Weihnachtspredigt zu Mt 10,16 am 26. Dez. 2013 im Stuttgarter Schlossgarten von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Dieses Wort Jesu als Predigttext an Weihnachten anzubieten mag als eine Zumutung erscheinen, denn es passt kaum zu dem, was wir gemeinhin als Weihnachtsstimmung empfinden. Ich möchte dennoch versuchen, diese Zumutung zu rechtfertigen. Wie wir aus dem Neuen Testament wissen (Mt 2,1-15), ist Jesus selbst als wehrloser Neugeborener unter die Wölfe geraten.  Der damalige Leitwolf Herodes ist zutiefst erschrocken, als die Weisen aus dem Morgenland nach dem verheißenen neugeborenen König fragen. Er wittert den Konkurrenten, den er ausschalten zu müssen meint. So ist das Jesuskind selbst schon ein kleines Schaf mitten unter Wölfen.
Aber offensichtlich ist dieses neugeborene Kind nicht nur unter Wölfe geraten. Als die drei Weisen den neugeborenen König gefunden haben, gehorchen sie dem Leitwolf nicht, der ihnen geboten hatte, den Aufenthaltsort des Konkurrenten zu verraten. Sie sind klug und weise genug, um zu bemerken, was Herodes vorhat. Sie erweisen sich als solidarisch mit dem wehrlosen kleinen Schaf, verweigern sich dem Leitwolf und retten damit das Kind vor dem brutalen Machthaber. Auch Leitwölfe wie Herodes bekommen die Grenze ihrer Macht zu spüren, wenn die Schafe zusammenhalten.

Schafe gelten sprichwörtlich als dumm, außerdem sind sie ein Inbegriff von Wehrlosigkeit. Auch das Kind in der Krippe ist solch ein Symbol für ohnmächtiges Ausgeliefertsein. Aber zum Mann herangewachsen fordert dieser neue gewaltlose König das Imperium des römischen Kaisers heraus. Als Herodes seine Agenten und die Pharisäer schickt (Mk 12,13-17), um Jesus in eine Falle zu locken mit der Frage, ob die Israeliten dem Kaiser Steuern zahlen sollen, umgeht Jesus die gestellte Falle: Weder plädiert er dagegen, so kann Herodes ihn nicht zum Staatsfeind machen. Auch plädiert er nicht dafür, so können ihn die Pharisäer nicht zum Volksfeind erklären. Er lässt sich eine Münze zeigen mit dem Bild des Kaisers. Damit sagt er jedem Juden, dass er ein solches Götzenbild nach Moses Gebot gar nicht in der Tasche haben darf (2. Mose 20,4).  Das läuft auf einen Boykott römischen Geldes hinaus. Wenn alle dabei mitmachen, kann der Kaiser den Israeliten auch kein Geld mehr aus der Tasche ziehen, um die Soldaten zu bezahlen, die das Land unterdrücken und ausbeuten helfen sollen.

Das macht diesen wehrlosen Knaben in der Krippe und diesen gewaltlosen neuen König so gefährlich für die Mächtigen seiner Zeit. Er wird die vielen scheinbar wehrlosen Schafe aufrufen, an das Reich des barmherzigen Gottes zu glauben und damit die Herrschaft der Mächtigen zu erschüttern. Er ermuntert die scheinbar dummen und wehrlosen Schafe, das zu entwickeln, was neuerdings Schwarmintelligenz genannt wird. Wenn die Schafe mutig und solidarisch zusammenhalten, dann sind sie kluge Schafe und keinesfalls völlig wehrlos. Deshalb schickt Jesus seine Jüngerinnen und Jünger eben nicht als dumme und wehrlose Schafe in die Welt der reißenden Wölfe, sondern als kluge und wehrhafte Streiter für die Gerechtigkeit des Reiches Gottes. Wenn wir das ernst nehmen, dann kann dieser Satz von den schlauen Schafen unter den Wölfen ein wahrhaft weihnachtlicher und befreiender Text werden.

Wie kann das konkret aussehen, wenn Schafe befreiende Klugheit zeigen? Es wäre eine spannende Frage an Tierverhaltensforscher, was passieren würde, wenn eine Schafsherde gegen anschleichende Wölfe geschlossen losrennen würde. Ob die Wölfe es sich antun würden, von Schafen mit solcher Schwarmintelligenz überrannt zu werden? Jedenfalls haben vor 150 Jahren die Arbeitnehmer, die als Einzelne ihren unbarmherzig ausbeuterischen Fabrikherren ausgeliefert waren, in dieser Schwarmintelligenz agieren können mit dem Satz: Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will. Gandhi stand einst in Südafrika mit streikenden Bergwerksarbeitern einer berittenen Polizei gegenüber. Da kam einer auf die Idee, alle sollten sich auf den Boden legen, und die berittene Polizei musste unverrichteter Dinge abziehen. Ich habe das erst verstanden, als mir eine Schülerin, die etwas von Pferden verstand, erklärte, dass Pferde nicht über Menschenleiber laufen können, weil diese zu weich sind und die Pferde allzu leicht stürzen würden. Diese streikenden Arbeiter waren also mit nichts bewaffnet als mir ihren weichen Leibern, aber mit ihrer Schwarmintelligenz waren sie kluge Schafe, die sich erfolgreich gegen die scheinbare Übermacht berittener Polizei zur Wehr setzen konnten.

Ich kann an dieser Stelle nicht unterschlagen, dass die schlauen Schafe am „Schwarzen Donnerstag“ von der Polizei brutal vertrieben worden sind. Der politische Leitwolf wollte schlau sein und seine Mails vernichten. Aber sein schmutziger Trick hat nichts genutzt. Der Leitwolf war nicht schlau genug zu wissen, dass auch ein Leitwolf nicht ankommt gegen die Schwarmintelligenz kluger Schafe. Er ist nicht ungeschoren davongekommen. Mit nichts bewaffnet als mit Stimmzetteln haben die klugen Schafe den Leitwolf sauber verjagt.
Es kommt darauf an, dass wir „ohne Falsch wie die Tauben“ in geduldiger sauberer Überzeugungsarbeit die Schafe schlau machen. Wir lassen uns nicht einschüchtern von denen, die meinen, sie könnten uns für dumm verkaufen. So kann sich die Schwarmintelligenz durchsetzen, die auf den Weg zum Reich des barmherzigen Gottes der Gerechtigkeit führt. Als Christen dürfen wir auf die Klugheit der Schafe vertrauen. Lassen wir uns von dem Kind in der Krippe neu dazu berufen, nicht reißende Wölfe, sondern saubere schlaue Schafe zu sein. Amen.

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