Das „hohe C“ der CDU – Anspruch und Wirklichkeit

Der CDU geht es wie jeder anderen Partei und im Übrigen auch den Kirchen: zwischen den selbst gesetzten Ansprüchen, Vorsätzen und Zielsetzungen und der realen Politik herrscht eine mehr oder minder große Kluft. Wenn ich mir nun das Grundsatzprogramm der CDU, beschlossen beim 21. Parteitag vom 3./4. 12. 2007, anschaue und dann einen aktuellen politischen Faktencheck durchführe, ergibt sich eine interessante Beobachtung. Viele Aussagen des Grundsatzprogramms kann ich voll unterstützen, denn da wird sehr viel Richtiges und Wertvolles über die speziellen Herausforderungen der Zeit, über Familie und Gesellschaft, über Schöpfung und Umwelt, Menschenwürde, Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit, soziale Marktwirtschaft, Bildung und Kultur gesagt, und viele dieser Aussagen beinhalten auch eine erkennbare Affinität zu Grundüberzeugungen des biblisch – christlichen Glaubens. Schaue ich mir nun aber die konkreten politischen Entscheidungen an, für die die CDU im Bereich der Bildungspolitik, Energiepolitik, Militärpolitik, Sozialpolitik, Wirtschaftspolitik, Entwicklungspolitik und auch bei „Stuttgart 21“ konkret steht, muss ich leider feststellen, dass es zwischen deren Positionen und Entscheidungen in den konkreten Sachfragen und den meinigen so gut wie keine Übereinstimmung gibt.
Die hehren Aussagen des Parteiprogramms spielen im politischen Alltagsgeschäft offensichtlich keinerlei entscheidende Rolle, dafür aber umso mehr die ökonomischen Interessen der „Starken“, die bedient werden.

Dies sei an zwei konkreten Beispielen belegt.
Da liest man im Grundsatzprogramm, die CDU wolle ihren „Nachkommen eine Welt bewahren und hinterlassen, die auch morgen noch lebenswert ist“, denn „die nachfolgenden Generationen haben ein Recht auf wirtschaftliche Entwicklung, sozialen Wohlstand und eine intakte Umwelt“. Zugleich steht diese Partei seit nunmehr 50 Jahren ungebrochen für Atompolitik und damit nolens volens auch für die Herstellung von Massenvernichtungswaffen, deren Zerstörungsqualität alles übersteigt, was ein normaler Mensch sich vorstellen kann. Und auch die zivile Nutzung der Atomtechnik bedroht die Schöpfung wie keine andere Technik, zumal es bis zum heutigen Tag für den hochradioaktiven Atommüll kein sicheres Endlager gibt und wohl auch nie geben wird. Deshalb lässt man über Jahre den Müll im Atlantik verklappen, wo er als Zeitbombe vor sich hinmodert, oder lagert ihn z.B. in das angeblich 1000 Jahre sichere Endlager Asse in Niedersachsen ein, wo er nun – wie schnell die Zeit doch vergeht! – für über 3 Milliarden Euro auf Kosten der Steuerzahler wieder herausgeholt werden muss, nachdem nun endlich offiziell festgestellt wurde, was man im Grunde schon von an Anfang wusste, dass der Salzstock als Endlager nicht geeignet, weil nicht trocken, ist. Gutachter prognostizieren heute für den Berg, in dem 127 080 teils offene oder gebrochene Atommüllfässer, unter anderem 28,6 Kilogramm Plutonium (Halbwertzeit etwa 24000 Jahre) lagern, eine Standfestigkeit bis 2020. Seit 1988 flossen und fließen immer noch täglich 12 000 Liter Salzlauge aus dem Deckgebirge zu. Dieses Deckgebirge hat Kontakt zum Grundwasser, es gehört also zu der dem Menschen zugänglichen Biosphäre. Und schon in den 90 – er Jahren wurde in der besagten Lauge radioaktives Caesium 137 nachgewiesen, was aber vor der Öffentlichkeit zunächst verheimlicht und schließlich in seiner Gefährlichkeit heruntergespielt wurde. Damit „liegt heute die, vorsichtig formuliert, problematischste Atomanlage Deutschlands, wenn nicht gar Europas: das Atommülllager im ehemaligen Salzbergwerk Asse.“ (Quelle: Meinrad Heck, Asse im Ärmel, Wie die Öffentlichkeit von Politik und Atomlobby im Skandal um das niedersächsische Salzbergwerk planmäßig in die Irre geführt wurde, in: J.O. Freudenreich, die Taschenspieler, S. 123 ff).
Auch die andere Technik des 20. Jhdts., deren nachhaltige Gefährlichkeit ein ähnlich bedrohliches Vermächtnis für zukünftige Generationen darstellt wie die Atomtechnik, nämlich die Gentechnik, wird von der CDU offensiv vorangetrieben. Über 70 Prozent der deutschen Bevölkerung lehnt nachweislich die Gentechnik in Lebensmitteln ab. Schon dies müsste ein Grund sein, als „Volkspartei der Mitte“, die sich „an alle Menschen und alle Schichten und Gruppen in unserem Landet wendet“, hier ein restriktive Politik zu verfolgen. Das Gegenteil ist der Fall. Die CDU Niedersachsen unter dem damaligen Ministerpräsidenten Wulff etwa erklärte die Gentechnik für ethisch vertretbar, ökonomisch und ökologisch geboten. 2009 forderte der heutige Bundespräsident Wulff gegen das Ansinnen der Verbraucherministerin Ilse Aigner, die Aussaat von genmanipuliertem Mais zu verbieten, von der Bundesregierung ein klares Bekenntnis zum Einsatz der Gentechnik in Deutschland. Die Gentechnologie sei eine Zukunftstechnologie, die ihren Platz in Deutschland haben müsse.
Dazu kommt, dass die Vorbehalte der Bevölkerung gegen Gentechnik in Lebensmitteln durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts untermauert werden, das 2010 feststellte: „Mit der Möglichkeit, gezielt Veränderungen des Erbgutes vorzunehmen, greift die Gentechnik in die elementaren Strukturen des Lebens ein. Die Folgen solcher Eingriffe lassen sich, wenn überhaupt, nur schwer wieder rückgängig machen.(…) Angesichts eines noch nicht endgültig geklärten Erkenntnisstandes der Wissenschaft bei der Beurteilung der langfristigen Folgen eines Einsatzes der Gentechnik trifft den Gesetzgeber eine besondere Sorgfaltspflicht“. Der Gesetzgeber hat „in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen“. (http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg10-108)

Fazit: Eine Partei, die eine konkrete Politik betreibt, die gegen die eigenen ideellen Grundsätze verstößt und dazu noch vielfach den Willen der Bevölkerungsmehrheit missachtet (u.a. auch beim Projekt Stuttgart 21), ist schlicht unglaubwürdig und hat es verdient, wenn ihr das Vertrauen entzogen wird.

Wolfgang Schiegg, Pfarrer

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