Rückblick auf zwei Jahre Parkgebet am 9. 8. 2012

Liebe Freundinnen und Freunde des Parkgebets,

wenn Bewegungen in die Jahre kommen, dann feiern sie Geburtstag, da geht es ihnen nicht anders als uns Menschen. Nach dem Mahnwachenjubiläum vor zwei Wochen etwas weiter vorne im Park darf ich Euch die frohe Kunde überbringen, dass wir heute schon wieder einen Geburtstag feiern: Sage und schreibe zwei Jahre alt wird unser Parkgebet.
Am 11. August 2010 haben wir uns zum ersten Mal unter unserer lieben Blutbuche versammelt, ich weiß noch genau, was für ein schöner milder Nachmittag es war.

Guntrun Müller-Enßlin

 

 

 

Wir hatten zwei Lautsprecher und ein Mikrophon von Christoph, unserem einfühlsamen Tontechniker, wir hatten Musik, damals noch nicht von Parkblech, sondern von Familie Renkert; kaum hatten wir begonnen, gab sich die Polizei ihr Stelldichein, was prompt von Markus Niehaves vom ZDF gefilmt wurde – und siehe da – am nächsten Tag waren wir schon im Fernsehen – das Mittagsmagazin berichtete über uns und bescherte uns gewaltige Publicity.
Ein fulminanter Start, kann man da nur sagen – einen besseren Beginn kann man sich doch kaum wünschen! Wer von Euch damals dabei gewesen ist, mag sich noch gut erinnern.
Wie es anfing, so ging es auch weiter. Von Anfang an waren wir sehr viele, auch unser Team hat sich schnell erweitert, zu Bettina und mir kamen Syli und Jutta. Allerdings waren die ersten Parkgebete mehrmals überschattet von der Sorge hinsichtlich der bevorstehenden Baumfällungen. Und beim Parkgebet am 29.09. war dann ziemlich klar, was am nächsten Tag passieren würde.

Zwei Tage später, am ersten 1. Oktober haben wir uns wieder versammelt und da hat schon ein Loch geklafft, wo ehemals große alte Bäume standen. Beim Parkgebet an diesem 1. Oktober waren zum ersten Mal Bläserinnen und Bläser von Parkblech dabei, die uns seither begleiten. Kein einziges Mal in diesen beiden Jahren mussten wir a cappella singen, immer gab es musikalische Begleitung, im Notfall wurde sie auch mal von einem einzigen Bläser bestritten,
dafür sage ich an dieser Stelle ein ganz ganz herzliches DANKE!

In den Wochen nach dem schwarzen Donnerstag sind wir als Parkgemeinde zusammen gewachsen, so dass wir auch die nächste Herausforderung mit Bravour meisterten. Anfangs zweifelte ich daran, ob die Lust, im Park zu beten, auch bei Dunkelheit und Minusgraden anhalten würde, zumal uns die Stadt elektrische Beleuchtung untersagte. Aber von Aufhören konnte keine Rede sein. Immerhin sind wir dann im Dezember 2010 umgestiegen aufs zweiwöchentliche Intervall. Ich weiß nicht, ob es nur mir so vorkam, aber in diesem ersten Winter hat es furchtbar oft geschneit und es war furchtbar oft furchtbar kalt – und dennoch war die Teilnehmerzahl auch jetzt in Kälte und Dunkelheit stets konstant dreistellig.
Jedenfalls haben wir nicht nur diesen Winter überstanden sondern auch den nächsten und dazwischen haben uns die Demokratiebewegungen in Nordafrika beschäftigt und das Atomdesaster in Japan, die Landtagswahlen, die Stresstestshow und schließlich die Volksabstimmung. Das alles haben wir miteinander abgearbeitet im Gebet, mithilfe von Texten der biblischen Zeugen; und oft haben uns auch Gedanken unserer Brüder und Schwestern im Glauben geholfen und getröstet. Die Spitzenreiter waren wohl Lothar Zenetti, Dorothee Sölle und Martin Luther King.
Als eine besondere Bereicherung empfinde ich, dass viele der Kollegen aus unserer Initiative Theologen gegen S21 mittlerweile sich abwechseln und hier ebenfalls Ansprachen halten, herzlichen Dank an Martin Poguntke, Eberhard Dietrich, Gunther Leibrand, Wolfgang Schiegg und Karl Martell.
Die dunkelste Zeit für uns war zweifellos der Kahlschlag unserer Bäume dort drüben im Mittleren Schlossgarten; viele haben damals gefragt, wie Gott  zulassen kann, dass so etwas Schönes und in unserer Stadt Lebensnotwendiges ohne Not zerstört wird.

Wieder hätten wir aufgeben können, aber das hätte nur gezeigt, dass unser Glaube ein sehr kindlicher Glaube gewesen wäre. Der Blick auf Jesus und seine Geschichte zeigt uns, dass christlicher Glaube keine Lebensversicherung ist, in dem Sinn, dass alles immer gut ausgeht; gleichzeitig aber können wir auch immer wieder spüren, dass gerade im Aushalten augenscheinlicher Schwäche und des Scheiterns eine alles überwindende Kraft liegen kann.
Wir glauben, dass Religion mehr ist als fromme Innerlichkeit, dass sie eine ethische Komponente hat, für die wir einstehen müssen. Wir sind davon überzeugt, dass der christliche Glaube eine politische Dimension hat; wir wollen beten für lebenswerte Verhältnisse in unserer Stadt, für gerechtere soziale Bedingungen, für Bewahrung der Schöpfung. All das ist auch nach der Zerstörung des Schlossgartens wichtig, ja, wichtiger denn je,  und deswegen sind wir noch hier, und deswegen werden wir auch bleiben.

Pfarrerin Guntrun Müller-Enßlin

Eine Antwort zu “Rückblick auf zwei Jahre Parkgebet am 9. 8. 2012

  1. Der Zweijahresrückblick im kürzlich erschienen Buch der couragierten Bürger/Pfarrerin ist über den Rückblick zum „Parkgebetsjubiläum“ hinaus eine Zeitreise in die Vergangenheit bei der man sich sofort hineinversetzt fühlt in die Geschehnisse, als wären sie gestern gewesen.
    Danke und Bravo für dieses Zeitdokument.
    PS 31608

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