So oder so ähnlich konnte man es in der letzten Zeit in der Presse lesen. Wer die Vorgänge um S21 verfolgt, weiß, worum es geht. Deshalb nur in aller Kürze: Unsere Gesetze schreiben vor, dass beim Fällen von Bäumen oder Abreißen von alten Gebäuden der Artenschutz beachtet werden muss. Konkret geht es um Fledermäuse und Juchtenkäfer, die streng geschützt werden, weil sie vom Aussterben bedroht sind.
Fakt ist, dass bei uns täglich Tierarten aussterben. Das aber kann uns nicht gleichgültig sein. Die biologische Vielfalt von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen ist Grundlage allen Lebens. Sie ist Grundlage auch unserer menschlichen Existenz. Wenn wir dem Artensterben nicht wehren, sägen wir uns den Ast ab, auf dem wir zusammen mit allen Lebewesen sitzen.
Hier zeigt sich wieder einmal: Die Behauptung: „Es geht ja nur um einen Bahnhof“ ist nicht wahr. Es blendet einfach – aus welchen Gründen auch immer – die Vielzahl der Probleme und Fragen aus, um die es wirklich geht. Es geht zum Beispiel um nicht wieder gut zu machende Eingriffe in die Natur. Konkret um Juchtenkäfer und Fledermäuse. Mit dem Fällen der Bäume wird den Juchtenkäfer der Lebensraum geraubt, den sie brauchen. Man kann sie nicht einfach „umsetzen“ oder die Larven nehmen und sie in andere Bäume bringen, weil sie zum Leben eine ganze Reihe uralter Bäume in geringem Abstand zueinander stehend brauchen. (Siehe dazu: Jan Stegner, Petra Strzelczyk, Thomas Martschei; Der Juchtenkäfer (Osmoderma eremita) eine prioritäre Art der FFH-Richtlinie. Handreichung für Naturschutz und Landschaftsplanung)
Warum aber beschäftigt sich ein Theologe mit diesem Thema, warum ein Beitrag auf diesem Blog: S21- Christen sagen nein? Einfach deshalb, weil es Christen nicht gleichgültig sein kann, wie bei uns mit den Tieren umgegangen wird. Tiere sind nach Aussagen der Bibel unsere Mitgeschöpfe, von Gott geschaffen, nicht damit sie uns Menschen irgendwie nützlich sind, sondern weil Gott bei der Schöpfung an der Vielfalt allen Lebens seine Freude hatte. Gott liebt alles Leben, sonst hätte er es nicht geschaffen. Tiere sind „Leben inmitten von Leben, das leben will“. (Albert Schweitzer) Auch die Tiere im Schlossgarten haben ein Recht auf Leben und auf ihren angestammten Lebensraum, Recht auf „ihre Heimat“. Sie haben dieses Recht, weil es zu dem Kellerbahnhof mit allen seinen Zerstörungen eine Alternative gibt: Den Ausbau des Kopfbahnhofs. Ethisch sind diese Eingriffe in die Natur deshalb in keiner Weise gerechtfertigt.
Man fragt sich, warum sich die evangelische Kirche zu diesem Thema nicht äußert. Würde doch gerade die pietistische Prägung unserer Landeskirche es nahe legen, sich dieses Anliegen zu eigen machen. Auch aus dem Raum des Pietismus ist keinerlei Stellungnahme zu dieser Thematik zu hören. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren es pietistische Kreise, die den Tierschutzgedanken hier im Land verbreiteten. Damals prangerten die Stuttgarter Pfarrer Christian Adam Dann (1758 – 1837) und Albert Knapp (1798 – 1864) die alltäglichen Tierquälereien und den rücksichtslosen Umgang mit Pferden und anderen Nutztieren an. Knapp gründete bekanntlich 1837 den Stuttgarter Tierschutzverein und gab den Anlass für die Gründung weiterer Tierschutzvereine in Deutschland. Heute geht es beim Tierschutz um eine ganze Reihe weiterer Probleme, unter anderem auch um den Artenschutz.
Ihr Engagement für den Tierschutz war tief in ihrem Glauben gegründet. Betrachten wir ihre Motive, so sind viele ihrer Gedanke auch heute gültig. Die Pietisten Väter machten die Liebe zu den Tieren, den Schutz und den Einsatz für die Mitgeschöpfe zu einer Pflicht des Glaubens. Aus der Fülle ihrer Gedanken nur die beiden:
Es ging diesen Christen um die „praxis pietatis“, um den praktischen Glauben. Glauben muss Konsequenzen im Alltag haben. Verbreitet war, vor allem im ländlichen Milieu, das Wort: „Wenn der Bauer bekehrt ist, merken es auch seine Tiere im Stall.“ Diesen Pietisten wäre es nie in den Sinn gekommen, ganze Bereiche ihres Lebens aus dem Glaubensalltag auszublenden. Diese Männer und Frauen wären nicht mit Scheuklappen herumgelaufen, die ihnen den Blick für die Weite des christlichen Glaubens ausgeblendet hätte. Der barmherzige Umgang mit Haus- und Nutztieren war für sie ganz selbstverständlich. Pfarrer Dann steht mit diesem Gedanken nicht allein. In gleicher Weise äußerten sich z.B. Jakob Speener, Johann Friedrich Flattich, Jakob Friedrich Kullen, Philipp Friedrich Hiller.
Ein anderer Gedanke mutet in gleicher Weise hochmodern an: Wer es an Mitgefühl, an Empathie, den Tieren gegenüber fehlen lässt, der liebt weder seine Mitmenschen, noch Gott. Pfarrer Dann zitiert dazu einen Vers, der in zahlreichen Variationen damals verbreitet war:
Wen eines Tieres Qual erfreut, der wird, es kann nicht fehlen,
kalt und gefühllos mit der Zeit gewiss auch Menschen quälen.
Wer frech ein Mitgeschöpf betrübt und Härte, Grausamkeit verübt,
der kann Gott auch nicht lieben. (Christian Adam Dann und Albert Knapp, Wider die Tierquälerei. Kleine Texte des Pietismus 2002, S. 28)
Dann bekämpft im Tierquäler den Menschenquäler. Ja, er geht sogar noch weiter, wenn er sagt: wer Tiere verachtet, meint es mit seiner Liebe zu Gott nicht ernst.
Sicherlich werden wir nicht leben können, ohne Eingriffe in den Lebensraum unserer Mitgeschöpfe. Christliche Ethik fragt dann nach Alternativen des Handelns. Zum Tiefbahnhof gibt es sie und viele sagen: Sie ist sogar leistungsfähiger und besser. Daran sollten sich alle erinnern, die ihren Glauben ernst nehmen und solange es nicht zu spät ist für die bedrohte Tierwelt im Schlossgarten.
Hans-Eberhard Dietrich, Pfarrer