsere ernsthaften Fragen und gibt uns Antworten, von denen wir leben können.

Wie übermäßig lange – nach menschlichen Ermessen geurteilt – Gottes Zeit währen kann, bis das Leid ein Ende hat, möge uns deutlich werden an der für Millionen Leidender zu spät kommende Befreiung der nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager des Dritten Deutschen Reiches.

Am übermorgigen Samstag begehen hoffentlich viele Bürger unseres Landes wieder den Holocaust-Gedenktag – er wurde allzu spät – erst am 3. Januar 1996 durch Roman Herzog ausgerufen und auf den 27. Januar festgelegt.

Ich kann nicht anders als unser Leiden an den bei S21 erfahrenen Gesetzesbrüchen ziemlich relativiert zu sehen von dem – letztlich – anhaltenden Kulturbruch: Die Bedenkenlosigkeit, mit der das Unfug-Projekt S 21 von der übergroßen Mehrheit aller in diesem Staat Verantwortung Tragenden bisher durchgezogen wird, atmet den alten Ungeist, der sich ja auch sonst zeigt.

Stichwortartig sei der Name Fritz Bauer‘s hier genannt – für die, die den Kulturbruch juristisch aufarbeiten wollten. Die andere Seite kann ich nur als übergroße Mehrheit der Juristen benennen, die, wie Bernhard Häußler, das Ihre dazu beigetragen haben, dass möglichst keine Anklagen gegen die Täter des großen Verbrechens erhoben worden sind. Und wenn doch, dann allenfalls wegen Beihilfe.

So viele wichtige Geschehnisse – und wir sollen sie alle miteinander in Beziehung setzen und die inneren Zusammenhänge sehen. Darunter geht es nicht!

Was können wir machen?

Zum einen unseren Protest friedlich weitertragen. Es bleibt zu hoffen, dass wir das nicht auch so lange tun müssen wie unsere Weggefährten im Kampf gegen unnütze und aufgezwungene Großprojekte in Notre Dames des Landes bei Nantes. Die einen sagen 40 Jahre, andere reden von gar 45 Jahren, die es dort gebraucht hat.

Zum anderen: Zusammen mit vorbildlichen Juristen wie Peter Reicherter und Eisenhart von Loeper und weiteren Tapferen lasst uns unsere Zeit und unseren Kopf hinzuhalten, auch für eine juristische Aufarbeitung des staatlichen Rechtsbruchs als Voraussetzung für den politischen und den ganz praktischen: Ich wage zu erinnern an die von der damals zuständigen Landeswahlleiterin für ungültig erklärten Volksbefragung in Sachen S21: Weil die Zahl der sich beteiligt habenden Bürgerinnen und Bürger unterhalb des Quorums geblieben war. Dennoch wird bis heute damit argumentiert, mit dieser Abstimmung „sei der Käs‘ gegessen“. Leider nein: Der Käs‘ stinkt immer mehr und mittlerweile zum Himmel!

Ich möchte schließen mit einem großen Lob für die heitere Sachlichkeit, mit der Eisenhart von Loeper seine „… Beschwerde gegen die Einstellungsverfügung vom 10.11.2017“ uns auf der 401. Montagsdemo gegen S21 Anwesenden vorgetragen hat. Beim Lesen dieser 26 Seiten macht man einen Lehrgang durch die geschundene Rechtslage in der Sache S21 durch, der äußerst lehrreich ist. Man lernt z. B. auch, wie Rechtsstaatlichkeit – wenigstens auf dem Papier – aussieht. Aber: Welche Kämpfe hat es gekostet, solche Papiere zu schreiben und in Kraft zu setzten! Macht diesen Lehrgang, lest die 26 Seiten. Dabei kann eine neu geschärfte Bewusstheit über die heutige Situation erworben werden. Voraussetzung für‘s „Oben-Bleiben“!

So sei es denn – Amen.

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