Ansprache beim Parkgebet am 6.2.2014 zu Mk 10,13-16 von Pfr. i. R. Friedrich Gehring

Anrühren soll Jesus die Kinder, das wünschen sich die Eltern. Wahrscheinlich erhoffen sie sich von der Berührung durch einen heiligen Mann so etwas wie magischen Schutz für ihre Kleinen. Aber Jesus tut etwas, wozu man kein heiliger Mann sein muss: Er umarmt die Kinder. Damit gibt er den Eltern einen Hinweis: So sollen sie mit ihren Kindern umgehen, das macht sie stark fürs Leben. Denn Zärtlichkeit ist Lebenskraft, nicht nur für Kinder: Am vergangenen Sonntag war in der Presse zu lesen, dass in vielen deutsche Städten therapeutische Kuschelgruppen angeboten werden.
Es mag überraschen, diese Szene mit den Kindern bei einem Parkgebet anzubieten, bei dem wir doch eher gesellschaftskritische politische Themen behandeln. Ich möchte aber zeigen, dass diese Szene mehr ist als eine Idylle für Bilder in Kindergärten. Denn Zärtlichkeit ist ein Lebensprinzip, das die konsequenteste Gegenkultur darstellt zur Gewalttätigkeit und Machtausübung. Wenn ich jemandem zärtlich begegne, achte ich in jedem Augenblick darauf, ob meine Berührung meinem Gegenüber angenehm ist, und ich bin sofort bereit zurückzuweichen, wenn dies nicht mehr der Fall ist. Ich biete an, zwinge aber zu nichts. Ich achte ständig auf Einvernehmlichkeit. Zärtlichkeit ist konsequentester Gewaltverzicht.
Wenn ich an jene waffennärrische Lehrerin in Newtown in Connecticut denke, deren Sohn zuerst mit der mütterlichen Waffe seine Mutter erschoss, ehe er in ihrer Schule Amok lief, so kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass diese Mutter zu ihrem Sohn jemals zärtlich war. Ich kann mir aber sehr gut vorstellen, dass sein Zärtlichkeitsbedürfnis derart frustriert war, dass aus dieser Frustration die Wut wurde, die schließlich in den Amoklauf mündete. Wenn wir solchen grauenhaften Gewaltexzessen junger Menschen vorbeugen wollen, müssen wir ihnen rechtzeitig Zärtlichkeit schenken. Zärtlichkeit beugt Gewalt vor.
Wir werden als Kopfbahnhoffreunde und Gegner des Projekts Stuttgart 21 ja immer wieder Wutbürger genannt. Tatsächlich kann vieles, was wir im Rahmen dieses Bauprojekts erleben, Wut aufkommen lassen. Im Schwäbischen sagen wir gelegentlich: Da geht einem das Messer in der Tasche auf. Es hat keinen Sinn, diese Emotionen zu leugnen oder sie verdrängen zu wollen. Aber ich meine, wir sollten uns von ihnen nicht auffressen lassen. Wir sollten uns besinnen auf die Gegenkultur der Zärtlichkeit, denn sonst können wir so destruktiv werden wie unsere Gegner. Zärtlichkeit ist ein Gegengewicht zu destruktivem Hass und zerstörerischer Machtausübung.
Ich habe viele Jahre lang im Religionsunterricht den Heranwachsenden die Gelegenheit geboten, ihre Geschlechterrollen zu reflektieren. Anhand einer Liste von männlichen und weiblichen Rollenstereotypen konnten sie sich bewusst machen, wo sie selbst standen. Ich gab aber auch die Gelegenheit zu formulieren, was jeweils vom anderen Geschlecht erwartet wurde. Auffälliger Weise haben sehr häufig die jungen Männer geäußert, sie erwarten von ihren Partnerinnen „Sanfte Autorität“. In der Verliebtheit suchen und finden wir ja im geliebten Gegenüber gerade das, was wir selbst nicht haben. Natürlich habe ich den jungen Männern geraten, diese sanfte Autorität nicht nur bei ihren Freundinnen zu suchen, sondern in den eigenen Lebensvollzug zu intergieren, wie Jesus uns das vorlebt.
In der Talkshow von Markus Lanz, die vor Wochen heftige Kritik erfuhr, hat m. E. Sarah Wagenknecht diese „sanfte Autorität“ hervorragend verkörpert. Sie hat mit großer Sachkenntnis kritisch argumentiert, ohne zu verletzen, so konnte sie vorbildlich gelassen bleiben, als ihre Gegner bissig wurden. Ihre beiden männlichen Kontrahenten täten gut daran, in dieser Hinsicht von ihr zu lernen. Denn es kann nicht angehen, dass wir diese Qualität den Frauen zuschieben, während Männer weiter ihre aggressiven Spiele treiben und Virtuosität erstreben im Niedermachen anderer. In unserem Widerstand gegen Stuttgart 21 brauchen wir Frauen und Männer, die sanfte Autoritäten sein können.
In der nächsten Woche steht ein schwieriger Termin an, zu dem wir diese Tugend dringend brauchen. Es jährt sich zum zweiten Mal die Zerstörung im Schlossgarten. Die Erinnerung wird bei vielen unter uns erneut Trauer und Wut auslösen. Das wollen wir nicht verstecken, aber ich denke, wir sollten uns dabei auf die Lebenskraft spendende Zärtlichkeit Jesu besinnen. Wenn unsere Trauer in tröstende Umarmungen mündet, dann werden wir als Frauen und Männer nicht die Destruktivität unserer Gegner nachahmen, sondern die Alternative leben, die Jesus uns anbietet. Dann werden wir die Verheißung der Bergpredigt erfahren (Mt 5,5): Glücklich zu preisen sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen. Amen.

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