Andacht zum Parkgebet am 15.5.2014 (von Dorothea Ziesenhenne-Harr)

(Hier die Ansprache als pdf-Datei: Andacht zum Parkgebet am 15.5.2014)

Matthäus 7,7 Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.

Liebe Freundinnen und Freunde des Parks und des Kopfbahnhofes,

das liest sich so leicht, die Worte aus der Bibel. So hätte ich es auf jeden Fall gerne und immer: ich bitte Gott um etwas, und dann geschieht das auch, was ich mir wünsche. Und irgendwie suggerieren diese Worte scheinbar, dass meine Wünsche und Bitten immer in Erfüllung gehen. Gott, der Helfer, der immer offen für meine Anliegen ist und sich ihrer annimmt, sobald ich ihn darum bitte.

Meine Frage dabei ist: was tun, wenn meine Bitten, Wünsche nicht erfüllt werden?

Wenn ich mir vorstelle, wie oft wir hier im Park und sicherlich auch zuhause alleine oder im kleinen Kreis schon um Veränderungen gebeten haben. Wir haben Gott angefleht, dass er die Bäume im Park erhält. Dass er den Politikerinnen und Politikern Weisheit und Vernunft schenkt, damit sie von dem irrsinnigen Vorhaben des Kellerbahnhofs ablassen.

Wir haben Gott gebeten, dass die Vorstände der Bahn auf unsere guten Argumente hören und sie beachten. Wir haben für die Bürgerinnen und Bürger in Stuttgart und Baden-Württemberg gebetet, dass sie erkennen, was der Bau eines Kellerbahnhofs für fürchterliche Folgen hat für die Menschen im verschiedenen Alter, für die Schöpfung, für Stadtarchitektur und so weiter. Wir haben für die Polizei gebetet, dass sie sich ihrer Verantwortung bewusst ist und nicht einfach als Befehlsempfänger/innen agieren.

Und der vielen Bespiele mehr.

Wenn wir genauer hinsehen, dann wurden unsere Bitten nicht erfüllt. Wir haben nicht bekommen, worum wir Gott gebeten haben. Wir wollten einen Baustopp, zumindest bis die Finanzen geklärt sind, der Parkabschnitt sollte erhalten bleiben, der Kopfbahnhof sollte renoviert werden. Wir wollten Vertrauen in die Politiker/innen haben, dass sie das umsetzen, was sie zugesagt hatten vor der Wahl und wofür wir sie gewählt haben. Wir baten um Polizisten/innen, die verantwortlich und menschlich mit der an sie delegierten Gewalt umgehen. All das ist nicht eingetreten.

Wie können wir auf diese Enttäuschung reagieren? Auch eine Enttäuschung Gott gegenüber? Es gibt mehrere Möglichkeiten: Wir können uns als Opfer fühlen, uns zurückziehen und mutlos in Depressionen verfallen. Wir können uns auch erheben über die anderen. Wir können auf sie herabsehen auf diese Geldgierigen Leute, die zumindest schon mal über Baumleichen gegangen sind. Die auch schwere Verletzungen von Menschen aus unseren Reihen in Kauf genommen haben, um ihre Ziele durchzuhauen. Wir können als Besserwissende mit Verachtung auf diese Lügner, Betrüger und Naturschänder hinabsehen.

Solche Haltungen haben als erstes Mal Auswirkungen auf uns selbst. Wer sich als Opfer fühlt, der geht eher gedrückt durch die Welt. Wer sich als Besserwisser fühlt, sitzt auf einem Werte-Berg und das Gefühl der Verachtung anderen gegenüber vergiftet einen als erstes selbst.

Eine weitere Möglichkeit mit der Enttäuschung zu leben ist die, weiterhin aktive Täterin , aktiver Täter zu bleiben. Wer die Situation neu interpretiert, dem gelingt eine andere Haltung aus der Enttäuschung heraus.

Dazu gehört als erster Schritt: wenn ich das, worum ich gebeten habe, nicht bekomme, was habe ich dann stattdessen erreicht? Was wurde mir stattdessen geschenkt, gegeben, angeboten?

Ich richte den Blick auf den Gewinn statt auf den Verlust.

Was wurde mir/ uns geschenkt: Ich habe Stuttgart durch die vielen Demonstrationen auf unterschiedlichen Wegen ganz neu kennen gelernt. Ich habe mir eine Orientierung dadurch erlaufen. Vorher habe ich mich sehr oft verfahren, verlaufen. Wir haben Stadtarchitektur lernen können und die Baukunst des Kopfbahnhofs und die Geschichte seines Entstehens kennen gelernt. Wir haben geradezu studiert, wie Schienenverkehr überhaupt funktioniert. Wie sich Verkehrsströme gegenseitig beeinflussen.

Wir haben auch lernen können, wie die Politik in diesem Lande und sicherlich auch darüber hinaus funktioniert. Und das hat sehr wenig mit Vernunft und viel mehr mit Seilschaften, gegenseitigen Abhängigkeiten und eigener Eitelkeit zu tun. Wir haben erfahren, wie die Polizei in Friedenszeiten arbeitet und zu einer Gefahr für uns Bürger/innen werden kann. Ich habe und vielleicht manche unter uns haben auch gute Seiten von Polizeiarbeit wahrnehmen können. Wir haben auch das Demonstrieren in kleinen, großen und sehr großen Menschenmengen lernen können und welche Wirkung wir dabei haben. Wir sind dabei zu einem Modell für andere Bürgerbewegungen geworden. Die S21 Mutbürger/innen sind bekannt und gelten in ganz Deutschland und darüber hinaus als Vorbild für demokratisches Einmischung und verantwortliches bürgerliches Handeln.

Ich habe eine Geschichte geschrieben, nach der Legende zur Entdeckung der Fiji-Inseln, als kleiner Einschub.

Es heißt, auf Papua Neuguinea lebte einmal vor langer Zeit ein weiser Häuptling. Dieser hatte vernommen, dass irgendwo da draußen auf dem weiten Meer die Fiji-Inseln zu finden seien. Und da der Häuptling offen für Neues war, sprach er zu seinen Fischern: bitte macht euch auf die Suche nach den Fiji-Inseln. Fahrt gleich Morgen los mit euren Booten und wenn ihr sie entdeckt habt, kommt wieder.

Die Fischer freuten sich über eine Abwechslung und stachen gleich beim Morgengrauen in See. Sie schwärmten aus und fuhren weit ins unbekannte Meer hinaus. Doch überall, wo sie ankamen, hieß es, nein: das sind nicht die Fiji Inseln. Nach dem sie lange gesucht hatten, kehrten sie enttäuscht, erschöpft und frustriert zu ihrem Häuptling zurück. Mit hängenden Köpfen berichteten sie von der mühsamen und erfolglosen Suche. Sie fühlten sich richtig schlecht und hatten den Eindruck, versagt zu haben. Dann doch lieber wieder ausschließlich Fischer sein, da weiß man, was man hat.

Der weise Häuptling war erst mal auch enttäuscht. Noch mehr erschreckte ihn aber die Mutlosigkeit und Enttäuschung seiner Fischer. Er setzte sich etwas abseits unter eine Palme am Strand und schaute lange auf das Meer hinaus. Er dachte gründlich nach. Und als die Sonne am nächsten Morgen über dem Horizont aufging, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Und da wusste er, was er machen musste.

Er rief sogleich alle Fischer zusammen. Diesmal stellten sie sich zögerlich im Kreis um ihn herum.

Der weise Häuptling sagte: Liebe Fischer, mir ist über Nacht die passende Bitte eingefallen, die ich euch heute stellen will. Ich bitte euch: fahrt hinaus auf das Meer und findet Inseln. Die Fischer hoben überrascht die Köpfe. Also, Inseln finden, das ist ja ganz leicht. Sie hatten ja schon auf ihrer Reise einige angefahren.

Mit frischem Elan stießen die Fischer in See. Diesmal kamen nicht mehr alle mit. Etliche hatten keine Lust mehr oder sie hatten den Mut verloren.

Die anderen kamen am Abend mit lauter neu gefundenen Inseln zurück. Ihre Stimmen schwirrten nur so vor lauter Energie, als sie die Namen von mehreren Inseln nannten. Und so brachen nun immer wieder Suchtrupps auf, und kehrte begeistert und voller neuer Entdeckungen zurück. Sie lernten fremde Inselvölker kennen, neue Techniken für den Fischfang und Bootsbau oder wie man diesen oder jenen Fisch anders braten oder kochen kann.

Natürlich fuhren sie zwischendurch auch immer zum normalen Fischfang los. Das ist ja klar!

Der weise Häuptling schmunzelte und freute sich über seine Fischer und wie sie munter die Welt der Inseln für sich entdeckten.

Und eines Tages, Sie ahnen es sicher schon, da kamen die Fischer abends nachhause und sangen: wir haben die Fiji – Inseln entdeckt, die Fiji Inseln sind gefunden. Sie lachten und tanzten und feierten ihren weisen Häuptling, der sie gelehrt hat, dass es auf die passende Bitte ankommt.

Auf uns bezogen heißt das für mich:

Bisher haben wir noch nicht die Lösung für den endgültigen Stopp des Kellerbahnhofs und den Erhalt des Kopfbahnhofes gefunden. Unsere Fiji Inseln sozusagen!!! Dafür haben wir viele andere Inseln entdeckt. Wir haben etwas erhalten, wofür wir so konkret gar nicht gebeten haben. Ich habe schon einige Beispiel genannt. Und füge weitere Entdeckungen gerne an: wir haben das Parkgebet und die Parkgottesdienste, die hier schon stattgefunden haben. Ein überraschendes Geschenk. In aller Öffentlichkeit singend, betend, hörend und sprechend setzten wir uns mit unserem Glauben und dem daraus resultierenden politischem Engagement auseinander. Das hat es vorher so noch nie in Stuttgart gegeben. Eine neue Kraftquelle für den Alltag über das Thema Bahnhof und Park hinaus. Weitere Geschenke, die aus unserer Bewegung gewachsen sind: verschiedene Krimis zum Thema S21, auch Theaterstücke, Lieder, Musikbands, ein Film, Bildungsveranstaltungen die sich mit dem Thema Öffentlicher Verkehr, Demographie, Stadtarchitektur, Demokratie, Bürgerengagement u.ä. beschäftigen. Neue Freundschaften und Interessengruppen sind entstanden.

Aus dem Kreis der Theologinnen und Theologen für den Erhalt des Kopfbahnhofs haben sich gleich zwei zur Wahl in den Stadtrat Stuttgart aufstellen lassen.

Oder wer sich bisher immer nur im eigenen Familien- und Freundeskreis bewegt hat, hat durch sein Engagement seinen Kreis deutlicher erweitern können. Wer mit dem Glauben an Gott abgeschlossen hatte, ist vielleicht doch berührt und angeregt, neue Perspektiven des Glaubens zu leben. Oder auch wer in seinem Leben noch nie politisch aktiv war, erlebt die Bereicherung durch ein bürgerschaftlich, demokratisches Einmischen, Aufstehen, für etwas und füreinander Eintreten. Mit allen Höhen und Tiefen.

Vielleicht hat die eine oder der andere auch eine Geschichte, die durch die Jahre gemeinsamen Engagements ein neues, freudvolles Kapitel dazu bekommen hat. Wir halten eine kurze Stille, in der wir uns besinnen können, was dies bei jeder/m einzelnen sein kann.

Und so können wir Gott doch an diesem Abend danken, dass er seine Zusage hält:

Bittet, so wird euch gegeben, suchet, so werdet ihr finden, klopfet an, so wird euch aufgetan.

So wollen wir uns selbst und uns gegenseitig darin unterstützen, die Geschenke Gottes auf unsere Bitten hin zu entdecken und anzunehmen. Und eines Tages wird der Erhalt des Kopfbahnhofes dabei sein. Solange wir weiter unterwegs sind und Gott um seine Hilfe bitten, bleibt diese Möglichkeit immer bestehen. Siehe die Fiji-Inseln.

Amen

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